Da passiert schon nichts…

April 29, 2012

Während meiner zweitägigen Frühlingstour entstanden  verwirrende und bisweilen nervige Fragen, deren Naivität mich wütend machen. Oder bin ich einfach übertrieben vorsichtig?!

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Jetzt tu doch nicht so! 

Die Gefahr des Solo-BergsteigensZum Bergsteigen gehört dazu, mindestens einer Vertrauensperson mitzuteilen, welchen Routenverlauf und welche Schlafplätze man sich für seine nächste Tour ausgesucht hat, in welchem Abstand man sich melden und wann die Tour voraussichtlich beendet sein wird. Sollte eine Suchaktion nötig sein, weil sich der Wanderer nicht wie vereinbart meldet oder nicht zur ausgemachten Zeit zurückkommt, kann damit das Suchfeld eingeschränkt und die Erfolgschance erheblich erhöht werden. Das gilt natürlich insbesondere für jene, die allein unterwegs sind, denn egal ob durch eine Verletzung oder einen Absturz – wenn man sich nicht mehr bewegen und mit dem Handy nicht kommunizieren kann (Funkloch, Akku leer, Handy unerreichbar), können Situationen schnell gefährlich werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die eigenen Vereinbarungen eingehalten werden.

Übrigens: ist man diese Vertrauensperson, sollte man diese Aufgabe ernst nehmen, bei Ausbleiben von Nachrichten tatsächlich aktiv werden und sich bestenfalls über solche Vorsichtsmaßnahmen nicht lustig machen.

Da passiert schon nichts. Lawinengefahr im Frühling

Im Frühjahr beginnt die Gefahr von Nass- und Grundlawinen, die nicht unterschätzt werden sollte. Die Schneedecke wird durch das Schmelzen durchweicht und somit schwerer. Die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Schneeschichten durch das zusätzliche Gewicht abrutschen (Nasslawinen) steigt. Gefährlicher sind die sogenannten Grundlawinen, die gerade jetzt, im Frühjahr 2012 besonders hoch ist. Anfang der Saison fiel der Schnee nämlich auf noch warmen Untergrund und konnte nicht festfrieren. Wenn jetzt das Schmelzwasser unter der Schneedecke fließt, begünstigt es das Abrutschen der gesamten Schneedecke noch zusätzlich. Diese Lawinen bewegen sich zwar langsamer als die gefürchteten Staublawinen, sind jedoch durch ihr enormes Gewicht ungleich zerstörerischer. Die Überlebenschancen sind in solchen massiven Schneebewegungen sehr gering, denn häufig befördern sie neben Tonnen von nassem Schnee auch Erdreich, Gesteinsbrocken oder ganze Bäume. Bei ungünstigen Verhältnissen können diese Lawinen übrigens auch bei weniger als der berühmten 30° Hangneigung entstehen.

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Die Vorhersage solcher Gefahren ist schwierig, weil sie einerseits noch nicht so sehr erforscht wurden und andererseits sehr viele Faktoren zusammenspielen. Ein bisschen mehr oder weniger Bewölkung oder etwas mehr Wind können das Zünglein an der Waage sein. Umso mehr ist die richtige Gefahreneinschätzung gefragt. Risse in der Schneedecke sind beispielsweise eindeutige Anzeichen für Spannung in der Schneedecke – diesen Hang also weder durchqueren noch sich in seiner Auslaufbereich aufhalten.

Man sollte auch bestehenden Spuren nicht blind vertrauen, denn es kann sein, dass die Bedingungen andere waren, als dort jemand lief. Oder schlicht, dass derjenige Glück hatte. Davon auszugehen, dass man selbst das gleiche Glück haben wird, ist naiv und leichtsinnig.

Ich zieh in den Bergen keine Sonnenbrille auf. Die stört nur!

Je höher die Gipfel, desto weniger schützende Atmosphäre befindet sich zwischen der Sonne und den Augen. Bindehautentzündungen, Linsentrübungen und Netzhautschäden sind Verletzungen, die man häufig gar nicht bemerkt und erst später die Folgen spürt. Wer also auch im höheren Alter noch gut sehen und keine Operationen möchte, sollte damit anfangen, seine Augen zu schützen. 

Sie trinken doch nicht etwa aus diesem Bach???

Während ich gerade meine Tasse an einem kleinen Rinnsal auffülle, entdecke ich eine Lady, die mich entsetzt beäugt. Ich wolle dieses Wasser jetzt aber doch nicht trinken! Als ich nicht antworte und zum Trinken ansetze, wandert sie kopfschüttelnd davon.

Also: Meiner Erfahrung nach, kann man das Wasser in den Alpen trinken – einfach so und ganz ohne Micropur oder Filter. Man sollte nur darauf achten, dass man sein Wasser nicht gerade unterhalb einer Weide oder eines Rastplatzes zapft. Es kann natürlich immer sein, dass im Bach oberhalb ein totes Tier liegt oder etwas/jemand reingepinkelt oder seinen Topf drin ausgewaschen hat – da muss man das Risiko eben individuell und mit klarem Menschenverstand abwägen. Auch das Wasser an Tiertränken ist einwandfrei (aus dem Hahn, nicht aus dem Becken). Übrigens gilt das nur für die europäischen Alpen – in Neuseeland beispielsweise, sind zahlreiche Gewässer mit dem Parasit „Giardia“ verseucht – dass man ihn hat, merkt man erst nach Jahren – dann aber lebenslang.

Alles anziehen, damit’s im Schlafsack nicht kalt wird

Falsch – am besten ist es sogar, so wenig wie möglich im Schlafsack anzuziehen, dann ist die Wärmeleistung am besten.

Ist es nicht gefährlich, auf dem Gipfel zu schlafen?

Gegenfrage: Ist es nicht gefährlich, mit dem Auto zu fahren? Mir fallen spontan keine Gefahren ein, die einem auf dem Gipfel eher drohen könnten als in der Zivilisation. Viele sagen immer, dass sie Angst hätten, einfach runtergepustet zu werden. Die Wahrscheinlichkeit ist extrem gering, wenn man das Zelt ordentlich verzurrt. Bei einem Sturm, der dazu tatsächlich in der Lage wäre, ist es natürlich ratsamer, das Biwak aufzulösen und sich anderweitig zu schützen, zum Beispiel hinter einer Felswand oder in einer Mulde.
Die Gefahr durch Blitzschlag ist allerdings tatsächlich gegeben. Grundsätzlich ist es in der Nähe des Gipfelkreuzes am Gefährlichsten (dann ist der ganze Gipfelbereich gefährlich, nicht nur die Drähte), aber auch ohne Kreuz ist es unangenehm, weil dann das eigene Zelt der höchste Punkt ist. Dennoch sind solche Vorkommnisse extrem selten.  Übrigens muss das Gewitter nicht unmittelbar über einem stattfinden –  jeder Blitz im Umkreis von 10 km kann bei dir einschlagen.

Mir selbst ist es letzten Sommer passiert, dass ich auf dem Gipfel eines Dreitausenders (also ohnehin schon exponiert) nachts vom Gewitter überrascht wurde. An Abstieg war nicht zu denken, der Weg war ziemlich steil und sehr rutschig. Das massive und extrem hohe Gipfelkreuz hat die Situation definitiv nicht verbessert, aber ich hab’s überlebt. Wenn auch ziemlich unausgeschlafen.

Fünf Tage auf Tour = fünf T-Shirts und fünf Paar Socken

Ja, auf jeden Fall, wenn man darauf steht, unnötig schwere Rucksäcke zu schleppen.

Wer lieber Essen, einen ordentlichen Schlafsack oder eine Kamera anstatt des Kilos Klamotten mitnehmen möchte oder einfach generell leicht (und damit schnell) unterwegs sein möchte, sollte diese Rechnung aber nochmal überdenken.

Die Berge sind kein Schönheitssalon, auch wenn das die Outdoorbranche uns natürlich gerne verklickern möchte. 2 T-Shirts reichen – egal ob man 3 oder 30 Tage auf Tour ist. Das eine trägt man tagsüber, abends am Zeltplatz angekommen, nimmt man das andere und hängt das andere zum Trocknen auf. Wenn das Wetter es zulässt, kann man es auch noch kurz waschen. Bei Shirts aus 100% Merinowolle kann man sich das Waschen (zumindest auf kürzeren Touren) auch sparen, die riechen nämlich kaum und trocknen sehr schnell. Und was ist, wenn das T-Shirt bis zum nächsten Morgen nicht trocken wird? Dann ist das auch nicht so schlimm, spätestens eine halbe Stunde nach dem Loslaufen ist es eh wieder so durchgeschwitzt wie am Tag zuvor.

Übrigens spreche ich hier ganz gezielt von T-Shirts. Ärmellose Tops haben am Berg nichts zu suchen, denn sie schützen die Schultern weder vor der Reibung der Rucksackträger noch vor der Sonne. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es gibt beim Bergsteigen keinen schlimmeren Sonnenbrand als den auf den Schultern.

Bei den Socken gilt die gleiche Rechnung. Merinosocken riechen kaum, auch nach einer Woche tragen. Ich persönlich habe immer ein Paar dabei, das ich zum Laufen nehme und ein anderes, das abends zum Einsatz kommt. Feuchte Socken anzuziehen ist eklig, aber auch nur während der ersten paar Schritte.

Und was ist, wenn es regnet? Ja, Regen auf Tour ist immer unpraktisch. Dass die Sachen mit den Tagen alle feucht werden, ist fast unumgänglich, entweder durch das Wasser von oben oder den Schweiß von innen. Dann hat man eben die Wahl, ob man eine Nacht in einer Hütte übernachtet oder man optimistisch auf besseres Wetter wartet.

Und wenn wir schon bei den Schlagwörtern Regen und nass sind:

Meine Wanderschuhe sind nass, ich trockne sie am Feuer.

Kann man machen. Muss man aber nicht. Wenn die Wanderschuhe zu nahe am Feuer stehen (oder direkt auf der heißen Heizung), leiden die Klebeverbindungen der Schuhe – dass sich die Sohle dann urplötzlich vom Rest trennt, ist die Folge und das passiert grundsätzlich in den unpassendsten Momenten. Einem Teilnehmer in Schweden ist auch passiert. Weil wir dann schon unterwegs waren, blieb nichts anderes übrig, als die Schuhe mit Draht und Panzertape notdürftig zu flicken. Wir hatten noch drei Tage Trekking vor uns, die Schuhe hielten natürlich noch ungefähr eine Stunde. Den Rest ging der gute Mann mit Sneakers. Die Schuhe also sehr weit entfernt vom Feuer (so, dass du es mit dem Gesicht gut aushältst) aufstellen. Beim Trocknen mit Hilfe einer Heizung, die Schuhe nicht drauf sondern drunter stellen.

Oh, wenn wir schon dabei sind, noch ein kleiner Tipp für den Kauf von Wanderschuhen: Such dir eine Treppe oder eine abschüssige Fläche und trete so auf, dass du mit dem Fuß nach vorne rutschst. Übertreib es ruhig ein wenig, denn wenn du mehrere Stunden auf einer Straße bergab läufst, rutscht der Fuß sehr weit nach vorne. Nimm den Schuh in der Größe, in der du nicht mehr vorne anstößt. Alles andere bereut man nur, außer du hast vor, immer nur aufwärts zu laufen.

Aber wir hatten die Tour doch anders geplant!

Es kommt immer anders, als man denkt. Dieser Gedanke kommt mir häufig. Es zeugt von falschem  Stolz, wenn man eine Tour verbissen so machen möchte, wie man sie geplant hatte. Wenn Einheimische also Ratschläge geben, das Wetter umschlägt oder man selbst Zweifel hat, beweist es Erfahrung, wenn man nicht stur an seinem Plan festhält, sondern Flexibilität beweist. Natürlich muss man abwägen, ob der Einheimische Ahnung hat, aber im Zweifel hat er mehr als man selbst, zumindest wenn man noch nicht in diesem Gebiet unterwegs war. Auch das Umkehren kurz vor dem Gipfel steht für bergsteigerisches Können und bringt – zumindest in den entsprechenden Kreisen – mehr Respekt als eine Rettung durch die Bergwacht.

Hast du noch Dinge, die dir auf deinen Touren aufgefallen sind und die du für wichtig hältst? Dann nur zu! Ich freue mich immer über Feedback.

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10 Comments

  • Reply drahreG April 29, 2012 at 6:54 pm

    Zu „Jetzt tu doch nicht so“: Die Mühe ist wirklich gering, jemand zu informieren, welche Tour man unternimmt und wann man zurückkehrt. Gilt besonders bei Alleintouren. Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Ein Tourengeher steigt auf einen Berg und kommt am Montag nicht zur Arbeit. Rätsel: Wo war er? Eine Woche später: Ein Tourengeher findet Ski nahe dem Gipfel und informierte Polizei. Hubschraubersuche erfolglos wegen Neuschnee. Gefunden im nächten Frühjahr nach Schneeschmelze, erfrohren

  • Reply drahreG April 29, 2012 at 6:57 pm

    Aus dem Bach trinken: Das mache ich nicht gerne. Vielleicht weil ich nicht weiß ob weiter oben ein totes Viech im Bach liegt

    • Reply ulligunde April 30, 2012 at 4:42 am

      Und woher bekommst du auf Tour dein Trinkwasser? Vertraust du den Viehtränken?

  • Reply hans diem Mai 2, 2012 at 9:20 am

    Das gute Trinkwasser ist kaltes Wasser direkt aus der Quelle, es kommt aus tiefen Schichten. Kommt es angewärmt, dann ist es Oberflächenwasser, damit bedenklich. Ist das Wasser aus einem Bach kalt, ist es Quellwasser, dennoch möglichst weit oben entnehmen.
    Wer viel in der Natur biwakiert, wird nie auf einem Gipfel schlafen, ist kein Wohlfühlplatz.
    Dauernd Sonnenbrille tragen ist auch falsch! Das Auge verliert seine Reaktionsfähigkeit.
    Gruß Hans Diem

  • Reply hans diem Mai 3, 2012 at 7:58 am

    Zelten bei Gewitter: Der blitz geht über das Gestänge in den Boden, die Plane hat nur ein etwa 5 cm großes Loch. Ich muß aber auf 7 cm Isolierung liegen um von der tödlichen Bodenspannung verschont zu bleiben. Die Bodenspannung wirkt in 20 m Umkreis, also ist das Gipfelkreuz neben dem Zelt eher eine Falle als ein Schutz. Bei etwa 600 Biwaknächten habe ich eine Reihe von Gewittern erlebt, aber keinen Einschlag ins Zelt. Durch genügend Isolierung zum Boden bin ich dabei recht entspannt (dicke Luftmatratze, Schlafsack, Sitzfleck, Kleider).
    Bei Sturm und Regen ist Zelten im Gebirge der reine Wahnsinn, da heißt es Sitzen mit dem Rücken zum Wind um das Zelt zu stützen, mit den Gehstecken zusätzlich Streben anbringen, wehe wenn das Gestänge bricht und das Überzelt in Fetzen reißt, dazu das Wasser im Zelt ansteigt, und gerne auch Hagelschauer niederprasseln – alles echt erlebt.
    Thema Schlafsack: Die Temperaturen wechseln im Gebirge Nacht für Nacht so krass, dass man immer den falschen dabei hat. Der schwere Schlafsack ist bei Wärme unerträglich, heißt schlechter Schlaf, dauernd auf und zu machen. Der leichte Schlafsack ist eher besser, weil ich mich bei Kälte beliebig anziehen kann, sogar von den Füßen her den Poncho über den Schlafsack ziehen kann. Also der Tipp mit wenig Schlafkleidern funktioniert nur selten. Ich war sogar mal mit allen Kleidern einschließlich Überhose angezogen, lieber gut schlafen als die ganze Nacht zittern.
    Gruß Hans Diem

  • Reply Andreas | Outdoorblog Schweiz Juli 17, 2012 at 6:16 pm

    Irrtum Nummer 10: Ich laufe nur mit Stöcken sicher.

    Ich erlebe es jeden Frühling auf’s Neue wenn ich Touren für den SAC führe. Es gibt einige Teilnehmer, die sich mittlerweile ohne Stöcke so unsicher fühlen, dass sie dafür beim Queren von steilen Schneefeldern sogar auf den obligatorischen Pickel verzichten wollen. Die Teilnehmer glauben schlicht nicht, dass sie mit den Stöcken nicht bremsen können. Lange Diskussionen muss ich dann leider irgendwann mittels Autorität beenden.

    • Reply ulligunde Juli 17, 2012 at 6:22 pm

      Hi Andreas, ja, ich habe inzwischen auch schon öfter gelesen, dass man durch das ausschließliche Gehen mit Stöcken den Gleichgewichtssinn verliert. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Dass man sich allerdings auf Schneefeldern lieber mit Stöcken als mit ordentlichem Pickel fortbewegt finde ich schlicht gruselig.

  • Reply Lisa August 28, 2012 at 3:44 pm

    Irrtum Nr. 11: Mein Handy ist eingeschaltet, die werden mich ja auch so problemlos finden. Leider funktioniert die Handyortung nicht einwandfrei, der Standort kann manchmal nur mit kilometerweiten Toleranz bestimmt werden. Wer sich in den Bergen bewegt, weis, wie lang ein Kilometer werden kann. Ein Tipp, den ich irgendwo aufgeschnappt habe: wenn man das Handy ausschaltet und beim erneuten Einschalten statt der eigenen PIN die 112 wählt, hat die Verbindung höchste Priorität im Funknetz.

  • Reply Lawinenseminar mit Martin Engler « ulligunde Dezember 12, 2012 at 8:10 am

    […] passiert schon nichts“. Eine dieser häufigen Aussagen, die manchmal eben doch schief gehen. Nun bin ich die letzten Jahre auf Skitour immer erfahrenen […]

  • Reply Lawinenseminar mit Martin Engler « ulligunde Juli 3, 2013 at 1:39 pm

    […] passiert schon nichts“. Eine dieser häufigen Aussagen, die manchmal eben doch schief gehen. Nun bin ich die letzten Jahre auf Skitour immer erfahrenen […]

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