Gelbe, löchrige Felsen keine 20 Meter neben mir. Bänder. Verschneidungen. Risse. Die logischen Linien in diesen mächtigen Wänden ungewohnt klar vor Augen. Zumindest wenn man in dieser Vogelperspektive noch klar sehen könnte, denn in meinen Augen stehen Tränen. Vor Freude. Und Schmerz.
Disclaimer: Ich habe beide Reisen regulär bezahlt, der Blogartikel ist weder mit Herstellern noch Anbietern abgesprochen. Alle Fotos mit Zugvögel-Branding: ©Zugvögel XC Seminare
Backflash
Die Bucketlist war leer. Die für anspruchsvolle Kletterrouten schon seit einem Jahr, seit Lenas tödlichem Absturz im Sommer auch jene fürs Bergsteigen. Schwarze Wochen folgten, ohne jeglichen Drive – nicht mal für die sonst so geliebten Sonnenaufgangsflüge.
Irgendwann dann das Bedürfnis nach irgendetwas Positivem. Etwas das nichts mit Bergsteigen zu tun hat. Was wäre da besser als den einzigen Flugtraum zu verfolgen, den man überhaupt hat? Einmal über dem Langkofel aufdrehen und all jene Felsen von oben sehen, in denen wir Sommer wie Winter so viele Wochenenden verbracht haben.
Nicht gut. Genug?
Das Problem: Die Dolomiten gehören zu den anspruchsvollsten Fluggebieten überhaupt, was natürlich sämtliche Teufelchen im Kopf sofort laut aufschreien lässt. »Das kannst du nicht! Da braucht es viel mehr Erfahrung! Und überhaupt: Mit nem Low-B-Schirm oder was?!«.
Weise Worte vom Mann: You never try, you never know.
Sch** auf die Zweifel, wenn ich’s nicht kann, werden die mir das schon sagen.
Was kostet die Welt
Um einerseits die Chancen zu erhöhen und andererseits nicht völlig kopfüber ins Eiswasser zu hüpfen, gab’s gleich zwei aufeinanderfolgende XC-Seminare – was kostet schon die Welt nach so einem schlichtweg beschissenen Sommer.
Eingrooven mit der bereits bekannten Paragliding Academy und anschließend der Realität ins Auge blicken: Ein Seminar bei den Zugvögeln. Was auf der Website eigentlich ziemlich harmlos klingt, hört sich beim Kumpel anders an: Richtig hohes Niveau, 50, 70, 100 km-Flüge, Fiesch, Dolomiten, Grindelwald… Nichts für Anfänger.
Dafür kommt der Kumpel, der regelmäßig mit den Zugvögeln unterwegs ist, jedes Mal mit einem Grinsen zurück, das etwa drölfzig Mal um den Kopf reicht. Der fliegt aber halt auch schon seit neun Jahren. Nicht zwei, wie ich.
Hm, hm.
Vielleicht… besser… doch nicht!?
You never try, you never know
Und dann der Gedanke, der immer hilft: Würde sich da ein Mann auch so Gedanken drüber machen!? Nö! Wenn’s nicht klappt, weiß man wenigstens, dass man das Niveau noch nicht hat. Wenn man es nie ausprobiert, weiß man es aber eben auch nie.
Stop thinking. Start doing. Versuch 1
Der erste Versuch gemeinsam mit der Paragliding Academy über den gehuldigten Kofel hochzukommen, fiel prompt ins Wasser. Gutes Essen, lustiger Chef, nette Truppe – nur eben eine Wolkenbasis auf Startplatzniveau mit anschließendem Dauerregen. Abbruch. Ganz kurz Erleichterung, dass es nicht mal die Chance gab, sich zu gruseln. Aber vor allem: Enttäuschung.
Aber naja, Wetter eben.
Zugvögel, Versuch 2
Die Prognose blieb stur auf Regen, das XC-Seminar bei den Zugvögeln wurde kurzerhand ins Piemont verlegt. Tschüss Dolomitentraum – irgendwie hatte ich es befürchtet.
Großer Kreis im Entenmarsch
Piemont also. Why not! Statt allzu ausführlicher Begrüßung ging es direkt zum Startplatz – der heutige Tag schien der vielversprechendste zu werden. Erster Eindruck: Was für entspannte Leute sind das denn bitte?! Vorwiegend Stammgäste und trotzdem keine Spur von »wir hier, ihr Neulinge da«.
Rasche Einweisung, kurz fertig machen und schon fiel der Blick auf den Startplatz von oben. Weit oben. Zusammenreißen, man fällt ja nicht einfach vom Himmel.
Treffpunkt an der Basis und ab ging die Post, immer in Richtung Aostatal. Chefzugvogel Stefan sammelte ein, redete gut zu, probierte dort, lotste hier und fotografierte nebenher noch fröhlich seine fünf verbliebenen, bibbernden Verfolger, während Zweitvogel Dirk die Nachhut einsammelte.
Positive Erlebnisse im Mittelpunkt
Am Ende des Tages kamen 8 von 9 Teilnehmern wieder am heimischen Landeplatz an. Sympathischste Sache dabei: Keiner wusste, wie weit wir geflogen waren – die Ziffer auf dem Tacho steht bei den Zugvögeln offensichtlich nicht im Vordergrund, eher einfach ein gutes und vor allem auch sicheres Erlebnis.
Mein späterer Blick aufs eigene Vario machte erstmal sprachlos. 50 Kilometer!? Für die anderen womöglich keine große Zahl, für mich aber immerhin fast eine Verdopplung meines letzten Thermikflugs. Ganz ohne Angst, dafür mit einem Riesengrinsen im Gesicht.
So machen die Zugvögel das also mit dem Dauergrinsen der heimkehrenden Teilnehmer!
Gut Ding braucht Weil
Am dritten Abend dann wieder gemeinsames Abendessen. Diesmal allerdings: 500 Kilometer weiter östlich. In den Dolomiten. Wird er womöglich doch noch wahr, der Flugtraum!?
In einer spontanen Aktion hatten wir uns für den Umzug in die Dolomiten entschieden. Wild, aber mit so einer entspannten Gruppe ohne jegliches Murren möglich. Solche Teilnehmer zu haben, die volles Vertrauen in die Entscheidungen des Chefs setzen – mit dem klaren Bewusstsein, dass auch er daneben liegen kann – muss man erstmal haben. Checkpot für jeden Anbieter!
Trotzdem: Tschüss Flugtraum
Mit entsprechend unangenehm hohen Erwartungen ging’s am nächsten Morgen zum Startplatz. Und einige Stunden später mit der Bahn wieder zurück ins Tal. Zu viel Wind. Viel zu viel Wind. Okey, okey, naja. Die Dolomiten laufen nicht weg. Egal.
Langkofel
Und dann wurde er doch noch wahr. Am letzten Tag überhaupt, bei strahlendem Sonnenschein ging es behutsam hinauf, anschließend rüber an den Langkofel und im Laufe des Tages über Sella, Pordoi, Richtung Marmolada, in einem zweiten Versuch dann im Abendlicht und verrückter Wolkenstimmung noch einmal zu Pordoi, Sella und Pordoi.
Schniefogunde
Tränen bereits zu Beginn dieses Fluges auf Höhe des Langkofels – vor Freude, weil der Anblick einfach so un-fass-bar magisch war.
Vor schmerzender Erinnerung an eine vergangene Zeit, in der ich noch Mut und Motivation hatte, mit dem Mann durch all diese Felswände zu klettern.
Vor Trauer, weil all die Berge so sehr an die Lena erinnerten.
Und vor seltsamer Befreiung, denn das erste Mal seit ihrem Tod empfand ich wieder wirklich Freude, echte Balance und ein Grinsen, das nicht nur kurzzeitig die Trauer überspielt, sondern völlig von Herzen kam. Und kommt, denn auch vier Tage später hüpft das Herz noch so sehr, wie ich schon fast vergessen hatte, wie es hüpfen kann.
Es sind die Menschen
Es war aber wohl nicht nur dieser Flug, der das Grinsen für Tage ins Gesicht tackert. Es sind die Teilnehmer, die sich ehrlich für mich Küken mitgefreut und einfach Lust auf eine gute Zeit hatten. Ohne Stress, ohne Blick aufs Geld, ohne straffen Ehrgeiz.
Und die zwei Guides, die es schaffen, ohne abenteuerliche Harakiri-Aktionen oder Ausschluss von weniger leistungsstarken Teilnehmern nahezu die gesamte Gruppe zusammenzuhalten – und das über dutzende Kilometer.
Es ist das, worum es Stefan Taube geht: Dass die Leute eine gute Zeit haben, ohne besonderes Risiko. Ein Low-B-Schirm heißt da nicht zwangsläufig, dass man bei den Seminaren nichts zu suchen hat, man muss nur wissen, wie man sich nach Talsprüngen wieder zügig ausgräbt und damit leben können, wenn man früher als die anderen am Boden steht.
Und womit auch umgehen können muss: Mit einem Grinsen, das einem gänzlich ungefragt für Tage ins Gesicht gezaubert wird.
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3 Comments
Mensch Erika,
was für schöne Bilder und was für eine traurig schöne Geschichte. Ich hab Pippi im Auge gehabt und freue mich für Dich, das Du einen Neuanfang gefunden hast.
LG
Günther
Hallo Erika,
das freut mich für Dich. Vielleicht trifft man sich ja mal beim Gleitschirmfliegen. Bin immer öfter mit dem Schirm unterwegs als mit dem Segelflugzeug.
Liebe Grße
Detlev
Na dann bin ich gespannt, wann wir uns bald mal über den Weg laufen!
LG 😉
Erika