Besser klettern: in den sechsten Grad

Mai 18, 2016

Du steckst in einem Schwierigkeitsgrad fest und kommst nicht richtig weiter? Das kann natürlich viele Gründe haben – ich habe einmal ganz subjektive Tipps gesammelt, von denen ich meine, dass sie helfen, den nächsten Grad zu erreichen.

Noch eines vorne weg: Ich hoffe, es sind einige Tipps dabei, die Du sofort ausprobieren willst. Mein Rat ist aber: Mache nicht alles auf einmal, konzentriere Dich pro Trainingseinheit auf ein einziges Problem. Sobald Du das Gefühl hast, dass Du dort Fortschritte machst und Routine erlangt hast, versuche Dich am nächsten Tipp. So siehst Du einerseits einen Fortschritt, was gut für die Motivation ist und andererseits wirkt das Volumen nicht ganz erschlagend.

Sechser klettern

In der letzten Seillänge in einer MSL in ArcoViele (Männer?) können Routen im sechsten Grad direkt aus dem Stand klettern. Ich konnte das nicht. Überhaupt nicht, zumindest nicht im Vorstieg. Ich glaube, da geht es vielen (Mädels?) so. Meine Tipps für den ersten Sechser sind folgende:

Klettern gehen!

Puh, das klingt plump. Aber klettern bedeutet auch, Bewegungen zu lernen, Routine zu bekommen, dem Material und dem Partner zu vertrauen und sich an das Gefühl in der Höhe gewöhnen. Wer zwei, dreimal die Woche klettern geht, legt allein dadurch schon den wichtigsten Grundstein fürs „besser Klettern“.

Ganz ohne Druck

Dabei ist es meiner Meinung nach gar nicht so wichtig, ob man im Toprope oder gleich im Vorstieg unterwegs ist. Klar, wer von Anfang an vorsteigt, wird zumindest was die Vorstiegsangst angeht, schneller Fortschritte machen, weil er auch dieses Gefühl bereits kennt. Wer sich aber zu sehr fürchtet oder für wen das Klettern einfach nur Zeitvertreib ist, der sollte sich nicht unnötig Druck machen. Lerne im Toprope die Bewegungen, irgendwann wirst Du Lust haben, auch mal was im Vorstieg zu probieren.

Simulierter Vorstieg

Die "Jubel-Verschneidung" in der "Sei Prophet"Selbst habe ich das nie gemacht, aber ich habe von einigen Mädels gehört, dass es ihnen viel bringt: Sie klettern im Toprope, haben aber ein zweites Seil im Gurt verknotet, das sie in die Exen einhängen – wie im Vorstieg. Dadurch fühlen sie dank des Topropes einerseits sicher, gewöhnen sich aber andererseits an den Vorgang des Clippens. Wenn Du auf diese Weise eine Tour „vorgestiegen“ bist, weißt Du, dass Du es kannst – und kletterst sie als nächstes einfach im Vorstieg. Wetten?

Langer Arm!

Sobald Du einen guten Griff in Deiner Tour hast, nütze ihn, um runter zu kommen. Platziere Deine Füße so, dass Du sicher stehst und strecke den Arm. Ein angewinkelter Arm suggeriert Dir womöglich mehr Sicherheit, saugt Dir aber die Kraft aus dem Körper. Halte den Arm wann immer möglich gestreckt. Wenn Du merkst, dass Du hibbelig oder angestrengt bist, atme an diesem Griff tief ein und aus. Ruhig auch hörbar! Schüttle Deine Arme in Ruhe aus, mache alles bedacht und langsam. Dadurch kommt Dein Puls wieder runter und du kannst Dich auf die weiteren Meter konzentrieren.

Unterteile Dir die Tour

Sturztraining hilft einfach immer...Mache nicht den Fehler, die ganze Route auf einmal wahrzunehmen. Unterteile sie Dir in Zwischenstücke – entweder von Exe zu Exe oder (besser) von Henkel zu Henkel. Mag sein, dass dazwischen einmal schlechte Griffe auftauchen, der nächste große Griff kommt garantiert – und an dem ruhst Du, bringst Deinen Puls nach unten und bereitest Dich auf die nächste Etappe vor. Das passiert bei mir automatisch im Vorstieg, wo man (ich?) im Kopf einfach von Exe zu Exe klettert.

Lerne die Tour

Schaue Dir die Tour vor dem Klettern an – wo könnten diese guten Griffe zum Ruhen versteckt sein? Wo könnte es schwer sein? Greife im Kopf jeden einzelnen Griff, so machst Du die Grifffolge auch gleich ein erstes Mal durch. Das sieht man bei Wettkämpfen immer – die Teilnehmer greifen (am Boden stehend) beim ersten Blick auf die Wand die einzelnen Griffe und gehen so alle Züge durch. So merkst Du gleich, wo womöglich ein Handwechsel nötig sein müsste oder ein weiter Zug auf Dich wartet. Lass Dich von sowas aber nicht abschrecken – du schaffst das schon! Und wenn nicht, setzt Du dich eben rein und schaust Dir diesen einen Zug einfach genauer an. Dann wird aus einer Tour eben kurz ein Boulder. Das ist ganz normal, das machen die „Großen“ auch so.

Stehe präzise

Gerade auf Platten ist das präzise Stehen wichtig.Woran man Anfänger von Könnern unterscheidet? An ihrer Art, die Füße zu platzieren. Bei Profis ist das genau eine Bewegung und der Fuß steht exakt dort, wo er am besten ist. Und zwar völlig lautlos. Das gelingt nur, wenn man auf den Fuß schaut – und zwar auch während man ihn platziert. Anfänger hingegen treten eher blind und unkontrolliert – sie schrappen an der Wand entlang, bis vielleicht irgendwo irgendetwas kommt. Gewöhne Dir das so schnell wie möglich ab! Schaue nach Tritten und platziere dann präzise und ganz leise Deinen Fuß. Am besten mit dem Fußballen oder den Zehen – nicht „volle Breitseite“ mit dem ganzen Fuß. Das macht dich in den nächsten Bewegungen unflexibel.

Lerne Bewegungen

Probiere verschiedene Bewegungen aus – ggf. auch an einer senkrechten Boulderwand. Setze die Füße einmal frontal, einmal auf der Innenkante, einmal auf der Außenkante. Wie fühlt sich das an? Welche Hand kannst du dadurch leichter lösen? Wenn Du nun weit nach links oder rechts oben ziehst, welche Kombination aus Tritt- und Griffrichtung fühlen sich gut an? Es gibt unendlich viel Literatur zu den verschiedenen Bewegungen, wobei die natürlich ziemlich trocken ist. Schaue doch lieber mal in der Halle bei den „guten“ Kletterern, wie sie sich bewegen. Suche Dir diejenigen Kletterer raus, die ruhig und kontrolliert klettern. Bei ihnen ist die ganze Tour eine einzige Bewegung, fast wie ein geschmeidiger Tanz, es ist nichts abgehackt, unkontrolliert oder hektisch.  Sie drehen ein, drehen gar einmal das Knie ganz nach unten, hocken mit dem einen Fuß weit oben auf und schieben sich darüber. Was machen sie mit der Hüfte? Wie stehen sie? Wie schütteln sie? Beobachte andere Kletterer und probiere diese Art zu imitieren.

Wie du den siebten Grad erreichst, liest Du im nächsten Artikel.

Hier gehts zurück zur Übersicht.

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5 Comments

  • Reply Besser klettern: In den siebten Grad | ulligunde.com Mai 19, 2016 at 5:18 pm

    […] Besser klettern: in den sechsten Grad | ulligunde.com bei Konkrete Tipps und Übungen zur Angstbewältigung […]

  • Reply Bernd | KritzelKraxel.net Juni 8, 2016 at 9:20 pm

    Du bist auf alle Fälle nicht alleine (gewesen) eine 6 aus dem Stehgreif zu klettern. Ich kann das auch nicht!

  • Reply Jadom Mai 5, 2017 at 4:12 pm

    Das hab ich gebraucht. Ich kämpfe mich gerade vom 5ten in den 6ten Grad und obwohl ich gerade erst angefangen habe fühlte ich mich irgendwie besonders „Schwerfällig“. Was mir auch hilft ist mir in den Sinn zu rufen, dass man in den niedrigen Graden die Technik lernt und sich natürlich auch der Körper an die Bewegungen erst gewöhnen muss (besonders als Büromensch).
    Ich bin jung und hab noch viel vor und dein Blog ist wirklich extrem motivierend!

    • Reply ulligunde Mai 8, 2017 at 2:31 pm

      Hi Jadom,
      das freut mich sehr, dass Dir die Zeilen helfen! Mit Motivation geht’s eh am schnellsten 😉 Viel Erfolg und (vor allem!) FREUDE weiterhin!
      Liebe Grüße
      Erika

  • Reply Chris Juli 27, 2017 at 2:11 pm

    Hallo Ulli,

    ich mag deine Seite, sie ist so hautnah an den Themen, wie man es selbst nur allzu gut kennt. Deine Erfahrungen und Tipps gibst du so gut weiter. Man wird zu vielen Dingen fündig und findet immer etwas Wissenswertes durch deine gut gestaltete Seite.

    Danke & weiter so!

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