Die Sensoren schlagen Alarm. Schon seit Stunden. Denn wenn Regentropfen auf einen prasseln, während man hunderte Meter über dem Einstieg, aber auch hunderte Meter unter dem Ausstieg in einer senkrechten Wand hängt, ist Regen etwas, das man nicht haben will. Schon gar nicht in den Dolomiten. Seit Stunden muss ich aber über meine verwirrten Sensoren grinsen, denn: Die Sonne scheint.
(Fedele + Dibona, Pordoispitze, 3. August 2018)
Wie die Marmolada. Also ähnlich lang. Nur nasser, zumindest wenn nicht gerade wieder Jahrhundertsommer ist. Genau das Richtige, wenn man einfach mal wieder einen dieser wirklich langen, aber auch wirklich heißen Tage in den Dolomiten verbringen möchte: Die Westwand der Pordoispitze gegenüber des berühmten Sella-Passes.
Auf den Spuren der Wilden
Die Fedele (1929 erstbegangen) sollte es werden, natürlich mit dem Dibona-Ausstieg (1910), das hatten sämtliche Beschreibungen so dermaßen ans Herz gelegt, dass in den meisten Topos der Ausweg am Geröllband erst gar nicht erläutert wird. Muss wohl gut sein! Aber erstmal die ersten 600 hm absolvieren, dann sehen wir weiter.
Gedächtnis: Goldfisch
Der Entschluss für diese Tour kam jedenfalls völlig spontan. Kürzlich habe ich einmal den Spruch gehört, dass man beim Gleitschirmfliegen ein Gedächtnis wie ein Goldfisch haben sollte. Das gefällt mir, kann man eins zu eins aufs Klettern übertragen. Und weil wir gefühlt schon ewig nicht mehr a) Alpinklettern und b) in den Dolomiten waren (also mindestens so, äh, drei Wochen?) – ich mich also schon lange nicht mehr ehrlich gefürchtet habe – hörte ich mich etwas überrascht, wie ich eben diese Tour vorschlug.
Koordination: Koala
Insofern was Besonderes, weil mich so eine Länge die letzten Jahre immer abschreckte. Schnelligkeit ist nämlich definitiv nicht mein zweiter Vorname. Eher Trödelgunde, aber wie soll man auch in einem Moment Hände und Füße und Festigkeit und Weiterweg und Absicherungsmöglichkeit und Aussichtgucken koordinieren?!
Lang. Und vielleicht leicht.
Die Fedele-Dibona ist jedenfalls in erster Linie einfach unendlich lang, allerdings nicht wirklich schwer. Wobei ja schwer in den Dolomiten grundsätzlich äußerst variabel ist, da hängt ja gerne auch mal der Vierer mächtig über. Bohrhaken gibt es selbstverständlich keinen einzigen, Schlaghaken zumindest an den Standplätzen. Und bemerkenswerte Tiefblicke, so viel sei schon mal verraten.
Ganz. Schlechter. Tag.
Und so standen wir genau einen Tag nach der Idee, doch »mal wieder« in die Dolomiten zu fahren, in unserem liebsten Gebirge. Vier Stunden nach unserer Ankunft klingelte unbarmherzig der Wecker, eine paar Minuten später war die Stimmung auf dem äußersten Tiefpunkt, denn die Kartusche des Gaskochers war leer. Ergo: Kein Kaffee. Ergo: Kein guter Tag. Ein Zeichen?
Die Motivation für die Tour war dann doch groß genug, um ganz ohne Kaffee loszuziehen, man muss schließlich auch mal Neues wagen. Eine Stunde später waren wir am Einstieg, einige Dutzend Meter danach folgte dann auch irgendwann der Entschluss, dass man doch mal den Gurt anziehen könnte.
Diese Ausrüstung war mit dabei:
Top abgesichert, diese Dolomiten!
Weiterhin maximal motiviert krallte ich mir die erste Seillänge und freute mich direkt mal über einen rostigen Schlaghaken. Super hier in den Dolomiten, immer einen Haken, wenn man ihn braucht! Stolz wie Susi überkletterte ich den ersten Stand, nur um zwanzig Meter später doch einen zu bauen, weil die Seilreibung zu groß war. Klassiker. Staunen tu‘ ich über diese Fähigkeit ja schon lange nicht mehr.
Pinky und Brain auf Reisen
Er schlappte hingegen wie eh und je ein paar Momente später in Zustiegsschuhen und einigen Schlaufen Seil in den Händen hinterher und direkt weiter. Noch sowas, über das ich mich ja schon lange nicht mehr wundere. Grinsen kann ich allerdings darüber schon noch, wir sind einfach ein schräges Team.
Pause gibt’s, wenn wir oben sind.
Das Seil schubberte so schnell nach oben, dass ich Mühe hatte, es auszugeben. 60 Meter später war keine Verlangsamung zu erkennen, also laufendes Seil. Natürlich. Und dann das, was uns den restlichen Tag angeblich noch ein paar Mal bevorstehen würde: Wasserfall-Queren!
ZickZack durch den Wasserfall
Die Tour führt im Zickzack rund um einen großen Wasserfall, weshalb geraten wird, eine Regenjacke mitzunehmen. Bei dieser Querung jedenfalls noch nicht nötig, also weiter. Er wieder, ich wieder, er wieder… Wie das eben so ist, wenn man weiß, dass noch richtig viele Seillängen folgen würden. Pause gibt’s frühestens auf dem Band!
Trockenfall
Bald war dann klar, dass der Wasserfall wohl enorm wenig Wasser führte – umso besser für uns. Die paar Tropfen, die wir so abbekamen, reichten zwar für den Sensor (Alpinklettern + Regen = ALARM!), nicht aber dafür, sich weiter darum zu kümmern. Das dürfte an anderen Tagen deutlich anders sein. Ob’s dann wirklich so Freude bringt? Bei Wind wohl eher nicht…
Schuhputzer in Seillänge 13.
Die Seillänge, die dann mehr oder weniger direkt durch den Fall führte, war dann doch recht bach-ig, aber so erstrahlten die Kletterpatschen danach wenigstens wieder in ihrer ursprünglichen Farbe. Hatte ich ja glatt vergessen, dass sie so leuchten können! Ebenso leuchten konnten die nagelneuen Halbseile, die in der nächsten Seillänge im Wasser herumbaumelten. Hoffentlich nichts Ernstes passiert…
Weiter?
Nach dem obligatorischen Verhauer (wohl eher schwerer als V, wenn sogar er vier Haken auf zwei Meter verbaut) und meinem ebenfalls obligatorischen Seilzug-Not-Stand zehn Meter vor dem großen Schuttband, war er geschafft: Der erste Teil lag hinter uns. Zwei Drittel absolviert, Füße aua, Magen leer, Grinsen noch nicht ganz so groß, denn: Es folgen nochmal etwa zehn Seillängen. Oder sollen wir nicht? Das Wetter sah mittelmäßig aus, aber andere klettern die Tour ja schließlich auch bei mehr Wasser…
Die Bilder bis zum Schuttband (Fedele, Pordoi)
Dibona-Ausstieg zur Pordoispitze
Kamin mit Fenster unter’m Balkon…
Was angeblich 4- in der ersten Seillänge sein soll, fanden wir nicht, also begannen wir die Tour einfach mit Seillänge #3. Auch nicht schlecht. Eine brutal steile, brutal großgriffige Schuppe führte hinein in einen Schlund, der uns erst nach knapp 300 Metern direkt am Gipfelplateau wieder ausspuckte. Auf dem Weg dorthin krabbelten wir an Riesengriffen immer inmitten dieser dunklen Rinne, mal tief drin, mal spreizend weiter außen, bauten Stände in aussichtsreichen, maximal exponierten kleinen Balkonen und guckten durch Felsenfenster nach »draußen«, die spektakulärer nicht sein könnten.
Es wird hell!
Lustig war die Kraxelei, nie schwer, nie wirklich ausgesetzt, weil’s immer einzelne Stufen waren. Die brutal schmale Kaminstelle klappte mit hinterhergeschleiftem Rucksack völlig easy. Und dann schlappte das Seil wieder im Affentempo nach oben und ehe ich mich versah, standen wir oben.
Zwar auf der falschen Seite des Schlunds, aber wir waren offensichtlich nicht die ersten, die das Topo dann irgendwann nicht mehr so genau studiert hatten. Überhaupt sind uns irgendwie mindestens die letzen zwei, eher drei Seillängen abhanden gekommen. Eine luftige Querung später standen wir jedenfalls dann wirklich oben. Yai!
Wohlhabende Faultiere.
Der hehre Plan, zu Fuß wieder runterzulaufen, verpuffte zwar, als wir die veranschlagten drei Stunden lasen (irgendwie hatten wir 1,5h im Kopf?!), aber hey, in unserem Alter kann man sich a) so eine Bahn einfach leisten und b) es sich langsam gönnen, an seine Gelenke zu denken. Per Bus ging es zurück zum Auto und direkt in die Sessel mit gekühltem Bier, aus denen wir die Riesenwand ausgiebig im Abendlicht bestaunen konnten. Was für ein Teil.
Weniger denken hilft!
Und was für eine geniale Aktion! Nicht drüber nachdenken und einfach machen – definitiv eine Taktik, die sich hin und wieder lohnt!
[Facts zur Tour siehe Artikelende]
Die Bilder bis zum Gipfelplateau (Dibona-Ausstieg, Pordoi)
Facts Fedele Dibona Pordoispitze:
Kletterlänge, Ausrüstung, Stau
Wer nicht gerade ständig Aussicht gucken will und seine Hände mit Füßen besser koordiniert, schafft’s bestimmt in weniger als in unseren knapp sieben Stunden Kletterzeit. Wir hatten einen Satz Friends (von BD #0.2 bis #3) dabei, die kleineren sowie die Keile hätte man sich sparen können. Viele Schlingen und am besten wohl etwas Geduld, sodass der Wasserfall möglichst trocken ist. Bei uns war an einem August-Freitag gar kein Mensch in der Wand, ein lokaler Bergführer meinte später, dass die Tour inzwischen nicht mehr so viel begangen wird. Normale Bergführer-Startzeit ist so gegen sieben Uhr am Einstieg.
Wegfindung und Topo
Die Wegfindung ist insgesamt recht easy und selbst wenn man sich mal versteigt, wird es nicht gleich Harakiri. Unsere Verhauer waren in Länge 11 (steile 4+, danach nicht gleich links, sondern den Schlenker, der im Topo eingezeichnet ist, ernst nehmen 😉 ). Geht aber auch links rum, dort sind drei unverbundene NH an einem einigermaßen ungemütlichen Platz.
Wichtiger: Nach der Wasserfalllänge und dem Stand im nassen Gufel (übrigens nicht direkt im Gufel, sondern besser zwei Meter links an zwei Haken Stand bauen) evtl. nicht dem vielen Material direkt senkrecht folgen. Dort hängt ein längeres Seil mit Knoten und oben ein alter Keil und eine neu gefädelte Sanduhr. Das kann man schon klettern, ist aber brüchig und nicht mehr V. Evtl. doch besser rechts bis zu dem Türmchen im Wasserfall und dort erst rechts rausqueren – wir haben von dort ungefähr irgendwas reinqueren sehen – sieht eher nach der richtigen Variante aus und war im Topo vom Mann (Bernardi) auch eher so beschrieben.
Ansonsten ist das Topoguide-Topo wie immer einwandfrei und völlig ausreichend. Im oberen Teil ist der Wegverlauf eh völlig klar und wer sich die luftige Querung sparen will (Haken und für Unsichere weitere Sicherungsmöglichkeiten, außerdem maximal III?), der hält sich halt ans Topo und klettert, wenn’s dann irgendwann hell und brüchig wird, links raus, anstatt geradeaus.
ACHTUNG Autoverkehr:
Dolomit vives ist ein Programm der Region, um den Verkehr am Sellapass zu reduzieren. Wie das so richtig funktioniert, verstehen wir zwar nicht, aber es ist wohl so, dass man zwischen Montag und Freitag von 9-16 Uhr einen (kostenlosen?) Pass haben muss, um reinfahren zu dürfen. Alternativ kann man (kostenlos?) mit den Bussen fahren. Theoretisch betrifft das den Parkplatz der Pordoi-Touren ohnehin nicht, wenn man allerdings vom Brenner kommt und über Wolkenstein fahren wollte, steht man womöglich die nächsten Jahre irgendwann mal blöd da. Für den Fall empfehle ich dann die Pizzaria Ciamin 😉
Bild oben: Weiterweg nach dem nassen Gufel – hier wäre es womöglich doch eher erstmal rechts durch den Bach gegangen…?
Bild unten: Nach dieser steilen 4+ (nicht wirklich absicherbar), besser geradeaus, anstatt gleich leicht links!
3 Comments
Vielen Dank für den super Bericht und die schönen Bilder.
Macht Lust auf mehr!
Roger
Hallo Ulli
Hab mir gerade die Bilder von der Dibona angesehen. Echt super.
Was hast du da für eine Kamera dabei ?
Lg Daniel
Hi Daniel,
wir haben bei solchen Touren beide immer die Sony RX100 (II und III) dabei und sind absolut zufrieden mit der kleinen Kamera.
LG!
Erika