In Gedenken… (Acherkogel Nordostgrat)

Juli 3, 2020

[NACHTRAG: Meine beste Bergpartnerin Lena verstarb zwei Wochen später bei einer gemeinsamen Tour auf das Schreckhorn durch Steinschlag. Das rückt diesen Artikel in ein tragisches, neues Licht. Es bleibt auch nach Monaten noch schwer zu fassen. Die Trauer sitzt tief.]

Das erste Mal, dass ich vom Acherkogel Nordwestgrat gelesen hatte, war in der Bibel HIMMELSLEITERN: Ein Buch, das Willichmachen- und Wennichmalgroßbin – Liste in einem vereint. Drei Tage zuvor dann die schockierende Nachricht: Der Autor des Buchs, Ralf Ganzthorn, war beim Klettern tödlich verunglückt. So wurde diese Tour eine Abschiedstour an jenen Mensch, der mich auf meinen Weg brachte, lange bevor wir uns das erste Mal trafen.

Gewitter ab zwölf. Oder zwei. Sicher ab vier.

Sicher auch: Sowohl während des langen Grates als auch im ersten, heiklen Teil des Abstiegs will man weder Regen noch Gewitter haben. So gar nicht.

Bleiben zwei Optionen: Nicht gehen oder früh gehen. Wer den Blog kennt, weiß: Zweiteres. Ohne Frage Zweiteres!

Bachwandern

4.15 Uhr der Wecker, 4.30 Uhr bereits unterwegs. Wortkarg wackelten zwei Stirnlampen in das unberührte Tal. Pitsch. Patsch.  Dank der ausgiebigen Regenfälle  mehr Bach als Weg. Noch dazu nicht sonderlich leicht zu finden.

Statt der erhofften Stunde wurden es eher eineinhalb – nie ein gutes Zeichen, wenn man schon im Zustieg langsamer ist als geplant.

Gratwandern

Mit verschlafenen Augen wanderte der Blick den Grat hinauf. Hinauf und hinauf. Lang sah er aus. Plattig. Und auch wenn wir es nicht richtig sahen, wussten wir: Dahinter steckt ein weiterer. Und dann eben besagter Abstieg. Hoffen wir mal, dass die Wetterprognose auf unserer Seite ist.

Wir zogen die Gurte an, machten uns an den ersten, leichten Teil. Seilfrei, es ist I-II-Gelände. Nach ungefähr fünf Metern genüsslichen Steigens stecke ich fest.

Hier hoch?

Wirklich?

Es kam mir schwer vor. Lag das jetzt an der Uhrzeit? An meiner langen Abstinenz zu Gneis? Oder doch schlichtweg an einem Verhauer?!

Keine zehn Meter gekommen und schon die erste Verzögerung. Ganz großes Kino.

Alles vorbei.

© Lena W.

Ich schob mich einen wenig schönen Zug hinauf. Musste an Ralf denken. Ein Fehler und alles wäre vorbei. Ich gucke runter und bekam bestätigt: Alles wäre vorbei.

Danach cruisten wir uns ein, kamen endlich schnell voran. Erst als wir vor einem Bohrhaken standen, dessen Weiterweg auch auf den zweiten und dritten Blick nun wirklich nichts mehr mit II zu tun hatte, einigten wir uns darauf, dass wir womöglich an der Schlüsselstelle angekommen waren. So genau wusste man das in diesem Meer aus Felsgrat nicht. Das Topo brachte hier jedenfalls wenig Klarheit.

Plattenladies

Ins Seil gebunden wackelte sich Lena über die wahrhaftig seltsame Plattenstelle hinüber und robbte sich im Reitersitz bis zum nächsten Stand.

»Eklig!« entfuhr es mir beim Folgen. Wohl wissend, dass diese Schlüsselstelle zweigeteilt war und ich die zweite Portion abbekommen würde. »Platte«, stand im Topo beim zweiten Teil. Passt ja wie Faust auf Auge.

Kurze Hoffnung, dass Lena das übernehmen würde, wenn ich nur genügend jammern würde.  Immerhin hatte sie keine einjährige Kletterpause hinter sich.

Während ich zu ihr gekrabbelt kam, überlegte ich schon, ob ich das Angebot annehmen würde. »Eher nicht«, um ehrlich zu sein. Natürlich bot sie es mir auch nicht an. Da hatten wir schon viel schwerere Touren zusammen geklettert. Noch dazu hatte ich die Tour ausgesucht. Und überhaupt, hallo? Das kann ich.


Diese Ausrüstung war mit dabei:


Der Kopf, der Kopf

Ein, zwei Seufzer brauchte es dann doch – nur um danach zuzugeben, dass es gar nicht so schwer war. »Eklig!« entfuhr es Lena dennoch im Nachstieg.

Klassiker.

Schon am Furkapass vor einigen Jahren waren wir jeweils von der anderen schwer beeindruckt, dass sie diese und jene Länge vorgestiegen war – nur um dann eine Seillänge später das gleiche über einen selbst zu hören.

Danach ging es jedenfalls wieder in den Cruise-Mode – zumindest so einigermaßen. Ausgesetzt und plattig war es, aber jede Stelle löste sich dann doch wunderbar auf.

Eine unschöne Überraschung

Und dann: Top of Maningkogel! Freier Blick auf den weiteren Grat: Lang sah er aus. Zwar keine IV mehr, aber dafür anhaltend ca. III. Während ich noch sinnierte, was genau jetzt eigentlich besser war, fiel mein Blick auf etwas anderes. Etwas, das man an so einem Grat nicht sehen will.

Gewitterwolken.

Morgens um acht?!

Ein Abbruch wäre hier ziemlich einfach möglich. Damit würden wir uns sogar den heiklen Abstieg sparen. Und bis jetzt war ja die Kletterei auch echt schön! Reicht doch eigentlich!

Und dann die Erkenntnis: Ich will da aber hoch. Eine freudige Erkenntnis, nicht allzu oft erlebt in den vergangenen Jahren beim Alpinklettern.  Ein wichtiges Zeichen, dass wir motiviert und der Tour gewachsen waren.

Auffi!

Für die III-Stellen legten wir doch noch einmal das Seil an – Ralf hockte vor allem mir im Kopf. Trotzdem kamen wir flink voran und der Strick zahlte sich bei meiner unfreiwillig neu eingebauten Schlüssellänge  dann mentaltechnisch durchaus noch aus.

Die Gewitterwolken wanderten. Näher, aber vor allem vorbei. Halleluja.

Der lange Weg nach Hause

Während wir den steilen Abstieg hinunterstiegen (sie) bzw. -krabbelten (ich), wurde mir langsam bewusst, dass es nicht sonderlich clever war, am Gipfel ausgiebig über den Tod von Ralf und einem heftigen Bergunfall einer Bekannten zu sinnieren. Ist es das alles wert? Muss das sein? Ist das nicht unfassbar egoistisch?

Bei Erreichen des rettenden Schneefelds dann die Klarheit: Ja, Bergsteigen ist egoistisch. Das Leid, dass man mit dem eigenen Tod durch das Hobby verursacht, ist rundum egoistisch. Andererseits: Es erfüllt so sehr. Ermöglicht ein intensives Leben, das einen eben dies – das Am-Leben-Sein – umso mehr schätzen lässt.  Schafft Erfahrung. Und macht schlichtweg erst erträglich für die Umwelt im Tal.

Endspurt

Am Ende des helfenden Schneefelds dann die übliche Mühsal des Gegenanstiegs und die des Raushatschs. Ach, Gleitschirm. Bringen würdest du hier nichts, aber vermissen tu‘ ich dich doch.

Ralf. Dich auch.

Hier geht es zur Podcast-Folge mit Ralf Gantzhorn und hier zu seinem Buch HIMMELSLEITERN.

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7 Comments

  • Reply Marie Juli 6, 2020 at 9:10 pm

    Liebe Ulligunde,

    sehr schöne Fotos von deiner tollen Tour. Ich gratuliere. Hattet ihr Steigeisen und Pickel für den Abstieg dabei und habt ihr die gebraucht? Wollte die Tour vlt in den nächsten Tagen auch gehen.

    LG Marie

    • Reply ulligunde Juli 15, 2020 at 4:29 pm

      Hi Marie, wir hatten keine Steigeisen oder Pickel dabei, der Schnee war diese Tage selbst in der Nacht komplett durchweicht und die steilen Passagen kann man notfalls auch einigermaßen gut umgehen.
      LG!
      Erika

  • Reply Michael Prittwitz November 26, 2020 at 1:15 am

    Ach Erika-Ulligunde! Was für ein schöner Bericht. Wir haben vorhin einen Film gesehen »so einer wie Erika« -hat eigentlich nichts mit dir zu tun, allein der Name hat mich an dich erinnert. Wirklich sehenswerter, sehr nachdenklich machender Film.
    Musste schnell auf ulligunde.com schauen. Und dann dieser Bericht: Acherkogel NO-Grat – habe ich in Himmelsleitern gelesen und immer damit geliebäugelt – ist (bisher)beim Traum geblieben … Und dann vor wenigen Tagen zufällig die Nachricht gefunden»Ralf Gantzhorn abgestürzt« . Kannte ihn ka har nicht persönlich, aber das hat mich total berührt. So wie das mit Deiner Lena. Das Leben ist oft grausam. Und dann wieder sooo schön.
    Danke für die tollen Bilder.
    Liebe Grüße
    Michael

  • Reply thomas eibenberger Juni 1, 2021 at 8:35 am

    hallo Erika-Ulligunde,

    ich bin eben auf deinen bericht gestoßen – sehr schön geschrieben. und es weckte die erinnerung an Ralfs unfall und tod vor fast einem jahr. ich kannte Ralf sehr gut aus hamburg. hab seine vorträge zum teil erstellt, ihn ein wenig in seinen unternehmungen unterstützt. er war ein wirklich guter freund. ich wohne mittlererweile in ulm und bin jetzt eben auch recht häufig im allgäu. zum wandern, klettern und fotografieren. gestern musste ich an Ralf denken. sind den südgrat aufs burgberger hörnle geklettert. und da tauchte er in meinem kopf auf . ich freue mich über Deinen blog und die schönen geschichten und tourenvorschläge. 🙂

    liebe grüße aus ulm – thomas

    • Reply ulligunde Juni 7, 2021 at 8:52 am

      Grüß Dich Thomas,

      wie schön, dass du schreibst! Ja, der Ralf kommt mir sehr oft in den Sinn – ich freue mich an diesen kleinen Momenten, denn so gerät er mir nicht in Vergessenheit…

  • Reply Florian Heigenhauser August 23, 2021 at 11:56 pm

    Liebe Erika, im Nachhinein (wir waren am Sa am Acherkogel) besten Dank für Deinen Tourenbericht. Der hat unseren Fokus erst auf den Berg und den Grat gerichtet. Großartige Tour in jeder Hinsicht – wenn auch der Abstieg kollektiv organisiert werden musste. Es waren mehrere Seilschaften unterwegs und um sich nicht gegenseitig umzubringen, gingen wir nahezu geschlossen hinunter…
    Ich musste wirklich viel an Deine Freundin und den Ralph Gantzhorn denken…und daran, wie schnell die Sache am Berg aus dem Ruder laufen kann…
    Anbei ein paar Bilder, wenn Du Dich erinnern magst. https://photos.app.goo.gl/4ynjC9DNHrwWRx2S7

    VG Florian

  • Reply Domi Januar 19, 2022 at 12:00 am

    Bewegend geschrieben. Die Bilder sind absolut atemberaubend. Danke fürs Mitnehmen auf eine atmosphärische Reise.

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