Eins. Eins. Eins. Null. (Langkofel Normalweg)

Juni 24, 2018

Kognitive Wahrnehmung könnte man es nennen: Der ambitionierte, vorausschauende Angsthase sieht nämlich genau einen Griff und einen Tritt, den Blick nach unten spart er sich gewissenhaft.  Die gemachten Fotos erzählen allerdings dann eine andere Geschichte: Von wegen ein Tritt, ein Griff: Ein gewaltiges Meer aus Fels, dahinter eine ebenso gigantische Landschaft. Und während der Blick so über das Bild schweift, fällt irgendwann dieser bunte Punkt auf. Orange irgendwie. Ein wenig blau. Und plötzlich dämmert es einem: Der Punkt bin ich. Und da war statt „ein Tritt, ein Griff“ vor allem eins: Unendlich viel Luft unterm Hintern. (Langkofel Normalweg, Juni 2018)

Diese Tage…!

Es gibt eben auch diese Tage. Die, an denen der Kopf stimmt und man endlich auch mal auf das Engelchen hört, das ja schon seit Jahren sagt: Kind, EIN DREIER! Das kannst du seilfrei, schau halt nur, dass Dir nix ausbricht! Jetzt glaub doch mal an Dich! Und dann hängt man da an dem Fels in dieser ganz eigenen Welt, es gibt nur noch den nächsten Griff, den nächsten Tritt und vor allem die sanft ratternde Entscheidungsmaschine auf dem Hals, die bei jeder Bewegung blitzschnell zwischen „hält“ oder „hält nicht“ entscheidet. »Eins« und »null« quasi, wobei »null« nicht in Frage kommt, weil die Konsequenz zwar im Endeffekt weniger schmerzhaft, dafür umso tödlicher wäre. Also  »eins«. Und by the way: Bloß nicht runterschauen!

Der erste Akt

Amphitheater Langkofel

So ging das dann dahin, Stunde um Stunde. Eins. Eins. Eins. Null. Eins. Ein bisschen hechelnd, ein bisschen staunend führte unser Weg zuerst noch angenehm absturzgesichert über das breite »Fassaner Band«. Irgendwann wurden die Rinnen und Kamine aber so eng, dass man auf ihren Außenkanten klettern musste. Hochgucken. Runter will niemand, also hochgucken! Es lief gut, der Buhl wäre ja sowas von stolz auf Lil’Ichmagkeinausgesetztgunde. Abgetaucht in die eigene kleine Welt aus Griffen und Tritten verflog die Zeit. »Flow« nennen das die Großen.

Aus Kante wurde irgendwann Wand, die direkt erklettert werden will. »Grad III« stand im Topo, das in der Hosentasche der Spürnase steckte. Die war allerdings schon längst außer Sicht, sprich es gab genau eine Richtung: Ihm hinterher, während das Oberstübchen leise rechnete: Eins. Eins. Eins. Null – nicht anfassen!

Herrliches Klettern

Langkofel Seiser Alm SchlernNull kam erfreulicherweise auf diesem Weg erstaunlich wenig vor: Abgeklettert ist er, so richtig abgespeckt aber noch lange nicht. Eine ideale Kombi. Das „einer der schwersten Dreitausender der Dolomiten“ schien Gutes zu bewirken, die Wegfindung war dank der dosierten „Verspeckung“ gar nicht so hoffnungslos, wie ich sie damals zum Beispiel in der Eisenzeit empfunden hatte. Als gerade ein überraschend orangener Griff mit Reißverschluss sich in meine Griff-Welt einschlich (null!), hörte ich mich noch zu ihm murmeln, dass das garantiert die ausgesetzteste Kraxelei sei, die ich jemals gemacht habe. Der Mann im Schuh lachte nur und schlenderte weiter.

Das schlüpfende Nashorn

Wenn uns jemand sieht, dachte ich mir, während ich mich elegant wie das schlüpfende Nashorn auf das Podest rollte. Die eine, ungefähr 980 der (geschätzten) 1.000 Klettermeter auf allen vieren, notfalls auf Knie, Ellbogen oder Stirn zurückgreifend. Der andere? Na, wie eben jemand aussieht, der mal eben noch ne Runde um den See spaziert. Mit Eis in der Hand. Die Aussicht genießend.

Abstieg vom Langkofel erkunden

Anyway, war ja eh schon cool, dass er hier in diesem Krabbelgelände mit mir unterwegs war. In meiner Wahrnehmung selbstverständlich ausschließlich aus Ulliliebe, in Wirklichkeit natürlich zum Auskundschaften des doch recht komplizierten Abstiegs, den man flink finden will, wenn man gerade eine tausend Meter Eistour hinter sich hat und am liebsten noch zum Abendessen in der Pizzaria statt in der Biwakschachtel sitzen mag. Mir sollte es recht sein, denn diese Krabbelei schien genau das richtige zu sein, um nach so vielen Monaten wieder reinzukommen in die intergalaktös schöne Welt der Dolomiten.

Man fällt nicht einfach runter (?)

Auf dem Langkofel Normalweg

Inzwischen war die kleine Wand überlebt, das erste (und einzige) Mal suchten wir etwas ratlos nach dem „richtigen“ Übergang über eine kleine Kante. Überraschend tat sich auf ihrer anderen Seite ein kurzes Drahtseil auf, es war genau an der richtigen Stelle angebracht und war ebenso schnell wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war. Wändchen, verkapptes Gehgelände, viel eins, nahezu gar kein null mehr. Der Blick wanderte immer noch kaum nach unten und wenn dann immer mit einer erstaunlichen Mattscheibe, die dem Kopf suggerierte: No worries, Riesenhenkel hier oben, man fällt nicht einfach runter!

 

Zu Fuß zum Mond

Den Gedanken an den ausgebrochenen Griff in der Comici stets verdrängend, kam der nächste Akt des langen Weges hinauf auf den Mond, äh, Langkofel: DIE EISRINNE. Sie wird im schneelosen Zustand über einen Grat umgangen, wenn Schnee drin liegt, geht’s mit Steigeisen und Kondition um Welten schneller. Wobei ich den Part mit den Steigeisen übernahm und er jenen mit… Naja, ihr wisst schon.

Steil war es, gefroren auch, jucken tat ihn das auch ohne Steigeisen nicht und so wartete er geduldig am oberen Rand auf sein kleines inzwischen geschlüpftes Trödelnashorn.  Immer wieder tauchten Abseilringe auf und irgendwann tatsächlich das Ende dieser Rinne. Nächster Halt: DAS AMPHITHEATER. Im Kopf ein mächtiges Kolosseum, entpuppte es sich eher als ein kleines Geröll-Schneefeld mitten in der Wand. Die Aussicht allerdings, die war ohne zu übertreiben kolossal. Die Seiser Alm mit ihren sonnenbeschienen Wiesen, dahinter der Schlern, an dem wir unseren letzten Dolomiten-Besuch verbrachten. Im Winter, auf der erfolglosen Suche nach Eis…

Trödelgunde mit Spürnase

Amphitheater LangkofelWährend ich noch staunend in die Ferne guckte, hatte die Spürnase natürlich schon den richtigen Weiterweg auskundschaftet. Klar, der hat ja auch Zeit, bis Trödelgunde endlich angekrabbelt kommt. Laut Topo wurde es hier tendenziell leichter, was – wie immer in den Dolos – nicht unbedingt bedeutet, dass es ab sofort weniger schwierig werden würde. Viel mehr neigten sich die ausgewaschenen Platten noch ein wenig mehr und waren mit Geröll übersät. Unangenehm in jeglicher Hinsicht: zum Klettern sowieso, im Bezug auf die Lebenserhaltungsmaßnahmen der nachfolgenden ominösen Seilschaft, die wir zwar hörten, aber nie sahen, ebenso.

Finale!

»Land in Sicht!« hörte ich ihn in meiner kleinen Griff-Tritt-Welt rufen. Nach gut drei Stunden in diesem Felsenmeer kam ganz wie bei den Kollegen auf dem Meer etwas Grünes in unser Sichtfeld, ein Anblick, auf den wir uns von Anfang gefreut hatten: Die Biwakschachtel tauchte unvermittelt auf, sah gemütlich und sauber aus und läutete für uns langsam den letzten Abschnitt ein: Eine kurze Verschneidung sollte uns auf den Grat führen. Den Grat sahen wir nur wenige Meter über uns, die Verschneidung hingegen eher weniger.

So langsam war das Mut-Budget bei Nachwuchs-Buhl-gunde aufgebraucht und schon baumelte der orangene Strick eine maximal ausgesetzte Querung entlang. Irgendwann dann doch eine Art Verschneidung, zur Begrüßung gab es jene Eiszapfen, die wir damals am Schlern so sehr gesucht hatten. Für die Eisgeräte war es dann doch zu wenig und nach ein paar luftigen Zügen standen wir tatsächlich endlich vollends in der Sonne.

LANGKOFEL!

Die Aussicht wirkte durch die eingangs erwähnte Mattscheibe noch nicht so richtig, der Grat dafür umso mehr: Hübsch sah er aus, gar nicht schlimm, nicht mal für meine Verhältnisse. Er entpuppte sich auch als genau das (darüber muss man sich ja auch mal freuen!) und eine unangenehm spannende Querung einer kleinen Schneewechte standen wir oben an diesem unscheinbaren Gipfel. Ein Holzbrett diente zur Schonung des Hinterns, ein Kreuz sucht man vergeblich.

Perfekter geht nicht!

Was man allerdings dafür findet, ist eine Aussicht, die ohne zu übertreiben die wohl schönste ist, die wir bisher gemeinsam erleben durften. Und das, wo wir nun inzwischen doch den ein oder anderen Gipfel hier erstiegen hatten. Völlig atemberaubend! Wie anders das alles von hier oben aussieht! Das perfekte Wetter gewährte uns Zeit, um das Panorama ausgiebig zu genießen. Die Aussicht war der absolute Oberknüller. Also ich meine: OBERKNÜLLER! So richtig OOOBEEEEE»komm, wir gehen wieder runter«. Gnarrrrr, dass er aber auch immer so vernünftig sein muss!

Der Name ist Programm: LANGkofel.

Der Abstieg wurde dann genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte: Lang. Also um genau zu sein: Unendlich intergalaktös völlig unnötig nervenaufreibend lang. Warum genau haben wir eigentlich unsere Gleitschirme nicht dabei?!

Wo anders ein No-Go

Der Grat ging gut, den Abseilhaken am äußersten Ende des Grates fanden wir glatt auch und während er noch ein Eis essend wieder hinunterspazierte, schnüffelte ich bewaffnet mit unserem Halbseil nach Abseilstellen. Es gab ein paar, die meisten in guter alter Dolomitenmanier (eine gewisse Anzahl alter Schlingen mit einer gewissen Anzahl alter Schlaghaken), die anderen professionell ausgerüstet mit einem einzelnen Bohrhaken. Irgendwie in den Nordalpen ein No-Go, hier in Südtirol der siebte Himmel. Verquere Welt.

 

LAAANGkofel

Wir jedenfalls: Steigeisen weg, Mut zusammenkratzen. Die lange Querung rüber, abseilen, rüber zum Stahlseil. Wieder hoch, wieder runter, etwas rüber, wieder abseilen. Fassaner Band, finally, was aber noch lange nicht bedeutet, dass man es geschafft hat. Diese Kletterei auf der Kante der Kamine kam mir im Aufstieg dann auch nicht so ausgesetzt vor, überhaupt kam mir das alles nicht so wild vor, wie jetzt im Abstieg. Die Blickrichtung machts wohl…

 

Rüber, runter, hoch, rüber…

Noch ein paar Schneefelder, noch ein paar mal hoch, ein paar mal runter, sicherheitshalber nochmal bisschen rüber, etwas runter, steiles, immer noch eher gefrorenes Schneefeld queren, wieder hoch und dann: Ende Fassaner Band. Beginn: Aufstieg Hütte, diese blöde Kuh. Plötzlich inmitten unzähliger Touristen schnauften wir stoisch bei etwa 200 Grad das Geröllmeer empor. Nicht anhalten, langsam laufen. Das Dumme: Hat man den Aufstieg geschafft, warten immer noch 500 eher monotone Abstiegsmeter auf breiten Wanderautobahnen, garniert mit unzähligen „Ciao!“ und „Salve!“ und vor allem brennenden Sohlen, brennender Sonne und brennendem Durst.

Essensbox her, Essensbox leer

Aber irgendwann: Talstation. Aber klar, wer meint, hier wäre es dann doch endlich vorbei, der irrt. Nochmals ein Gegenanstieg, hinauf zum Auto am Pass. Und dann endlich, nach gut zehn Stunden mit zwei Snickers und einem Apfel im Bauch: Rucksack runter, Schuhe aus, Campingstuhl raus, Essensbox her. Eine Stunde später: Essensbox leer, Team Michigunde lümmelnd im Bett, mit einem maximal breiten Grinsen im Gesicht und sagenhafter Aussicht aus dem Auto.

Traumtag am Langkofel!

Bewegen konnte ich mich dank der schweren Oberschenkel nicht mehr, aber das Schöne: Genau das war heute auch nicht mehr nötig. Was für ein Traumtag. WAS FÜR EIN TRAUMTAG! Ja, einer von diesen, der wohl lange im Kopf bleiben wird, einfach weil das Gesamterlebnis so intensiv, so lang und vor allem so schön war. Und während ich noch so über all die tollen Eindrücke nachdachte, übermannte mich jener treuer Begleiter, der bei diesen Touren immer dabei ist: Der tiefe, erschöpfte Schlaf.

Danke Spürnase fürs Mitkommen, Rumschnüffeln und geduldig Warten!

Detaillierte Wegbeschreibung inklusive GPX-Track bei alpenvereinaktiv.com, Topo bei Sentres.

Diese Ausrüstung war mit dabei: 

 

Panorama Langkofel Aussicht Dolomiten

Abstieg Langkofel Normalweg Beschreibung

…für all jene, die nicht über diesen Weg am Gipfel ankommen:
Vom Gipfel (kein Kreuz, nur Holzbrett als Bank) sieht man in Richtung Süden die Biwakschachtel in einer kleinen Scharte. Um dorthin zu gelangen, dem Gipfelgrat folgen, an einem kleinen Holzkreuz vorbei und bis zum Ende des Grates. Dort ausgesetzt auf den letzten Turm des Grates, großer Abseilhaken direkt oben auf dem letzten Türmchen. Abseilen direkt zur Biwakschachtel.
Langkofel Normalweg Abstieg
[Bild: Blick vom Gipfel zur Biwakschachtel (grün in der tiefsten Scharte. Der Abseilhaken befindet sich auf dem allerletzten, etwas niedereren Türmchen)

 

Von hier sieht man etwa in Richtung Süden einen markanten großen, gelblichen Turm, die Scharte zwischen diesem Turm und der Biwakschachtel ist das nächste Ziel (Bildmitte unten):

Es gibt einen einzelnen Borhaken mit Ring direkt in dieser Scharte. 30 m abseilen, nächster Abseilstand in nassem Gufel (Schlingen). 30 m in Abstiegsrichtung rechts am äußersten Rand lila Schlinge an Schlaghaken. Alternativ links weit oben gräuliche Schlinge (weniger als 30 m, etwas aufsteigen). Nach 30 m (etwa! Eher weniger) in der Mitte der Rinne wieder ein Borhaken und nach 10-15 m nochmals ein Ring. Danach haben wir keinen mehr gefunden. Ende auf Absatz, von hier noch wenige Meter abklettern auf das Geröll- oder Schneefeld im Amphitheater (erkennt man an ganz schmalem Türmchen am unteren Rand ganz in der Mitte)

Links zunächst entlang der Felsen entlang halten und dann einige Meter über Geröll oder Schnee hinauf zu einem markanten, 2m hohen schlanken Türmchen steigen. Dahinter befindet sich die Eisrinne. Oben unserer Suche nach kein Abseilhaken, erst weiter unten am unteren Rand des großen Turms ganz oben. In mehreren 30m-Längen runter (wir haben nicht alle Abseilhaken gefunden, es dürfte aber wohl durchwegs eingerichtet sein) hinunter zum ehemaligen Gletscher. Dort wieder etwa 20 Meter aufsteigen und nach rechts queren. Seichte rote Markierungen und vereinzelte Grampen. Tendenziell eher nach oben klettern zu einem kleinen Türmchen.

 

Direkt am Türmchen oder (noch besser) etwa 5 m über ein schmales Band weiter genau 30 m zu einer knallgrünen Sanduhrschlinge (neu, alternativ ein paar Meter weiter oben und weiter links Schlaghaken mit Schlingen), hier nochmals 10 Meter weiter (steile III-Stelle) und von hier ohne Höhenverlust ein paar Meter weiter zum Drahtseil. Dieses sieht man bereits vom Abseilstand oben am Türmchen. Nach dem ausgesetzten Stahlseil kurz noch rechts queren und dann hoch. Ziel ist wiederum ein kleiner Durchschlupf zwischen Türmchen.

Danach im steilen I-II-Gelände schräg absteigen, nächstes Ziel ist ein sandiger kleiner Sattel. Von hier sieht man im Sommer mehrere markante Steinmänner auf einem breiten Schotterband und im Hintergrund endlich die Scharte mit der Bahnstation.

Nun dem Band folgen, je nach Gusto noch ein paar Mal über Schneefelder abseilen.

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1 Comment

  • Reply Uli Dezember 22, 2020 at 5:26 pm

    Schöne Bilder einer schönen Tour. Ich habe die Route in 2001 begangen, leider nur bis zu Wändchen unterhalb der Biwakschachtel. Dort ist mir ein Tritt ausgebrochen und ich habe mir die Kniescheibe rechts rausgehauen. Danach noch herum probiert, ob man es noch auf den Gipfel schafft, oder zumindest absteigen kann. Schliesslich mit dem Heli (Pelikan?) zum Sellajoch ausgeflogen worden. 2600 Mark für 22 Flugminuten. Die Bustouristen hielten uns für Bergretter, weil wir so zünftig aussahen. Zwei Ruhetage, dann zumindest über den Westgrad auf die Marmelade. Ich wäre sonst wahrscheinlich nie wieder Klettern gegangen. Immer vorsichtig und umsichtig sein! Viele Grüße

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