Ungewöhnlich. Diese Ruhe in mir. Keine Bedenken. Keine Nervosität. Da ist nur eines: Pure Vorfreude. Das wird so gut, denke ich mir, während die Milchstraße über unseren Schlafsäcken funkelt.
Es gibt diese Menschen, bei denen man endlos quatschen und man einfach man selbst sein kann. Und es gibt diese Touren, die man »irgendwann auch mal« machen will:
Die »schönste und längste Überschreitung der Silvretta« klingt zwar irgendwie nach Superlativ-Eskalismus, aber wenn das eine – also die Bonnie – mit dem anderen – also der Litzner-Seehorn-Überschreitung – zusammenfällt und dann auch noch stabiles Wetter und ein Sternschnuppenfeuerwerk (Plejaden) sich dazu gesellen, dann ist mal eines sicher: Die große Kamera muss mit.
Wunderschöne Silvretta
Biehlerhöhe. Silvretta: Irgendwann am späten Nachmittag schlappen wir am Ufer des Stausees in Richtung Klostertaler Umwelthütte. Am anderen Ufer war ich gemeinsam mit dem Casi schon einmal unterwegs zu einem Gipfel, den ich bis heute als besonders schön in Erinnerung habe: Die Dreiländerspitze. Wir aber wollten ins andere Tal – und waren mit diesem Plan scheinbar die einzigen. Umso besser. Diese Landschaft. Diese Ruhe. Das warme Licht der tief stehenden Sonne. Vielleicht sollte man viel öfter wandern gehen.
Biwak am See
Zwei Stunden später verwarfen wir den Plan, oben am Grat zu biwakieren, zu sehr fetzten die Wolken über die Kante. Wir fanden einen ebenen Platz direkt neben einem kleinen See und blieben spontan einfach dort. Die kleine Sandfläche kam vor allem Bonnie gelegen, die Wilde hatte aus Platzgründen auf die Isomatte verzichtet.
Während wir noch die Erdnüsse mit der Zirbe zelebrierten, versank zuerst die Sonne hinterm Horizont und währenddessen die Landschaft um uns in dichten Wolken. Wird doch wohl das Wetter nicht umschlagen? Es wäre unpraktisch, so ohne Zelt…
Während wir die letzten Nüsse knackten, tauchte plötzlich die Milchstraße aus den Wolken auf, kurz später auch die umliegenden Gipfel. Und während wir im Schlafsack unter Millionen Sternen lagen, jagte eine Sternschnuppe die andere, die Milchstraße zog gemächlich ihre Bahn durchs Himmelszelt. Ein Kampf mit den schweren Augenlidern, man würde noch viel länger staunen wollen…
Keine Lust zu lesen? Hier gibt’s diesen Artikel auf die Ohren:
Litzner – Seehorn – Überschreitung from ulligunde on Vimeo.
Der nächste Morgen
Unser kleiner See schimmerte im ersten Blau des Tages, als wir ihn verließen. Während wir uns mühsam das Geröllfeld emporschnauften, wurde es immer heller. Stahlblau war der Himmel, nur am Horizont einzelne kleine Wolken, die die Ankunft der Sonne verrieten. Bald erreichten uns ihre ersten Strahlen und wir etwas später den Grat. Allerdings an einer aussichtslosen Stelle, so wirklich richtig konnte das nicht sein. Hätten wir uns doch etwas genauer informieren sollen?
Leisten-Krallen zum Aufwachen
Wir gingen der Nase nach und verdienten uns mit ein paar – wohl eher unnötig – anspruchsvollen Kletterzügen den Grat an einer anderen Stelle. Hinter uns tauchten erste Verfolger auf. Flinke Typen, vier an der Zahl. Die lassen wir passieren, wir haben’s heute nicht eilig!, murmelten wir uns zu, während wir unsere Brotzeit in der Morgensonne mampften und sie uns den wohl etwas geschickteren Weg hinauf auf den Grat präsentierten. Bald schon waren sie vor uns – und dann doch wieder nicht, auch sie machten Pause und schienen es nicht besonders eilig zu haben. Sympathisch!
Verwirrt
Wir warfen einen Blick in die Beschreibung, waren verwirrt. Erster Turm, zweiter Turm, Vorturm, Hauptturm… Den einen umgehen, den anderen überschreiten, einen abseilen… »Und Steinmänner zeigen den Weg«. Wir entdeckten anfangs weder Steinmänner noch Klarheit, welcher Turm nun welcher war und stiegen der Intuition und mit ihr dem einfachsten Weg hinterher. Goldrichtig, denn er führte uns direkt zur ersten Abseilstelle, mit der wir zum Einstieg der eigentlichen Kletterei kamen. Lustig, denn selbst bis wenige Meter vor dem Abseilstand checkt man einfach nicht, dass man noch gar nicht am Hauptturm unterwegs ist.
Traumfels!
Egal, die Kraxelei war schön und der Fels bombenfest. Die erste Seillänge überließ mir Bonnie mit einem etwas skeptischen Blick: Steil sah es aus, ja! Und von Haken keine Spur. Noch keine volle Überzeugung beim Trad-Newbie. Noch nicht! Dafür umso mehr Vorfreude am anderen Ende des Seils. Die Kletterei war grandios, der Fels schluckte freudig die vier Friends, die wir dabei hatten und nach wenigen Metern war auch schon der erste Stand erreicht. Zwei Bohrhaken, zwei Ringe, eine glänzende Kette. Wahnsinn – wo anders wäre man bei dieser Luxusaustattung vor lauter Entzückung schon komplett ausgeflippt.
Trahaumfels!
Unsere Verfolger rückten uns auf die Pelle, waren aber sympathische Jungs vom Walensee, die es auch weiterhin nicht eilig hatten. Oder wollten sie nur nicht selbst nach dem Weg suchen? Schwer war er nicht zu finden und Bonnie schwang sich mit dem Biwak-Rucksack elegant wie Ulligunde persönlich über den kleinen Überhang. Und dann?
So gut!
Schlüssellänge! Sah nicht so richtig schwer aus – einzige Herausforderung war da eher sich zu entscheiden, ob man nun den wirklich einigermaßen geschickt versteckt Bohrhaken nimmt, oder stattdessen im Sinne der Seilführung doch dem Friend vertraut.
Es blieb beim Friend, bei einem doch nicht ganz so einfachen Zug in die Platte und einem hübschen Ausstiegsboulderchen über.., naja, »Dach« wäre dann wohl doch übertrieben.
Egal, Stand an zwei Schlaghaken – die Entzückung von vorher wich dem üblichen »hat bestimmt schon andere gehalten«.
Großlitzner Summit
Ein bisschen Blockgelände, ein Schluck Enzian aus Schweizers Flasche und schon war der Großlitzner erobert. Es folgt, was an Gipfeln immer kommt – an den heutigen beiden ganz speziell: Abfahrt!
Oder genauer: Einigermaßen viele Abseilfahrten…
Pipi, plaudern, Päuschen!
Überraschend oft frei hängend ging es hinunter in den Sattel. Seil weg, Seil doch nochmal her – Abseilstelle übersehen – Seil wieder weg. Jacke aus, Jacke an, kein Wind, viel Wind. Pipi, Pause, gucken, plaudern und natürlich: fotografieren! Unvermittelt dann das Gipfelkreuz.
Auch hier wieder: Abseilen. Und zwar für Große, denn angeblich warteten acht Längen, bis man unten am Gletscher steht. Bis jetzt hatten wir Steigeisen und Pickel nicht gebraucht und wir hofften inständig, dass sich das noch ändern würde, einfach nur so fürs Ego.
Diese Ausrüstung war mit dabei:
Absausing
Acht mal abseilen bedeutete aber auch: Acht mal die Chance auf Verhänger und vor allem: Lange in potenziell steinschlaggefährdetem Terrain, speziell bei Nachfolgeverkehr. Wir verschoben die Pause auf später und huschten hinunter. Jeweils 20-30 Meter, flache Platten, kaum Verhängergefahr, perfekt eingerichtete Stände, alles äußerst easy. Nach der zweiten Fahrt hatten wir die Effizienz perfektioniert und standen wahrscheinlich in Rekordzeit unten im Schnee.
Sterbende Gletscher
Steil. Unten blank. Schön, haben wir die Eisen also nicht umsonst mitgeschleift. Nicht so schön: Noch ein paar Jahre und dieser traurige Rest an Gletscher wird Geschichte sein. Wahnsinn, wir erleben hier eine fundamentale Veränderung unserer Alpen. Und fahren doch mit dem Auto jedes Wochenende zum Bergsteigen…
Eine halbe Stunde später am Sattel, links die Saarbrücker Hütte, rechts der Litzner – was für ein Horn! Will man glatt nicht glauben, dass wir da gerade noch oben standen.
Sterbende Lust
Vom Sattel folgte ein mühsamer Abstieg, belohnt mit gutem Kaiserschmarrn. Apfelstrudel. Radler. Kaffee. Skiwasser, zu wenig getrunken für die brutzelnde Sonne. Und dann? Das dicke Ende. Abstieg bis an die Bielerhöhe. Hübsche Seen, hübsche Wiesen, aber eben vor allem: Lang.
Soohooo
lang.
Hunger
Den Gegenanstieg versüßten wir uns mit wilden Vorstellungen, was wir heute Abend alles essen würden. Ein paar Stunden später: Ein lauer Sommerabend, warm, wolkenlos. Ein herrlicher Biergarten im Herzen des Allgäus. Kurz nach acht, lange noch hell. Ein perfekter Ausklang! Und dann die wohl brutalste Erfahrung dieses Wochenendes:
„Essen? Ne. Die Küche hat schon zu“.
Facts Litzner-Seehorn-Überschreitung
Eine richtig schöne Genusstour – super Fels, schöne Aussicht und keine allzu großen Herausforderungen. Die Wegfindung ist – hat man sich erst einmal davon verabschiedet, den »richtigen« Weg zu finden – einfach und in dem herrlich festen Fels auch kein Problem. Friends können an vielen Stellen eingesetzt werden, wir hatten insgesamt vier (BD C3/C4: #0.2, #0.4, #0.75, #1) dabei und waren damit gut bedient. Größer als #1 muss meiner Meinung nach nicht sein. Wir hatten ein 60 m Halbseil dabei, das wir zum Klettern und Abseilen doppelt nahmen. Hat super gereicht. Die Abseilpiste könnte man sicher auch gut mit 2x50m machen, erhöht aber halt doch immer die Gefahr von Seilverhängern, speziell in der ersten Länge. Nach unten hin wird’s immer plattiger. 1x50m ist etwas knapp, geht aber natürlich wie immer notfalls auch, die letzte Abseilstelle könnte dann spannend werden, kann aber laut anderem Bericht umgangen werden. Bei uns waren insgesamt etwa vier Seilschaften unterwegs, die aber nicht weiter störten. Wir waren im August unterwegs, da haben sich tatsächlich die Steigeisen bewährt. Pickel braucht’s dann eher keinen und es hätte wohl auch eine Steigeisen-Zugstiegsschuh-Kombi für routinierte Geher getan, wobei ein Schneefeld im Aufstieg knüppelhart gefroren war – da wären mit Zustiegsschuhen dann direkt mal die Steigeisen nötig gewesen. Das Blankeis kann man aber wohl notfalls auch etwas hässlich durch den Fels umgehen. Summa Summarum:
Ausrüstung für die Litzner-Seehorn-Überschreitung:
- 60m Halbseil
- 4 Friends und etwa sechs verlängerbare Exen
- Helm
- Bergschuhe
- Steigeisen
(Affiliate Links. Führen zu Bergzeit und dort zu den Produkten, die wir dabei hatten)
7 Comments
Super cooles Video, aber auch nett zu lesen. Vielen Dank fürs Lust machen!
Euer Rucksack wäre aber bisschen leichter gewesen ohne das 60mm-Seil, oder? (Ich tippe stark auf einen Tippfehler ;-))
Grüße Jonny
Hi Jonny,
ha! Schön wärs 😉 Ich hab den Fehler verbessert. Ansonsten Danke für die Blumen, freut mich sehr, wenn das Video gefällt!
Liebe Grüße,
Erika
Der Fehlerteufel war nebenbei zweimal da 😉
Sagenhaft schöne Erzählung. Ich will da schon so lange drüber. Ich schicks gleich meiner Freundin und dann planen wir! Danke fürs Wieder in die Erinnerung rufen. Liebe Grüße Anja
Liebe Anja,
ach wie schön, wenn ich für Inspiration sorgen konnte! Das ist wirklich eine herrliche Tour – ich wünsch Euch jetzt schon viel, viel Freude dort! Vielleicht schickst Du mir ja sogar ein Bild von dort? Ich würde mich freuen!
Liebe Grüße!
Erika
Liebe Erika,
wenn es klappt bekommst du sehr gerne ein Bild!
Ich bin Feuer und Flamme.
Viele Grüße
Anja
Hi Erika,
sehr schöner Bericht einer wirklich sehr schönen Überschreitung. Ich selbst habe diese Tour auch schon gemacht und kann das mit der Orientierung bei den verschiedenen Türmen nur unterstreichen… Einfach immer der Nase nach, alles andere hat da sowieso kein Wert 🙂
Wir hatten uns nach dem Gipfel vom Groß-Seehorn leider in der Abseilstelle geirrt, sodass wir mit 50m Doppelseil an unsere Grenzen gekommen sind und durch stark steinschlaggefährdetes Gelände ungesichert abklettern mussten. Zu allem Überdruß wurden die Abseilstände von Stand zu Stand immer schlechter. An dieser Stelle für alle Interessierten also eine kleine Warnung: Nicht gleich vom Gipfel nach links in eine Mulde absteigen, eher erstmal rechts halten….
Viele Grüße,
Patrick