Platten hoch, Platten runter: Grundschartner Nordkante

September 4, 2016

Es gibt diese Touren, die ganz, ganz oben auf der Wunschliste stehen. Sie stellen alles andere in den Schatten und geben erst Ruhe, wenn man sie unternommen hat. Letztes Jahr war es die Wilde Leck mit ihrem Trümmerabstieg, dieses Jahr irgendwie der Grundschartner.

Grundschartner Nordkante. © Michi DürrDie Nordkante dieses Zillertal-Gipfels wird meist in einem Atemzug mit »Badile Nordkante« und »Fußstein Nordkante« genannt. Und die summieren wiederum unter dem Synonym »beste Granitkletterei der Ostalpen«. Der Grundschartner ist dabei aber speziell wegen seiner Länge (600 Klettermeter, kein einziger Borhaken, bis V+ oder VI+, je nach Führer) durchaus nicht ganz trivial, weshalb ich auch ziemlich Respekt vor der Tour hatte. Aber die Kombination aus langer Tour, Kletterei mit Seil und einem schönen Gipfel verspricht erfahrungsgemäß einen tollen Tag draußen in den Bergen. Ulli-dahochwill-gunde!

Der Gutschein

Jaja, dieser Gutschein… Das Damoklesschwert! Mein Partner hatte mir zu meinem Geburtstag einen Gutschein geschenkt: »Eine Tour deiner Wahl.« DEINER war dabei doppelt unterstrichen, denn während ich sehr gerne mittelschwere Kletterei an aussichtsreichen Graten mit Gipfel genieße, zieht er steile, schwere Touren mit wenig bis (gefühlt) gar keiner Absicherung vor und fällt schon allein bei dem Wort „Grat“ in einen ernstzunehmenden Schockzustand. Grundschartner Nord und Mayerlrampe vs. Grand Jorasses und Super Errectissima. Durchaus gewisses Kollisionspotenzial. Als sich diesen Sommer dann aber doch tatsächlich noch ein echtes Gut-Wetterfenster abzeichnete, wurde kurzerhand der Gutschein endlich eingelöst und wir fanden uns mitten unter der Woche mal wieder im schönen Zillertal.

Es wird wahr!

Sternenhimmel über dem ZillertalSchön war auch der Sternenhimmel, der nachts um vier über uns funkelte, während wir bei warmen Temperaturen das Frühstück verputzten. Endlich Sommer. Ende August ja dann auch irgendwann mal Zeit. Im Schein der Stirnlampen ging es steil durch frische Kuhfladen zur Bodenalm, die wir mit dem ersten Tageslicht erreichten. Erster Blick auf die Kante: Irgendwie fast schon unspektakulär, zu oft hat man dieses Bild in all den Tourenberichten gesehen. Weiter im Bachbett bis zum Talende. Rechte Rinne kurz hoch, dann links raus und über Gras bis auf 2.500 Höhenmeter. Wir also: Rinne kurz hoch, dann rechts raus. Rechts? Ups. Aber steiles Gekletter in Schmodder und durch garstigen Grünerlengürtel hat ja auch was. Kommt man schon auf Betriebstemperatur! Irgendwann doch auf freier Wiese, bis auf 2.500 hm aufgestiegen und bis zur Kante rüberqueren. Gut, das war einfach. 1500 Höhenmeter, drei Stunden bis hier her.

 

An der Kante

Die ersten Meter am Grat.Zwei andere Seilschaften hatten den Wanderweg gewählt. Der war zwar etwas weiter, aber wahrscheinlich auch nicht anstrengender. Nicht ganz blöd. Blöd hingegen, dass wir alle punktgenau gleichzeitig am Einstieg waren. So ein langer Zustieg, mitten unter der Woche, kein Mensch sonst… und dann das?! Tz! Wir ließen den anderen Seilschaften den Vortritt und legten ein gemütliches Frühstück im ersten Sonnenschein ein. Die Hoffnung, dass sich alle Teams schön aufreihen würden, platzte leider. Schon nach unseren ersten Klettermetern am Seil wurde klar, dass sich bereits an der ersten Schlüsselstelle alles knäulte.

Parallel in der Schlüsselstelle am Grundschartner.Die nachrückende, vierte Seilschaft mit dreifach gestreiftem Bergführer hatte ähnlich wie wir wenig Absicht, sich von sowas groß ausbremsen zu lassen und so begann ein eher unentspanntes Wettrennen um die besten Plätze. Oder halt irgendwelche Plätze! Zwar bietet die Kante Spielraum für Varianten, aber drei Seilschaften parallel, das ist so mittelcool, speziell in der Schlüssellänge. Michi fand das auch und legte in dem Moment, als er am laufenden Seil die Führung übernahm, einfach mal einen Zacken zu. Hieß für mich: Schluss aus vorbei mit Koalamodus, jetzt wirds sportlich.


Welche Ausrüstung ich bei solchen Touren derzeit dabei habe:
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)



Highspeed-Krabbelmodus

Krabbeltier beim Seilreibung erstellen. © Michi DürrWahrlich außer Atem folgte ich dem Meister am laufenden Seil, sammelte hin und wieder eine der vereinzelten Zwischensicherungen und Seilklemmen ein. Vorbei an dem einen Stand, vorbei am nächsten. Großartige Kletterei! Nie allzu schwer, aber auch nicht ganz easy. Mit Bergschuhen hätte ich auf einigen der Platten jedenfalls wenig Spaß. Mit Kletterschuhen dafür umso mehr. Zum Gucken blieb allerdings keine Zeit.

Anhalten und Einreihen war inzwischen keine Option Die letzten Seillängen sicherten wir.mehr, denn hinter Adidas-Bergführer folgten schon die nächsten Seilschaften. Alter Schwede, das »so oft wird die Kante gar nicht gemacht« im Tourenbericht der Wuiden Buam stimmt heutzutage wohl nicht mehr! Inzwischen waren wir sechs Seilschaften am Berg, »vergleichsweise noch wenig« laut Streifenmann. Der überließ mir direkt an der Schlüsselstelle dann völlig unerwartet den Vortritt. Ich war ganz perplex, hatte so ein Verhalten bei einem Bergführern irgendwie nicht erwartet. Mädelsvorteil!? Ich bedankte mich tausendmal, huschte vorbei und zog bald auch endlich vor Seilschaft Nummer zwei. Nummer eins war flink und so reihten wir uns endlich ein. Zwei Drittel der Tour waren da aber schon durch, etwas über zwei Stunden waren wir bis jetzt am Klettern.

Wuuuhahahahhaaaaa!!

Wie, schon Gipfel!?Ich übernahm zwischenzeitlich die Führung und musste fast lachen. Er hatte mit den paar Friends bestimmt 200 Klettermeter gemacht, bei mir war der Vorrat nach 80 Metern schon aufgebraucht. Dafür hatte ich mal wieder für ganz famose Seilreibung gesorgt. Zeitlich schenkte sich wohl auch wenig. Hach, ich bin einfach ein Koala. Er übernahm wieder, ich wieder in Highspeed-Krabbelmodus. Noch zwei schwerere Seillängen, dann würde es leichter. Vertieft krabbelte ich entlang von Rissen und Schuppen, der Fels wurde immer loser. Noch eine schwere Seillänge hatten wir vor uns.

Während ich noch grübelte, ob ich die nächste Seillänge wohl noch klettern will oder ob ich nicht einfach ihm die Führung überlassen wolle, krabbelte ich über eine Kante und sah… Das Gipfelkreuz!? Wir hatten wohl irgendwo eine der schweren Seillängen verloren, jedenfalls war Schluss mit Seil, vor uns lag nur noch etwas Geröll und dann der Gipfel! DER GIPFEL!! Grundschartner!!!! Gipfel! Raus aus den Schuhen. Gipfel!! HUNGER!! GRUNDSCHARTNER!! Pipiii!!

Da war ich schon!

Schrammacher, Olperer, Riffler... Alle da.Nach der standesgemäßen ulligundschen Ekstase, wenn a) man überraschend schon oben ist b) man gar nichts mehr Schweres klettern muss und c) man einen gaaaanz großen Punkt der Wunschliste erfüllt hat, flitzten wir noch vollends zum Gipfel und lümmelten ewig in herrlichem Sonnenschein herum. Olperer, Schrammacher, Riffler, da hinten der Großvenediger, da drüben die Zugspitze und da hinten, klar, König Glockner… Eine herrliche Fernsicht, Wahnsinn.

Einfach laufen.

Platten am Grundschartner im AbstiegWir sahen Seilschaft Nummer 1 bereits zielsicher absteigen und folgten Team Adidas in sicherem Abstand. Der Abstieg vom Grundschartner ist weitgehend weglos, ein Ortskundiger ist da ja nicht ganz verkehrt. Über Geröll und viiiiele Gletscherschliffplatten ging es hinab in tiefes Gras und durch einige Bäche, bevor es – tausend Höhenmeter bereits in den Knochen – anschließend wieder steil durch Latschen ging. Stoisch laufen, möglichst die Hitze ignorieren. Weitere Bachquerungen und wieder steil hinab. Jetzt zwar im Schatten, dafür mit Blase an der Ferse. Stoisch. Laufen. Ignorieren. Einfach laufen. Elf Stunden nach unserem Start erreichten wir die Kainzenalm und fanden uns inmitten zahlreicher Boulderer.

Ganz da oben hinten ist der Grundschartner Gipfel.Forststraße.

Talstraße.

Auto.

Chackawacka!! GRUNDSCHARTNER!! Am Auto die brennende Frage: Wars schlimm? »Naja… war schon nett.« Nächstes Mal also doch wieder Zinne 🙂 Egal, Ulligunde happy. Ich meine… Grundschartner! Geil!

Fazit

Happykrabbeltier!Es ist immer toll, sich große Tourenträume zu erfüllen. Die teils unentspannte Situation auf den ersten 400 Metern trübte leider die ganz große Begeisterung, es war eher Stress. Im Nachhinein hätten wir uns womöglich hinten einreihen und einfach chillen sollen – aber dass die anderen Seilschaften doch so flink waren, das war anfangs nicht abzusehen. Außerdem musste ich am Abend zur Zugspitze, denn dort wartete schon am nächsten Tag die Eisenzeit. Nichtsdestotrotz ist der Grundschartner eine sensationelle Unternehmung – lang, abwechslungsreich, nicht ganz leichter Kletterei und mit einem herrlichen Gipfel als Ziel. Insgesamt wäre diese Tour wohl im Frühjahr besser, wenn man im Abstieg noch Schneefelder hat. Trotzdem: Hinfahren. Machen! Eine tolle Tour!

 

Facts:

Zustieg womöglich über den Wanderweg zur Lahnkarhütte besser als weglos durch’s Bachbett. Für die Kletterei lohnt sich ein Satz Friends, wir waren mit 60 Meter Einfachseil unterwegs.

Einen Track zur Tour (inkl. unserem Verhauer) gibt’s hier. Start erst ab Bodenalm, da der Weg bis dorthin ohnehin in den Karten verzeichnet ist und ich Akku sparen wollte.

Das Ding ist ein Pauseklassiker. Dementsprechend viel ist los. Sehr früh oder sehr spät einsteigen, am besten nicht pünktlich zum Sonnenaufgang 😉

 

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6 Comments

  • Reply Christian Schröder September 6, 2016 at 7:50 pm

    Wieder mal eine lohnenswerte Tour lesenswert beschrieben :-)!

    • Reply ulligunde September 7, 2016 at 8:05 am

      Moin Christian, merci für die Blumen! Keine Sorge übrigens, die Kommentarfunktion funktioniert schon, Kommentare von neuen Nutzern müssen nur erst von mir freigegeben werden. Deshalb ist nichts erschienen 😉

      Liebe Grüße!

      Erika

  • Reply ulligunde Oktober 4, 2016 at 6:08 am

    Merci Christian! Wirklich eine Traumtour…

    LG!

    Erika

  • Reply Peter Übleis März 18, 2018 at 6:15 pm

    bin die Tour vor vielen Jahren gegangen (so wie die Fußsteinkante), haben mir beide sehr gut gefallen. lg Peter

  • Reply Franz Mösbauer September 17, 2018 at 10:51 pm

    Grüß Gott schön!
    Mörci für den schönen Track 🙂 Der hat uns beim Zustieg im aufkommenden Nebel und beim Abstieg entspannen lassen! Richtigkeit wird stichprobenweise bestätigt 😉
    Schöne Grüße, Franz

    • Reply ulligunde Oktober 17, 2018 at 3:32 pm

      Hi Franz, das freut mich aber 🙂 Ich hoffe ihr hattet eine schöne Tour!
      LG!
      Erika

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