»Amatola-Trail: Einer der härtesten Trails Südafrikas«. Als mich Kathrin fragte, ob ich sie begleiten wolle, hatten wir noch über diese großen Worte geschmunzelt. Reißerisches Marketing oder schlicht die Wahrheit? Nicht so wichtig, wir fühlten uns der Sache gewachsen. Und überhaupt: Trekking (!) in Südafrika (!) mit dem Fräulein Draußen (!) persönlich! So hart kann der Trail gar nicht werden, als dass man so eine Chance nicht annehmen würde!
Hemisphärenwechsel. Nach überraschend angenehmen zwölf Reisestunden spuckte uns das Flugzeug am nächsten Morgen in Port Elisabeth aus. Kein Jetlag, kein Klimaschock, von lachenden Menschen abgeholt werden – so macht Reisen Spaß! Vom Flughafen ging es mit dem quirligen Hostelbesitzer, der für uns bald nur noch „Amatola-Dan“ war, zu seinem Hostel: Gerade erst auf der Südhalbkugel angekommen, katapultierte uns das »Away with the fairies« direkt nach Mittelerde. Runde Hobbithäuschen standen verstreut auf dem Areal hoch oben auf einem Hügel, eines mit einer noch schöneren Aussicht als das andere.
Von unseren Hütten brauchte es genau 43 Schritte, um an einem Aussichtspunkt direkt oberhalb einer steil abfallenden Klippe zu stehen. Freier Blick auf den Wald, in dem angeblich der älteste Baum Südafrikas steht. Und: Eine Badewanne mit Boiler. Heiß baden mit direktem Blick in den Himmel, in Südafrikas älteste Urwälder und vor allem auf jenen Gipfel, über den wir in sieben Tagen absteigen und damit unseren Trail beenden würden. So zumindest der Plan.
Ein Plan, der – wie so oft – am Ende mal wieder völlig anders kam.
Trekking Südafrika: Der Amatola Hike
Am nächsten Morgen ging es über holprige Straßen auf die andere Seite des kleinen Gebirgszuges, das sich unmittelbar aus den sanften Hügeln der Region Eastern Cape erhebt. Unten Wald, oben Wiese, immer wieder Wasserfälle und kleine Felsgürtel. Es sah schön aus! Ein ideales Trekkinggebiet.
Ein »enjoy!!« und mehrere hugs später, standen wir plötzlich allein in dieser Gegend.
Ungewohnte, exotische Geräusche. Ein dichter Wald vor uns. Eine angenehme Vorfreude im Bauch – wohl wissend, dass wir (oder zumindest ich 😉 ) uns garantiert das ein oder andere mal zurück in die Badewanne an der Klippe wünschen würden.
Ich genoss die ersten Schritte noch die trockenen Schuhe, die fitten Beine. Die Vorfreude. Was wird uns erwarten? Wie werden die Hütten sein? Werden wir wirklich die sechs Tage durchziehen oder wird – wie so oft – irgendetwas anders als geplant laufen? Es kam anders, so viel sei verraten.
Die ersten Stunden
Heiß. Aber cool! Wir folgten einem Bachlauf, entdeckten letzte Überreste von Zivilisation, genossen den immer dichter werdenden Wald. Nach kurzer Interpretation der Karte einigten wir uns darauf, dass wir gut zwei Drittel der Etappe hinter uns hatten. Gut in der Zeit, was anderes hatten wir irgendwie nicht erwartet. Ein ausgiebiges Pläuschchen am Bach, die Zelebrierung der wertvollen Luxusgüter (ungeschmolzene Schokolade!) und frisch ausgeruhten Beinen später, ging es weiter. Top motiviert. Bis zu dem Zeitpunkt bis klar wurde: Wir haben schon überraschend lang keine Wegmarkierung mehr gesehen… Also mindestens zehn Minuten, denn der Trail ist eigentlich wirklich exzellent markiert.
Wir sattelten ab, ich spurtete in die eine Richtung. Fehlanzeige. In die andere, wo mir vorher eine Wegkreuzung aufgefallen war. Ausgiebiges Suchen… Nichts!? Zurück zur Gabelung und den ursprünglichen Weg zurück. Und zurück. Und noch weiter zurück.
Die Markierung im Rücken
Irgendwann dann doch endlich eine Markierung – in meinem Rücken, natürlich. Der Weg ist nur in eine Richtung markiert. Bald die Erkenntnis: Die leuchtend gelben Fußstapfen sind nicht nur Markierungstupfer, sondern sie zeigen sehr wohl in eine Richtung. Zwei Blicke später war der Fehler klar. Kleiner Dauerlauf zurück, kurzes gemeinsames Lach-Ärgern, schnell wieder zurück auf den richtigen Weg. Aus dem vermeintlichen letzten Drittel wurden plötzlich lange Gesichter, als eine Wegmarkierung noch zehn Kilometer von gedachten fünf Kilometern veranschlagte. WTF? Weiter ging es, plötzlich steil, plötzlich heiß, plötzlich mal kurz unentspannt. Wenn das wirklich noch zehn Kilometer sind, wird das ganz schön eng mit dem Tageslicht….
Irgendwas stimmt mit den Markierungen nicht…
Wir gaben Gas, sicher ist sicher. Es dauerte. Irgendwas stimmt mit diesen Angaben nicht. Am Ende lag die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Die Erleichterung war groß, das Staunen ebenso: Geräumige und vor allem blitzsaubere Holzhütten, liebevoll hergerichtete, überdachte Grillstellen, eine Aussichtsterrasse mit Bänken, akzeptables Plumpsklo und tatsächlich: Duschen.
Im ersten Moment gewöhnungsbedürftig, weil man sie sich mit dem ein oder anderen Tier teilen muss, der Raum einigermaßen dunkel und für Spinnennichtliebendegunden bedrohlich eng war (man kennt ja die Mutantenspinnen, die plötzlich aus den Ritzen herauskrabbeln, einen noch kurz anschauen und während man noch vor Todesschreck schreit, loshüpfen und einen auffressen) – aber im Ernst: DUSCHEN!! Bei Bedarf könnte man das Wasser gar warm machen und WARM DUSCHEN. Wir waren einigermaßen begeistert und nutzen die Einrichtung sofort.
Good old Nescafé!
Danach? Das Ritual, das auf jeder anständigen Trekkingtour dabei sein muss. Etwas, auf das man sich freut. In Neuseeland war das bei mir eine Tasse Milch (aus Milchpulver, ich weiß auch nicht, was mich damals geritten hat?), hier in Südafrika war es eine Tasse Nescafé. Im heimischen Büro der sichere Tod unter den Kaffees, hier nach vielen Stunden Wald, 32 Grad und schwerem Rucksack das Highlight des Lebens überhaupt. Eine Tüte Blaband-Trekkingnahrung (extreeem empfehlenswert!) später fielen wir auch schon ins Bett. Wir wollten morgen möglichst früh starten, die Hitze heute war uns eine Lehre. Und das Gewittersymbol auf der Wetterprognose (ja, hier gibt es überall – überall – Internet) sowieso.
Diese Ausrüstung war mit dabei:
(Eine Vorstellung besonders hilfreicher Produkte auf dem AMATOLA-Trail gibt es hier)
Etappe 2
Fünf Uhr. Große Motivation. Nach einer knappen Stunde ließen wir die hübsche »Gwiligwili«-Hütte hinter uns und wanderten anfangs noch auf herrlichen Pfaden durch den morgendlichen Wald. Diese Geräusche! Am ungewohntesten waren sicher die kleinen Falter, die wie Sirenen schrillen – perfekt getarnt sitzen sie irgendwo an den Bäumen und machen einen Lärm, der in Deutschland schlichtweg verboten wäre.
Es wurde heiß, die Kilometer flogen immer langsamer an uns vorbei. Unwegsamer wurde es, die Hitze immer unbarmherziger. Immerhin war das Wasser bis jetzt kein Problem – zahllose Bachläufe querten unseren Weg. Immer wieder säumten sagenhafte Lookouts den Pfad und ermöglichten einen Blick hinaus aus dem Wald und hinunter auf die umliegende Landschaft. Wir waren inzwischen weit oben, die Aussicht war tatsächlich sensationell.
Angriff der Mutantenspinnen!
Der Zeitplan lag noch einigermaßen gut und so genossen wir eine ausgiebige Pause an einem der Aussichtspunkte. Schlummern, futtern, fotografieren… Gut so, denn was dann kam, brauchte unsere Nerven: Der Trail war teilweise zugewachsen, unendlich viele Spinnennetze überspannten den Weg und warteten nur darauf, sich um unsere Gesichter zu legen. An sich nicht bedrohlich, aber Ihr könnt’s Euch ja denken: Man weiß ja nie, ob eine der Mutantenspinnen unentdeckt in einem der Netze saß und kankra-esk einen im nächsten Moment einwickeln, betäuben und fressen würde…!
Die beste Verteidigung in dem Fall war wild mit den Trekkingstöcken* zu wedeln. Überhaupt waren wir froh, die Stöcke dabei zu haben und wollten sie nicht mehr missen, weder bei den steilen Passagen bergauf, bei den rutschigen Wegen, bei dem Gestrüpp, das zur Seite geschoben werden will (später dann noch ein Meer aus Dornen, aber ich will ja nicht zu viel verraten..) und natürlich ganz besonders hier im Kampf mit den Kankras nicht.
Durch verwunschene Wälder
Das Wasser wurde bei der Hitze dann doch irgendwann knapp und die Gewitterwolken, die sich am Horizont auftürmten, drangen uns zur Eile, während wir gleichzeitig kaum vorankamen. Bei der ersten Wegvariante entschieden wir uns für die sicher weniger schöne, dafür kürzere, um möglichst noch vor dem Gewitter die Hütte zu erreichen. Durch Baumplantagen (jap…), verwunschene Urwälder und vorbei an riesigen Grashüpfern ging es immer weiter, die Etappe kam uns jetzt schon deutlich länger vor, als in der Wegbeschreibung angegeben. Am Ende waren es laut GPX-Track tatsächlich einige Kilometer, aber vor allem erhebliche Höhenmeter mehr. Das ständige Bergauf- und Bergab schien in der ursprünglichen Beschreibung nicht ganz berücksichtigt worden zu sein.
Wo ist die Hütte?!
Immerhin schickte uns das Gewitter nur sein bedrohliches Grollen. Zumindest bis jetzt – kurz vor der Hütte. Oder besser: direkt in der Hütte? »Dontsa-Hut: 300 m«, war noch auf einem Wegweiser gestanden, seit Minuten war aber weit und breit nichts zu sehen. Wir erreichten eine Forststraße mit Lichtung, aber keine Hütte, nur das Schild, dass die Etappe hier zu Ende sei. Again: WTF?! Wir waren ratlos, etwas genervt, brutal hungrig und maximal motiviert, endlich aus den Stiefeln zu kommen und den Rucksack abzusetzen. Etwas widerwillig liefen wir den Anfang der nächsten Etappe und wurden tatsächlich bald fündig. Und wie fündig! Wieder eine großartige Hütte auf Stelzen, geschützt unter riesigen Bäumen, dazu geflieste Duschen, eine riesige Veranda, wieder eine schöne Grillstelle. Halleluja!
Erleichterung. Zufriedenheit. Größte Vorfreude auf Umziehen-Kaffee-ESSEN-ruhen. Das schöne am Trekking ist sicher das Ankommen, das wurde mir an diesem Tag mal wieder bewusst. Es ist diese Reduktion aufs Wesentliche, die glücklich macht. Die kleinen Dinge verursachen plötzlich die größte Freude – da machen Kleinigkeiten wie ein Stück Schokolade oder die Gewissheit, heute nicht mehr weiter gehen zu müssen, mindestens ebenso tiefe Freude wie wenn man sich zu Hause ein neues Auto oder eine teure Jacke leistet. Es zählen andere Dinge.
Gipfel voraus!
Um Gas zu sparen, machten wir ein Feuer (Holz liegt bereit, man muss es nur noch mit den Überresten einer Axt verkleinert bekommen) und während der Regen auf unser Hüttendach prasselte, begutachteten wir unsere nächste Etappe: Gipfel! Endlich auf einen Gipfel und über ausgedehnte, grasige Bergrücken. Das klang nach Rundumaussicht! Mit Vorfreude und der ersten Dämmerung fielen wir in einen tiefen Schlaf.
Etappe 3
Hitze. Schon eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang. Steil. Heiß. Müde. Und der Rucksack wird auch nicht recht leichter…! Als wir endlich den steilen Wald verließen, grillte uns die Sonne auf dem grasigen Plateau. Von der wunderbaren Weitsicht konnte das aber auch nicht ablenken – endlich konnten wir ausgiebig aus-, weit- und tief blicken! Wie schön es hier ist! Wir passierten abermals sagenhafte – und ich meine damit wirklich: SAGENHAFTE – Wasserfälle, entdeckten Flusskrebse, erkletterten kleine Felsriegel, lachten, alberten und waren motiviert für die Gipfeletappe.
Das Wetter schien gut, die Gliedmaßen machten ganz gut mit. Und dann? TEMPORARY CLOSED. Einfach so. Ein Schild, mitten im Weg. Gewissenhaft eingerammt, nichts, was nur für ein paar Tage hier stand. Temporary?! Wir waren kurz davor, uns zu widersetzen, blieben am Ende aber doch vernünftig. Dann nehmen wir eben bei der nächsten Weggabelung den längeren Weg, der durch »imposante Wasserfälle bestechen« soll. Bestimmt auch nicht schlecht!
Alles bisschen größer hier…
Statt über den aussichtsreichen Gipfel ging es durch völlig verrückte Riesen-Blumen-Sträucher, abermals vorbei an zahlreichen Wasserläufen, durch verwunschene Wälder und nebeldurchzogenes Buschland. An Vielseitigkeit muss dieser Trail erst mal überboten werden! Der Nebel kam aber nicht von ungefähr, als wir wieder freies Gelände erreichten, hing die Wolkendecke tief. Regen drohte. Wir legten einen Zahn zu, denn selbst unserer vagen Karte nach hatten wir noch ein gutes Stück vor uns. Wir wurden stiller, machten auf den gut ausgetretenen Pfaden endlich etwas Strecke. An der besagten Weggabelung entschieden wir uns abermals gegen die längere Variante, es tröpfelte bereits und die Passagen im Wald würden bei Nässe sofort zu Rutschpartien werden, das konnten wir uns denken. Die letzten zwei Stunden ging es dafür auf Forststraßen durch dichten Nebel, der Regen prasselte auf unsere Kapuzen, während wir mit etwas langen Gesichtern stoisch Fuß vor Fuß setzten.
Lost
Nach jeder Biegung erhofften wir die Hütte, stattdessen verloren wir in diesem Forststraßengewirr ein weiteres Mal den richtigen Weg. Die letzten paar hundert Meter verliefen durch hohes Gras, was den bis jetzt noch einigermaßen trockenen Schuhen den Rest gab. Und dann plötzlich tauchte sie mitten aus dem Nebel auf: Unsere Hütte.
Müde. So müde! Immerhin konnten wir auf den letzten Kilometern zügig laufen – irgendwie auch eine Wohltat nach den Tagen auf eingewachsenen Trails. Zu faul zum Wasserholen verließen wir uns auf die Regentonnen direkt vor der Hütte und fielen nach Kaffee und Abendessen direkt ins Bett. Wieder: Vorfreude.
Wir hatten „Gipfelfest“ – die Hälfte des Trails war geschafft. Morgen noch eine kurze Etappe, nur 15 Kilometer und 700 Höhenmeter, noch dazu über einen aussichtsreichen Kamm, an dem wohl Adler hausen! Wir beschlossen, morgen einmal etwas länger zu schlafen und die Sache gemütlich angehen zu lassen. 15 Kilometer – das war ein Drittel weniger als die meisten anderen Etappen. Das machen wir easy in einem halben Tag! In einem halben Tag? Wir lagen ja so falsch…
Fehleinschätzung
Es muss das Wasser gewesen sein. Immer wieder spurten wir in der Nacht hinaus, Durchfall plagte uns. Noch dazu prasselte der Regen auf das Hüttendach, die Wetterprognose für den nächsten Tag sah nicht gut aus… Den ersten Wecker ignorierten wir, das Frühstück – als wir denn endlich wieder etwas Appetit hatten – zogen wir absichtlich in die Länge. Wir hatten uns elf Uhr als späteste Startzeit festgelegt – mit großer Hoffnung, dass das Wetter bis dahin noch besser werden würde. Die Hoffnung wurde enttäuscht und so liefen wir in voller Regenmontur in Richtung Gipfel. Abermals entschlossen wir uns für die kurze Variante, bereits in der Hütte wurde gewarnt, dass der Weg entlang des Kamms bei Nebel und Regen nicht zu empfehlen sei. Wir gingen langsam, waren etwas schwach von der Nacht.
Schon fast geschafft!
Dennoch lief der Aufstieg gut, den höchsten Punkt zelebrierten wir mit ausgelassener Stimmung – ab hier geht’s nur noch runter. Bald sind wir an der nächsten Hütte! Wir trödelten, genossen die trockenen Zeitfenster, bestaunten diese unberührte Landschaft. Es war kurz nach Mittag, laut Karte war es nur noch den Berg hinunter, am Bach ein wenig entlang und schon waren wir da. Der Weg zog sich, immer wieder ging es Flanken hinab, die von oben wild und gruselig aussahen. Da runter? Am Ende löste es sich immer gut auf, trotz der rutschigen Wege.
Das schaffen wir nie.
Flanke nach Flanke stiegen wir immer tiefer ins schmal eingeschnittene Tal, von dem wir niemals erwartet hätten, dass der Weg dort verlaufen würde. Wir trödelten weiter, wähnten uns in Hüttennähe. Und plötzlich tauchte ein Wegweiser auf. Sieben Kilometer bis zur Hütte. Wir waren…. wie soll man sagen? Entsetzt. Nicht, dass uns das längere Laufen allzu sehr belastet hätte, aber diese „7 Km“ würden bedeuten, dass wir nochmals so lange laufen würden, wie wir bereits unterwegs waren. Die Rechnung war eindeutig: Das schaffen wir niemals vor Sonnenuntergang.
Düstere Erinnerungen
Ich bekam es mit der Angst zu tun – mein Erlebnis vom verlorenen Weg in der Dunkelheit samt Rettungseinsatz im vergangenen Jahr kam sofort in Erinnerung. Als könnte man den düsteren Bildern von damals davonlaufen, hasteten wir die steilen, pitschnassen Pfade entlang, rannten an unfassbar schönen Wasserfällen vorbei, ignorierten den malerischen Bachlauf in diesem unglaublich schönen Wald. Was wäre es hier schön bei gutem Wetter und mehr Zeit? In der Wegbeschreibung stand schon, dass man sich für diese Passage viel Zeit einplanen solle, weil man so herrliche Baden könne.
Unfassbar schöner Wald
Unser Sinn stand uns in dem prasselnden Regen so gar nicht nach planschen, deutlich eher nach einem verspäteten Sonnenuntergang. Immer wieder die Bilder von damals, immer wieder der Gedanke, was wäre, wenn wir in diesem dichten Wald mit Stirnlampen navigieren müssten. Gefühlt querten wir hundert Mal den Bachlauf, der wegen des vielen Regens angeschwollen war und uns die Passage erschwerte. Bis zuletzt versuchten wir, die – bisher nur feuchten – Schuhe zu schonen, wackelten über rutschige Steine, balancierten auf Baumstämmen. Das Tageslicht schwand in dieser engen Schlucht besonders früh, immer wieder versuchte ich auf der Karte zu erkennen, wo wir etwa waren. Bei der hundertundersten Bachquerung verloren wir beide die Nerven und wateten rücksichtslos durch den Bach.
Fallende Steine
Wo ich vorher noch meinte, meine Schuhe wären ohnehin langsam nass, spürte ich sofort, wie falsch ich damit lag. Und während ich mich noch über das ganz neue Gefühl in den Schuhen ärgerte, kam sie plötzlich in Sicht: Die Hütte. Keine hundert Meter entfernt stand sie auf einer Lichtung, die Wolkendecke knapp über ihr. Unschuldig, irgendwie. Wo wart ihr denn?!, flüstert sie.
Noch selten ist mir ein so dermaßen großer Stein vom Herzen gefallen, die Erleichterung tat so unendlich gut. Die dunklen Bilder von damals verpufften, ich fühlte mich urplötzlich unendlich leicht und gleichzeitig unendlich erschöpft.
Wir füllten noch alle Wasserbehälter auf, um bloß heute Abend nicht nochmal vor die Tür zu müssen, eroberten uns die Hütte, entledigten uns all den nassen Klamotten und sanken einigermaßen unvermittelt in einen tiefen, beruhigten Schlaf. Was für eine Tour! So falsch lagen sie womöglich mit ihrem »härtester Trail Südafrikas« nicht! Dass wir die Etappe so dermaßen falsch einschätzen konnten, kommt mir bis heute spanisch vor. 15 Kilometer, knapp 1.000 Höhenmeter? In den Alpen läuft man sowas in wenigen Stunden. Hier aber bei all dem unwegsamen Gelände, den rutschigen Pfaden, dem schweren Rucksack und den zahllosen Bachquerungen offensichtlich nicht. Nochmal wird uns das nicht passieren…
Ein Kampf: Etappe 5
Der vorletzte Tag. Nur noch heute, dann noch morgen und dann würden wir direkt in die Badewanne an der Klippe fallen. Pizza essen. Den Trail begießen. Frische Klamotten tragen und offene Schuhe! Zunächst aber hieß es abermals: Rein in die nasse Kleidung, Regenzeug an. Es regnete abermals. Meine Füße schmerzten von gestern, Kathrin kam besser zurecht, ihre Nicht-Gore-Schuhe trockneten deutlich schneller und überhaupt ist sie nun mal der Trekkinghase.
Berge!
Der herrliche, wilde Regenwald raubte immer wieder unseren Blick, während wir uns langsam in Richtung Berge hocharbeiteten. Während wir die letzten Bäume hinter uns ließen, kam endlich die Sonne raus. Was für ein Fest! In diesem offenen Gelände kamen wir gut voran, nur die zahlreichen Bewuchsgürtel mit garstigem Dornengestrüpp würzten auch diese Etappe – es soll hier offensichtlich auf keinen Fall mal „einfach“ werden! Wir genossen die Sonne, machten Pause. Wir waren mit dem Sonnenaufgang losgelaufen – ein Zeitproblem sollten wir heute nicht mehr bekommen.
Wir überschritten unseren ersten Kamm mit Aussicht, durchwanderten ein herrliches Hochtal mit kleinen Wasserkaskaden und freien Blicken. So schön. Und genau das richtige für all die Mühe der letzten Tage. Ich versuchte mit allen Mitteln, Schuhe und Socken einigermaßen trocken zu bekommen, die Füße schmerzten wie selten in meinem Leben. Immer mühsamer wurde es, aber die abwechslungsreiche Natur entschädigte aber noch für einiges.
Unzerstörbar, dieses Fräulein
Kathrin hüpfte fröhlich und top motiviert voraus, einzig die Passagen bergauf konnten sie ein wenig bremsen. Es ist cool zu sehen, wie unterschiedlich Menschen auf Umstände reagieren. Ob es bei mir nur an den nassen Schuhen lag? Das letzte Stück, das steil und teilweise mehr kletternd als laufend hinunter zur Hütte verlief, war dann wieder ganz nach meinem Geschmack und nur kurze Zeit nach unserem Einlauf in der Zingcuka-Hütte verfiel ich in einen herrlichen Mittagsschlaf. Ein Geräusch weckte mich. Stetig. Lauter werdend. Inzwischen altbekannt: Regenprasseln.
Finale: Etappe 6
Es prasselte. Die Nacht über. Im Morgengrauen. Und auch beim Frühstück. Die Wetterprognose hatte eine Besserung im Laufe des Morgens vorhergesagt, nur sahen wir davon nichts. Die Wegbeschreibung in der Hütte wies mehrmals darauf hin, dass man die Gipfeletappe über jenen Berg, den wir von unserem Hostel aus gesehen hatten, nicht bei Nebel und Nässe machen solle. Zu groß das Risiko, sich zu verlaufen oder auf dem Felsband abzustürzen. Wir waren unentschlossen, weil hoch motiviert, zumindest die letzte Etappe noch vollends zu laufen. Auf das Hostel hinunterzublicken, von oben hinab bis zum Zielpunkt zu laufen, das wollten wir uns nicht entgehen lassen!
Bei der Abzweigung gewann ein weiteres Mal die Vernunft – ein Gipfel im Nebel und Dauerregen, macht das Sinn? Stattdessen wanderten wir nahezu ebenerdig direkt auf unser Hostel zu, wir waren enttäuscht. Und gleichzeitig glücklich, denn immerhin hatten wir den Weg durchgezogen, auch trotz des teilweise schlechten Wetters.
Hätte schlechter sein können
Und ganz so schlecht war es auch nicht – vier von sechs Tagen waren zumindest teilweise sonnig, wir hatten einfach nur Pech mit den Gipfeletappen! Das ist eben „Natur“. Und während wir noch in Erinnerungen der letzten Tage schwelgten, tauchte vor uns plötzlich das Schild auf: CONGRATULATIONS! Wir waren am Ziel. Wir haben dieses kleine Gebirge mitten in der Provinz Eastern Cape aus eigener Kraft durchquert. Hatten eine völlig neue Vegetation entdeckt und nicht zuletzt ein Stück weit uns selbst. Zufriedenheit machte sich breit. Und vor allem: Vorfreude auf die Vorzüge unserer Zivilisation.
Der Amatola-Trail
Das Amatola-Gebirge ist ein kleiner Gebirgszug, der als Wasserspeicher der Region dient. Südafrikas älteste Urwälder säumen die bis zu zweitausend Meter hohen Gipfel. Die Durchquerung dauert 6 Tage, die Wege sind bestens markiert, GPX-Tracks oder einen eingezeichneten Weg in einer digitalen Karte sucht man allerdings vergebens. Geschlafen wird in großen, überraschend sauberen Hütten, die über 20 Betten bieten. Kochgeschirr, Essen und Schlafsack müssen mitgebracht werden, einzig eine Isomatte braucht es dank der Matratzen nicht. Die Etappen sind meist rund 20 Kilometer lang, Höhenmeter wollen jeden Tag rund 1.000 geschafft werden. Es gibt meist Alternativen für schlechtes Wetter oder müde Beine, was die Sache manchmal leichter, aber eben doch nicht ganz leicht macht. Immerhin ist die Orientierung nirgends ein Problem: Findet man für 100 Meter keine Markierung, ist man höchstwahrscheinlich irgendwo falsch abgebogen. Ebenso problemlos ist das Wasser: Der Weg führt an zahllosen Bachläufen und riesigen Wasserfällen vorbei, ein kleiner Vorrat von einem halben Liter hat für uns meist sehr gut gereicht. Bei niedrigem Wasserstand kann sich das aber ändern. Letzter Tipp: Das Wasser aus den Regentonnen an den Hütten besser nicht allzu naiv trinken, besser abkochen oder reinigen.
Links:
Blogartikel von Fräulein Draußen
Offizielle Trail-Website
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Eastern Cape
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3 Comments
Kankraeske Mutantenspinnen. Da weiß ich schon, wem ich diese grandiose Tour als nächsten Urlaub vorschlagen werde haha :-). Macht Laune und Lust, sich das mal anzuschauen. Toll geschrieben! Mit euch auf Tour, stelle ich mir lustig vor.
Bin durch Zufall auf den Artikel gestoßen. Wirklich beeindruckend! So weit war ich persönlich noch nicht, aber klingt spannend. Sonst verbringe ich meine Urlaub eher in Aktivhotels in Südtirol
Hallo Erika,
Du solltest mal über das Format „Comedy“ nachdenken. Eine Geschichte im Comedy-Stil wäre sicher auch lustig zu lesen.
Oder noch reißerischer… 😉
Viele Grüße,
Bernd