Lang. Oder doch nicht? Die Wildspitze als Tages-Skitour ab Vent im Ötztal checkt mit knapp 2.000 Höhenmeter im Aufstieg und 10 Kilometer Distanz zum Gipfel (bei mir) bei den echt großen Touren ein. Ein Tourenbericht einer langen, traumhaften Reise.
Zweitausend Höhenmeter – speziell auf einer Höhe, in der mein Körper erfahrungsgemäß nicht mehr flink funktioniert – ist für mich eine Ansage. Für ihn nicht. Für andere auch nicht. Was also schreiben?
Es war einigermaßen klar, dass es klappen wird. Die größere Frage war eher: In welcher Zeit: Sehr früh los, im Dunkeln laufen, Puffer einplanen? Später starten, vom Tageslicht profitieren, womöglich gar von einer getretenen Spur, aber dafür im Pulk? Gibt es auf dieser Variante überhaupt einen Pulk? Brauchen wir eine Spur? (Spoiler: Nein und nein)
Relativ früh los
Wir entschieden uns für den Mittelweg: 4.45 Uhr los – im Dunkeln durchs wenig hübsche Skigebiet und zum Sonnenaufgang an der Bresslauer Hütte – dem ersten Zwischenziel dieser langen Reise. Dürfte hübsch sein, so im Sonnenaufgang.
Es sind allerdings nicht nur Höhenmeter, die gemacht werden wollen, sondern auch rund zehn Kilometer Strecke. One Way. Mit Ski, dafür mit kleinem Gepäck. Das Seil packten wir doch ein, der Rucksack wirkte sonst glatt leer. Man weiß ja nie. Oder doch die Gleitschirme?
Die Skitour zur Wildspitze ab im Flug:
Relive ‚Wildspitze in a day‘
Einmal das gleiche zum Mitnehmen, bitte
Im Dunkeln kamen wir an, weder Webcams noch die Stirnlampe verrieten, ob man über die Piste aufsteigen konnte. Wir wählten sicherheitshalber den schneefreien Sommerweg, schnallten ein paar hundert Höhenmeter später in der ersten Dämmerung die Ski an die Füße.
Zwei andere Seilschaften starten kurz nach uns, schlugen aber beide den Weg zur Martin Busch Hütte ein. Wir blieben allein. Stundenlang auf der einen Kante dieses endlose Tal entlang laufen? Tauschen woll’n wir nicht. Dachten wir noch und bekamen prompt das selbe Menü serviert:
Der neue Tag beginnt
Auf hartem Untergrund ging es grad so ohne Harscheisen hinauf. Kehre um Kehre folgten wir der Skipiste, um uns schrumpften die schneefreien Flecken, das Panorama wuchs über sich hinaus. Der Horizont wurde lila, immer mehr Gipfel tauchten auf und später ein in ein sanftes Rosa.
Wir waren allein, nichts – aber auch gar nichts – war zu hören. Vom Herumeiern auf dem schrägen Untergrund spürte ich erste Blasen an Stellen, wo ich sie sonst nie bekomme. Schlecht – wir hatten gerade mal ein Sechstel der Höhenmeter. Noch bis zur Hütte. So früh schon eine Pause, das ist nicht gut. Weiter ging es schräg und eiernd immer den Hang entlang.
»Früher« ist auch realtiv
Mit der Sonne wurde es warm, kaum ein Lüftchen ging. Hätten wir doch die Schirme mitnehmen sollen? Nein, wir spekulieren auf Firn und damit eine hübsche Abfahrt. Mal wieder wie früher.
Wobei, »früher« ist irgendwie auch relativ, schließlich war’s unsere erste gemeinsame Skihochtour und für ihn seine zweite überhaupt. Grand Jorasses und Cerro Torre klettern, aber noch nie mit Ski – also nur mit Ski – auf’m Gletscher. Alpinismus 2.0?
Monoton und flach
So ganz ohne Druck, möglichst schnell an irgendeinem Einstieg zu stehen, lümmelten wir erstmal entspannt an der Hütte. Wir waren knapp im Zeitplan und es war so schön warm. Sonne, Frühstück, hübscher Winterraum. Und diese Ruhe!
Frisch verarztet ging es weiter. Abwechslungslos ging es weiterhin in die gleiche Richtung (Hang rechts, Blasen links). Eine Stunde lang machten wir nahezu keine Höhe gut, dafür wurde die Landschaft mit jeder Kuppe imposanter.
Imposant waren auch die Windfahnen, die plötzlich über die Kämme fegten. Und die Felswände in dem Kessel, auf den wir direkt zusteuerten. Wo wird’s da wohl hochgehen?!
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Diese Ausrüstung war mit dabei
»Lang« ist auch relativ
In ganz eigenem Tempo folgte ich der Spur, die mühelos einige hundert Meter weiter vorne entstand. Lang ist relativ, dachte ich mir mal wieder. Ohne meine Pausen wäre er wohl schon längst am Skidepot. Und das, wo ich möglichst versuchte, das Tempo zu treffen, bei dem ich keine Schnaufpausen brauchte. Geduldig wartete er immer wieder, stapfte Herzchen in den Schnee und kam mit höchster Wahrscheinlichkeit heute noch genau kein einziges Mal ins Schwitzen.
Weiß, steil und tief
Wir liefen einen Bogen, der Schnee wurde tief und noch tiefer. Selbst der Mann wurde minimal langsamer, hinter uns tauchten erste Verfolger auf. Immer steiler wurde es, unser Bauchgefühl immer kritischer. Wir wussten schon, woher dieser Pulver kam. Von oben. In Form von Triebschnee.
Mit Abstand zogen wir hinauf und wählten den verschneiten Klettersteig zum Joch. Immer wieder rutschten die Stiefel über die Platten, im Sommer wären bestimmt irgendwo kleine Tritte, jetzt im Winter war es vor allem alles weiß, steil und tief. Und unheimlich anstrengend.
Gucken!!
Die finale Schneerinne sah von unten auch hübscher aus, als sie am Ende mit ihrer Eisgrundlage zu stapfen war. Steigeisen wären sinnvoll gewesen, der Pickel in der Hand war zumindest hilfreich. Und dann endlich: Der erste Blick auf die andere Seite. Und wieder zurück – das Gucken hatte ich die letzten hundert Höhenmeter glatt vergessen. Rüber. Zurück. Rüber. Wie sagenhaft schön!
Auf die Autobahn
Der Betrieb auf der Skigebiet-Wildspitz-Autobahn war fast noch human, ich hatte es schlimmer befürchtet. Wir reihten uns ein. Und bremsten aus. Ich zumindest. Mit einem Schritt pro Atemzug knallten Höhe und gemachte Meter in mir fulminant zusammen, während die anderen mit einem Viertel unserer Höhenmeter in den Beinen natürlich gewaltig fitter daherkamen.
Hätten wir schneller sein sollen?
Die Zweitspur vom Mann wurde gleich mehrmals genutzt. Während ich so dahinzuckelte, eroberte die erste Seilschaft des Tages den Gipfelgrat. Ein bisschen weniger Lümmeln auf der Hüttenterrasse und das hätten wir zwei sein können – aber was soll’s schon. Der Ausblick ist der gleiche und eilig hatten wir es weiterhin nicht – auch wenn wir inzwischen schon knapp zwei Stunden hinter unserem Zeitplan lagen.
Die Tour auf der Karte:
Im Katalog
Irgendwann kam dann doch auch für mich noch das Skidepot. Oder waren wir in einen Ortovox-Katalog gehüpft? Nagelneue Steigeisen wurden eingestellt und kreativ montiert, den Aufstieg säumten Grüppchen mit den resultierenden Problemen.
Mein Problem war eher das Schnaufen, aber der Stau vor dem Hillarystep im Miniaturformat bot genügend Zeit zum Ausruhen. Irgendwann waren wir an der Reihe und glatt zufällig mit zwei Allgäuer Kollegen am Gipfel.
Poah.
Was für eine Aussicht.
Wohin gucken?!
Erinnerungen
Der Blick zog unweigerlich in Richtung Vent. Das Tal so weit unten, dass man es nicht mehr sehen konnte, darüber weiße Gipfel, so weit das Auge reichte. Keine Wolke, dafür so viele Gipfel mit persönlichen Erinnerungen:
Similaun und Fineilspitze, eine der ersten Hochtouren. Später die Hintere Schwärze über die Nordwand und nochmals die Fineilspitze. Irgendwann im Rahmen der Venter Runde abermals der Similaun, der Schrankogel, die abgebrochene Weißkugel, die wir letztes Jahr mit den Mädels erstiegen. Zirmkogel: unser erster Gleitschirm-Gletscher-Start. Die Liebenerspitze im Sommer, dort drüben Buin, dort hinten noch viel mehr… Ein intensiver Moment. So. Viele. Erinnerungen.
Der eher unschöne Teil
Im Abstieg dann die schleichende Erkenntnis: Das müssen wir jetzt bei der brütenden Hitze alles wieder runter. Mit Ski erst durch gutmütigen Harsch, zu faul für Felle stapfend hinauf zum Joch. Abklettern. Abseilen – möglichst weit runter, um die Lawinengefahr zu minimieren.
Einige Schwünge im tiefen, schweren Pulver, unvermittelter Übergang in Firn, gewürzt mit hinterhältigen Harschpartien. Sie wurden weniger, je weiter runter wir kamen. Die Kraft allerdings auch.
An der Bresslauer Hütte schnappten wir uns abermals die Bank, wickelten als Schutz vor der Sonne die Pullis um den Kopf. Es ist zu warm. Zu hell. Kopfweh hämmerte im Schädel. Und nachher noch zu Fuß über den Sommerweg runter!?
Gute Nachricht!
Zwei Jungs kamen nach, sie waren die ganze Rinne abgefahren – sie hatte offensichtlich gehalten. Sie bedankten sich fröhlich fürs Spuren am Morgen und revanchierten sich mit einem heißen Tipp: Sie waren morgens über die Piste aufgestiegen – bis auf 20 Meter war sie noch komplett schneebedeckt!
Mit frischer Motivation kurvten wir in Richtung Skigebiet. Der Sulz half beim Bremsen und siehe da: Die Jungs behielten tatsächlich Recht! Lachend wedelten wir zum Auto.
Knapp zehn Stunden nach unserem Aufbruch heute Morgen waren wir wieder hier. Die Blasen schmerzten, die vergessenen FlipFlops ebenfalls. Das Eis in Ötz schmeckte dafür umso besser – genauso wie alles andere, was wir an diesem Abend an Kalorien noch so finden konnten.
Rundum perfekt.
Ein Traumtag zwischen zwei Regentagen. Perfekt genutzt. Perfekt gelaufen. Große Motivation auf noch mehr Berge – allerdings mit der Gewissheit, dass das erstmal nichts wird. Am Donnerstag geht’s nach Afrika. Fels und grüne Hügel warten auf uns. Was für ein Leben.
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Facts: Skitour Wildspitze ab Vent im Ötztal
Start um 4.45 an der Talstation der Bergbahn, Gipfel etwa gegen 12 Uhr. Skigebiet seit mehreren Wochen bereits geschlossen, Aufstieg über Sommerweg die ersten ca. 200 hm komplett schneefrei und hübsch zu gehen. Winterraum in der Bresslauer Hütte extrem schön! Klettersteig war bei uns zumindest im Felsteil gut erkennbar, die meisten Stufen lagen jedoch unterm Schnee. Gurt mit Selbstsicherung macht hier für einen kurzen Ausrutscher Sinn. LVS-Ausrüstung auch, die Rinne ist steil! Fast alle Gruppen – auch mit Bergführern – waren am Gletscher ohne Seil unterwegs. Die „Schlüsselstelle“ wenige Meter unterhalb des Gipfels schien mir mit Schnee sehr gutmütig zu sein, Steigeisen machen oben raus aber Sinn. Wir haben das Seil zum Abseilen über den Klettersteig genommen, was nett, aber nicht unbedingt nötig war.
Hike und Fly Wildspitze mit Gleitschirm:
Wir hatten trotz Traumwetter nur wenig Talwind, Wiesen sind nicht endlos riesig, aber ausreichend vorhanden. Startplatz wenn dann vom Nordgipfel, wir haben nicht wirklich einen Startplatz in Richtung Süd ausmachen können (weder an der Ostschulter noch irgendwo in Richtung Mitterkarjoch). Startrichtung Nord findet sich deutlich mehr.
3 Comments
Hey Gunde 🙂
Was`n passiert?
Ich lese, zugegeben erst seit einer Woche, dafür mit sehr viel Freude, deinen Blog.
Ich denke, schon den größten Teil deines Geschriebenem verschlungen zu haben und gestehe ein regelrechtes Suchtverhalten.
Heute bimmelt mein ( und ich bin wirklich kein SocialMediaJunkie….) Instaaccount..Taaadaaa … die Ulligunde hat nen neuen Beitrag…..blick auffe Uhr….debiles Grinsen ….. yeeeaahhhh ….Pause und ab dafür. Und dann…..jaaaaa erstmal die Bilder stalken!!!! Gleich flimmerts wieder in mir….ich will raus…ich will den Schreibtisch verlassen und einfach im Fernweh baden…Ulli gib mir Stoff! Yepp…klappt! Die Bilder zünden….Augen auf Sternchenmodus und ran an den Text! Lesen Lesen Lesen ….hmmm heute is was anders…..was`n passiert….hab ich noch Schlaf in den Augen? Wo is`n der Pepp hin….hat se den heute nicht verpackt? Wo sind`n die „oooooh jaaaa“ Momente in ihren Zeilen….häh? Alter hol dir ma nen Kaffee und ließ nomma von vorne…hmmm äh neee kommt nich….wer schreibt`n da? Iss die Gunde nich im Flow? Oh man….komm nimm dir nen anderen Bericht. OOOOOOKAAAYY das klappt….alle liebgewonnenen Aspekte drin.
Liebe Gunde, ich…38 Jahre fastfrisch, junggeblieben und ziemlich balla hinter den Augenbrauen habe dich gefunden!!!! YEEEAHAAA ich muss sagen, ich mag alles an deiner Art zu Schreiben, das Bild, welches ich mir von dir mache und dem Lebensstil den ich dahinter vermute. Alles einfach toll! Die spritzigen Texte, die vielen Fachspezifischen Wörter die sich mir nicht erschließen, die Art und Weise wie du über deinen Partner schreibst ( herrlich liebevoll und immer drauf bedacht nicht zu viel davon herzugeben und dann doch emotional ….seeehr ssehr schön!) deine verrückten Ideen und Durchführung dergleichen ( Siehe…ich flieg dann ma eben Schirm) und nicht zuletzt das Entzünden meines Fernwehs durch deine Bilder und Texte, machen mich zu deinem Fan. Sagt man sowas noch so? Ich selbst bin leidenschaftlicher Überschallflieger in Form von Plastikverpackten Motorrädern gewesen und darf seit einiger Zeit aus Gründen der Vernunft ( pahahahaa) nichtmehr Fahren. Mein Bruder hat in nem schwachen Moment , still und heimlich , meine letzte Luftbodenrakete verkauft und mir erklärt… „Sei froh, bis hier ist nix passiert, fordere das nicht herraus“. Hmmm was nun?….Ey ganz klar… ich geh jetzt Wandern…oder Trekking oder wie ds heißt…..Hmm is ja äh na fast so ähnlich….nee aber garantiert auch geil! Nimmst den Hund und genießt die Natur! Jupp Also ab zu Globetrotter und ma kieken…hmm ach ließ dich doch erstma ein…hmmm gefällt mir! Jede Menge cooles Geraffel, alles neu für mich. Irgendwann bin ich auf die Gundeseite gerutscht…und nuuuu…. ach du Scheiße….alle Lampen an. Meine kleine Anlaufstelle für ein neues Hobby auf das ich große Lust hab. Heute hab ich dich nicht herauslesen können und das war der Grund, mal kurz nach dem Rechten zu sehen…..ich schreib sonst nie irgendwas irgendwo hin und hab nichmal Lust zu Whatsappen…aber hier war Handlungsbedarf 🙂 Bitte schreib wieder Gundelike viele Grüße Kilo
Hi Du!
Wow, dieser Kommentar geht sicher als einer der längsten und persönlichsten in die ulligundsche Kommentar-Geschichte ein 😉 Danke für Deine Mühe! Hier ist alles in Ordnung, danke der Nachfrage 😉 Skitouren sind wahrscheinlich von Haus aus nicht ganz so Wuuuaaah-Aaaaah!-artig, man hatscht halt vor allem einfach irgendwo rum, ist oben und fährt wieder runter. Aber ich nehm Deine Zeilen einfach mal als Kompliment für all die anderen Artikel. Ich hoffe ja schwer, dass im Sommer wieder ein paar nach Deinem Geschmack online gehen 😉 Ich werd mich bemühen! 🙂
Liebe Grüße!
Erika
Gratuliere zur gelungenen Tour – steht bei mir auch noch auf der Bucket List 😉