Warten ohne Aussicht (Arbengrat/Obergabelhorn)

August 24, 2017

»Anspruchsvollste«, »schönste«, »lange« Tour, »bester Fels« von ganz Zermatt… Die Superlativen lasen sich interessant. Auch die Wettervorhersage ließ sich sehen: Zwölf Stunden Sonne, keine Spur von Gewitter, mehrere Tage lang. Statt dieser Versprechungen bekamen wir: Nebel, Wind, hoffnungslosen Stau und einen entnervter Abbruch.

Weil seine Fingerverletzung weiterhin kein ordentliches Klettern zulässt, musste irgendetwas anderes her. Das Wetter wurde einfach zu gut! Wir einigten uns auf die Kombi Arbengrat (Obergabelhorn) und Rothorngrat (Zinalrothorn), immerhin sagte zu letzterem niemand Geringeres als Ralf Gantzhorn, dass der das Schönste war, was ihm jemals untergekommen sei. „Wenn ich nur einen einzigen Gipfel dieser Alpen besteigen dürfte, es wäre das Zinalrothorn über den Rothorngrat“. schreibt er in dem Buch »Himmelsleitern«. Der Mann muss es wissen. 

Matterhorn, Matterhorn!

Nach den ersten Kulturschock über das Treiben in diesem Tal flüchteten wir zu Fuß aus Zermatt. Wir wählten den Höhenweg, der zwar mehr Aufstiegsmeter, aber dafür auch eine schönere Aussicht versprach. Schöne Aussicht ist aber immer subjektiv, denn den Blick über endlose Liftanlagen und kaputten Ex-Gletscherhänge muss man wohl einfach mögen. Aber klar, das Matterhorn. Das Matterhorn! Das hatte man natürlich immer vor der Nase. Ein schöner Berg!

Harscher Empfang

Nach einigen Stunden kam das Obergabelhorn in den Blick, auf den letzten 800 Höhenmetern sahen wir immer wieder einzelne Seilschaften zum Biwak aufsteigen. Naja, ein paar Seilschaften an einem Montag, das passt schon! Wie naiv. Die letzten Meter über den Klettersteig zum Biwak liefen wir auf eine weitere Gruppe auf, von der einer plötzlich Gas gab und zum Biwak eilte. Will der etwa Betten reservieren?

Tatsächlich. Aber auch er kam zu spät. »Wer zu spät kommt, schläft draußen!« so der Willkommensgruß eines Kollegen. Ach wie nett. Bisher waren wir rund 20 Personen, bei 15 wirklich breiten Matratzen wäre das mit etwas Wille überhaupt kein Problem gewesen. Das erste Mal während dieses Ausflugs dachte ich daran, einfach umzukehren. Ist es das wert? 

Auch nette Menschen

Wir kochten erstmal, entdeckten ein Pärchen, das ich an der Wildspitze kennen gelernt hatte. Nach ein paar Sätzen wurde klar: Auch die Jungs kennen sich über Ecken. Wie selbstverständlich überließen sie uns eine ihrer Matratzen. Ein erster Lichtblick. Die zwei hatten die Südwand vor, eine äußerst sinnvolle Idee in Anbetracht von gut zehn Seilschaften am Arbengrat. Wir hatten dafür aber nicht das passende Seil und schmiedeten den Plan, einfach eine Stunde nach den allerletzten los zu gehen. Das Wetter sollte bis abends ideal sein, was sollten wir uns stressen. Und so wäre es schon wärmer.

Ein Frühstücksei bitte!

Morgens um vier begann das Chaos, bis um sechs hatten auch die laut plappernden Spanier das Quartier verlassen. Zeit für uns, allein im Biwak erstmal gemütlich mit Nutella, Marmelade (an der Ausstattung lässt sich wirklich nicht meckern ;-)), ein paar Tassen Tee und ein bisschen (selbst mitgebrachten) Nusszopf zu frühstücken. Der Blick aufs Matterhorn im Morgenlicht konnte schon was!

Steinschlag, Stau und Nebel

Gegen sieben starteten wir gemütlich, eine Stunde später überlebten wir unversehrt den Steinschlag, der oben ausgelöst wurde. Eine weitere Stunde später kam, was wir mit dem späten Start umgehen wollten: Stau. Und was für einer. Windgeschützt hinter einem Block warteten wir eine gute weitere Stunde, bis auch die letzte Seilschaft in der Schlüsselstelle hing. Aussicht gab es keine zu genießen, Nebel hüllte den Gipfel zuverlässig ein. Schade, Sonne und Aussicht hätten das Warten deutlich gemütlicher gemacht.

Eigentlich genüssliche Kletterei

Irgendwann verließ uns die Geduld, ich krabbelte in Richtung Überholmanöver. Ungern, überholen ist einfach immer ungut. Die Kletterei dennoch war herrlich, hier ein Friend, dort eine Schlinge und immer, wenn der Gurt komplett leergeräumt war, Wechsel der Führung. Recht unvermittelt standen wir am Gipfel, der ohne den Nebel wahrscheinlich ein wirklich traumhafter Aussichtsberg wäre.

Mal wieder warten

© Michi D.Während wir eine weitere Stunde im Windschatten aufs Abseilen warteten, stiegen Martin und Valerie gerade aus der Südwand aus. „Unten gut, oben brüchig! Und teilweise ganz schön harte Vierer!“, meinte der Bergführeranwärter. Zur Ermunterung gab’s eine Hand voll aus unserer prall gefüllten Futtertüte, bevor wir uns endlich auch ans Abseilen machen konnten. Oder es zumindest versuchten, denn auch hier herrschte an jedem Stand Stau. Warten im Wind. Im Nebel. Toll dieser Viertausendertourismus.

© Michi D.

Und plötzlich kamen wir voran

An der Firnschneide ging’s vorbei an fliegenden Steigeisen, am folgenden Felszacken überholten wir zwei weitere Kollegen, die Wellenkuppe bot einen surrealen Anstieg im halben Whiteout, die Abseilerei hinunter gelang dann plötzlich »allein am Berg« rasch.

Und plötzlich gar mit Sicht!

Mit den ersten Schritten auf dem Gletscher in Richtung Rothornhütte konnten wir das erste Mal seit sechs Stunden wieder etwas sehen. Vorbei an imposanten Riesenfelsklötzen, die erst kürzlich (womöglich heute?) aus den Flanken der Wellenkuppe auf unseren Weg gepoltert sein müssen, ging es in einer letzten Etappe bis zur Rothornhütte.

Wollen wir das nochmal?!

Zeit, unseren Plan zu überdenken. Nochmal so ein Chaos? Wollen wir das? Das Wetter würde angeblich perfekt werden, aber haben wir noch Lust? Eine Tour nur zu machen, damit man sie gemacht hat? »Weil wir schon mal da sind«? Nein! Wir wollen klettern, nicht im Stau stehen. Sicher, wir hatten einfach auch Pech mit dem Wetter, da macht Warten keine Freude (das war in der Comici z.B. ganz anders), aber dieser Stress war der gleiche wie damals am Grundschartner. Da bleibt keine Freude, nur das Häkchen hinter einer weiteren Tour. Für uns kein Antrieb. »Wir steigen ab«.

Von 4000 auf 1.600

Valerie und Martin haderten ebenfalls, entschieden sich aber – sicher ebenso richtig – für die weitere Tour. So verschenkten wir unsere Hüttenreservierung, packten unsere Sachen und stiegen die restlichen 1.600 Höhenmeter zurück ins Tal. Ein völlig überteuertes, aber eben auch völlig übertrieben leckeres Crêpe und einige surreale Zermatt-Eindrücke später saßen wir wieder vor unserem Caddy, futterten, was das Auto so an Essen hergab und versanken in einen tiefen Schlaf.

Viertausender? Nein Danke.

Mit mehr Wetter- und Verkehrsglück ganz bestimmt eine schöne, abwechslungsreiche Tour. Für Leute, die entspannte Kletterei in der Einsamkeit der Berge suchen, aber wohl nicht wirklich das Richtige. Da hatten wir einfach falsche Erwartungen. Hätte man sich denken können, aber dazu fehlt uns wohl die Viertausendernormalweg-Erfahrung. Schade. Aber man lernt nie aus!

 

Diese Ausrüstung war mit dabei:
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)

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6 Comments

  • Reply Christian Schröder August 28, 2017 at 4:05 pm

    Liebe Erika,

    ich mag‘ die erfrischende Art und Weise wie Du schreibst. Sehr sogar.

    Hattest beim verfassen dieser Textzeilen aber wohl nicht Deinen besten Tag. Es liest sich für mich etwas selbstgefällig.

    Als schnelle Seilschaft, und so schätze ich Euch ein, hättet ihr damit rechnen können, irgendwann auf die anderen aufzuschließen. Und selbst der beste Alpinist hat schonmal Steine losgetreten. Es liest sich fast so, als wäre eine Heerschaar „Volldeppen“ vor Euch unterwegs gewesen.

    Ich denke, spätestens am Rothorngrat hätte sich die Anzahl der Anwärter wieder ausgedünnt und ihr beiden hättet diese Tour nicht mit so vielen anderen Seilschaften teilen müssen.

    Und sorry: Wer sich auf den Weg nach Zermatt macht, erst Recht im August, muss nicht über zu teure Creps und das sonstige Treiben dort den Kopf schütteln, sondern damit rechnen und es akzeptieren. Oder halt woanders hinfahren.

    Freue mich trotzdem auf Deine nächste Story, bin ja ein treuer Leser Deiner Artikel 😉

    Christian

    • Reply ulligunde August 30, 2017 at 8:54 am

      Hi Christian,

      du hast bestimmt Recht – aus Sicht eines erfahrenen Viertausenderaspiranten müssen unsere Fehler naiv wirken. Im Nachhinein erst recht, schließlich ist man da immer schlauer. Wir hatten mit 13 Stunden Sonne gerechnet und hatten auf gemütliches Kraxeln am warmen Fels mit schöner Aussicht gehofft, da hätte Warten auch nichts gemacht. Warum mitten in der Nacht den Grat inmitten eines Pulks begehen, wenn man tagsüber doch viel mehr sieht und genießen kann? Vielleicht auch naiv. Macht nichts, wir haben gelernt, was alle anderen, die häufiger auf Normalwegen unterwegs sind, scheinbar alle schon wissen. Nächstes Mal sind wir schlauer. Und gehen keinen Normalweg mehr.
      LG
      Erika

  • Reply Dani August 31, 2017 at 10:59 pm

    Das mit dem Nebel ist Pech, weil sonst wäre euch das Warten sicher komplett schnuppe gewesen und ihr hättet einfach chillig den Tag genossen.

    Aber Steigeisenschmeissende Spanier… geleck… das ist natürlich unlustig…
    Mir ist unlängst am Dom ein Eispickel beim Abseilen von oben in vollem Zunder nachgeflogen. Hab ihn gottseidank mit den Händen gefangen, nicht mit dem Kopf oder so… da hab ich mich aber auch gefragt: muss das sein?
    Normalwege hinauf hin oder her, runter geht man ja dann oft doch über sie…

    Also mir kam es bei den einigen unserer letzten Touren schon leider so vor: von 50 Normalwegaspiranten, sollten doch 20 mindestens nochmal ein bisserl a) das gehen üben b) abseilen üben c) Umgangston üben.
    Aber das mit Punkt c) hat man wohl überall im Leben. 😉

    Lg aus Sbg

  • Reply Peter September 3, 2017 at 8:22 am

    „Ich würde gern in der Ferienzeit nach Paris auf den Eifelturm, aber bitte ohne die ganzen doofen Touristen…“
    Sorry, konnte den Artikel echt nur kopfschüttelnd lesen.
    Und 2 Dinge, die Profibergsteiger (und das seid ihr anscheinend) nicht vergessen sollten:
    Erinnert euch, wo ihr herkommt! Nicht jeder hat die Steigeisen schon während dem Weg in den Kindergarten getragen, jeder hat mal klein/ langsam angefangen!
    Und wenn jeder Hüttenwirt nur auf die erlesene kleine Menge von Profis warten würde, die in ihrem Urlaub Worte wie effizient statt gemütlich usw verwenden, gäbe es ganz sicher weniger Hütten und wesentlich schlechtere Infrastrukur in den Bergen. Und davon profitiert ihr doch sicher auch mal….. ich weiss nicht ob Messner auf seinen ersten harten Touren durch die Alpen Nutella auf Hütte geniessen durfte…;-)

    • Reply ulligunde September 3, 2017 at 9:37 am

      Hi Peter,

      da hast du unsere Fehleinschätzung direkt in Deinem ersten Satz schon richtig erkannt: Eiffelturm. Wir hatten schlichtweg etwas falsche Erwartungen – sowohl was den Andrang an einem Montag anging, als auch an das Wetter. Man lernt nie aus!
      LG,
      Erika

  • Reply Hermann Juni 15, 2019 at 2:37 pm

    Schade für euch. Ich war 1 Jahr später auf dem Obergabelhorn, allerdings über den Normalweg. Höchstens zwei Seilschaften und super Wetter. Einer der schönsten 4000er in den Schweizer Alpen. Meistens gehört einfach ein bisschen Glück dazu. Auf den meisten Touren in der Schweiz sind mit nur wenige Gesellschaften begegnet. So 3 bis 4.
    Ich freue mich auf weitere Berichte

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