Der Vergleich mit anderen

Mai 15, 2017

Gedanken…

Da hänge ich mal wieder. Während um mich herum alle ganz entspannt und völlig angstbefreit durch die Routen cruisen, ringe ich mit mir und meiner lieben Angst. Das Mädel da drüben steigt einfach so in die 7c mal ein, der Typ vorher hat mein Projekt zum Warmmachen geklettert. Angst?! Wie?! Wovor denn?

Ich hingegen muss mal wieder bei jedem Haken all meinen Mut sammeln, muss mich überwinden, den nächsten, so weit entfernten Haken anzuklettern. Weshalb fällt es allen anderen so leicht?

Oder Facebook. Gestern Glockner, heute Ortler, morgen Dufour die einen, mal eben locker flockig den Grundschartner dort. Klar, in Bergschuhen und größtenteils ohne Seil, alles andere ist schließlich auch lächerlich. Und morgen den Mordor, ist ja nur WI5, das geht bestimmt. Bin ich die einzige, die zweifelt, sich fürchtet, nach einer großen Tour erstmal gern ein bisschen entspannt?

„Niemand ist besser oder schlechter, nur anders“. Der Vergleich mit anderen liegt in der Natur des Menschen. Nicht wirklich gewollt, aber so sind wir nun mal. Dabei gibt es zwei Arten des Vergleichs zur Auswahl. Der „eher positive“, in dem man durch andere inspiriert ist. Motiviert. Irgendwie auch sich selbst degradiert, voller Sehnsucht. „Das würde ich auch gerne können!“. Der negative Vergleich degradiert andere, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Statt Sehnsucht spielt eher Neid, Missgunst und eine elitäre Haltung eine Rolle. So mancher Kommentar nach unserer Bergrettung schlägt durchaus in diese Kerbe.

Oft vergleichen wir uns einfach mit den falschen. Ist man viel mit starken unterwegs oder folgt ihnen in den sozialen Medien, erscheint die eigene Leistung nichtig. Kommen dann noch Athleten zu Wort, die es als lächerlich bezeichnen, wenn man statt selbst Erstbegehungen zu machen, bekannte Dinge nachmacht, wird die Sache nicht leichter.

Der Vergleich hat gerade im Bergsport fast immer etwas mit Leistung zu tun. Ein Schwierigkeitsgrad, die Flinkheit, wie manche sich in ausgesetztem Gelände bewegen oder deren Schnelligkeit. Leistung ist aber gar nicht das, was den Bergsport für viele ausmacht. Es geht – womöglich eine eher weibliche Einstellung – um das Erlebnis, um die Landschaft, um eine gute Zeit mit dem Bergpartner. Und diese guten Momente können in einer leichten Genuss-Kletterei genauso entstehen wie in einer schweren Klettertour am Limit. Der Stolz, etwas am Limit geschafft zu haben, ist natürlich intensiv. Die Freude über großartige Griffe, tolle Ausblicke, guten Schnee oder ausgiebiges gemeinsames Lachen währt aber ebenso lange. Und ist oft weniger risikovoll.

Die sozialen Medien befeuern den ständigen Vergleich mit anderen. Jeder ist immer unterwegs, niemandem fällt etwas schwer, umdrehen tut kaum wer. Die Bedingungen sind sind eh perfekt, das Wetter sowieso. Man kommt sich inaktiv und „schlecht“ vor. Bin ich überhaupt gemacht für die Berge? Und wenn nicht, darf ich dann trotzdem hin?

Der erste Schritt zur Besserung ist sicher, den Vergleich zu erkennen. Stop! Warum vergleiche ich mich? Was genau beneide ich – oder besser: Was inspiriert mich konkret?

Ein nächster, durchaus bergsportlicher Schritt ist, es den anderen zu gönnen. Und zwar nicht nur im Stillen, sondern es aussprechend. Freude sät man durch Freude.

Und am Ende bleibt die Suche in sich selbst: Was will ICH? Welche Touren machen MIR Freude, ganz abgesehen von den virtuellen Facebook-Lorbeeren? Wie kann ich erreichen, anderen es zu gönnen, dass sie auf der Reise des Besserwerdens bereits weiter sind?

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