4-Länder in 3 Tagen (sehen, was geht)

Dezember 29, 2021

Eine Radreise über Hahntennjoch und Albulapass bis zum Bodensee, die im Nachhinein betrachtet primär dazu diente, ausgiebig zu erkunden, was für mich Rad-Greenhorn geht.

Ein dumpfes, äußerst unangenehmes Gefühl in meinem Bauch. Die ganze Nacht schon und auch noch, während der Mann mich mit ins Lechtal nahm. Im Kofferraum mein neues Gravelbike, die fertig gepackten Radtaschen und der Plan, nun einige Tage unterwegs zu sein. Ich hatte Schwierigkeiten, das Gefühl zuzuordnen – war es ein schrillendes Alarmsignal? Faulheit? Bedenken wegen des Hahntennjochs!? Wegen des neuen Bikes? Heimweh?!

Tag 1: Cocktail der Gefühle (Forchach – Scuol)

In Forchach verabschiedeten wir uns, ein riesiger Klos steckte im Hals. Die Nervosität verflog zu einem erheblichen Teil nach den ersten Kilometern. Das herrliche Lechtal erwachte langsam, im Tal lag noch angenehme Kühle, kaum ein Auto war zu dieser frühen Uhrzeit unterwegs.

Als ich den Abzweig zum Hahntennjoch sah, kam etwas Nervosität zurück. »Einer der anspruchsvollsten Anstiege Österreichs« stand irgendwo. Ich als absolutes Greenhorn, mit einem neuen Bike und ohne Training – ist das fahrlässig? Naiv? Genau richtig?

12% zum Warmwerden

Zwei Rennradler pausierten kurz vor der ersten Steigung – meine Klamotten passten, ich spürte keinen Grund zum Anhalten. Lieber die Rampe, die mit 12% das steilste Stück des gesamten Passes ausmachte, schnell hinter mich bringen. Die beiden guckten verdutzt, brachten nur einen verkappten Gegengruß heraus. Habe ich was übersehen?!

Die Rampe war schnell geschafft,  die weiteren Kilometer bis nach Bschlabs machten keinerlei Probleme. Behutsam entspannte ich mich. Der eigentliche Pass ging gut – wenn auch im untersten Gang und sicher nicht außergewöhnlich schnell, aber bei den Jungs ging’s auch nicht schneller. Genau genommen »ging es« nicht nur irgendwie, es machte tatsächlich Spaß!

Am Sattel war sämtliche Nervosität dann purer Vorfreude gewichen – wenn ich das hier schaffe, dann schaffe ich alles – welche Pässe auch immer jetzt noch kommen würden! Das Herz hüpfte in der Morgensonne.

Auf der Via Claudia

Noch bevor die Hitze des Sommertages einsetzte, gönnte ich mir am Pass ein erlesenes Anti-Vital-Frühstück (Schnitzelsemmel, Cola, Fanta, Schokolade) und sauste endlos lang bergab nach Landeck. Richtung St. Moritz wurde der Radweg plötzlich spürbar »voller», was nette Bekanntschaften und ein herrliches Flair mit sich brachte – ich hatte das Gefühl, dass an diesem wolkenlosen Sommermorgen alle Radreisenden mit breitem Grinsen unterwegs waren. Was macht dieses Radeln mit den Leuten?! 

 

Kurz vor der Schweizer Grenze wurden die Wege schlagartig wieder leer – die Radler waren offensichtlich ausnahmslos auf der berühmten Transalp „Via Claudia“ über den  Reschenpass unterwegs. Ich jedoch wollte nach Scuol und war einen Moment lang fast traurig – ich hatte die fröhlichen Menschen lieb gewonnen!

Genug für heute

Bei 36 Grad beschloss ich ein paar Stunden später an einer schönen Badestelle am jungen Inn mein Etappenziel erreicht zu haben, planschte, kochte, döste ausgiebig und fiel versteckt im Wald in einen erschöpften Schlaf.

Was man in einem einzigen Tag alles erleben kann! Heute Nacht noch die unfassbare Unruhe, dann der Aufstieg zum Hahntennjoch im Morgenlicht, die rasante Abfahrt, die nette Bekanntschaft mit dem Mann, der vier Wochen frei hatte und mit seinem wild bepackten Rad bis nach Slowenien kommen wollte, die grinsenden Menschen, die Burg-Anlagen der Altfinstermünz, die brachiale Hitze, die schöne Badestelle – das gute Wetter, die guten Beine – die Gewissheit, dass ich auch über 2.000hm und 130 Kilometer schaffe… Ein intensiver, langer, schöner Tag.

 

Tag 2: Nichts läuft (Scoul – Albulapass)

Am zweiten Tag lief dann irgendwie so gar nichts. Ich hatte mit dem ersten Tageslicht meinen Zeltplatz geräumt und hatte es dann doch geschafft, den Vormittag in Scuol damit zu vertrödeln, Sim-Karten-Probleme und Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Bruder zu lösen, der mich vielleicht oder dann doch nicht ein Stück weit begleiten wollte. Ganz zu schweigen von der Frage, wo ich überhaupt heute hinradeln sollte… Irgendwie war der Wurm drin.

Pünktlich zur einsetzenden Mittagshitze setzte ich zum langen Aufstieg hinauf nach Ftan an – mit schweren Beinen vom Vortag und einer Unzufriedenheit über meine eigene Trödelei. Die Landschaft und die für Autos gesperrte Hochstraße ließen zunächst den Unmut verfliegen und so genoss ich herrliche Ausblicke, während die ersten Gleitschirmpiloten über mir kreisten.

Nur wenige Kilometer später passte ich einen Moment nicht auf und bemerkte erst mehrere hundert Höhenmeter tiefer, dass ich falsch abgebogen war. Was will mir dieser Tag sagen?!

 

Stimmungs-Tiefpunkt

Dank der Technik war die Routenalternative aber schnell gefunden und so ging es eben schon etwas früher als geplant unten im Tal auf Schotter weiter. Spätestens nach dem wenig attraktiven Ort Zernez führte der vermeintliche Radweg (offizielle „Graubünden-Route“) dann aber über endlose Kilometer über so dermaßen fies zu fahrenden Schotter, dass das Lust-Level in den absoluten Frust-Bereich rutschte.

Ich kam gefühlt überhaupt nicht mehr voran, alles war gespickt mit Schlaglöchern, Wasser gab es auch keines und selbst die Ansammlungen an Fotografen, die die berühmten Bahnbrücken markierten, erhellten die Stimmung nicht mehr wirklich.

Schluss für heute

Kurz vor S-chanf hatte ich beschlossen, den Tag heute einfach zu beenden und im Ort eine volle Ladung an Stimmungsaufhellern zu kaufen. Ich torkelte tief verdreckt in den kleinen Dorfladen, kaufte allerlei Obst, Schokolade, Gipfeli und weitere stimmungssteigernde Substanzen und malte mir schon aus, wie ich all das in ein paar Minuten an einem schönen Ort direkt am Fluss verputzen würde.

Als ich aber gerade zurück zum Fluss radeln wollte, fiel der Blick in Richtung Osten und damit auf eine dicke Regenfront. Kehrtwende – Unterstellmöglichkeit suchen, und zwar pronto!

Kein Schuppen, kein Häuschen, ja nicht mal ein vernünftiges Vordach fand sich im Ort. Ich probierte mit den ersten Tropfen den kleinen Bahnhof am oberen Rand des Dorfes, der erfreulicherweise nicht nur ein ausladendes Dach, sondern zu allem Luxus sogar öffentliche Toiletten und fließend Wasser bot.

Wahrer Luxus

Als das Gewitter stärker und stärker wurde, entdeckte ich den gefliesten, völlig leeren Warteraum. Eine heiße Schoki, die halbe Melone, sämtliche Gipfeli, mehrere Semmeln und einen ausgiebigen Mittagschlaf später war nicht nur der Himmel, sondern vor allem auch die Stimmung wieder aufgehellt.

Planänderung

Kurzerhand beschloss ich, doch noch den nahegelegenen Albulapass in Angriff zu nehmen, was einerseits mit einem herrlichen Aufstieg im Abendlicht belohnt wurde und andererseits mit einem vollkommen perfektschönen Platz für die Nacht. Nach einem erfrischenden Bad im Bach, gutem Abendessen, einem heißen Abend-Cappuccino und noch ein paar Minuten EinfachInderSonneSitzen, war ich mit diesem vermurksten Tag wieder versöhnt. Dieser Platz war schlichtweg magisch.

Quo Vadis?

Der abendliche Wettercheck hatte Potenzial, die Stimmung doch wieder etwas einzutrüben. Den Plan, mit einer weiten Schleife über Bernina und Gotthardpass in Richtung Vierwaldstättersee und weiter an den Bodensee zu kurbeln, hatte ich ohnehin wegen des Wetters schon morgens verworfen, denn es hatte da schon nicht mehr so viele Tage wirklich stabil ausgesehen.

Das schlechte Wetter kam aber schneller näher, als ich fahren konnte – schon am übernächsten Tag würde es erheblich regnen. Aber was soll’s – ich wollte zumindest noch über Chur und Diesentis den Oberalppass angehen und von dort dann an den Bodensee abbiegen.

 

Tag 3: Sehen, was geht (Albula-Pass – Bodensee)

Der nächste Morgen begann mit einer ähnlichen Magie, wie der Tag zuvor geendet hatte. Die Sonne schlich noch während ich das Zelt abbaute über die Berggipfel und tauchte alles in ein herrliches Morgenlicht. Wie unfassbar schön es war!

Hiner dem Pass wechselte die Landschaft schlagartig, schroffe Gipfel kamen in den Blick, herrliche Wälder und malerische Seen – eine absolute Traumabfahrt, die – gefühlt – fast gänzlich ohne zu Treten bis hinunter nach Chur auskam. Nur in den zwei engen Tunnels hinter Tiefencastel (für die Radfahrer wird hier der Zugtransport empfohlen) war es einigermaßen unentspannt – denn ausgerechnet dort fiel das Gelände nicht ab, sondern stieg sachte an. Immerhin war es zu früh für viel Verkehr.

Kurz vor Chur legte ich eine erste kurze Pause ein, um noch ein letztes Mal Wetter und die Pläne des Bruders zu checken. Die Regenprognosen waren inzwischen noch pessimistischer. Nach dem Morgen-Müsliriegel traf ich eine spontane Entscheidung: Ich fahre heute noch an den Bodensee. Oder schaue zumindest, wie weit ich komme!

Mit rund 200 Kilometern würde es mit Abstand die längste Etappe sein, die ich jemals zurückgelegt hatte (in meiner bis dahin dreitägigen Rad-Karriere), aber die Vorstellung, schon heute Abend bei den Eltern köstlich versorgt zu werden, könnte unterwegs den ein oder anderen wichtigen Motivationsschub geben. Ich wollte auf dieser Tour sehen, was ich leisten kann und das war die perfekte Chance.

So schaltete ich bei Komoot auf „Rennrad“, um heute ganz sicher ausschließlich auf Teer unterwegs zu sein, kontrollierte die Strecke auf jede noch so kleine unnötige Variante und schwang mich mit einem weiteren Liter Wasser im Bauch aufs Rad.

An den restlichen Tag erinnere ich mich nur noch fragmentarisch – die meiste Zeit sauste ich auf landschaftlich mittelmäßig attraktiven, dafür unschlagbar effizienten Bundesstraßen in Richtung Norden, nahezu ausschließlich im flachem oder sogar leicht abfallenden Gelände.

Durch Chur war es ein mühsames Geschlängel (beim Anhalten an den vielen Ampeln wurden die Hitze erst richtig bewusst), irgendwo bei Landquart gab es mal wieder ein äußerst ausgewogenes Mittagessen (Trauben, Rivella, Laugenstange), bei Sargans fielen die Kilometer auf dem genialst ausgebauten Rhein-Damm (je schneller man fährt, desto besser kühlt der Fahrtwind!), die Grenze nach Liechtenstein passierte ich trotz Pandemie problemlos (ich hatte wenige Meter zuvor spontan Bedenken) und irgendwo in Vaduz fand ich doch endlich noch einen – im Fürstentum offensichtlich raren – Brunnen, sogar mit Baum und Bank, der mich direkt zum kurzen Mittagschlaf verleitete.

Zumindest etwas frisch gestärkt ging es weiter, inzwischen mit schmerzenden Achillessehnen. Stoisch weiterkurbeln – es tut nicht weh, es ist nicht heiß!

Meine nächste Erinnerung ist dann schon Bregenz abends um sechs Uhr, wo ich mir am Ufer im regen Sommer-Gedränge bei einem Eis und einer Sprite (Vielfalt! Wichtig!) eine kurze letzte Pause gönnte. Die allerletzten Kilometer in alten Heimatgefilden zwischen Apfelplantagen und Orten meiner Kindheit leuchteten im letzten Sonnenlicht, zahlreiche Erinnerungen ließen mich die letzten nur so fliegen.

Und dann: Das Ortschild meines Heimatdorfes. Die Hofeinfahrt! Der Papa, der grinsend auf der Mauer sitzend auf mich wartete. 192 Kilometer standen auf dem Tacho. Ich hatte es tatsächlich geschafft.

192 Kilometer später: Ich habs tatsächlich geschafft!

 

 

Die Tage danach

Das Bikefitting bei dem neuen Radladen ALPSEEBIKES in Immenstadt war zwar nicht günstig, aber jeden einzelnen Cent wert. Es waren Nuancen an Lenker und Sattel, die dafür sorgten, dass ich seither nie wieder irgendwelche Probleme auf dem Rad hatte – weder Verspannungen in den Schultern noch Schmerzen in der Achillessehne. Damit das Bike nicht leer ausgeht, bekam es hinten noch ein paar mehr kleinere Gänge, sodass auch steile Pässe noch leichter gelingen würden und die Handlebar-Tasche von Ortlieb, die besser an den Dropbar-Lenker passt. Das nächste Abenteuer kann kommen.

Und, Spoiler: Es kam! Und zwar in der schönsten Ecke dieser Alpen.

Packliste

Die Packliste zur Bikepacking-Tour mit Zelt und Kocher gibts hier.

Route

Die einzelnen Etappen der Drei-Tages-Bikepacking-Tour gibt es auf Komoot (Lechtal – Engadin, Engadin – Albula-Pass, Albula-Pass – Bodensee)

 

 

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