Wenn alles anders kommt (Skitransalp Bruneck-Kufstein)

März 13, 2017

Es gibt einfach diese Unternehmungen: Man kommt heim und ist wie auf Drogen. Die Gedanken hängen bei der Gruppe, bei der atemberaubenden Landschaft, bei den Erlebnissen, die noch ewig im Kopf bleiben werden. Man wünscht sich zurück und weiß, dass solche rundum gelungenen Unternehmungen selten sind. Die Skitransalp von Bruneck nach Kufstein barg genau dieses „Risiko“. Am Ende kam alles anders – und doch genau so.

Als mich die Bergschule MOUNTAIN ELEMENTS fragte, ob ich nicht Lust habe, eine Skitransalp mitzugehen, hatte ich nur eine Frage lang gezögert: „Kann ich das abfahrtstechnisch?“ „Das schaffst du gut“ hatte Benno, der Geschäftsführer gesagt. Überragend breites Grinsen. Heftiges Nicken. Sofortiges Verdrängen, dass das 9.000 Höhenmeter in sechs Tagen bedeutet. Wird schon!

Vorfreude!

Zwei Tage vor Abfahrtstermin dann mal der erste Check, wo die Route überhaupt entlang führen würde. Beim genaueren Hinsehen reihte sich nicht nur ein 1600hm-Anstieg aneinander, sondern auch die mir bekannten Orte: Angefangen in Antholz, von wo wir im Dezember die herrliche Mixed-Tour auf den Wildgall gemacht hatten, rüber nach Rein/Taufers, wo wir die unschöne Bergrettungserfahrung gemacht hatten, dann ins Ahrntal, wo es uns für die Datenaufnahme für den ADAC Kinderwanderführer hinverschlagen hatte, rüber in den Zillergrund, dem Endpunkt unserer stressig-schönen Grundschartner-Nordkante-Tour und weiter nach Gerlos und Ellmau. Am letzten der sechs Tage stand die Überschreitung des Wilden Kaisers über die Kopftörl-Scharte an – auch so ein Grat, der noch auf der Wunschliste stünde… Die Vorfreude wuchs!

Es geht los!

Sonntag. Schlecht geschlafen, nervös und aufgeregt. Komme ich da wirklich überall gut runter oder bremse ich die ganze Gruppe aus? Halte ich sechs Tage am Stück auf Ski durch? Schaffe ich wirklich 9.000 Höhenmeter? Und wie werden die Leute sein? Am Treffpunkt eine erste Beruhigung, das mit der Gruppe sollte schon mal gut gehen. Flo, der Bergführer, dessen Kopf gefühlt irgendwo in den Regenwolken steckt, so groß war der, grinste charmant und plapperte gleich mal los. Die anderen waren auch nicht auf den Mund gefallen. Und das beste: Es war noch eine weitere Frau dabei! Hu, das wird schon!

Sterne und Prozente

Per Shuttle ging es nach Antholz direkt zum schicken Vierbrunnenhof. Drei Sterne Superior, wenn das so weitergeht, werde ich unserem Hotel Caddy irgendwann noch abtrünnig. Während es draußen schneite, verlief der erste Abend Dank dem ein oder anderen mittelprozentigem Getränk angenehm lustig. Ich hatte mir ja eigentlich überlegt, diese Tour zum Verzicht auf etwas Alkohol zu nutzen…

Tag 1 – Spontan umgeplant

Am nächsten Morgen wurde dann aber auch  noch eine andere Abweichung der Vorsätze klar: Nach den ergiebigen Niederschlägen war die geplante Antholzer Scharte nicht möglich, wir fuhren stattdessen mit dem Taxi zum nächsten Hotel und stiegen auf der Abfahrtsroute hinauf. So bekamen wir sogar gleich noch einen ersten Gipfel, der fällt bei der normalen Überschreitung zeitbedingt meist raus. Naja, zumindest war er geplant.

Zum Magerstein

Während der Aufstieg zur Kassler Hütte noch in feinstem Pulver und herrlichem Sonnenschein geschah, hüllte uns einige hundert Meter unterhalb des Magersteins bereits eine dicke Wolkendecke ein. Je weiter wir kamen, desto kälter blies der Wind und wir gaben uns einstimmig mit der Scharte am Skidepot zufrieden.

Nach einer Lektion exotischem Latino-Gipfelgruß (ayayayayayyyy!!), stürzten wir uns teils kopfüber in den tiefen Pulver. Brennende Muskeln, sechs grinsende Schneemännchen mitten in endlosen Pulverhängen. Warum nochmal hatten wir alle so schmale Ski dabei!?

Nach dem Interrims-Einkehrschwung an der Kassler Hütte samt hervorragendem Kaiserschmarrn kam aber doch noch das dicke Ende: Steil, eng. Wald. Nicht mein Metier, das der anderen hingegen sehr. Jauchzend hüpften sie durch den tiefen Fluff. Die drei Kilometer Loipe, die unten lauerte, gaben uns nach den 1.700 Höhenmetern dann noch vollends den Rest und wir fielen mit müden Beinen und ziemlich breitem Grinsen in die Bar vom Reinerhof ein. Das Radler ging in Kaffee über, dieser wiederum ins Abendessen und Wein. Das mit dem Verzicht mache ich dann, äh, später.

Tag 2 – Sturm, Whiteout und Kälte

Barbara, mein weiblicher, ebenfalls dauerhaft grinsender Beistand auf dieser Tour, entschied sich krankheitsbedingt gegen die zweite Etappe und fuhr stattdessen mit dem Taxi zum nächsten Hotel. Ich machte mich also mit den vier fitten Männern allein auf in Richtung Klammljoch – Arvental – Kasern. Eine lange Etappe, nicht nur höhenmetertechnisch, sondern vor allem auch mit vielen Kilometern. Und ich als Küken im Nest, auweija… Aber die al- äh, älteren Hasen gaben von Anfang an geduldig Rücksicht. Eine tolle Gruppe!

Wie weit zu weit?

Die Lawinensituation war mit dem starken Wind noch deutlich angespannter als gestern, die Sicht wegen des ganzen Schnees in der Luft teilweise gleich null. Es war bitterkalt. Wer behauptet eigentlich, dass Eisklettern die „kälteste“ Sportart ist?!

Wir tasteten uns vorsichtig nach vorne, prüften immer wieder, ob ein Weitergehen überhaupt noch vertretbar war. Ich wollte nicht mit dem Job des Bergführers tauschen. Wie weit ist zu weit? Wie reagieren die Gäste, wenn wir hier schon wieder umplanen? In Gedanken wanderte mein viel zu früh gestorbener Lawinenmentor mit und brabbelte fröhlich über den Schnee, die Lawinen, Anekdoten von früher und vor allem darüber, wo man für die Abfahrt den besten Schnee erwarten könnte. Ein Verlust, der nach (ganz genau) zwei Jahren immer noch schmerzt.

Wir gingen weiter, verschoben die Entscheidung immer wieder, ständig in der Hoffnung, wenigstens bessere Sicht zu bekommen.

Ohne Sicht keine Entscheidung

Das Wetter blieb gegen uns, für eine ernsthafte Einschätzung der Hänge im Arvental reichte die immer wieder durchblinzelnde Sonne einfach nicht. In einem kleinen Unterstand mit fehlenden Fenstern fiel die Entscheidung. Wir drehen um. Während es über windgepresste Flächen zurück nach Rein/Taufers ging, fühlte ich in mich hinein: Bin ich enttäuscht? Nein, so gar nicht. Wir sind in den Bergen, so ist das dort eben. Sie geben die Verhältnisse vor, wir müssen uns anpassen. Nein, ich war im Grunde froh über die Entscheidung, mir war die Lage zu kritisch.

Vom Sturm in die Sonne

Nach einem weiteren Skate-Diplom mit dicken Rucksäcken (da legt man jedes Stück auf die Waagschale und packt am Ende die Vollformatkamera drauf 😀 ) kehrten wir im nächstbesten Gasthof ein. Die Stimmung war spätestens dank der beheizten Sitzbänke wieder voll auf der Höhe, die Sonne lachte uns hier im Tal ins Gesicht, das Radler schmeckte ausgezeichnet und vor dem pfeifenden Wind waren wir hier auch noch geschützt. Eigentlich ließ sich das Leben so ganz gut aushalten!

Taxidiplom

Die anschließende Taxifahrt brachte uns ins Ahrntal nach Kasern. Wieder ein 3-Sterne-Hotel, wieder Sauna und Co. Barbara hatte sich tagsüber gut erholt und war startbereit für den nächsten Tag. Unsere Gruppe war bereits großartig zusammengewachsen. Heli der Weitgereiste, der für einfach jeden Berg eine Anekdote auf Lager hatte, Hans, der mit seinen 60 Jahren nicht nur doppelt so alt, sondern auch gefühlt doppelt so fit wie ich war, Christian der ruhige Statiker und verlässlicher „Einsammler“ beim Abfahren, Barbara die tanzende Skimaus und ideale Zimmerpartnerin und Flo, der sich neben Geschichten aus Südamerika unermüdlich für eine gelungene Touren(um)planung einsetzte… Ja, ich freute mich aufs Abendessen, wenn alle wieder zusammenkamen. Es passte einfach.

Tag 3 – ein Traumtag

Tag drei fing an, wie man es sich auf solch einer Durchquerung einfach nur wünschen kann. Die Sonne lachte, frischer Neuschnee hüllte die Bäume in hübsches Weiß. Wir stiegen in zügigem Tempo über die Waldgrenze. Zwar war wegen der weiterhin angespannten Lawinensituation der Rauchkofel nicht möglich, aber die Scharte sollte sicher machbar sein. Wir genossen das herrliche Wetter, legten extra lange Pausen ein und genossen das Leben. Was für ein herrlicher Ort! So soll das sein!

An der Scharte – die Grenze zwischen Österreich und Südtirol und damit für uns die Überschreitung des Alpenhauptkamms – war es überraschend windstill, der Anraum hüllte den gekreuzigten Jesus in einen schroffen Mantel. Eine dünne Wolkendecke hatte sich langsam über uns geschoben und tauchte alles in fahles Licht. Es ist Zeit zu gehen. Die Abfahrt war deutlich besser als gedacht und gar mir glitt der ein oder andere Jauchzer über die Lippen. Genau so soll das sein! Was für ein Tag!

Hinab in den Zillergrund

Wir cruisten in bester Laune hinunter in den Zillergrund und konnten mit kurzer Unterbrechung bis vor die Türe unseres nächsten Gasthofs fahren. Alkoholischer Hopfentee, hochprozentiges Destillat und koffeinhaltiges Heißgetränk ging in Würstel, Kaiserschmarrn, Suppe, Schnitzel und Kuchen über. Wir feierten den Tag. Kurz bevor wir vor lauter Zirbe, Kalorien und schöner Gespräche platzten, schlüpften wir unter die fluffigen Daunendecken direkt unterm Dach.

Kreisende Gedanken

Während langsam die Nacht die Gedanken an den Tag einhüllten, setzte ein, was vorhergesagt war: Regen. Prasselnder Regen. Würden wir morgen im Regen loslaufen? Was, wenn die Lawinensituation dadurch noch weiter ansteigt? Was, wenn wir womöglich auch hier trotz Flos Alternativ-Tour nicht nach Gerlos kämen? Jeder von uns machte sich wohl diese Gedanken – jeder wohl auch ein Stück weit froh, die Verantwortung für die Planung nicht selbst tragen zu müssen.

Tag 4 – Regen, Regen, Regen

Der nächste Morgen brachte keine Wetterbesserung. Der Lawinenlagebericht bestätigte, was wir befürchtet hatten. Ein Vierer. Es war zu kritisch. Nicht nur für unsere Tour, sondern selbst für das Taxi, das uns zurück in die Zivilsation von Mayerhofen bringten sollte. Erst nach Rücksprache mit der Lawinenkommission holte es uns in diesem hintersten Winkel ab. Während draußen weiterhin der Regen prasselte, fiel im warmen Café im Tal die Entscheidung: Drei der Teilnehmer sprachen sich für den Abbruch aus, die Alternativen waren bei der extremen Lawinensituation und der schlechten Wetterprognose einfach zu eingeschränkt. Was tun? Zu dritt mit dem Taxi nach Gerlos, LVS-Training und Freeriden im Skigebiet, nur um dann wiederum per Taxi weiter nach zu fahren? Eine Skidurchquerung per Taxi? Wir brechen ab. Gemeinsam. Mir bricht’s das Herz.

That’s nature

Während die anderen per Auto abgeholt wurden, gönnte ich mir mit dem niedergeschlagenen Flo den Zug. Er hatte alles daran gesetzt, uns doch noch eine gelungene Durchquerung zu ermöglichen, aber die Argumente der zahlenden Gäste waren völlig nachvollziehbar, schließlich war eine Alpenüberquerung per Taxi wenig verlockend. Es war eine rundum traurige Situation, denn die Gruppe wäre fit und motiviert gewesen, sämtliche Höhenmeter mitzunehmen. Diesmal war aber nicht nur das Wetter oder nur die Lawinensituation dagegen, diesmal kam alles zusammen. That’s nature!

Traurig

Ich für meinen Teil bin dankbar für jeden Meter, den ich mit dieser netten Gruppe zurücklegen durfte und freue mich über die Bekanntschaft zu diesem souveränen Bergführer. Die Tour bis dahin kann ich mit gutem Gewissen jedem empfehlen – sie verläuft ganz einsam abseits der bekannten Wege und führt durch großartige Landschaften. Die Unterkünfte sind bis auf den Gasthof im Zillergrund äußerst angenehm und bieten neben Dusche, Trockenraum und sehr gutem Essen auch Sauna und sympathischem Service.

Und das Gute an der Sache für spätere Gäste: Viel schlechter als wir kann man es wohl kaum erwischen. Also: Wer schon immer mal Lust auf eine ambitionierte Mehrtages-Skitour abseits der bekannten Pfade hatte, der klicke einfach direkt HIER und gönne sich einen Traum! Ich werde derweil noch ein wenig traurig in Erinnerungen schwelgen.

Hier geht’s zu den Touren von MOUNTAIN ELEMENTS.

***NACHTRAG!!! MOUNTAIN ELEMENTS hat’s tatsächlich spontan möglich gemacht, dass ich nur eine Woche später die Tour tatsächlich noch zu Ende gehen konnte. Hier geht’s zum Artikel!

 

Diese Ausrüstung war mit dabei:

 

 

 

 

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2 Comments

  • Reply Joe März 13, 2017 at 11:41 am

    Hey,
    das kann ich gut nachfühlen, wenn der Plan nicht aufgeht. Aber du sagst es ja, der Berg ist der Chef und solange man sich dessen bewusst ist, ist man gut beraten. Läuft ja nicht weg, so eine Tour. Ich hab manche Berge auch zweimal besuchen müssen, um auf den Gipfel zu kommen. So what. Auch wenn’s erstmal arg ankäst, beim nächsten Versuch klappt’s und dann bist du der König bzw. die Königin gefühlt 🙂

    Tolle Bilder mal wieder! Ich beneide schon bissl dein Geschick. Und die 5D 😉

    LG Joe

  • Reply Steve März 14, 2017 at 10:49 pm

    Schade, aber den Bildern nach zu urteilen seid ihr dennoch voll auf eure Kosten gekommen.
    Und diese Alpen laufen ja zum Glück nicht weg und können bestimmt noch öfter überquert werden. 😉

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