Seltene Erden, Wildgall

Januar 3, 2017

Ich mag kein ausgesetztes Gelände. Ich mochte es am Gipfelhang zum Lüsener Fernerkogel nicht, in der Eisenzeit ebenso wenig und auch hier in der steilen Rinne hoch zum Einstieg fühle ich mich unwohl. Wenn man hier… dann…!  Und doch macht man es immer wieder und hat am Ende ein breites Grinsen im Gesicht. Wie diesmal am Wildgall.

Wildgall also. Seit drei Wochen probierten wir diese Tour, jedes Mal war exakt an dem geplanten Tag die Wettervorhersage schlecht. Inzwischen war nicht mehr so viel übrig von den „perfekten“ Verhältnissen – zumindest wenn man nach Eis suchte. Aber letztendlich hatte es doch noch geklappt und wir standen mal wieder um vier in Eiseskälte auf und schnibbelten Äpfel ins Müsli, das es statt mit Milch mit heißem Tee gab. Die Devise an solchen Morgenden ist einfach: Nicht zögern, nicht dran denken. Das Frühstück klappte wie gewöhnlich zu der Uhrzeit nur mit Würgen, aber was tut man nicht alles für erträumte Touren…

Spinnen wir!?

Pünktlich um fünf schlenderten wir los, eine Stunde später kam schemenhaft der riesige Klotz des Wildgalls ins Blickfeld. Wie gut, dass man die Zustiege im Dunkeln nicht sieht. Was wir hingegen sahen, waren zwei Stirnlampen, die sich verdächtig nah am Einstieg unserer Tour befanden. Wir trauten unseren Augen nicht! Wann um Gottes Willen waren die aufgestanden? Bisher hatte es bei uns eigentlich immer gut geklappt, die ersten in den Gullies zu sein. So klettert man wenigstens nicht im Stein-, Eis- oder wahlweise Werkzeugschlag. Tja, egal, vielleicht machen sie ja was anderes.

Gucken und staunen

Der Zustieg lief gut (lag vielleicht auch daran, dass der Freund zwei Drittel trug) und während wir die letzten Meter zur Rinne stapften, ging in unserem Rücken die Sonne auf. Paar Schritte laufen, umdrehen, staunen. Schnaufen. Nochmal gucken. Und weiter. Die andere Seilschaft hatte erfreulicherweise tatsächlich die andere Rinne gewählt. Yeah!

Der Horizont wurde immer wieder bunter, das Staunen immer größer. Gerade als die Sonne vollends aufging, bogen wir um die Ecke und nahmen die steile Rinne zum Einstieg in Angriff.

Immer steiler wurde es, ich ignorierte einfach mal das „wenn… dann…!“. Alles ist gut, man rutscht nicht einfach los. Eine Wahl blieb ohnehin nicht, das Seil lief viele Meter über mir. Zusammenreißen! Die letzten Meter zum Stand gruselte es dann schon ziemlich und ich musste leider kurz pampig werden, weil gruseln, konzentriert stapfen und gleichzeitig entscheiden, ob man womöglich die erste Seillänge vorsteigen wollte, nicht gleichzeitig klappt. Erstmal überleben, dann der Rest… Frauen halt 😉

Ich geh vor!

Mit Klicken der Selbstsicherung war Fröhlichgunde auch schon wieder am Start und schnappte sich Exen, Friends und Schrauben. „Ich geh vor!“ „Na wenn’de das mal nicht bereust!“ grinste das Teufelchen, das Gelände sah eher nach Mixed als nach Eis aus. In sowas bin ich noch nie vorgestiegen… Aber irgendwie sah es auch machbar aus!

Der Mann zog sich direkt mal die warme Jacke an, wohl wissend, was jetzt kommen würde: Könnte länger dauern, Schnelligkeit ist schließlich leider ganz eindeutig (noch?) nicht meine Stärke. Aber wenn ich das hinbekommen würde, wär’s mein erster Mixed-Vorstieg überhaupt! Und im Topo stand was, das die erste Seillänge gar nicht so lang sei. Geht schon, probier ich einfach mal.

Und siehe da, es ging tatsächlich! Hier das Eisgerät in einen Spalt verzwirbeln,dort ein Friend, hier ein kleines Eischräubchen und schon war die erste Steilstufe geschafft. Prompt wurde es leichter, absichern ließ sich die Sache aber eher nicht mehr und aus „kurze Seillänge“ wurden schlappe 60 Meter. Kurz war das nicht, aber dafür war das Grinsen schon brutal breit! Wenn das mal nicht völlig sensationell war!

Klettern lernen

Der Freund kam recht eingefroren nach, murmelte was von „kalt“, verschenkte noch einen Kuss und spurtete sofort weiter. Das „Seil aus!“ verging im Klimpern der Minitraxionen. Laufendes Seil also, aber nur ein paar Meter. Statt Eis, wie wir es irgendwie erwartet hatten, gab’s eine knifflige Fels-Passage, die nächste Seillänge sah nicht besser aus und so versuchte ich lieber im Nachstieg rauszufinden, wie man eine brüchige Rinne ohne ernsthaft Eis am besten klettert.

Schieben? Drücken? Stemmen! Leider erschwert durch eine inzwischen aufgetauchte Seilschaft, die keine zwei Meter hinter mir die Verfolgung aufgenommen hatte. Bloß keine Steine rausrupfen und erst recht nicht abrutschen! Einen Steigeisenabdruck will niemand im Gesicht – weder „haben“ noch „verantworten“. Es machte die Sache nicht wirklich leichter, noch dazu weil durch die Jungs in mir leicht Stress aufkam. Ich fühlte mich unglaublich langsam… Hätte ich doch vorher am gemeinsamen Stand vehementer angeboten, dass sie überholen dürfen! Wir hatten schließlich keinen Stress… Auf den letzten Metern zum Stand war ich ernsthaft froh, diese Länge nicht vorgegangen zu sein.

Mach Du lieber…

Der Vorstiegsmut war durch die Johnnies, die weiterhin nicht überholen wollten, recht gedämpft. Die Geduld des Partners zu fordern ist eine Sache, gleich drei Leute im Schatten frieren zu lassen, eine andere. Und so macht der Michi sich für die letzte Seillänge startklar. Ohne Eisgeräte und  Handschuhe ging es in die V+-Länge, die selbst bei ihm ziemlich anspruchsvoll aussah. Ich machte natürlich prompt Gebrauch der Auf-Zieh-Hilfe und war schwer beeindruckt, wie man denn Risse mit Steigeisen überhaupt klettern kann. Egal, letzter Stand! Ulligunde müde, Aussicht atemberaubend, Grinsen groß. Haben wir das also mal wieder geschafft.

Check!

Wir genossen ausgiebig das Panorama, quatschten mit der nachfolgenden Seilschaft und versuchten, all die wunderschönen Gipfel um uns herum zu identifizieren. Glockner, Venediger und wie sie alle heißen! Wunderschön. Eine rasche Abseilfahrt entlang perfekt eingerichteter Stände führte zum Einstieg, jetzt lagen nur noch eineinhalb Stunden Abstieg durch herbstlichen Wald im T-Shirt vor uns. 11 Stunden nach Aufbruch standen wir mal wieder an unserem Auto. So viele! schöne! Tage! in so kurzer Zeit. Einfach Wahnsinn. Der zweite Gully in meinem Leben und dann direkt im Vorstieg – wenn auch nur eine Länge. Vorstieg! Gruselgunde persönlich! Immer noch verrückt.

 

Diese Ausrüstung war dabei:
Die ganze Übersicht gibt’s wie immer hier.

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16 Comments

  • Reply Martin Januar 3, 2017 at 12:26 pm

    Hihi, „ich mag kein ausgesetztes Gelände“. Man erwartet fast schon einen Wanderbericht und dann kommt so eine Tour. Großes Kompliment, sehr coole Fotos und wie immer schön geschrieben!

    Schöne Grüße,
    Martin

    • Reply ulligunde Januar 4, 2017 at 11:08 am

      Hi Martin! Haha, so hab ich das ja noch gar nicht gesehen 😉 Tja, die „Gruselschwelle“ verschiebt sich mit der Zeit – ich bin mal gespannt, ob ich auch irgendwann so leichtfüßig durch ausgesetztes Gelände hüpfe wie andere… Ich glaube ja eher nicht 😀 Macht nix, so bleibts immerhin spannend.

      LG!

      Erika

  • Reply Wu Januar 3, 2017 at 2:28 pm

    Hi Erika, schön zu sehen die Entwicklung, großes Du erreicht hast, viel noch vor Dir liegt. Ich freue mich für Dich! Und dank Dir darf ich auch immer schöne Bilder und Berichte lesen.
    Lg Wu

    • Reply ulligunde Januar 4, 2017 at 11:08 am

      Ich finde ja, dass Du nicht nur Berichte lesen solltest, sondern dass Du in so einem Artikel auch mal wieder auftauchst 🙂

      LG!

  • Reply Joe Januar 3, 2017 at 2:58 pm

    Hey Erika,

    voll gut, wie du dich deiner Herausforderung stellst. Ich kenn das Gefühl nur zu gut. Und diese frühe Frühstück herunterwürgerei… Naja was sein muss, muss sein. Was tut man nicht alles für den Berg. Das ist unser Los.
    Man will’s ja auch nur so 😉

    • Reply ulligunde Januar 4, 2017 at 11:09 am

      Stimmt schon, wenn Touren keinen Zustieg und keine Angst-Momente hätten, wären sie am Ende dann eben doch irgendwie langweilig. Eine Zwickmühle 🙂
      LG!

  • Reply Gerhard Januar 3, 2017 at 7:19 pm

    Toll, liebe Erika

    • Reply ulligunde Januar 4, 2017 at 11:09 am

      🙂 Danke Papa, du hast mich ja auf diesen Weg gebracht 😉

  • Reply Michael Prittwitz Januar 5, 2017 at 11:13 pm

    Hi Erika,
    wieder mal ein schöner Bericht von Dir. Lese immer wieder gerne und freue mich über die tollen Fotos. Ein gutes, gesundes, friedliches 2017 wünscht aus Reichenhall

    Michael

    • Reply ulligunde Januar 7, 2017 at 8:43 pm

      Lieber Michael,
      genau das wünsche ich Dir auch! Danke für Deinen Kommentar!

      Liebe Grüße
      Erika

  • Reply Michael Januar 6, 2017 at 11:34 am

    Hi,

    toller Bericht und kurzweilig zu lesen 🙂 Mir gefallen die Berichte besonders deswegen gut weil es echt super Touren sind, aber immer wieder auch Ironie und das Ringen mit sich selbst vorkommen… Bei mir ist es nur Alpinklettern, aber grundsätzlich das gleiche Spiel…

    Viele Grüße, Michael.

    • Reply ulligunde Januar 7, 2017 at 8:43 pm

      Hi Michael,

      ohja, ob Alpin- oder Eisklettern, das Ringen ist das gleiche. Beim Alpinklettern fast noch mehr, weil man (ich) dort noch eher an meine Grenzen gehe – oder zumindest bietet sich dank Borhaken oder hübscher Risse die Chance dazu. Das gruselt mich beim Eisklettern schon noch – ein Sturz ist halt einfach verboten. Aber wie soll man da besser werden?! Kompliziert, kompliziert… Aber macht nichts, bleib ich halt vorerst in dem Komfortbereich, Spaß und ein wenig Abenteuer gibt’s ja trotzdem 🙂

      Liebe Grüße und danke für Deine netten Worte!

  • Reply Maria Januar 9, 2017 at 11:40 pm

    Hey liebe Erika,
    danke für die tollen Berichte und Fotos vereint zu einigen Anregungen für eigene Touren 🙂 Ich hörte mich in letzter Zeit desöfteren sagen: kennt ihr den Blog Ulligunde? Die Erika hat letztens auch die und die Tour gemacht, die könnten wir auch ins Auge fassen 🙂
    Das Schöne an deinem Tun ist nämlich, dass es greifbar ist. Und, dass es Mut macht den Weg weiter zu beschreiten und sich nicht unterkriegen zu lassen, um dann irgendwann mal zu einer guten Alpinistin heranzuwachsen 🙂 Danke dafür!
    Ich wünsche dir ein abenteuerliches und unfallfreies Jahr 2017 mit vielen vielen wunderbaren Bergerlebnissen!
    Liebste Grüße Maria

    • Reply ulligunde Januar 10, 2017 at 10:56 pm

      Hi Maria!

      Yeah, so liebe Worte ließt man ja gerne zum Einschlafen. Danke, danke danke, das freut mich sehr, wenn ich andere (Mädels! 😉 ) inspirieren kann! Lass uns gemeinsam gute (und alte) Alpinistinnen werden!
      Liebe Grüße und alles Gute fürs neue Jahr.
      Erika

  • Reply Christof Januar 17, 2017 at 10:07 pm

    Cooler Bericht und tolle Bilder!! Kompliment zur schönen Tour! 🙂

    • Reply ulligunde Januar 18, 2017 at 10:40 am

      Hi Christof,
      merci merci! Bei der Tour kam der Wildgall mir wie ein riesiger Klotz vor – von Eurer Seite wirkte er ganz klein und unscheinbar. Immer wieder interessant, was die Perspektive ausmacht.

      Liebe Grüße!

      Erika

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