Dies ist ein Artikel aus der Reihe „Besser klettern“ – hier geht’s zur Übersicht.
Eine der ersten Fragen, die wir uns bei der Angstbewältigung zunächst einmal stellen müssen, ist: Willst DU es? Willst Du wirklich Angst trainieren oder kletterst Du eigentlich aus einem anderen Antrieb heraus? Weil Dein Freund klettert und Du gemeinsame Zeit verbringen willst? Weil es „cool“ ist? Weil Du die Leidenschaft von Freunden imitierst?
Das ist eine Frage, die ich mir unglaublich oft stelle, gerade vor anspruchsvollen Touren: Warum genau tue ich mir das an? Denn häufig ist es so, dass ich Touren erst genießen kann, wenn sie rum sind. Wenn die Anspannung abfällt. Um die Kletterbewegungen, das Draußensein und die Herausforderung zu genießen, fehlt(e!) mir meist die Ruhe, denn ich bin angespannt wegen der Ungewissheit, was alles noch kommt, ob ich der Route gewachsen bin und dass hoffentlich alles gut geht. Das klingt bescheuert.
Nicht nur einmal habe ich mich gefragt, ob Klettern wirklich der richtige Sport für mich ist. Aber das Gefühl danach ist so intensiv, den Fortschritt zu sehen ist so motivierend, das Draußensein mit anderen ist so gut…! Ich für mich kann also diese Frage gar nicht zu 100% beantworten. Ich denke schon, dass ich es für mich mache – ansonsten wäre ich wohl nicht so dermaßen motiviert zu klettern und an meiner Angst zu arbeiten.
[Ein kleiner Nachtrag nach ca. zwei Monaten Sturztraining: Ich klettere heute VIEL entspannter als früher und grusle mich nicht mehr vor dem Einstieg in eine Sportklettertour, sondern bin voller Vorfreude: Was wird kommen? Ich werd‘ das können! Werde ich stürzen? Wenn ja, ist es gutes Training! Das sehe ich tatsächlich inzwischen so.]
Nur wenn man es selbst will
Nur wenn man intrinsisch motiviert ist, macht die Auseinandersetzung mit der Angst (gewissermaßen 😉 ) Freude – und nur so gibt es nachhaltigen Erfolg, davon bin ich persönlich überzeugt. Man muss es selbst wollen, sich freiwillig und motiviert der Angst stellen und auch über mehrere Wochen und Monate dran bleiben. Sei ehrlich zu Dir. Wenn Klettern und Sturztraining grundsätzlich immer purer Stress ist und es Dir überhaupt keine Freude bringt, geh es ruhig an. Mach Dir keinen Druck und genieße die Zeit im Toprope – oder vielleicht doch lieber auf dem Bike. Das wichtigste ist nämlich: Klettern ist eine Freizeitbeschäftigung, es soll kein Druck entstehen, sondern Freude bereiten! Übertriebener Ehrgeiz oder eine „auferzwungene“ Motivation bremst nur aus.
Vergleiche dich nicht
Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist auch, sich nicht mit anderen zu vergleichen. Es gibt IMMER andere die besser klettern oder viel weniger Angst haben. Nimm diese Leute nicht als Vergleich, sondern höchstens als Inspiration. Vergleiche Dich ausschließlich mit Dir selbst. Dadurch, dass Du Deine eigenen Ängste identifiziert hast, kannst Du sie konkret aufschreiben. Deponiere diesen Zettel irgendwo, wo Du ihn in einigen Monaten mal wieder findest. Wenn Du Dich in den kommenden Monaten wirklich mit der Angst auseinandersetzt, wirst Du garantiert einen Fortschritt verzeichnen können. Das findest Du affig? Ich habe das (eher zufällig) vor unserer Reise 2014 angefangen und mache es inzwischen alle paar Monate. Es ist ein geniales Gefühl, einen Fortschritt zu verzeichnen – gerade bei etwas wenig Greifbarem wie beim Umgang mit der Angst! Überhaupt nicht affig! Motivierend! Macht glücklich!
Angst trainieren – wie?
Viele trainieren für’s Klettern die Physis. Der Kopf kann aber genauso trainiert werden und verspricht bei einem großen Teil der Kletterer ganz ähnliche Fortschritte. Genauso wie das Krafttraining benötigt das Kopftraining Geduld und Zeit. Es ist keine Pille, die man einfach so schluckt oder eine konkrete Übung, mit der plötzlich alles anders ist.
Melanie Michalski von der Kletter-Werkstatt beschrieb das in unserem Gespräch etwa so: „Dinge, die wir häufig tun, sind eingeschliffen. Je häufiger etwas ausgeführt wird, desto dicker ist die Nervenbahn im Kopf. Wenn man im Vorstieg plötzlich Angst bekommt, ist die übliche Folge das Kommando „zu“. Diese neuronale Verknüpfung ist quasi eine sechsspurige Autobahn. Sie ist stark gefestigt und es hilft auch nichts, sich fest vorzunehmen, nächstes Mal nicht „zu“ zu sagen. Das funktioniert nicht. Die Aufgabe nun ist es, Alternativen zum Kommando „zu“ zu schaffen und diese Entscheidung zu verzögern. Dadurch entsteht ein neuer, schmaler Trampelpfad neben der Autobahn und je häufiger wir diesen Pfad verwenden, desto dicker ist er.“
Das passiert aber natürlich nicht über Nacht. Es braucht Zeit und regelmäßige Übung.
Angst kann man nicht abschalten
Wir können die Angst nicht ausschalten oder auf Kommando verdrängen. Wir können jedoch entscheiden, mit welchen Gedanken sich der Kopf beschäftigt. Verena von 6bplus vergleicht es mit einem Orchester: Angst ist ein Teil unserer Persönlichkeit, wie ein Instrument in einem Orchester. Beim Stück „Anspruchsvolle Kletterroute“ drängen sich manche Teile (z.B. die Angst) in den Vordergrund, andere wie Freude, Neugier und Mut werden dann übertönt. Letztendlich sind wir als Dirigent der Chef und können den Anteilen damit auch ganz bewusst mehr oder weniger Einfluss geben. Wir können der Angst also sagen: „Liebe Angst, ich weiß, dass Du Dich um mich sorgst und da bist, um mich zu warnen. Ich bin gerade in einem sehr guten Sturzgelände, habe einen aufmerksamen Sicherer und deshalb verhalte Dich ruhig und lass mich weiterklettern“. Eine Technik, die zwar etwas Übung erfordert, aber effektiv ist.
Schlechte Gedanken mit guten ersetzen
Das Ziel ist also, die Gedanken zu steuern. Sie kreisen beim Klettern schnell um Themen wie „ohje, der nächste Griff sieht schlecht aus“ und „Puh, die nächste Exe ist ja brutal weit weg!“. Diese Gedanken hemmen uns, sie führen dazu, dass wir zögern und nicht am Limit klettern. Wir können diese Gedanken nicht „abschalten“, wir können sie aber ersetzen! Yeah!
Das funktioniert zum Beispiel, in dem wir uns ein positives Mantra bzw. eine „bestärkende Kurzformel“ überlegen („Julia, du schaffst das!“ oder bei mir persönlich zum Beispiel „Ich geb alles!“). Sobald in der Wand Zweifel auftauchen, ist es Zeit für die „Formel“.
Atmen
Sehr hilfreich ist zum Beispiel auch ganz explizit auf unsere Atmung zu achten – am besten vom ersten Zug der Tour an. Ganz tief, ganz regelmäßig und vor allem deutlich hörbar! Lenke die Gedanken weg von denen, die Dich bremsen. Konzentriere Dich auf Deine Atmung.
Paige Claasen ist eine bekannte Verfechterin des akkuraten Atmen. Sie sagt, das laute, regelmäßige Atmen trennt sie persönlich von Angst und Zweifeln. Um dieses konstante Atmen zu üben, rät sie, anfangs in Aufwärmtouren durchgehend laut zu atmen – sobald der Sicherungspartner das Atmen nicht mehr hört, soll er rufen und den Kletterer ans Atmen erinnern. Ein weiterer Tipp ist übrigens, grundsätzlich nicht „zu“ zu sagen. In der Halle solle man notfalls einen andersfarbigen Henkel zum Klippen wählen und anschließend in der eigentlichen Route weiterklettern. Hauptsache nicht „zu“ sagen!
Sei positiv!
Es geht aber nicht nur darum, die Gedanken zu ersetzen, sondern auch darum, positiv zu sein. Das Mantra „Julia, du schaffst das“ impliziert schon eine positive Haltung. Glaube an Dich! Ich schaff das! Ich kann das! Ich habe Freude! Da oben ist der nächste Rastpunkt!
Dazu zählt auch, zu Beginn einer Tour nicht zu sagen „ich schaue mir die Tour mal an“, sondern selbstbewusst und entschieden zu sagen: „Ich klettere diese Tour jetzt.“. Glaube an Dich! Sei positiv und zeige Dir selbst, dass Du Biss hast. Gib alles!
>> Im nächsten Artikel findest Du konkrete Tipps, um mit der Angst beim Klettern umzugehen
>> Hier geht’s zurück zur Übersicht
3 Comments
[…] >> Zum nächsten Artikel: Angst beim Klettern – wovor fürchten wir uns eigentlich? […]
[…] >> Weiter zum Artikel „Angstbewältigung: Grundlagen“ […]
Das mit dem atmen hilft mir in Angstsituationen auch sehr – ich erwische mich oft, dass ich in einer Situation wo Angst aufkommt, sagen hören: „Jetzt erst mal tief durchatmen“…mich beruhigt es und lässt wieder Konzentration zu….