Das Universum will das so! (Bikepacking nach Grindelwald)

Juli 22, 2021

Das Universum will, dass ich das mache, geht es mir durch den Kopf, als ich Sonntagmorgen einfach mal frech schaue, ob mein Plan schon bei den ersten Organisationsschritten scheitert. Tut er nicht, im Gegenteil. Alles fügt sich ideal. Auch unterwegs. Eine perfekte Reise mit nur einem einzigen, kleinen Manko.

Hint: Die vollständige Packliste und ein paar Ausrüstungsgedanken findet ihr am Ende der Seite.

Bodensee – Zürich

Es kommt immer anders, als man denkt. Plötzlich hatte ich fünf Tage mit bester Wetterprognose spontan komplett frei. Mitten in der Nacht dann die Idee, einen vagen Traum einfach Realität werden zu lassen. Und zwar nicht irgendwann. Nein. Morgen.

Es gibt ja immer Ausreden, Abenteuer aufzuschieben, andererseits hatte ich schon länger wirklich Lust, eine längere Radreise zu unternehmen. So Lust, dass in einem bisher unausgepackten Bergzeit-Päckchen die Radtaschen (Lenkerrolle, “Arschrakete”) lagen. Eigentlich womöglich schon das erste Zeichen des Universums… Keine 24 Stunden später saß ich auf dem Rad, neben mir der Bodensee, der spiegelglatt im ersten Morgenlicht violett schimmerte. Ich tu das wirklich!!

Sprung ins kalte Wasser

Mit den ersten Sonnenstrahlen erreichte ich die Schweizer Grenze und während noch alles schlief, kurbelte ich den ersten größeren Anstieg in Richtung St. Gallen hinauf. Die Landschaft wurde immer schöner, das Unterwegssein machte direkt richtig Freude. Die Gedanken hingen noch im Alltagskram, aber spätestens als neben mir der Säntis, später die Churfirsten und gegen Nachmittag der Zürichsee auftauchten, war ich angekommen. Ich war wieder auf Reisen – so richtig mit Kontrolle-Abgeben, ins Ungewisse starten und einfach mal schauen, was passiert. Zeit für volles Urvertrauen! Ein echtes kleines Abenteuer – das erste seit Ewigkeiten. 

Um ein Ziel zu haben und zu sehen, wie das bei diesem Radfahren alles läuft, hatte ich für die erste Nacht einen Campingplatz in Rapperswil gebucht. Nett, so mitten in einem (überfluteten) Strandbad, aber für mein Wildcamperherz doch eine Herausforderung. Parzelle 1, immerhin direkt am Waschbecken. Egal, ich bin müde und schlafe noch vor Sonnenuntergang ein. 

Link zum Routenverlauf Etappe 1 (Bodensee – Zürichsee, 104 km, 1700 hm)

Zürich – Thun

Der Wecker reißt mich aus dem Tiefschlaf. Eine Stunde später überquere ich die Brücke zwischen Zürichsee und Obersee. Das erste Problem taucht rund eine Stunde nach meinem Start auf. Während eines legendär guten Frühstücks irgendwo bei Wollerau verabschiedet sich Karte und Track. Es wäre zu schön gewesen, wenn das mit der App-Navigation (Komoot) so richtig zuverlässig klappen würde. Nun braucht es Internet und es gibt für eine Weile nur noch dieses eine Problem.

Das Universum hilft mal wieder

An einem Postbus, dessen Fahrer gerade Frühstück holt, halte ich etwas widerwillig an – ich hatte schon mehrere Möglichkeiten probiert und bin genervt von der Sucherei. Aber hey, komm, kurz probieren. Tatsächlich, der Bus bietet WLAN und ich bekomme in jenem Moment, als der Fahrer gerade schon den Motor anschmeißt, die nötige Verbindung. Die Karte lädt sofort. YES!

Reisen ist Problemelösen. Mich ärgert die Abhängigkeit von der Technik etwas, aber eine Navigation mit Papierkarte wäre insgesamt sicher deutlich mühsamer. Und die Route, die Komoot mir vorgeschlagen hatte, taugt erstaunlich gut. Weiter geht’s mit einer unheimlichen Zufriedenheit in mir – irgendwie macht es seltsam glücklich, wenn man Probleme löst!

Die Technik…

Das zweite Frühstück gibt’s in Cham am Zugersee (so schön!), auf dem Weg nach Luzern eröffnet sich das nächste Problem. Schon wieder die Technik: Die Powerbank ist nahezu leer, ich hatte fest damit gerechnet, dass sie drei Tage durchhalten würde. Naja, noch reichts. Weiter also.

Luzern ist zwar unheimlich schön, aber mit all dem Straßenverkehr und den Sperrungen wegen des Hochwassers ziemlich stressig. Ich verlege den Cafébesuch samt Stromtanken auf später. 50 Kilometer sind’s jetzt langsam, die relevanten Höhenmeter kommen erst noch.

Ich überlege, ob ich es heute bis nach Thun schaffen könnte – das wären 120 km und angeblich rund 2.200 Höhenmeter. Keine Ahnung ob man sowas schafft, ich kenne mich beim Biken nicht aus, ärgere mich aber irgendwie auch über den Gedanken. Jetzt bin ich beim Radeln und wünsch mich doch wieder schnell heim. Wie bescheuert. Ich zwinge mich zur Geduld, zum ImHierUndJetztSein und kurbel einfach weiter. 

Die Landschaft wird einfach immer noch und noch schöner und irgendwo hinter Entlebuch trifft sich meine Lust auf Pause mit einer Steckdose im öffentlichen WC. Problem solved!

Veloland, wirklich!

Überhaupt: Diese Toiletten überall! Super sauber und immer dort, wo man sie gerade braucht. Die Radwege, die es überall gibt und bestens ausgeschildert sind. Und wenn es mal auf der Straße dahingeht, ist quasi immer ein extra Streifen markiert. Das macht einfach Freude. Ganz zu schweigen von den Leuten, die überall grüßen und selbst E-Biker einen noch auf eine sympathische Art anfeuern.

Letztendlich schaffe ich gegen Abend tatsächlich eher aus Lust als aus Not den letzten Anstieg, bevor es von hier aus nur noch bergab bis nach Thun gehen würde. Ich ziehe die Nacht im Zelt der Stadt vor, plansche noch ausgiebig im Bach und falle mal wieder knapp vor Sonnenuntergang in einen tiefen Schlaf.

Was für ein Tag. Wie viel man auf so einer Reise innerhalb eines Tages erlebt! Wo war ich heute morgen? Wo war ich überhaupt heute schon überall!? Es fühlt sich an, als wäre ich schon eine Woche unterwegs.

Etappe 2: Rapperswil – Innereriz: Link 1, Link 2 ab Wollerau (123 km, 2190 hm)

Tag 3: Nach Grindelwald 

Mit dem Sonnenaufgang rolle ich bereits hinunter nach Thun. Tausend Höhenmeter später gibt’s Kaffee und Croissant mit der Raphaela am Aareufer mitten im sensationell schönen Thun. Wie cool es ist, zu zweit zu Frühstücken und ein bisschen zu ratschen! Wir ver-ratschen uns natürlich wieder und ich komme erst gegen neun weiter. Immerhin wieder mit aufgeladenem Handy, so sollte es bis Grindelwald auf jeden Fall reichen. 

Zielträumereien

Während ich am Thunersee entlang kurble, stelle ich mir schon vor, wie es sein wird, wenn ich nachher in Grindelwald einfahren werde. Wie ich in einer Wiese sitze, mit einer Rivella in der Hand und einfach nur die Berge bestaune und an jene Tage vor einem Jahr denke. Ehrlich gesagt habe ich Bammel davor, wieder in Grindelwald zu sein. Vor allem allein. Aber ja: Eigentlich hätte mir schon da klar sein müssen, dass es sowieso immer anders kommt, als man denkt.

Staunen!

Die Fahrt nach Grindelwald wird sensationell schön, auch wenn ich natürlich die heftigsten Anstiege wieder pünktlich um 12 Uhr in Angriff nehme. Da scheine ich ein Händchen dafür zu haben! Die Wege sind steil, aber vorwiegend geteert und die Aussicht ist ja sowieso einfach nur noch sagenhaft. Unten die grünen Wälder, oben die vergletscherten Gipfel. Mit dem Rad hat man noch viel mehr Zeit zum Staunen und ich komme aus dem Staunen (und Schnaufen) kaum noch raus, auch wenn sich in dieses Gefühl auch Sehnsucht und Trauer mischt.

Es kommt immer anders…

Vorbei am Landeplatz mit all den Gleitschirmen geht es den letzten Killeranstieg hinauf ins Dorf. Ich komme direkt am Bahnhof raus. Das Ende meiner Reise! Krass!!

Laut meinem Plan habe ich jetzt eine Stunde Zeit, sicherheitshalber, denke ich, besorge ich mir noch kurz das Ticket. Aus »kurz« wird lang und irgendwie stressig, weil ein grenzüberschreitendes Zugticket inklusive Fahrrad ein ziemliches Problem darstellt. Ich muss früher nach Interlaken, um dort die Tickets zu lösen und die einzig sinnvolle Verbindung ist die in einer halben Stunde. Ich versuche noch kurz, das vielleicht am Handy lösen zu können, aber das Universum will offensichtlich nicht, dass ich das hier löse. Trotz mehrerer offener WLAN verbindet sich keines. 

Ein kurzer Blick zurück, ein paar Fotos, kaum Raum für einen Gedanken an das, was hier passiert ist. Es ist wie so oft beim Bergsteigen: Man hängt über Stunden an der Vorstellung, wie schön es am Gipfel sein wird. Kommt man dann oben an, ist es meistens doch irgendwie stressig, entweder weil es kalt oder wolkig ist, man Bedenken wegen des Abstiegs hat oder der Wind droht zu drehen… Eine Tour ist eben erst vorbei, wenn man wieder sicher zurück im Tal ist. Ich versuche es so zu sehen, steige in den Zug und verschiebe die Rekapitulation auf später. 

Etappe 3: Innereriz – Grindelwald (70km, 1.000hm)

Heimkommen. Runterkommen.

Die Zugfahrt ist ein kleines Abenteuer für sich (vom Finanziellen ganz zu schweigen ;-)), läuft dann letztendlich aber doch perfekt (Universum!) und im Abendlicht sitze ich mit dem Bruder bei einer Pizza wieder am Bodensee. Spät Abends stolpere ich in unser Wohnzimmer im Allgäu, das ich vor nur drei Tagen verlassen hatte.

Spontane Aktionen sind die besten

Wie viel in diesen drei Tagen passiert ist! Erst jetzt, wo ich auf dem Balkon sitze und das gute Flugwetter da draußen einfach Flugwetter sein lasse, wird mir klar, wo ich die letzten Tage war. Was ich erleben durfte und wie unfassbar genial es ist, diese Tour wirklich einfach gemacht zu haben. Spontane Aktionen sind die besten, sage ich immer. Diese Reise ist mal wieder ein perfekter Beweis dafür. Danke Universum fürs Hinschubsen! Bleibt nur noch die Frage: Welche Route kommt als nächstes? 🙂

Learnings aus der ersten Bikepacking-Reise:

  • Die Routenvorschläge und die Navigation mit Komoot hat fast immer bestens geklappt – die Route war wirklich perfekt! Solange man Internet hat, funktioniert Komoot bisher tatsächlich einwandfrei, nur einmal war nun der Fall, dass Karte und Track plötzlich weg waren und damit dann auch die Aufzeichnung für den Tag etwas zerrissen war (eigentlich echt auch nicht wichtig). Eine Printkarte als Backup wäre sinnvoll, schon klar.
  • Navigation mit einem externen Fahrradcomputer (hab mir inzwischen den hier gekauft), anstatt mit dem Handy. Einfach damit man weiterhin das Smartphone nutzen kann, auch wenn das Navigationsgerät leer ist. Gerade im Falle eines Notfalls oder wenn man dringend etwas Nachschauen muss.
  • Die Taschenlösung (siehe Packliste) hat sich perfekt bewährt. Mehr passt da allerdings dann nicht mehr rein. Für eine noch etwas längere Reise würde ich wahrscheinlich noch eine Rahmentasche dazu wählen, einfach um auch mal noch einen weiteren Apfel vernünftig transportieren zu können. Und statt dem Trailsaddle von VAUDE würde ich evtl. noch diese Version probieren. Da bei mir der Sattel relativ weit unten ist, kommt der Trailsaddle sehr nah an den Hinterreifen. Es gibt leider keine Möglichkeit, die Tasche noch an den Sattel zu fixieren, sodass nichts runterrutschen kann. Letztendlich ging es gut mit der Tasche von Vaude (Reepschnur hilft 😉 ) und der Vorteil, dass man dort sehr einfach die Tasche aus der Konstruktion nehmen kann, ohne das Teil komplett abzumontieren, hat definitiv einen großen Reiz. Die Tasche von Ortlieb hingegen hat noch den Vorteil, dass oben mit Gummis Kleinigkeiten schnell festgemacht werden können und die Reflektoren sind auch nie verkehrt…
  • Keine Ahnung, ob das Bike, das ich da hatte, für so eine Unternehmung taugt. Sicher ginge es mit einem Gravelbike noch ein wenig einfacher, sowas habe ich aber nicht – ich habe Radfahren bisher stets gemieden. Ich kenne nichts anderes, von dem her hat’s mir nichts ausgemacht. Zeigt vielleicht aber auch, dass man nicht die »perfekte« Ausrüstung braucht, um einfach mal loszulegen!

Die vollständige Packliste findet ihr am Ende der Seite.

Disclaimer:
Ich habe mir die genannten Radtaschen alle selbst gekauft und mich unabhängig für die Navigation von Komoot entschieden. Diese Reise, genauso wenig dieser Blogartikel und alle Erwähnungen waren mit niemandem abgesprochen.

Was ich beim Bikepacking in der Schweiz dabei hatte

Fahrradtaschen
Ortlieb Lenkerrolle 15l
Vaude Trailsaddle
Toolbox für Powerbank, Geldbeutel und Maske

Nacht
– Zelt (Mira 1 von Exped)
– Schlafsack (Glacier 450 von Mountain Equipment)
– Schlafsack-Inlett (Sea to Summit, Thermolite Reactor Standard, Baumwoll-Inlett Mummy. Hält den Schlafsack sauber, ist gemütlich und machts noch etwas wärmer)
– Isomatte (NeoAir xLite, ich hab mit der Matte immer Ohropax dabei, weil mich sonst das Rascheln aufweckt… Bisschen spießig vielleicht 😉 )

Kleidung
– Radhose
Radtrikot
– Radhelm
– Kurze Hose für Rückreise und Radeln (nicht unbedingt nötig)
– Radhandschuhe
– Lange Hose (Tights)
– 2x Socken
– Shirt für Abends
– Dünnes Langarmshirt, primär für Abends. Nicht unbedingt nötig.
Pulli
Daunenjacke (immer! 😉 )
– Regenklamotten (Regenhose mit durchgehendem Zip, Regenjacke, Überschuhe)
– Stirnband, Handschuhe (you never know…)
– Sonnenbrille (Smith Ruckus)
– Unterwäsche
– Bikini

Hardware
Powerbank
– Ladekabel Handy, Ladekabel Powerbank, Steckdosenstecker
– Nächstes Mal: Solarpanel
– Ultraleichter Rucksack aus Gleitschirmstoff (v.a. um bei der Rückreise Ausrüstung auf dem Rücken zu transportieren um das Bike leichter zu machen)
– Mini Erste-Hilfe
– Flickzeug für Rad und Isomatte
– Kloapier
– 2x Maske
– Kamera (Sony RX100 III)
– Geld, Ausweis
– Abendbeschäftigung (Malzeug in meinem Fall, kam aber eh nicht dazu)
– Kopfhörer (allein schon für die Heimfahrt per Zug!)
– Trinkflasche
– Taschenmesser
– Müsliriegel, Nüsse
– ggf. Zipbeutel für Regentage

Hygiene
– Zahnputzzeug
– Lipprencreme, Gesichtscreme
– Schmerzmittel, Wundsalbe
– OBs, Pille etc.
– Seife
– Handtuch, Waschlappen
– Kleines Deo
– Sonnencreme
– ggf. Rasierer


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7 Comments

  • Reply Taichi Leipzig Juli 23, 2021 at 11:59 am

    MapsMe als offline-Karte! Hat sich in Georgien und sonstwo bewährt. Einziger Nachteil: Karten muß man manchmal vor Ort auffrischen. Läßt sich evtl verhindern oder besser noch im Vorfeld erledigen.

    Die Links ab Arschrakete sind falsch.

  • Reply Niklas Juli 25, 2021 at 9:32 pm

    Ein sehr schöner Artikel! Ich finde es toll hier wieder etwas lesen zu können.
    Kommen in nächster Zeit mehr Fahrrad-Erlebnisse? Weitere Artikel dieser Art würde ich mit Genuss lesen 🙂

    • Reply ulligunde August 25, 2021 at 6:52 am

      Hi Niklas,
      das könnte sehr gut passieren 😉 Danke für Deine Zeilen!
      Liebe Grüße,
      Erika

  • Reply Thomas Juli 26, 2021 at 9:16 am

    Schöne Tour & schöner Beitrag! Ich habe die Ortlieb-Satteltasche und die ist sehr gut, aber ist halt ein bisschen Gefummel, die vom und an den Sattel zu bekommen. Vor Allem wenn man das jeden Abend/Früh machen muss 😉

  • Reply Florian August 11, 2021 at 12:09 pm

    Coole Aktion, Respekt vor deinen Tageskilometern ich könnte da nur noch im stehen fahren, wenn ich so an meine unregelmäßigen Touren denke…
    Und die Landschaft die du in den Bildern eingefangen hast sind der Hammer. Ich bin gespannt auf deine neuen Touren.
    Grüße

  • Reply Laura Dezember 11, 2022 at 9:41 pm

    Ein toller Beitrag, danke dafür! Wie war die Verteilung Asphalt/Schotter, kann ich das irgendwo sehen? Vielen lieben Dank, Laura

    • Reply ulligunde Dezember 12, 2022 at 11:14 am

      Hi Laura!
      Wenn ich mich recht erinnere, war da glaube ich nahezu kaum was auf Schotter – ich glaube auf dem Berg oberhalb von Thun war mal ein Teil nicht asphaltiert, allerdings bergab. Ich habe aber eigentlich auf der ganzen Reise nur Asphalt im Kopf.
      Liebe Grüße!
      Erika

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