Dass ich den (die) Via Alpina im Sommer gehen möchte, dürfte sich inzwischen rumgesprochen haben. Da ich bisher weder mehrere Wochen am Stück unterwegs war, selten so extrem auf das Gewicht des Rucksacks achten musste, noch die ganze Sache so medial aufbereiten wollte, hatte ich für das Pfingstwochenende einen kleinen Probelauf geplant. Damit es auch wirklich authentisch werden würde, wählte ich einen anderen Via Alpina (violett), nahm ausschließlich Ausrüstung mit, die ich auch ab dem 1. Juli dabei haben würde und hatte zur Navigation nur kleine Kartenausschnitte, die mir später noch etwas zum Verhängnis werden sollten.
Die Navigation auf solchen langen Wanderwegen ist immer eine Crux. Man hat im Grunde drei Arten zur Auswahl: Ganz oldschool mit offiziellen topografischen Karten im Maßstab 1.50 000. Problem dabei ist natürlich, dass man 80% unnötige Kartenausschnitte mitschleppt. Für den Via Alpina von Chamonix nach Oberstdorf wären das etwa 15 Karten und damit einerseits extrem Volumen und andererseits viel Gewicht. Grundsätzlich kann man sich die Karten auch postlagernd auf dem Weg verteilen, was einerseits aber eine finanzielle Frage ist und andererseits einen von den Öffnungszeiten der Post abhängig macht. Die zweite Möglichkeit ist auch kartenbasiert, würde aber bedeuten, dass man nur die betreffende Kartenausschnitte mitnimmt; mit einer gewissen Abweichung um Gipfel in der Nähe benennen zu können, kleine Alternativrouten ausfindig zu machen oder Tagestouren machen zu können. Die letzte Möglichkeit ist, sich rein auf ein GPS-Gerät zu verlassen. Ich habe lange darüber nachgedacht, habe abgewägt und getestet. Mein Bruder lieh mir sogar sein GPS-Gerät, mein Vater die Speicherkarte mit sämtlichen topografischen Karten. Aber das Gerät ist schwer und hat für meine Verhältnisse ein kleines Display. Ich bin es einfach nicht gewöhnt und fühle mich unwohl, ganz ohne Karte zu wandern. Als dann wenige Tage vor meinem Testlauf die Batterien plötzlich leer waren, nahm ich es als Zeichen und wählte die traditionelle Variante. Mit ausgedruckten Kartenausschnitten machte ich mich auf die Reise nach Garmisch-Partenkirchen, von wo ich innerhalb von 4 Tagen nach Pfronten im Allgäu wandern wollte.
Der Rucksack war gleich gepackt, wie ich es für den Via Alpina im Sommer geplant habe. Größte Veränderungen gegenüber meiner „gewöhnlichen“ Packliste für solche Unternehmungen waren einerseits die fehlende lange Hose: Ich habe nur eine kurze Hose dabei und für den kühlen Abend eine lange Unterhose zum Drunterziehen. Wenn der Wind zu stark würde, hätte ich immer noch meine Regenhose, die als zweite Schicht darüber angezogen werden kann. Was andererseits noch fehlte war mein geliebtes Inlay für den Schlafsack, das mir seit Tasmanien immer beste Dienste erwiesen hat. Zum einen schützt es den Schlafsack, zum anderen wärmt es zusätzlich. Es ist aber auch verhältnismäßig schwer, weshalb ich darauf verzichten wollte. Diese Entscheidung muss ich allerdings noch einmal überdenken, denn ich habe beide Nächte gefroren. Beide? Die Tour war doch auf 3 bis 4 Tage geplant? Ja, war sie, aber ich musste abbrechen. Aber dazu komme ich später.
Der Zug brachte mich am Freitag Nachmittag nach Garmisch-Partenkirchen, von wo ich innerhalb 3,5 Stunden zur Enning-Alm (sorry Michi und Hartmut, aber den Allgäuer Unterschied zwischen Alm und Alpe werde ich nie lernen) aufstieg. Der Weg war anfangs noch für Kinderwagen und Rollstuhl geeignet, Bänke säumten den Pfad, nach einer Dreiviertelstunde kam schon die erste Einkehrmöglichkeit am Pflegersee in Sicht. Ab dort wurden die Wanderer immer weniger und mit ihnen die seltsamen Blicke. Das ist nicht so schön an diesen Spazierwegen nahe dem Tal. Ich habe oft das Gefühl, dass ich allein als Frau und dann noch mit dem großen Rucksack einen seltsamen Eindruck auf die Leute mache und sie mich manchmal bemitleiden oder belächeln, weil sie sich nicht vorstellen können, dass man in dem Rucksack etwas mehr als nur die Wasserflasche und das Jäckchen hat. Das nimmt schlagartig ab, je höher man kommt. Je weiter oben, je „bergsteigeriger“ die Leute sind, desto anerkennender werden die Blicke, das ist dann schon etwas angenehmer. Ja, klar, „was macht die sich jetzt Gedanken über die Blicke anderer“, mag man da schnell sagen. Schon, aber man sieht die Blicke und denkt sich halt seinen Teil. Man hat ja während dem Laufen eh nichts anderes zu tun, als sich seine Gedanken über Gott und die Welt zu machen.
Jedenfalls zog sich der Weg anschließend stetig bergauf und gegen halb sechs stand ich mit ein paar anderen Mountainbikern auf dem Sattel. Während meiner kleinen Rast direkt am Brunnen beguckte mich ein älterer Mann, der eine der kleinen Hütten bewohnte. Nach einem kleinen Pläuschchen empfahl er mir einen Lagerplatz und lud mich später noch auf eine Halbe ein, die ich selbstverständlich gerne annahm. Für den ersten Abend war ein feudales Mahl aus Steak und Kartoffelpüree geplant. Die Sonne schien warm und trocknete alle Klamotten ganz schnell. Während ich mein Zelt aufbaute, lagen die zugehörigen Heringe gemütlich zu Hause im Schrank. Und ich hatte mich schon gewundert, weshalb der Rucksack so leicht war 😉 Naja, ich war ja in einem waldreichen Gebiet und schnell waren fünf Ersatzheringe geschnitzt. Nichts leichter als das, es sollte bloß keine Stange brechen, das Reparaturzeug war schließlich im selben Beutel.
Während ich die Luftmatratze aufbließ, kam der alte Mann vorbei und meinte, er wäre neugierig gewesen, wo ich nun mein Zelt aufgeschlagen hätte. Als er sah, dass ich es in der Nähe eines kleinen Schneefeldes aufgebaut habe, lachte er ungläubig. Warum ich es so nah am Schnee aufgebaut hätte, wo doch hier so viel Platz wäre. Platz war auf der Lichtung schon, allerdings war alles uneben und ich wollte nicht direkt auf der Anhöhe schlafen, weil der Wind doch recht heftig bließ. Außerdem dachte ich, dass mein Schlafsack ja warm sei, schließlich hatte ich mit ihm in Tasmanien bei -7 Grad hervorragend geschlafen. Am nächsten Abend befolgte ich dann aber seinen Rat. Während des Bierchens bestaunten wir die umliegenden Gipfel und plauderten etwas. Danach wusste ich zumindest, dass man keinen Spaß an der Arbeit haben könne, wenn dann Freude. Spaß könne man überhaupt nur in der Achterbahn haben, aber doch nicht im Beruf oder beim Bergsteigen. Und noch eine andere Sache, über die ich noch lange nachdachte, erzählte er: Er vertrat nämlich die Meinung, dass er in den Bergen weder Handy noch Piepser mitnehme, niemals. Er begebe sich einfach nie in ein Risiko und auch bei Skitouren gehe er nur dort, wo absolut keine Gefahr warte. Wenn die Lawine dann doch kommen sollte, hätte schließlich er den Fehler gemacht und dann sollten wenigstens andere nicht die Mühe haben, ihn zu suchen. Ich persönlich fand das doch etwas radikal, aber auf diese Diskussion wollte ich mich nicht einlassen, schließlich hat er sie in seinen 70 Lebensjahren bestimmt schon einige Male geführt. Um kurz nach acht verabschiedete ich mich von diesem Kauz, packte meine Kamera und ging noch etwas durch die Gegend. Intuitiv natürlich immer bergauf und plötzlich stand ich auf dem 1818 m hohen Felderkopf und bestaunte den Sonnenuntergang, der die Zugspitze und die umliegenden Gipfel in ein schönes Rot tauchte.
Die Nacht war kühl und ich vermisste mein wärmendes Inlay. Erstaunlich wie viel so ein dünnes Stück Stoff doch ausmacht. Vielleicht sollte ich es doch auf den Via Alpina mitnehmen?
Ich wachte um kurz vor fünf auf und packte im ersten Tageslicht meine Sachen zusammen. Die kleine Pfütze um das Schneefeld war komplett gefroren. Mit den ersten Sonnenstrahlen war ich bereits beim Abstieg, eine Stunde später frühstückte ich auf einer wunderschönen Lichtung. Ich war müde, immerhin hatte ich in der Nacht schlecht geschlafen. Der Blick war aber atemberaubend, vor allem die Felsen, die es hier in Hülle und Fülle gibt, versetzten mich in Staunen und weckten ein seltsames Gefühl. War es Sehnsucht danach dort zu sein? Oder doch eher Sehnsucht nach demjenigen, mit dem ich diese Felsen, wenn überhaupt, erklimmen würde? Oder eher Sehnsucht nach der Herausforderung, die solche steilen Wände mit sich bringen? Viele Stunden am Stück auf leichten Bergpfaden entlang zu laufen, ist eine Sache, sich seinen Ängsten zu stellen, sich auf jemand anderen zu verlassen und sich selbst herauszufordern, eine ganz andere. Die Erfahrung ist eine intensivere und gleichzeitig ist es eine prägende, markante Erinnerung, die viel länger bleibt als eine nette Bergtour.
Nach zwei Stunden lag das Tal hinter mir und vor mir ein weiteres, das mich nach Linderhof bringen würde. Von dort ging es nochmals auf breiten Fahrwegen entlang, bis ich endlich wieder in ein etwas ruhigeres Tal einbiegen konnte.
Am Eingang des „letzten“ Tals für heute stand 2,5 Stunden zum Sattel angeschrieben. Ich wollte erst oben meine Mittagspause machen, das würde aber bedeuten, dass ich bis dahin dann bereits fast sieben Stunden unterwegs gewesen sein würde. Also legte ich einen Zahn zu und spurtete mit fast 5 Kilometer pro Stunde den Pfad nach oben. Das letzte Stück war nochmals relativ steil, einmal verlor ich gar den Weg. Zwei Wanderer, die in der Nähe rasteten, antworteten auf meine Frage, ob sie denn wissen, wo der Weg verliefe, nur mit „ja“ und grinsen mich groß an. Nach einem kleinen Smalltalk verrieten sie es mir doch noch und ich kämpfe mich die letzten 100 Höhenmeter nach oben. Die Beine wurden schwer, die Trinkblase war fast leer. Immer wieder dachte ich, dass ich es bald geschafft haben muss, nur um dann nach der nächsten Kurve zu sehen, dass es nochmal viel weiter war. Egal, irgendwann stand ich oben und war enttäuscht. Hier zu übernachten wäre ungemütlich, der Wind pfiff, ein großes Schneefeld lag in einer Senke und es bot sich kaum ein gerader Untergrund für ein Zelt. Was solls, erst einmal das Zelt und den Schlafsack trocknen, dachte ich mir resigniert.
Während ich noch nahe des Linderhofes den nächsten Kartenabschnitt hervorholte, sah ich etwas, was ich unbedingt vermeiden wollte: Mein Weg verlief durch zwei enge, nordostseitige, teilweise sehr steile Scharten. Der höchste Punkt war auf 1900 Höhenmeter, das bedeutete, dass da garantiert noch Schnee drin lag. Während des Aufstiegs überlegte ich ständig, was ich machen sollte. Ich hatte schon einmal schlechte Erfahrungen mit Schneefeldern gemacht, wobei es das letzte Mal glimpflich ausging und ich unverletzt aus der Sache raus kam. Das wollte ich aber auf keinen Fall nochmals riskieren. Ich verlegte die Abwägungen auf später und wollte mir vom Sattel aus direkt ein Bild von den Scharten machen, vielleicht gab es ja noch eine andere Möglichkeit. Oben angekommen kam die Ernüchterung:
Das ist steil. Das ist viel Schnee. Ernüchtert betrachtete ich diesen Anblick, es war eine durchgehende Schneedecke, in der oberen Scharte war bereits eine Steinlawine abgegangen. Andererseits waren Fußspuren zu sehen – geht es also vielleicht doch? Um einen besseren Überblick zu bekommen, wanderte ich nur mit der Kamera etwas weiter hoch. Immer weiter, denn der Ausblick wurde immer besser. So gelangte ich irgendwann auf den Grubenkopf. Dort oben wurde klar, dass ich es nicht machen würde. Das Risiko, allein in eine so steile Scharte einzusteigen, ohne Gamaschen, ohne Handschuhe, ohne eine Begleitung, dafür mit einem gut 16kg schweren Rucksack. Einerseits bringen Entscheidungen häufig Erleichterung, diesmal schwang auch viel Frust mit. Wäre ich zu zweit, würde ich es wohl riskieren. Bin ich zu ängstlich? Zu vorsichtig? Andere würden einfach loslaufen und schauen was passiert. So manövriert man sich aber auch schnell in Situationen, wo weder das Vor noch das Zurück angenehm sind. Aber ist es das, was ich suche? Das Angenehme? Oder doch lieber die Herausforderung? Aber wo ist die Grenze zwischen einer guten Herausforderung und zu viel Risiko? Die Gedanken beschäftigten mich einen ganzen Nachmittag, ich bekam das ungute Gefühl besonders bei der oberen Scharte einfach nicht los. Hätte ich einen größeren Kartenausschnitt dabei gehabt, hätte ich evtl. eine Alternativroute finden können, aber mein Kartenmaterial zeigte nur jeweils die umgebenden Gipfelketten, nicht jedoch die nächsten Täler. Das muss ich bei der nächsten Aktion auf jeden Fall anders machen. Dank dem hervorragenden (deutschen) Handyempfang telefonierte ich ein bisschen rum um mich abzulenken. Nach ein paar Pläuschchen mit Freunden entschied ich, einfach mal eine Nacht drüber zu schlafen und am nächsten Morgen unten in der Hütte zu fragen, wie sie die Sache einschätzen. Ich stieg vom Gipfel, merkte auf halbem Weg, dass ich mein Handy oben liegen gelassen hatte, stieg abermals 200 Meter hoch, stieg wieder ab zu einer kleinen Hütte auf einer schönen Anhöhe, ließ dort die Kamera und die Jacke zurück, stieg weiter zum Sattel ab, schulterte den Rucksack, stieg abermals wieder 300 Höhenmeter mit Rucksack hoch, ließ den Rucksack an der Hütte, nahm die Trinkblase, wanderte um Wasser zu besorgen wieder einige Höhenmeter hoch zu einem kleinen Brunnen und anschließend das alles wieder zurück. Hoffentlich hat mich dabei niemand beobachtet 😉
Als ich mich an der Hirschwanger Hütte eingerichtet hatte und mich gerade waschen wollte, kam ein junger Mann um die Ecke. Er kam von Oberammergau gelaufen und wollte auch eine Nacht im Freien verbringen. Ich lud ihn ein, in dem Vorraum der Hütte zu biwakieren, denn er hatte nur einen Schlafsack dabei – da war ich mit meinem Zelt flexibler. Während er an seinem trockenen Brot und ein paar Stücken gedörrter Mango knabberte, tischte ich sämtliche Vorräte, die ich noch hatte, auf. Ein Apfel, ein Stück Käse, eine Tasse Tee und anschließend noch eine Portion gedörrte Nudeln mit Pilzsoße. Er schaute mich ungläubig an und fragte zwei Mal nach, ob ich das wirklich alles hier hoch geschleppt hatte. Den Apfel nahm er natürlich gerne und auch über ein Stück Käse auf seinem Brot freute er sich. Er wollte am nächsten Tag ebenfalls nach Füssen, allerdings über die Gipfelkette via der Hochplatte. Ich überlegte kurz, ob ich mich nicht einfach anschließen sollte, aber ich war mit dem Rucksack nicht auf eine Kletterpartie eingestellt und wollte ihn nicht ausbremsen. Und insgeheim hatte ich wohl schon meine Entscheidung im Unterbewusstsein festgemacht, nichts zu riskieren.Philipp, der Münchner, ließ mich seine Karte studieren, aber sämtliche Wege Richtung Füssen verliefen entweder durch nordseitige Scharten oder querten steile Hänge. Wir verbrachten einen entspannten Abend, verzogen uns aber bald in die Schlafsäcke, weil es mit dem aufkommenden Wind kalt wurde.
Am nächsten Morgen ignorierte ich meinen Wecker, der mich auf Tour üblicherweise kurz vor Sonnenaufgang weckt. Der Himmel war bewölkt und überhaupt war mir nicht nach frühem Aufstehen zu Mute. Wozu auch? Der erste Bus würde um 10.30 fahren, der Abstieg würde nur eine knappe Stunde dauern. Um acht kamen die ersten Wanderer an unserem Frühstücksplatz vorbei, etwas später eine Gruppe, die gestern über die zwei Scharten zur Kenzenhütte abgestiegen waren. Sie erzählten, dass der Schnee unglaublich nass und schwer war und dass der ganze Abstieg keine große Freude war. Vom Aufstieg rieten sie ab, es wäre viel zu anstrengend, vor allem allein.
Gegen neun stiegen wir gemeinsam zum Sattel ab, Philipp stieg dort wieder auf, um auf die Hochplatte zu klettern, ich folgte dem Wegweiser ins Tal zur Kenzenhütte. Der Weg war einfach, trotz einiger Lawinenabgänge und Schneefelder. Vor allem über den Bächen hatten sich unterhöhlte Schneefelder gebildet, bei deren Überschreitung mir unwohl war. Würde man einbrechen, läge man gut 2 Meter weiter unten mitten im steilen Bach. Würde, würde, würde… 40 Minuten später erreichte ich die Hütte, wo mir der Wirt ebenfalls von dem Vorhaben dringend abriet. Es lägen noch 2,5 Meter Schnee, es wäre steil und gefährlich, vor allem allein. Auch der Weg auf die Hochplatte war momentan nur erfahrenen und gut ausgerüsteten Bergsteigern zu empfehlen, so der Wirt. Naja, Philipp hat sich sicher trotzdem durchgekämpft, so sind Männer nun mal. Der Wirt legte mir jedenfalls den Bus nahe. Die einzige Alternative wäre gewesen, den halben Fahrweg entlang zu laufen, ein weiteres Tal wieder südwärts zu wandern und dort Richtung Tegelberg aufzusteigen. Ebenfalls durch eine Scharte, in der – wie der Busfahrer mir später noch erzählte – dieses Jahr ganz besonders viel Schnee läge.
Ich blieb also bei meiner Entscheidung und nahm den Bus hinaus aus dem Tal. Sowohl der Busfahrer als auch der Hüttenwirt rechneten mit mindestens vier Wochen, bis der Schnee sich in diesem Gebiet vollständig aufgelöst hat. Der Via Alpina, den ich im Sommer gehen möchte, geht jedoch häufig über 2000, stellenweise auch über 2500 Höhenmeter hinaus. Wenn der Schnee sich bis 1. Juli nicht vollständig aus den Scharten zurückgezogen haben sollte, muss ich in Erwägung ziehen, eine völlig andere Route zu gehen, denn diese ungewissen Nächte und langen, zögernden Entscheidungen kosten viel Kraft und sind eine zusätzliche mentale Belastung; zusätzlich zu der, die das Solo-Wandern an sich schon mit sich bringt. Die Zeitberechnung, die zumindest auf diesem Teilstück für den Via Alpina angegeben war, stimmte auf +/- 15 Minuten immer genau, was einerseits gut für die weitere Planung, andererseits etwas schade ist, da ich gehofft hatte, wie üblich eigentlich schneller als die angegebenen Zeiten zu sein.
Nun heißt es also erst einmal Abwarten und schauen, was der Schnee in den nächsten Wochen macht. Ein weiterer Besuch im Ammergebirge ist jedoch schon fest eingeplant, denn das Gebiet ist wirklich einmalig schön und bietet sicher auch zum Klettern jede Menge Abwechslung. Auch die Kenzenhütte liegt gemütlich im Tal und ist ein erstklassiger Ausgangspunkt für zahlreiche Touren. Zu Fuß ist sie allerdings nur durch einen langen Fußmarsch erreichbar, aber der Pendelbus für 4€ ist super und braucht ca. 25 Minuten für die Strecke Halblech – Kenzenhütte.
Insgesamt war es dennoch eine schöne Tour, auch wenn ich sie frühzeitig abgebrochen habe. Das Gewicht des Rucksack ist machbar, die Tagesetappen von 6 bis 8 Stunden allemal. Die neuen Ausrüstungsgegenstände, die ich auch teilweise durch die Bergfreunde bekommen habe, sind allesamt fantastisch. Die ultraleichten Trekkingstöcke (250g das Paar!) sind unfassbar leicht und dennoch stabil, die Jacke von Haglöfs ist einsame Spitze, die Nahrung von Travellunch ist auch erstaunlich gut und.. und.. und..
Morgen geht’s jetzt erstmal Bouldern nach Vils, damit die noch nicht schmerzenden Muskelgruppen auch mal wieder beansprucht werden und der restliche Frust durch schöne Erlebnisse ersetzt wird. Und nach Vils wäre ich ja dann ja sowieso gekommen. So schließt sich also der Kreis, jetzt eben mit einem kleinen Umweg über Kempten. Auch kein Weltuntergang. Soll ja schließlich alles Spaß machen. Oh, pardon, Freude, meinte ich natürlich!
12 Comments
Erika, das ist schön geschildert! Spass: Man kann ihn auch in den Bergen haben, nicht beim Bergsteigen ansich, aber wenn man lustige und fröhliche Gespräche beim gehen führt und darüber lacht. Ich gratuliere Dir zur Tour. Aus „Fehlschlägen“ lernt man mehr als aus Gelungenem. Und es ist Ziel, wenn´s nicht mehr weiter geht, die Sache so umzubiegen, dass ein Ziel doch noch erreicht wird. Aber wenn das nicht geht, dann: Umkehren. Du hast Leute die dort leben nach ihrer Meinung gefragt, das war gut. drahreG
Moin Erika,
jetzt hat mich die Hoffnung auf den gestern angekündigten Blogeintrag zeitig ins Wohnzimmer gelockt. Das ist immer wieder schön wenn ich Deine Abenteuer nachvollziehen kann. Es schürt die Vorfreude auf’s nächste Mal rausgehen.
Ich würde sagen über die (Navigations-)Austüstung sollten wir nochmal fachsimpeln… 😉
Und: Kurze Sätze. Wenig Kommas. Please! ;-D
Schönen Tag noch!
Gruß,
Jo 🙂
ps.: Hab ich schon gesagt, dass ich mir gut vorstellen könnte jetzt auf einem glattgeschliffenem Schärenfelsen zu sitzen und Pulverkaffe mit Trockenmilch zu trinken? 🙂
Na Erika, da siehst du mal wie lebenswichtig Vorbereitungstouren sind. Jetzt noch jedes Wochenende hinaus und hinauf, dann wird was draus, gibt nichts besseres. Du frierst im Schlafsack, weil die Isolierung zum Boden fehlt, dein 300g Teil taugt nicht fürs Gebirge! Wir sind Geschädigte unserer Leichtluftmatratzen, Frauen haben damit schnell eine Blasenentzündung, wir verwenden nur noch die 800g Teile mit 100g Daunen darin. Hast du nicht mal geschrieben, dass die Bundeswehr möglichst wenig anzieht im Schlafsack? Ätsch! Also warmes Wasser in eine Wasserflasche und die in das Fußende vom Schlafsack legen zum Vorwärmen. Es ist so, wer nix tragen mag, muß halt leiden können. Schneefelder gehe ich am Vormittag wenn sie auffirnen, bloß nicht bei Nassschnee. Und 6-Zacker sind im Frühjahr immer dabei. Richtiger fester Sommerschnee ist flotter zu gehen als Grobschotter. Übrigens habe ich zu den Kartenabschnitten immer eine 200.000er Übersichtskarte dabei. Bleib dran!
Meiomei…tolle Fotos, lebensfrische Erzählweise, richtig schön zum Lesen. Kompliment für gute Vorbereitung(bis auf die nächtliche „kühle“Lagergestaltung) und dann den Mut zum Ab-biegen auf nen Pfad ohne Schneescharten. Hast ja noch mehr vor im Leben…
PS von deiner alten Lehrer-Mama: es heißt bergsteigerischer, nicht -iger :-). Viel Bergfreude! Mit dem Felsklettern im Donautal klappte es beim Regen nicht, dafür „wächst“ die Bachelorarbeit! Und der knallrote Erdbeerkuchen, den ich dir gemacht hab‘ fürs Date auf der Durchreise, steht rotleuchtend im Kühlschrank. Naja, bald mal wieder.
Schöner Bericht, hat richtig Spaß gemacht, äh nee, nein, Freude bereitet, ihn zu lesen. 😉
Sehr gut, Christian 😀 … du scheinst lernfähig zu sein 😉
[…] erste richtige Einsatz war dann auf dem violetten Via Alpina bei Garmisch. Die Jacke bietet erstaunliche Bewegungsfreiheit und ist durch das geringe Gewicht quasi gar nicht […]
[…] Fotografie 〈 〉 […]
[…] mal hingelaufen und hättest es dir direkt vor Ort angeschaut!“ wurde mir gesagt, als ich meinen Via Alpina abgebrochen hatte. Ich habe aber Angst davor, so weit „rein“ zu laufen, bis ich vielleicht […]
Toller Bericht! Wir waren in Oktober 2011 in Garmisch aber haben nur so 20-25 KM pro Tag hinter uns gelegt (und dann abends uns immer mit gutem, deftigen Essen vollgestopft!), unsere Wanderungen waren auch oft ohne richtiges Ziel…aber manchmal findet man die schönsten Ecken, wenn man die nicht aktiv sucht 🙂
Hi Sarah, 20-25km pro Tag und dann Abends ein gemütliches Essen… Das klingt gut! Und dann noch in einer so schönen Ecke wie Garmisch… *träum* 🙂
Ja ich liebe die Ecke und finde die menschen einfach herzhaft und nett!