Bescheuerte Ideen sind ja oft die besten. Alter Spruch hier auf dem Blog. Die Idee, am längsten Tag (TAG) des Jahres eine ausgedehnte XL-Nacht-(NACHT)-wanderung zu unternehmen, fällt wohl relativ klar in diese Kategorie. Der Vorteil liegt allerdings auf der Hand: Die Wahrscheinlichkeit, dass noch andere auf diese verrückte Idee kommen, ist relativ gering. Und wenn, dann sind es bestimmt sehr lustige (oder sehr komische) Menschen. Ruft nach einem Versuch!
1.30 Uhr. Beim Ins-Bett-Gehen eineinhalb Stunden zuvor, hatte ich meine Abmarschzeit um wenigstens eine halbe Stunde verschoben, man kann ja die Kirche schon auch mal ein bisschen im Dorf lassen. Immerhin war das Wetter stabil und der Tag aller Wahrscheinlichkeit nach ja ausreichend lang.
Ohne allzu langen Prozess ging’s raus aus dem Bett, rein in die Schuhe und rauf auf den Berg.
Ist das jetzt gruselig?
Irgendwann dann eine Stirnlampe vor mir. Ein kurzer Moment der Gedanke, ob das jetzt nicht eigentlich gruselig sein müsste, so allein als Frau in einem dunklen Wald. Im nächsten Moment dann eine grinsende Frau neben mir. Ich muss zugeben, ich war etwas überrascht.
Bundeswehr-Talk
Ich drosselte ein wenig das Tempo – war ja schließlich kein Wettrennen und um halb drei Nachts ist ja auch eine wunderbare Zeit für ein Pläuschchen. Wir plauderten etwas über ihren Job – allzu oft hatte ich jetzt ja auch noch nicht das Vergnügen, mit einer Soldatin in Ruhe zu ratschen, die gerade von einem Auslandseinsatz kommt.
Mit zunehmender Steigung machte sich mein vergangener Aufenthaltsort (Berge) und ihrer (Afghanistan) bemerkbar und ich zog davon in die dunkle Nacht.
Watzmannhaus
Gerade als der erste Schimmer am Horizont aufleuchtete, erreichte ich die Hütte. Diese Stille. Unbeschreiblich.
Im Windschatten ein kleiner Müsliriegel und weiter ging es. Ein schöner Pfad, der aber den Spürsinn forderte.
Sunrise!
Gemeinsam mit zwei zotteligen Steinböcken bestaunte ich den ersten Blick auf die tiefrote Sonne.
Etwas später dann der erste Gipfel. Während der benachbarte Hochkalter in dicken Wolken hing, war es auf meiner Seite nahezu frei. Manchmal hat man in den Bergen auch einfach nur Glück.
Hocheck zum Sonnenaufgang
Der Tiefblick war schlichtweg gewaltig. Ein paar Minuten Ruhe, ein paar Minuten einfach nur Schauen.
Dankbarkeit. Für das Wetter. Für die Kondition. Für die Überwindung des Schweinehundes heute Nacht.
Watzmann Überschreitung
Und dann ging’s los. Der Gefühls-Check ergab 100% Vorfreude, irgendwie hatte ich die Gewissheit, dass ich das drauf haben werde. Eine angenehme Gewissheit.
Mittelspitze
20 Minuten später stand ich am nächsten Gipfel und noch eine Stunde später an der Südspitze. Irgendwie ging die Überschreitung schneller vorbei als erwartet, immerhin stand überall was von 2-3 Stunden.
Der Fels war allerdings wirklich schön (okey, brutal poliert), die Stahlseile exakt an den richtigen Orten belassen und doch noch genügend Passagen, in denen man selbst ein wenig denken darf.
Abwechslungsreich, landschaftlich sensationell und überhaupt einfach zum deutlich breeeeit Grinsen!
Südspitze
Am Südspitze waren wir dann doch plötzlich drei Solo-Bergsteiger, die wohl die einzigen Menschen des Tages waren, die den 2000 Meter tiefer liegenden Königssee wenigstens noch kurz sehen durften. Ein wirklich imposanter Ausblick. Die Dimensionen erinnerten nicht mehr an das beschauliche Bayern, eher an Kanada.
Watzmanngraus
Über den Abstieg muss man dann ja nicht mehr so viel sagen – dieses Drama kennen ja offensichtlich viele.
Der lange Weg ins Tal
Er war primär einfach lang, hässlich und wurde mit jedem Abschnitt noch länger. Und hässlicher. Erst steil und kraxelig, dann ein gefrorenes Schneefeld. (Hätte man sich jetzt ja auch mal denken können, wenn man da um sieben Uhr Morgens drüber will…), danach ein Gelände, das ulligundefeindlich genau zwischen „Wandern“ und „Kraxeln“ lag, zum Abschluss dann noch ein bisschen Mergel auf Fels und zur Krönung noch eine Superlative von eben diesem, für das mir dann vor lauter innerlichem Mimimi die Worte fehlten.
Ich bleibe genau HIER.
Aber: Irgendwann war auch das rum. Mein Ort für die Pause beschreibt wohl meinen Zustand in diesem Moment: Einfach exakt mitten auf dem Weg, mitten im riesigen Geröllfeld des Wimbachgries. Egal, lasst mich alle in Ruhe. Ich muss mich jetzt genau (!) hier (!!) hin setzen (!!!).
Watzmannhatsch
Ein paar Minuten später und nach einem willkommenden Schuhtausch (ein bisschen Luxus darf man wohl schon im Rucksack haben, wenn man schon keinen Gleitschirm drin hat) war das Grinsen wieder zurück.
Die letzten zwei Stunden Raushatsch waren dann zwar nicht sonderlich spannend, aber immerhin, äh, medidativ. Und tatsächlich gar nicht so hässlich. Diese Tour liegt wirklich in einer sagenhaft schönen Ecke.
Tourenbeschreibung der Watzmann Überschreitung gibt’s z.B. bei alpenvereinaktiv.com.
Ausrüstung Watzmann Überschreitung:
3 Comments
Toller Blog insgesamt! Der Artikel über den Watzmann ist super. Gibt es vielleicht auch was über das Matterhorn? Ich hab den von meiner Ferienwohnung Zermatt aus gesehen, aber leider noch nicht bestiegen.
Hi Fairman,
am Matterhorn war ich nie unterwegs, das hat mich irgendwie nie gereizt. Aber gegenüber am Arbengrat/Obergabelhorn, das war ganz cool.
LG!
Erika
Tolle Geschichte, werde im Juli auch die Überschreitung machen…
Toller Blogbeitrag 🙂 (Bin gerade auf den Blog erst gestoßen)
Liebe Grüße Christoph