Hindelanger Klettersteig Winterbegehung

Januar 10, 2014

Ich hatte dieses Bild bei Facebook gesehen. Ein ausgesetzter Grat, teilweise mit Schnee bedeckt. Mit weitem Blick in die Allgäuer Alpen und einer rauschenden Tiefe auf beiden Seiten. Der Hindelanger Klettersteig gehört angeblich zu den schönsten im Allgäu und ist im Sommer dementsprechend überlaufen. Angeblich – ich selbst weiß es nicht, schließlich habe ich es nicht so mit diesen Stahlwegen. Aber im Winter? Allein in der stillen Bergwelt, in ausgesetztem, aber klettertechnisch nicht allzu anspruchsvollem Gelände, am besten mit einem erfahrenen Partner? Klingt perfekt!

Für den Steig kam mir spontan nur ein Partner in den Sinn. Erfahren im Umgang mit Steigeisen und Seilsicherung, beherrscht genug, auch in gruseligen Situationen konzentriert zu bleiben und ausreichend entspannt, um zwei gute Tage mit ihm zu erleben. Als ich ihn am Dienstag fragte, ob er übermorgen Lust auf ein kleines Abenteuer hätte, sagte er ohne zu Zögern einfach zu. Solche Partner braucht man! Wir nahmen uns beide frei und stiegen am Mittwoch Abend die tausend Höhenmeter zum Edmund-Probst-Haus auf.

Frühstück? Gibt’s hier erst ab acht!

Die Hüttenwarte waren etwas entgeistert, als sie von unserem Plan hörten. Wenig enthusiastisch wurde uns das Abendessen serviert, Frühstück gäbe es „mitten in der Nacht“ bei ihnen nicht. Sieben Uhr. Mitten in der Nacht?! Immerhin konnten wir sie zu einem halben Liter Teewasser überreden.

Hindelanger Klettersteig – mit Ski- oder Bergschuhen?

Früh, aber schon warm.Um 6.15 klingelte mein Wecker. Wir hatten unseren Start auf 6.45 geplant. Die restlichen dreihundert Höhenmeter würden wir im Dunkeln auf der frisch präparierten Piste auf Tourenski zurücklegen und an einer geeigneten Stelle auf den Grat klettern. Wir hatten lange überlegt, ob wir die Ski an der Hütte zurücklassen und nur mit Bergschuhen klettern sollten. Ohne Zweifel wären wir auf diese Weise am Grat schneller unterwegs, weil weder die sperrigen Ski am Rücken noch die schweren, unflexiblen Skistiefel an den Füßen wären. Aber der Rückweg wäre auf diese Weise sehr viel anstrengender, weshalb wir uns letztendlich doch für die anspruchsvollere Variante entschieden: Mit Skistiefeln an den Füßen und Ski am Rücken.

Auf gehts!

Hindelanger Klettersteig Winter 05Während des Aufstiegs wurde es langsam hell, der Himmel über dem schönen Hochvogel leuchtete lange tief violett. Gegen acht Uhr erreichten wir den Grat. Der erste Blick auf den gesamten Steig. Fünf Kilometer ist er insgesamt lang, an zwei Stellen kann man – zumindest im Sommer – absteigen und den Steig frühzeitig zu beenden. Die späteste Umkehrzeit hatten wir auf 14 Uhr gelegt. Eine Stunde mit Tourenski zurück zum Skigebiet und nochmals eine Stunde, um nach Hause zu fahren. Mein Partner musste nämlich aller spätestens um 17 Uhr seinen Nachwuchs aus dem Kindergarten abholen. Sechs Stunden blieben also noch. AUF GEHTS!

Lieber ein Sturz in den Gurt als ein Flug ins Tal

Lieber ein ungemütlicher Sturz in den Gurt als ein Flug ins Tal.Der erste Kilometer ging flüssig. Wir sahen immer wieder den ein oder anderen Bohrhaken und waren zuversichtlich, dass wir auf diese Weise wohl jede brenzlige Stelle absichern könnten. Das Seil blieb jedoch bis dahin im Rucksack, denn der Grat war breit und größtenteils gut zu gehen. Wo ein Stahlseil aus dem Schnee blinzelte, hängten wir uns mit einer Bandschlinge ein – lieber ein ungemütlicher Sturz in den Gurt als ein langer Flug ins Tal. Bereits nach einer Stunde erreichten wir den Westlichen Wengenkopf. Wir hatten zu keiner Zeit uns das Ziel gesetzt, den gesamten Klettersteig zu schaffen, aber beim Blick auf die Uhr spielten wir beide kurz mit dem gleichen Gedanken: Könnten wir es schaffen?

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Mit einem Bein über dem Abgrund

Nach einer kurzen Rast ging es weiter – lieber jetzt schnell machen und später noch Zeit für ein Radler haben. Ab hier wurde das Gelände allerdings zunehmend anspruchsvoller. Der Grat wurde schmaler, immer häufiger musste man Skistöcke gegen Hände tauschen. Immer wieder waren fußbreite Passagen dabei – links sechshundert Meter ins Retterschwanger Tal, rechts hundert ins Koblat. Und oben weder Platz für Stöcke noch etwas zum Greifen. Luft anhalten. Konzentrieren. Die Sekunde, in der man nur mit einem Fuß auf diesem schmalen Grat steht und hofft, dass nicht in diesem Moment eine Windböe kommt… Fupp – rüber an den rettenden Fels. Kurze Stellen, aber gruselig und zugegebenermaßen etwas kompromisslos. Rüber oder runter. Dann doch lieber rüber. 

Weiter oder runter?

Sieht nicht weit aus, ohne etwas zum Greifen und mit sechshundert Meter Luft unter der Fußsohle aber doch nicht so easy. Für mich zumindest.Für diese fünfhundert Meter bis zum nächsten Notausstieg brauchten wir sage und schreibe zwei Stunden. Doppelt so lang wie für das vorangegangene Stück. So wird das nichts mit dem ganzen Klettersteig. Während wir den schmalen Grat entlangkletterten, fragte ich mich, ob wir beim nächsten Notausstieg absteigen sollten. Aber andererseits: Wir sind hier, es läuft gut, wir haben noch viel Zeit und es spricht im Grunde nichts dagegen, weiterzumachen und zu schauen, was kommt! Wir sprachen uns ab und entschieden: Weiter! Zeit, Kondition, Wetter, Intuition – nichts sprach dagegen.

Schwimmschnee ohne Halt

Steil bergab.In unverspurtem Schnee ging es weiter. Immer wieder taten sich rauschende Tiefblicke auf. Es sah schön aus. Weich irgendwie! Wie es sich anfühlen würde, mit Ski am Rücken hinunterzustürzen? Ich verdrängte den Gedanken wieder. Nicht runter – weiter ist das Ziel! Reine Schneepassagen wechselten sich mit purem Fels ab – teilweise mit Stahlseilen gesichert, zahlreiche Stellen jedoch ohne Sicherung. Immer wieder waren es kurze Stellen – wenige Meter lang – die ausgesetzt und anspruchsvoll waren. Eine flache Platte, hauchdünn mit Schnee bedeckt. Gerade so, dass man nicht erkennt, wo man die Steigeisen platzieren könnte, für die Finger nur schmale Risse im Kalk. Nordseitig war es teilweise bodenloser Schwimmschnee, der den Füßen keinerlei Halt gab. Dennoch fühlte ich mich hier sicher – immerhin hatte ich etwas in der Hand – ganz im Gegensatz zu den luftigen Gratpassagen. Die Drahtseile und Leitern waren immer wieder sehr willkommen, an ihnen ging es recht problemlos und zügig voran.

Die Zeit wird knapp

Kurz unterhalb des Östlichen Wengenkopfes rasteten wir. Während wir noch darauf zu liefen, fiel mir die Schneerinne auf, die bis nach ganz unten führte. „Wenn uns die Zeit ausgeht, könnten wir hier runter“, dachte ich mir noch. Sehr steil zwar, aber der Schnee war fest und gut zu gehen. Es war 12.40 Uhr, als wir wieder aufbrachen. Beim Überschlagen der Zeit wurde klar, dass wir schnell sein mussten. Beim nächsten Notausstieg würde so oder so Schluss sein. Vom Östlichen Wengenkopf geht es über 100 Höhenmeter runter – wir hofften darauf, einige Passagen abseilen zu können, um das Seil nicht völlig unnötig mitgeschleift zu haben und auf diese Weise Zeit zu sparen. Am Gipfel kam dann allerdings das jähe Ende.

Abbruch

Ein steiles Schneefeld versperrt uns den weiteren Weg.Direkt auf dem Gipfel gab es keinen Weiterweg. Nach kurzem Suchen wurde deutlich: Ein enorm steiles Schneefeld versperrte uns den Weg. Etwa fünf Meter weiter unten gingen die Seile weiter. Die Passage war extrem ausgesetzt, das Feld sehr steil und der Schnee nicht ganz trittfest. Natürlich war genau an dieser Stelle auch keine vernünftige Sicherungsmöglichkeit. Zwar gab es ein paar kleine Felsköpfe – zum daran Abseilen waren sie aber nicht wirklich vertrauenswürdig. So redeten wir es uns jedenfalls ein. Jetzt, im Nachhinein, war das Feld womöglich nicht viel steiler als ein anderes, das wir im ersten Drittel des Grates Schritt für Schritt abgestiegen waren. Aber die Ausgesetztheit, die Ungewissheit, was als nächstes käme und der Zeitdruck machte klar: Hier ist Schluss. Wir sind nicht hier, um irgendetwas zu riskieren. Er dachte in dem Moment wohl an Frau und Kind, ich an meinen Partner. Die Entscheidung war schnell gefällt. Rückzug.

Was für ein Tag!

Unser "Winterabstieg" vom Hindelanger Klettersteig.Über das steile Schneefeld, an dessen oberen Ende wir noch gerastet hatten, stiegen wir vorsichtig ab. Steilwandfahrer hätten das Ding wohl mit Ski gemacht, aber hier oben noch zu stürzen und unten von dem ausgedehnten Grasfeld – ja, Gras – abgebremst zu werden? Muss nicht sein. Bis wir letztendlich im Koblat waren, Steigeisen wieder gegen Ski eingetauscht und uns ausgiebig beglückwünscht hatten, war es dann doch auch schon halb zwei. Perfektes Timing also. Und so reichte es nach dem etwas zähen Rückmarsch also tatsächlich noch für ein entspanntes Bier auf der Terrasse des Edmund-Probst-Hauses.  Die 1.000 Höhenmeter Abfahrt, die uns anschließend auf der Piste noch erwartete, ging erstaunlich gut und so standen wir pünktlich um vier wieder am Auto. Im Gesicht ein breites Grinsen. Was für ein Tag!

Ein wunderbares Abenteuer

Es hat sich mal wieder bestätigt: Spontane Aktionen sind die besten. Es hat einfach alles gestimmt – Begleitung, Wetter, Bedingungen, Kondition, Anspruch. Und spätestens nach dieser Aktion muss ich mir wohl eingestehen, dass ich doch nicht an Höhenangst leide. Oder sie zumindest in den vergangenen Jahren kuriert habe.  Ein wunderbares Abenteuer! Und eine perfekte Alternative zum Büro.

PS: Die ausführlichen Gefahrenhinweise spare ich mir jetzt. Jeder, der in Erwägung zieht, den Klettersteig im Winter zu machen, sollte selbstverständlich über ausreichend Erfahrung mit Steigeisen und Ausgesetztheit verfügen und nur bei idealen Lawinen- und Wetterverhältnissen starten. Wir haben vom Nebelhorn bis zum Östlichen Wengenkopf etwa fünf Stunden gebraucht – ohne sperrige Ski und mit Bergschuhen geht das wohl aber schneller. Schlingen und Karabiner (oder KS-Set) sind sinnvoll.

PPS: Vielen Dank an ihn fürs fleißige Fotografieren. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt 😉

 

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18 Comments

  • Reply Steve Januar 10, 2014 at 9:22 pm

    Wow…was für eine Tour!
    Das wäre nichts für mich, aber für dich war ja alles dabei…genial!
    Respekt und Hut ab vor eurer letzten Entscheidung. Ich kenne solche Situationen gut genug und im Nachhinein ist es immer die beste und einzig richtige Entscheidung gewesen. Man will es nicht immer sofort wahrhaben und hinterfragt am Anfang sehr viel, sehr oft, aber am Ende passt immer alles.

    Danke für den Bericht und die genialen Bilder!

  • Reply Christian Januar 10, 2014 at 10:02 pm

    Hui, schon ein bisschen verrückt, was ihr da gemacht hab … 
    Ich krieg‘ schon beim betrachten einiger euere tollen Bilder leicht weiche Knie … 😉

  • Reply Reiner Weger Januar 10, 2014 at 10:31 pm

    hallo
    wow…geile Tour, das ist genau das was mir auch gefallen würde. ich wollte etz schon das Burgberger Hörnle machen, hab ja vor Wochen schon mal den Einstig nicht gefunden, wie soll das erst im Winter werden 😉 und dann hab ich keinen Partner…… aber deine Tour ist ja der Hammer und wieder ein super Bericht 🙂
    Gruß Reiner

  • Reply Bernd | KritzelKraxel.net Januar 11, 2014 at 7:50 am

    Hallo Erika,
    is ja wieder der Wahnsinn, was Du Dir da wieder ausgedacht hattest. Und natürlich wieder grandios in Worte gefasst. Und die Fotos von Euch beiden. Lese und schaue ich immer wieder gerne!
    Danke für das Teilhaben lassen an Eurem Abenteuer!
    Viele Grüße aus Westfalen, Bernd

  • Reply Rebecca Januar 11, 2014 at 10:54 am

    Eine Traumtour von mir; hoffentlich bin ich in ein paar Jährchen soweit 🙂 Euch auf jeden Fall Glückwunsch zur gelungenen Tour – bis zum Ende oder nicht, ist doch egal, solange man Spaß hatte und heil wieder unten angekommen ist!

  • Reply Stefanie Januar 11, 2014 at 1:58 pm

    Tolle Tour, toller Bericht! Abenteuer gibt’s nicht nur im Himalaya sondern auch vor der Haustür 🙂

  • Reply Letzte E-Mail von ulligunde (Mail nicht anklicken!) | ulligunde.com Januar 11, 2014 at 5:00 pm

    […] das Surfen auf der neuen Webseite spannend bleibt, gibt es einen brandneuen Artikel zu unserer Winterbegehung des Hindelanger Klettersteigs am vergangenen […]

  • Reply Sven Januar 12, 2014 at 10:14 am

    Geil! Gratulation zur Tour!

  • Reply Bernd Rieffel Januar 12, 2014 at 12:25 pm

    Eine traumhafte Tour mit einigem an Nervenkitzel. Die Bilder sind ein Wahnsinn. Es war ein Genuss den Bericht zu lesen. liebe Grüße Bernd

  • Reply Wu Januar 14, 2014 at 8:28 am

    Super Tour, super Idee! Genau nach meinen Geschmack ! SKIMO Deluxe 🙂

  • Reply Paul Januar 14, 2014 at 4:18 pm

    Wow…also ich hätte mich das generell nicht getraut, daher Respekt ;)!
    Aber daher war der Beitrag umso spannender zu lesen ;)!

    Beste Grüße,
    Paul

  • Reply Markus Januar 15, 2014 at 2:48 pm

    Wahnsinn was Du/Ihr Euch traut und dann noch nicht mal sicher sein ob man schwindelfrei ist ;)!! Daher von mir aus auch…RESPEKT ;)!

    Greetz,
    Markus

  • Reply Harald Februar 9, 2014 at 3:10 pm

    Ja das sieht anspruchsvoll aus und ist es sicher auch. Wenn ich mich noch dunkel erinnere dann sieht man den Hindelanger Klettersteig von der Fidererpasshütte aus. Das war das Höchste auf das ich bis jetzt gestiegen bin. Von dort aus sieht man einen Leiterweg über 2 Felesen, ganz hoch gelegen. Da wird mir schon vom zuschauen von der Hütte aus schwindlig.

    • Reply ulligunde Februar 16, 2014 at 5:26 am

      Hallo Harald,

      hm, das passt nicht ganz zusammen. Wenn es die Fiderepasshütte war, dann hast du damals den Mindelheimer Klettersteig gesehen. Oder verwechselst du den Hindelanger eventuell mit dem Heilbronner Weg? Der hat eine recht exponierte Leiter-Brücke und meines Wissens auch eine steile Leiter direkt am Anfang… Na, wie auch immer, Hauptsache man ist draußen unterwegs 😉

      Liebe Grüße!

      Erika

  • Reply Wald, Wiese, Fels, Gipfel – Ulligundes Lieblingswanderung im Tannheimer Tal | Wohlgeraten Tagebuch - Alpen - Leben - Stil Februar 26, 2014 at 5:57 pm

    […] Erika schreibt auf ihrem erfolgreichen Alpin-Blog ulligunde.com über Bergsport, Reisen und Fotografie. Ihre Homebase hat sie dabei normalerweise im Allgäu, ab März wird sie aber gemeinsam mit ihrem Freund und dem gemeinsam VW-Bus von den Pyrenäen in die Lofoten tingeln und dabei vornehmlich bergsteigen, klettern, fotografieren und einfach leben! Bild: Erika am Hindelanger Klettersteig bei einer Winterbegehung […]

  • Reply Allgaeuer70 Februar 8, 2015 at 2:11 pm

    Ganz toll geschriebener Bericht mit einer imposanten Tour und schönes Fotos.
    Kenne den KS nur vom Sommer und da ist er für mich fix zum durchgehen ohne große Schwierigkeiten.
    Für den Winter würde ich mir das überlegen, den Partner hätte ich, aber leider nur die falsche Jahreszeit :-(.
    Eure Überlegung war sehr klug und das einzig richtige.
    Weiterhin ganz viel Spass im Sport, wie auch immer.
    Vg vom Allgaeuer

    • Reply ulligunde Februar 8, 2015 at 2:33 pm

      Hi Markus,

      vielen Dank für das Lob! Bei so viel Neuschnee ist der Hindelanger nix (naja, hängt natürlich immer davon ab, wie viel du bist 😉 ), aber empfehlenswert ist die Winterbegehung allemal! Ganz besonders deshalb, weil man den KS ja normalerweise eher nicht so einsam erlebt.

      LG,

      Erika

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