Und sie froren sich die Wand hinauf (Sechser-Kombi/Hiltimanie, Widderstein)

Juli 29, 2015

Ich spüre rein gar nichts mehr, allenfalls, dass der Fels so dermaßen rau ist, dass die Finger dort eigentlich schon halten sollten. Ich versuche, die Kälte zu ignorieren und zügig weiterzuklettern. Über uns warten noch 13 Seillängen. 

Wir lassen unser Zeug am Normalweg und steigen die restlichen Meter über Geröll und brüchiges Schrofengelände  mit Seilen am Rücken hoch.Es sind turbulente Wochen. Ich habe mir absichtlich das Wochenende nicht groß verplant, das Wetter war ohnehin einigermaßen bescheiden vorhergesagt. Als dann aber am Freitag die Vorhersage für Sonntag überraschend gut wurde, erinnerte ich mich an eine lose Verabredung mit einer Bekannten für Sonntag zum Alpinklettern. Ich hatte ja irgendetwas Unspektakuläres im Tannheimer Tal angedacht, aber plötzlich kam mir da etwas ganz anderes in den Kopf. Widderstein, Hiltimanie bzw. die Sechser-Kombination. 6a, 11  Seillängen (14 mit Gehpassagen), 400 Meter Wandhöhe, „herrlich griffige, athletische Wandkletterei, die ohne weiteres mit Dolomiten Klassikern zu vergleichen ist.“ schreibt der Erschließer Walter Hölzler. Vor einem halben Jahr hätte ich noch entsetzt den Kopf geschüttelt. Elf Seillängen! 400 Meter! 4 Haken auf 35 Meter! 6+! No way!! Aber irgendetwas hat sich im vergangenen halben Jahr in meinem Kopf grundlegend geändert. Ich schlug meiner Seilpartnerin ohne weiter darüber nachzudenken zwei Touren vor – eine schwere im Tannheimer Tal (dort sind etwa 35 Haken auf 4 Meter) und eben jene am Widderstein. Sie sagte spontan für letzteres zu. Oh. Shit. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Ich kann das!

Nach kurzem in-mich-Reinfühlen willigte ich ein. Ich war nervös, aber andererseits wusste ich, dass ich 6+, zumindest im Allgäu, klettern können sollte, immerhin hatte ich schon zwei 9- in der Tasche. Passt scho, geht scho! Wir einigten uns darauf, am Samstag Abend schon nach Baad zu fahren, im Bus zu schlafen und am nächsten morgen recht früh zu starten. Die vergangenen Wochen waren so warm, dass wir eher Angst hatten, von der prallen Sonne gegrillt zu werden. Dass wir wie die Schlosshunde frieren würden, hätte ich nicht gedacht.

Wolkenspektakel

5.50 Uhr. Start! Wir radelten mit den Bikes bis zur Bärguntalpe, wo uns die unheimlich sympathische Älplerin uns alles Gute wünschte und sichtlich besorgt uns darauf hinwies, dass es da oben wirklich brüchig sei. Wir nahmen ihren Rat zu Herzen und wanderten durch die kühle Morgenluft. Die Wolkendecke lichtete sich immer mehr – es schien ein wirklich schöner Tag zu werden. Recht genau drei Stunden später standen wir startbereit am Einstieg. Wir hatten uns beim Umpacken, Anziehen und Durchklettern des Schrofengeländes scheinbar Zeit gelassen. Egal, die Tage waren lang und wir waren die ersten an der Wand.

Kaltstart

Karo in der zweiten Länge der Hiltimanie/Heckmair-GedenkwegIrgendwie hatten wir uns ohne groß darüber zu sprechen darauf geeinigt, dass ich die zwei Schlüsselseillängen machen würde. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass Karo anfangen würde. Heilfroh, doch noch spontan die dünne Daunenjacke in den Rucksack geworfen zu haben, zitterte ich unten, während die Lady gegen die tauben Finger kämpfte. Beim Nachstiegen verstand ich dann, weshalb sie so zaghaft geklettert war. Der Fels war brutal kalt. Aber dafür keine Spur von Brüchigkeit.

Die schweren für mich

DSCN1736Am Stand verlor ich nicht viel Zeit, übergab nur kurz den Rucksack und kletterte weiter – schnurstracks in die erste Schlüsselseillänge. Die Haken waren perfekt gesetzt – was hier aber nicht „eng“ bedeutet! Ich erinnere mich noch, wie ich einige Meter über dem letzten Haken in mich reinmurmelte, dass das aber ganz schön sportliche Abstände seien. Mir machte es überraschenderweise nichts aus, die Kletterei war gängig und an der Schlüsselstelle kam wieder ein Haken. Man hätte auch einen Friend versenken können. Aber die fixen Sicherungen waren tatsächlich wirklich ideal gesetzt – gerade noch genug, um den Weg nicht zu verlieren, aber auch nicht übertrieben. Sehr cool. Und die Steigerung zu ordentlich gesetzten Haken: Sonne am nächsten, ausgesprochen gemütlichen Stand. Jaaaah, da strahlt das Herz! Ich machte es mir gemütlich und sicherte nach. So darf es weitergehen! Ich war glücklich.

God is a climber!

Bei so vielen Henkeln brauchts keine Haken,Über Gras und ein paar steile, überraschend schwere Aufschwünge (Fünfergelände!) ging es zum markanten Grasband direkt unter der Hauptwand. Eine andere Seilschaft war vom Normalweg reingequert und kam uns kurz zuvor. Egal, wir machten eine ausgedehnte Frühstückspause und stiegen wiederum einigermaßen durchgefroren und in Daunenjacken in die nächste Seillänge ein. Die Sonne hatte es noch nicht bis hier her geschafft. Dafür entschädigte eine phänomenal gängige Verschneidung für die kalten Pfoten. Ein Sechser-Überhang später folgte abermals eine Schlüssellänge, ein sauber ausgesetztes Dach, das so groß war, dass von unten gar nicht gleich klar war, wo man es überhaupt überwinden würde. Ein paar kräftige Boulderzüge später war aber auch das geschafft. Irgendwer hatte da wirklich ganz saubere Arbeit geleistet beim Setzen der Griffe. Perfekt! God is a climber?! Und noch eine schöne Nachricht: Von nun an würde es nur noch leichter werden!

Wir schaffen die Tour! Ganz Easy!

Karo zitterte sich eine kaum gesicherte Vierer-Seillänge nach oben, wo meine nagelneuen Friends endlich sinnvoll zum Einsatz kamen. Für mich wartete die letzte etwas schwerere Länge mit so vielen Henkeln, dass man gar nicht recht wusste, wohin man greifen soll. Phänomenal!! Da brauchte es tatsächlich nicht viele Haken. Langsam machte sich Euphorie breit. Wir hatten inklusive der Gehpassagen bereits zwölf Seillängen geschafft – inzwischen war klar, dass wir tatsächlich oben rausklettern würden. Und zwar ganz, ganz easy! Während ich gegen den kräftigen Seilzug auf dem Weg zum Stand kämpfte, wurde das Grinsen immer breiter. Oida. Leck. 11 Seillängen in einer deutlich größeren Wand als im süßen Tannheimer Tal. Völlig eigenständig. Als Mädelsseilschaft. Sauber in Wechselführung. Oida leck! Ich war so glücklich. Und stolz!

SUMMIT!

HltiDie letzten Seillängen oben raus waren dann nur noch Kür. Ich war schon fast traurig, dass die Tour bald zu Ende sein würde, denn der Fels war wirklich großartig. Ich wackelte mich noch den letzten, dann doch noch überraschend brüchigen Aufschwung nach oben und sah das Gipfelkreuz. Wir hatten es echt geschafft. In sechs Stunden, ohne besonders Gas gegeben zu haben und inklusive der ausgiebigen Frühstückspause auf dem Band. Das war schon mal ziemlich gut! Wir fielen uns in die Arme, genossen die Dank des diesigen Himmels schon fast herbstliche Stimmung und machten uns für den Abstieg auf dem gerölligen Normalweg bereit.

Joggend ins Tal

Nicht besonders schön, aber auch nicht sonderlich schwer war der erste Teil des Abstiegs, den ich bisher nur mit Steigeisen und viel Schnee gemacht hatte. Wir joggten den Rest raus und standen samt Fahrrad ziemlich genau zwölf Stunden später wieder am Auto in Baad. Was für eine komplett geniale Aktion war das bitte!?

htlFacts zur Tour:

„Herrlich, griffig, athletisch“ trifft es wirklich perfekt. Die Borhaken sind für manche womöglich etwas spärlich, aber dafür (bis auf einen) perfekt gesetzt. Eine absolut empfehlenswerte, gutmütig bewertete Tour. Unbedingt machen! Ein Traum!

Vielen Dank an Karo fürs Wild-Genug-Sein zum Mitkommen und fürs Fotografieren. Meine Cam hatte über Nacht den Geist aufgegeben… Geil wars!

 

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3 Comments

  • Reply Kerstin Nägele Juli 30, 2015 at 7:08 am

    Ihr wart am Sonntag dort,gell?!
    Ich hab euch zum Normalweg/Abstieg rüberkommen gesehn u dachte erst es wär ne Freundin von mir,
    Dieselbe Tour hab i auch schoh gemacht-geniale Kombi!Wir waren am Sonntag am Ostgrat unterwegs in kurzer Hose u Tshirt?P.S.:God schreibt sich mit einem o ?Gruß K.

    • Reply ulligunde Juli 30, 2015 at 7:38 am

      Hi Kerstin,

      oha, erstmal Danke für den Hinweis. Hab ich natürlich sofort ausgebessert. Danke! Die Tour ist wirklich traumhaft… Ich schreib Dir mal ne Mail 😉

      LG!

      Erika

  • Reply Mädels, Schluss mit der Angst beim Klettern! | ulligunde.com Mai 4, 2016 at 8:00 pm

    […] hatte eine Plaisirtour im Tannheimer Tal vorgeschlagen und – ohne nachzudenken – die Hiltimanie am Widderstein. Sie entschied sich für das zweite. Oh. Scheiße. Ich war noch selten eigenverantwortlich alpin […]

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