Erkenntnisse der vergangenen zwei Wochen: Rissklettern zu lernen macht anfangs nullkommanull Spaß. Dann aber den Fortschritt zu sehen – womöglich auch noch mit selbstgelegten Sicherungen – ist besser als jede „abgehakte“ schwere Tour im Klettergarten. Eine Geschichte von Tiefen, großen Tiefen und höchstem Stolz.
Daaas geeeeht nicht!
Mir hängt ein Klos im Hals, ich könnte heulen. Wie zum Teufel kommt man hier hoch!? Ich stecke in diesem Riss, gerade zu breit für meine Hand. Von unten kommt der Tipp, ob nicht womöglich mein Unterarm passe. Und die Füße, die müsse man verklemmen! Ich verkneife mir diesen verzweifelten Ausruf „aber das geeeht niiicht!“, der mich bei anderen Anfängern häufig stört. Offensichtlich geht es ja, ich kann es bloß nicht. Noch nicht. Für immer nicht?! Ich hab keine Ahnung, wie ich meinen Körper in etwas reinklemmen soll, wofür er zu schmal ist. Rissklettern ist scheiße. Da klettert man sonst im siebten, achten, manchmal gar neunten Grad und kommt keine Fünfer hoch. Im Toprope! Spaßfaktor? Eindeutig nicht vorhanden.
Schmerzresistenz hilft
Und noch dazu tut einfach alles weh – diese Art der Kletterei funktioniert offensichtlich umso besser, je rücksichtsloser man seinen Körper in irgendwelche Schlitze verklemmt, verdreht oder sonst wie sich zwischen den Fels spannt. Alle Mittel sind erlaubt, eigentlich ja eine lustige Herangehensweise. Ich lasse diesen blöden Schlund trotzdem wieder los, pendle ein weiteres Mal ins Seil und kämpfe mit den Tränen.
Ist doch toll! Nicht!
Ich versuche mir einzureden, dass es nicht immer um Schwierigkeitsgrade geht, dass es doch toll ist, die Chance zu haben, etwas völlig Neues zu lernen, dass ich meine Schwächen besser akzeptieren und mich bloß nicht mit anderen vergleichen sollte. Dass ich jetzt einfach nur herumprobiere und versuche zu erfühlen, wie das hier gehen soll. Und dass das sicher gar nicht stimme, dass ich hier mit Abstand die Ungeschickteste bin. Nein, bestimmt nicht. Alle haben klein angefangen! Aber ob wirklich SO klein!?
Ein paar Meter vor dem Umlenker gebe ich auf und bin mir überhaupt nicht mehr sicher, ob ich diese ganze Kletterei überhaupt so toll finde. Bin gegruselt vor langen Routen, traue mich nichts im Vorstieg, stelle mich mords an, bin mit dem Kopf überall, aber keineswegs konzentriert bei der Tour. Und bin gefrustet. Bei ihm sieht immer alles so easy aus und ich fühle mich wie das trampelige Rhinozeros im italienischen Dorfladen.
Der Tag drauf
Mir tut alles weh, die Arme sind aufgeschrappt, die Muskeln verspannt. Aber irgendwie bin ich doch motiviert, das alles nochmal zu probieren. Wir gehen diesmal in einen wirklich leichten Sektor und siehe da, eine 6+ ging. Wenn auch kein Riss, sondern nur eine Schuppe, aber immerhin komplett selbst abgesichert. Natürlich zu Tode gegruselt und gebrüllt wie die Großen, aber egal, durchgestiegen ohne zu sitzen!
Das Ego muss leider draußen bleiben!
Der benachbarte Kamin, der angeblich viel, viel leichter sein soll, holt mich dann aber ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Wie genau soll man sich jetzt wieder in was reinspannen, wo nach außen hin breiter wird, ganz hinten aber einen Handriss hat!? Ich bin schon um einiges entspannter und versuche einfach, das jetzt rauszubekommen. Beim zweiten Versuch komme ich immerhin schon ein paar Meter weit, beim dritten Versuch tatsächlich die ganze Verschneidung. Kamin. Schlund. Dings. Kein Plan, wie das alles im Fachjargon heißt. Zugegeben, wir sprechen hier von ca. fünf Metern und das alles im Toprope, aber mir egal. Mein Ego hab ich eh heute morgen schon am Parkplatz zurückgelassen.
Mental und körperlich schon einigermaßen im Eimer wechseln wir später in den schwersten Sektor von Cadarese, wo der Mann gleich mal die schwerste Tour rauspickt und eine ziemlich gute Figur beim Ausbouldern macht. Das ist das Fiese beim Riss- und Granitklettern. Sieht gar nicht schwer aus. Wenn man’s halt kann. Ein paar wilde Stürze legt er aber trotzdem hin.
Toprope-Gun
Ich vergnüge mich weiterhin im Toprope, was hier oben ganz gut geht (ein paar der darunterliegenden Seillängen kann man vom oberen Band einhängen). Und siehe da, die ersten Meter einer Tour, ein gleichmäßiger Handriss, funktioniert schon überraschend gut! Wie cool ist das denn! Der Rest ist zwar dann wieder die obligatorische Watsche, aber egal. Ego ist ja eh schon kaputt. Und während sich der Mann gleich mal die erste Hälfte seiner Tour im zweiten Go holt, stehe ich mal wieder vor einer neuen Rissbreite und fange bei Null an. Frust.
Frust. Frust. Frust.
Meine Ausrüstung zum Trad-Klettern:
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)
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Wer will nochmal, wer hat noch nicht?
Ein paar Tage später: Wir sind wieder im Allgäu, die Wetterprognose fürs Wochenende ist verheerend. Er traut sich sicherheitshalber das Thema „Rissklettern“ nicht mal vorzuschlagen. Aber ich bin motiviert! Und ganz offensichtlich masochistisch veranlagt. Er packt noch einen Urlaubstag ran und prompt stehen wir Samstagmorgen wieder im Piemont. Bergsport ist Motorsport. Eindeutig.
Profigunde Auf dem Weg zur Weltherrschaft
Wir beginnen mit zwei der leichtesten Touren des Gebiets und Angstigunde schiebt sich jubelnd einen waschechten Riss hoch – das hält!! GUCK MAL, DAS HÄLT!! Einige Meter lang kommen unvertrauenswürdig dünne Schuppen, hinter die ich lieber nichts legen will, wodurch ich mindestens 30 Meter ohne Zwischensicherung einfach dahincruise (es waren zumindest zwei Meter, womöglich gar drei!). Ohne Herumzuhampeln! Einfach weiter, ich kann das! Clip am Umlenker, maximalst breitestes Grinsen.
Auf dem Weg zur Weltherrschaft reiße ich gleich auch noch das danebenliegenden Verschneidungs-Riss-Dingsi ein, alles ganz sauber mit selbst absichern, durchziehen, klemmen, stemmen, stöhnen. CHACKA! Und wie ich klemme! Und guck mal dieser Friend, wie gut ich den mit Kennerblick ausgesucht habe! Abgeschätzt, ausgewählt, reingestopft, hält! Profi am Werk!!
Weiter, ein Stockwerk höher, wo ich durch eine Traumlinie cruise. Je nach Führer 5c (eher), 6a oder 6c+ (sicher nicht). Wo ist der Gruselkopf hin!? Ich fühle mich mindestens wie Alex Honnold, Emelie Harrington und Lynn Hill in einer Person. Was soll mich jetzt noch stoppen!
Ersetze Technik durch Kraft
Oben, direkt neben des Freundes Projekt, stemme ich mich noch eine massive Schuppe empor, die mich vorige Woche noch bis ins Mark eingeschüchtert hat. Im Vorstieg! Und das, obwohl die ersten paar Meter gar so eine hässliche zu-weit-für-alles-Breite haben. Egal, mit mehr Kraft als Technik schiebe ich wahlweise den einen passenden Friend oder den ganzen Körper nach oben, bis ich völlig erschöpft auf einem kleinen Vorsprung ankomme. Nach fünf Metern. Von 25. Aber hey, immerhin schon mal fünf Meter! Und der Rest geht tatsächlich auch noch ohne Sturz – wenn auch mit maximaler Sauerstoffknappheit.
Unstoppbar
Um das mal kurz in Relation zu setzen: Das war gerade eine 6a+ (oder 6b, je nach Führer). Aus Sicht des Normalokletterers natürlich „nur eine 6a+“, aber in meiner Welt fehlt eigentlich gar nicht mehr ganz so viel zur „Nose“ im Valley und der Weltherrschaft überhaupt. Nur noch ein paar Grade, aber was sind schon Zahlen. In meiner Welt war diese Schuppe ungefähr das Nonplusultra. Die Krönung! Das Ding, das mich letzte Woche am meisten eingeschüchtert hat und eigentlich ja auch das schwerste in Cadarese überhaupt (in meiner Risskletter-Welt werden alle Touren ab 7a ausgeblendet, man soll ja bei seinen Leisten bleiben).
Und weil der Kopf grad passt, reiße ich tags darauf gleich auch noch den komischen Kamin von letztem Mal (in dem ich letztes Mal drei Anläufe brauchte) einfach so danieder. Mit selber Sicherungen anbringen, stemmen, drücken, zerren… Und diesmal gelingt mir sogar dieser mit Sohle-und-Kniescheibe-zwischen-den-Fels-Klemm-Trick mal kurz. Weltherrschaftsgunde ist auf dem Weg zu den ganz Großen! Platz da!!
Wie die Großen!
Und als wäre das nicht noch genug, zittere ich noch durch eine tatsächlich 30m-lange Rissgeschichte mit einem komischen Umeinenbauchherumschiebe-Ding am Anfang. Als ich das letzte Woche mal noch probiert hab, kam ich nicht mal drüber. Jetzt, mit kleinem Tipp vom Meister, ging’s! Und das die zwei Sätze Friends (die großen schweren natürlich) eindeutig nach unten zogen, während ich doch nach oben wollte. Und wie ich wollte! Letztendlich hatte ich mehr Durchsetzungsvermögen, lies Stück für Stück Friends zurück und kam sturzfrei am Umlenker an – und nahezu ungegruselt! Ach, diesen Kopf möcht ich immer haben.
Fazit
Geduld, Geduld! Es braucht ein paar Tage, bis man das Gefühl raus und ein wenig Selbstvertrauen reingeschöpft hat. Und was ich in den letzten Tagen auch gelernt habe: Es kommt womöglich beim Kopf nicht nur darauf an zu trainieren, beliebig oberhalb des Hakens sich nicht zu gruseln, sondern viel mehr, den potenziellen Fall einfach zu akzeptieren und auszublenden. Klingt trivial, macht aber einen gewaltigen Unterschied. Sturztraining ist also die eine Sache, die Aufmerksamkeit auf die Tour (oder zumindest weg vom letzten Haken) zu lenken ist aber genauso wichtig.
Facts:
Trad- und Rissklettern in Cadarese, Domodossola (Piemont)
Rissklettern in Europa kann man eindeutig sehr gut in Cadarese. Von Finger- über Handrisse bis hin zu Kaminen, Offwidths und sonstigen Gebilden. Wenige Routen sind gebohrt, manche können von der jeweils darüberliegenden Terrasse eingehängt werden. Die Touren sind mit einem 70m-Seil alle gut zu machen und bleiben auch während Regenfällen vorwiegend trocken, nur nach ausgiebiger Wässerung drückt es langsam durch. Je nach Kletterkönnen findet man aber wohl meist irgendwo noch eine trockene Linie. Wir waren nun nach einigen Tagen Dauerregen dort und es ging immer noch viel. Wenn Wind geht aber deutlich mehr. Campieren kann man außerhalb des Sommers direkt am Parkplatz oder ansonsten ca. 500 Meter talauswärts an einem herrlichen Picknickplatz mit fließend Wasser, Grillstelle, Toiletten, Mülleimer und überdachten Tischen.
Wer den Zustieg nicht scheut und irgendwo bei 7a unterwegs ist, sollte den Zustieg zum hoch gelegenen Yosesigo nicht scheuen. Der Valleyfan sagt, die Risse stünden jenen im Yosemite in nichts nach. Das will was heißen! Bolts sucht man jedoch vergeblich.
Einkehr unbedingt in dem Restaurant gegenüber (Vaul-au-Vent und Ravioli mit Pistaziensoße essen!!), die Therme schafft Abhilfe bei akuter Eigenverdreckung.
Liebevoll gemachtes Topo von Cadarese gibt’s hier.
Tradklettern in Medji, Zermatt
Vergangene Woche statteten wir auch noch dem Gebiet „Medji“ bei Zermatt einen Besuch ab. Das wird teilweise auch als Rissklettergebiet angepriesen, fällt unserer Meinung aber wohl eher unter „Trad“. Risse gibt’s nicht so viele, die Kletterei ist aber dennoch cool und man kann gut das Selbst-Legen von Sicherungen üben! Alles auch gebohrt, möglichst langes Seil nötig!! Zustieg ca. 40 Minuten. Parkplatz ohne Camping-Verbotsschild: An der Schreinerei gerade aus weiter, durch eine schmale Bahn-Unterführung und direkt danach links. Entweder dort unter den Stromleitungen oder mittelmäßig legal den Weg nach unten zum Picknickplatz nehmen und dort schlafen.
Anfahrt und Topo gibt’s entweder im Schweiz Extrem Ost vom Känel oder auszugsweise auch hier.
Die Erkenntnisse dieser Wochen:
- Man wird besser, man muss sich nur darauf einlassen. Topropen ist zum Bewegungen lernen gar nicht verwerflich.
- Je rücksichtsloser man seinen Körper verwendet, desto eher kommt man hoch.
- Trust your feet.
- Faust- und Handklemmer werden mit etwas Erfahrung wahre Henkel.
- Den Fuß in Verschneidungen und Risse reinzudrehen hält überraschend gut.
- Die Backen der Friends sollten im Riss nach Möglichkeit alle gleich weit eingeklappt sein.
- Friends wandern bei Bewegung nach hinten, was einerseits wegen des Stürzens, andererseits auch wegen des Entfernens eine Rolle spielt.
- Eigens angebrachte dünne Schnüre vom Hebel nach hinten zur Öse ermöglichen notfalls, dass man den Friend mittels Keilentferner doch noch zusammenklappen kann, auch wenn der Friend schon sehr tief drin liegt.
- Hält die Hand richtig gut, ists rot. Hält die Faust, passt blau. Passt der große graue wirds ungemütlich, genauso wenn der kleine blaue passt… Gilt für Ulligundsche Handgröße und ist nicht übertragbar – macht aber Sinn, sich das (individuell) einzuprägen!
- Auch wenn’s unangenehm ist: Placements am besten erst auf Hüfthöhe setzen, dann ist beim Klettern Platz für die Hände.
- Ja, man kann auch in den Handflächen schwitzen.
- Risskletterhandschuhe sind die beste Anschaffung überhaupt.
- Harte Schuhe sind so viel besser als weiche.
- Geduld, Geduld.
- GEDULD!
3 Comments
Guter Tipp mit den individuellen Handgrößen für die mobilen Sicherungsmittel.
Welch abenteuerlicher Variante Deiner Lieblingsaktivität Du mal wieder nachgegangen bist.
Selbst absicher ist schon cool, da kann man schon stolz sein, wenn das gelungen ist.
Gruß, Bernd
Meine Erika – so ein Hase! Bravo, Bravo, Bravo!
Jau, geil geschrieben! 100% Zustimmung 😀