Wie entsteht ein Wanderschuh?

Juni 26, 2016

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Eine Reise der anderen Art führte mich kürzlich ins Flachland, nach Jetzendorf. Kleiner Bahnhof, Felder, Vorstadtidylle. Und Heimat meines Partners LOWA. 2,5 Millionen Schuhe stellt das Unternehmen jedes Jahr her – ein großer Teil hier in dem 3.000-Seelen-Dorf nördlich von München. Wie läuft sowas ab?

Reklamierte Schuhe Küchentuch in die Zentrifuge – Wasser in den Schuh – Schuh in die Zentrifuge. Routinierte Handgriffe. Werner, der Mann an der Maschine, arbeitet wie viele seiner Kollegen seit mehreren Jahrzehnten beim Schuhhersteller LOWA und kümmert sich liebevoll um beanstandete Schuhe: Haben sich nach einigen Umdrehungen Wasserflecken auf dem Tuch gebildet, ist der Schuh undicht und die Reklamation gerechtfertigt. Der Kunde bekommt einen neuen Schuh. Ansonsten? Häufig auch.

Sinn macht es keinen, aber Freude

Sieht fast aus wie neu. Kulanz und Reparaturen sind bei LOWA ein großes Thema, eine ganze Abteilung kümmert sich am Standort nahe München darum. In erster Linie stehen hier bekannte Modelle, einige aber sind durchaus museumstauglich. „Wir bekommen immer wieder stark abgelaufene oder völlig verschlissene Schuhe, die wir seit Jahrzehnten nicht mehr produzieren. Rational gesehen macht es wenig Sinn, sie herzurichten, aber andererseits sind es echte Liebhaberstücke, die den Besitzern am Herz liegen. Wir respektieren das und versuchen alles, sie bestmöglich wieder zu reparieren“. Ob neue Sohle oder ein frischer Geröllschutz – die Handgriffe sind unglaublich flink und präzise, obwohl die Arbeit offensichtlich viel Muskelkraft benötigt. Auf den ersten Blick sehen die Stiefel danach aus wie neu – nur die feinen Kratzer im Leder und die abgewetzten Ösen erzählen ihre ganz eigenen Geschichten von draußen.

Zwei Hände, ein Schuh

Die Stepperei bei Lowa. Hier entstehen von Hand Musterexemplare und Maßanfertigungen.Durch hohe Lagerhallen geht es weiter in eine ganz andere Welt. Die Stepperei. Einige Damen sitzen in einem großen Raum mit zahlreichen Nähmaschinen, die Atmosphäre ist sofort eine ganz andere. Kreativ! Positiv. Die Mädels lachen, tauschen sich aus und arbeiten geschickt an ihren Maschinen. Hier werden Mustermodelle aber auch ein Großteil der aufwändigen Bergstiefel hergestellt. Jede Näherin kann jeden Schritt – sprich: Jede kann einen eigenen, vollständigen Schuh bauen. Keine Fließbandarbeit, es ist echtes Handwerk.

Ich frage eine der Ladies, ob sie glaubt, dass man mit ein wenig handwerklichem Geschick so etwas auch könne? Sie lacht. „Kein Problem! So schwer ist das nicht – solange der Schuh am Ende nicht unbedingt dicht sein soll.“ Ich bekomme große Ohren. Mit etwas Übung könnte ich mir einen ganz eigenen Schuh bauen. Noch größere Ohren. In ganz eigenen Farben oder mit einem individuellen Schriftzug, das mache ja alles keinen Unterschied. Meine Ohren schlagen am Boden an.

Viele Hände, tausende Schuhe

Kann garantiert auch fliegen. Und sprechen. Und staubsaugen.Während wir dieses Stockwerk verlassen, sehe ich innerlich schon meinen türkisfarbenen Bergstiefel mit violetten Schnürsenkeln und dickem ulligunde.com-Schriftzug auf der Seite. Steigeisenfest. Leicht. Für Hochtouren im Somm… RATTATATATATTT. Ein lautes Rattern holt mich aus meiner Welt. Wir sind inzwischen in einem weiteren Raum. Anderes Stockwerk, andere Atmosphäre. Völlig andere Arbeitsweise. Hier geht es nicht mehr so gemütlich zu wie bei den netten Ladies gerade eben. Hier wird nach Menge bezahlt, das merkt man sofort. Im Akkord werden Leisten an Maschinen gesteckt, Leder angepasst, Sohlen angeklebt, Schnürsenkel eingezogen. Viele der Mitarbeiter haben Ohrstöpsel drin. Es riecht überraschend neutral für solch eine Fließbandhalle. Ich staune über große Maschinen, die allem Anschein nach direkt aus dem Film Matrix geschlüpft sind.

Arbeit im Akkord

Noch schnell ein Schleifchen rein - fertig!Die Schnelligkeit, mit der die mobilen Schuhregale befüllt, entleert und auf der anderen Seite wieder befüllt werden, ist beeindruckend. Das den ganzen Tag? Ich bin ein Akademikerkind, noch selten habe ich es so deutlich gespürt. Ich kam nie mit Fließbandarbeit in Berührung, umso bemerkenswerter finde ich den hohen Anschlag, den die Mitarbeiter hier an den Tag legen. Wenn ich da an die Büroarbeit denke, wo nach ein paar Minuten erstmal ein Kaffee geholt wird, dann zufällig die Susi auf dem Gang entgegenkommt, die man ja heute noch gar nicht gesehen hat – und irgendwann will der Kaffee ja auch wieder raus…! Hier läuft es anders. Nach einer einzigen Umdrehung in der Halle kommt ein völlig fertiger, nagelneuer Schuh raus. Inklusive Schnürsenkel mit Schleife und Info-Etikett. Noch schnell in den Karton und ab ins Lager. Wahnsinn.

Themen der Zukunft

Retro-Linie von LowaNach diesem Produktionsraum wird mir schnell klar, wie der Hersteller auf 2,5 Millionen Schuhe im Jahr kommt. Ich bin nachhaltig beeindruckt und brauche einen Moment, um mich auf einen weiteren Raum einzustellen. Ruhig ist es, schon viel eher ein klassisches Büro. Es herrscht kreatives Chaos – Designer und Marketingmenschen sitzen hier. Fotos darf ich keine machen, hier entsteht die Zukunft. Prototypen liegen zwischen Zeichnungen und Stoffmustern, die Wände hängen voll mit Entwürfen.

In einem kleinen abgetrennten Büro sitzt noch eine weitere Person, die sich durchaus auch mit der Zukunft beschäftigt. Corporate Responsibility steht auf der Türe und Ingmar beantwortet mir bereitwillig und ganz spontan einige meiner Fragen zum Thema Nachhaltigkeit in der Outdoorbranche. Wie ist das jetzt eigentlich mit diesem PFC? Warum ist es so schlecht, wo blieb der Aufschrei, was kann ein Hersteller tun? Was können wir Kunden tun? Und was tut LOWA ganz konkret? Wir verquatschen uns prompt so sehr, dass das Gespräch erst am Bahnhof endet, wo ich gerade noch so den Zug rechtzeitig erwische.

Gedanken auf dem Heimweg

Während draußen die Felder vorbeiziehen, sehe ich wieder meinen türkisfarbenen Schuh mit violetten Schnürsenkel vor Augen. Ich bin beeindruckt, dass am Standort bei München tatsächlich in Handarbeit Schuhe gefertigt werden. Nicht nur Prototypen, sondern ganze Reihen – alle aufwändigen Bergstiefel, der Eiskletterschuh Ice Comp, Maßanfertigungen… Und mit was für einer Präzision! Erst jetzt wird mir klar: All die Nähte an meinem Bergstiefel wurden von einem „echten“ Menschen per Hand genäht. Während das Logo gestickt wurde, führte eine der Ladies das Leder durch die Maschine. Und selbst der Schnürsenkel wurde von einem der Mitarbeiter in Jetzendorf eingefädelt und mit einer Schleife versehen. Ich mochte meinen Latok-Bergstiefel schon von Anfang an, aber jetzt tatsächlich noch ein Stückchen mehr.

Hier geht’s zur Firmenwebsite von LOWA.

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2 Comments

  • Reply Sabrina Juni 27, 2016 at 11:39 am

    Hi,

    ist aber schon ziemlich cool – mal so hinter die Kulissen schauen zu können. Da kann man dann schon auch mal den etwas höheren Preis für diese Art von Schuhe verstehen…

    Danke für die kleine Reportage… 🙂

  • Reply conny Juni 29, 2016 at 9:47 am

    Hallo Erika,
    interessant zu sehen, wie eine Firma ihr Produkt herstellt. Und lustig finde ich, wie kreativ man dann selber wird – eigene Schuhe herstellen Farbe Logo 😀 Genau. Wenn es ja jeder kann. 😉
    Wenn man einfach live die Produktion gesehen hat, ist einem klar, wie sich der Verkaufspreis kalkuliert. Handarbeit ist Qualität und hat seinen Preis. Dafür hält es!
    Gut finde ich auch den Service danach. Es ist wirklich so, alte Bergschuhe kann ich selbst nicht einfach so wegwerfen. Diese lasse ich neu besohlen und sind der Star im Bergschuhschrank. 🙂
    Liebe Grüße Conny

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