Kürzlich kam recht spontan das nagelneue Sicherungsgerät PIVOT von DMM Climbing bei uns eingeflogen. Im ersten Moment sieht es aus wie ein ganz gewöhnlicher Tube, einziger Unterschied ist das flexible Gelenk, das die Standplatzöse mit dem Rest verbindet. Hilfreiches Gimmick oder Marketingblabla?
Abgesehen von all den Vorzügen eines gewöhnlichen „Alpin“-Tubes wartet der PIVOT in der Werbung mit zwei Argumenten auf:
Gewicht
Mit seinen 72 Gramm (nachgewogen, stimmt) sei der PIVOT der leichteste seines Faches. Ich habe mal spontan einen recht alten REVERSO von PETZL mit auf die Waage gelegt und komme bei diesem auf 73 Gramm. Mag sein, dass die deutlich sichtbare Abnutzung bereits einige Gramm gefressen hat, aber ganz so bahnbrechend finde ich das Gewicht jetzt nicht. [Nachtrag: Der Reverso 4 wiegt nur 59g]
Gelenk an Standplatzöse
Die viel größere Innovation ist aber das Gelenk zwischen Standplatzöse und restlichem Gerät. Dieses kommt zum Einsatz, wenn man andere am Stand nachsichert und einen (oder beide) wieder ablassen muss. Das ist zum Beispiel, wenn einer nicht hochkommt oder Angst bekommt. Ein eher seltener Fall, aber gerade für Bergführer oder Tourenleiter gar nicht so unüblich. In diesem Fall muss man den Tube an der kleinen Öse anheben, um im eigentlichen „Nachsichermodus“ (wo ja gerade das Ablassen verhindert werden soll) den nachsteigenden Kletterer abzulassen. Ein furchtbar kräftezehrendes und anstrengendes Manöver, denn man muss einen großen Teil des Körpergewichts des Kletterers an einer Hand hochheben – wohlgemerkt: Ohne die andere Hand vom Bremsseil zu lösen. Es gibt zwar die Möglichkeit, dass man eine Schlinge (o.ä.) in die kleine Öse einfädelt, diese über einen Karabiner oberhalb umlenkt, sie am Gurt einhängt und so mit dem gesamten Körpergewicht das Neigen zu ermöglichen (und so dann auch wieder zwei Hände am Bremsseil zu haben), aber das ist durchaus etwas umständlich und aufwändig, wenn es nur um einen halben Meter geht.
Das Gelenk des PIVOT versetzt den Drehpunkt bei der Aktion vom äußersten Punkt des Sicherungsgeräts weiter nach innen, wodurch der Kraftaufwand geringer ist, um das Gerät zu neigen. So zumindest in der Theorie.
Im gewöhnlichen Gebrauch ist der PIVOT angenehm, speziell die Reibung ist schön hoch – das heißt, das Seil frisst sich bei einem Sturz gut in den Rillen fest. Das ist besonders für mich, die im Vergleich zu meinen Kletterpartnern ziemlich leicht ist, sehr komfortabel. Nachsichern am Stand usw. ist wie immer, in diesem Bereich verhält sich der PIVOT schließlich wie jeder andere Tube.
Das Ablassen im „Guidemodus“ (beim Nachsichern):
Wir haben dafür zunächst ein perfektes Testgelände geschaffen – der Stand war also quasi frei hängend. Zunächst verwendeten wir einen gewöhnlichen Tube (Reverso, Petzl), um das Ablassen im Guidemodus nachzustellen. Mein Freund konnte mich mit viel Kraftaufwand durchaus ablassen, ich hingegen hatte keine Chance, wenn er mit gesamtem Gewicht drin hing. Mit einer Hand einen großen Teil seines Körpergewichts hochzuheben, ohne das andere Seil loszulassen, war mir nicht möglich.
Nun also der PIVOT: Mein Freund spürte durchaus eine gewisse Erleichterung mit dem PIVOT beim Ablassen im Guidemodus. Ich hingegen hatte auch hier nahezu keine Chance, ihn ein Stück abzulassen. Das liegt aber wohl daran, dass das Gewichtsverhältnis bei uns 2:3 steht – so viel Kraft habe ich halt dann doch nicht.
Da ein Stand am Fels normalerweise nicht frei hängt, ist das Ablassen im echten Einsatz noch etwas schwerer, denn man hat häufig nicht den gesamten Bewegungsumfang, man kann womöglich nicht so gut stehen oder ist angespannt, da etwas unvorhergesehenes passiert ist.
Fazit
Wer mit gleichschweren Partnern unterwegs ist oder viel Kraft in den Armen hat, der spürt mit dem PIVOT durchaus eine Erleichterung, wenn man mal einen Nachsteigenden ein Stück ablassen muss. Wer sich aber „absolut leichtes und flüssiges“ Ablassen erhofft, wie es auf so manchen Webseiten und Shops zu lesen ist, der wird wohl enttäuscht werden. Was allerdings wirklich positiv auffällt, ist die hohe Bremskraft beim normalen Sichern sowie der angenehme Preis von nur 29 Euro.
Übrigens:
Auf einer Webseite stand, dass mit dem PIVOT es nun endlich möglich wäre, einen von zwei Nachsteigern gesondert abzulassen. Das kann natürlich jeder andere Tube auch – hierzu verknotet man das eine Seil und kann anschließend den anderen ablassen, ohne jemanden aus der Sicherung zu nehmen.
„Flüssiges Abseilen“ ermöglicht übrigens der PIVOT ebenso nicht auf besondere Weise. Das Abseilen funktioniert wie bei jedem anderen Tube auch.
Der PIVOT ist zwar offiziell für Seile ab 7,5 mm empfohlen, allerdings nur bei Verwendung im Doppelstrang! Bei Einfachseilen empfiehlt DMM 8,7 mm.
Gibt’s hier zu kaufen:
3 Comments
Hä? Wo genau ist jetzt der (ohnehin ja theoretische) Vorteil?
Vgl. https://youtu.be/KM5c9wlTReo?t=2m36s
Hi Vincent,
richtig, mit dem „gewöhnlichen“ Tube bleibt einem die Möglichkeit, mit einer umgelenkten Bandschlinge mit dem eigenen Körpergerwicht den Seilpartner abzulassen – das ist insofern eh schon gut, weil man dann beide Hände am Bremsseil hat. Das ist das, was ich im Absatz „Gelenk an Standplatzöse“ beschreibe. Allerdings ist es ein gewisser Aufwand, das alles aufzubauen – nicht nur, dass der andere warten muss (wenn er weiß, was der Sicherer gerade tun muss, wird er das evtl. verstehen und sich gedulden), aber auch, dass es einfach viele Handgriffe sind, nur um den anderen ggf. um wenige Zentimeter* wieder abzulassen.
Von dem her wäre es schon gut, wenn man einfach ohne Umbau den Seilpartner etwas ablassen könnte (ich spreche da eher von wenigen Zentimetern als von dem Fall, dass jemand nicht mehr weiter, sondern wieder ganz runter will) – und genau das versucht der PIVOT. Wenn die Seilpartner vom Gewicht her ungefähr gleich sind, funktioniert das tatsächlich auch etwas einfacherer als beim normalen Tube. Von dem her: Netter Versuch, aber irgendwie noch nicht ganz das Gelbe vom Ei. Aber schaden tut die Öse auch nicht.
*Wir hatten in Norwegen mal den Fall, dass mein Seilpartner im Vorstieg über den eigentlichen Stand hinausgeklettert ist, er mir aber erst kurz davor sagen konnte, dass ich weiter unten einen „eigenen“ Stand bauen sollte. Dafür hat er mich wieder ein, zwei Meter etwas ablassen müssen. Der Fall kommt also schon manchmal vor.
Huhu,
entschuldige die späte Antwort – vielen Dank für deine!
Okay ich sehe ein, dass die ATC Guide-Variante länger dauert bzw. komplexer im Aufbau ist. Wenn ich das richtig verstanden hab, braucht man halt ne geknüpfte Bandschlinge (oder Daisychain, wenn man hat..) plus ne Prusik/sonstwas weniger.
Aber das setup sieht für mich in beiden Fällen gleich aus (was ja Sinn macht, es ist ja das selbe Prinzip): der Tube hängt in nem Karabiner mit nem zweiten Karabiner für das Seil und erst ab hier unterscheiden sie sich: bei diesem kann ich den Tube *schon vor* dem „Häng-Karabiner‘ kippen, beim Guide kippe ich *um* den „Häng-Karabiner“, brauche dafür aber ne Umlenkung über einen höheren Punkt als den Aufhängungspunkt.
Ich glaub ich bleibe bei meiner (mir vertrauten) Konfiguration. Danke für die Horizonterweiterung. =)