Ein Tag im Gras (Apostelgrat Säuling)

Juni 12, 2017

Wenn ein ulligundscher Tourenbericht das Wort „bescheuert“ enthält, kommt es meist mit einem anderen Wort daher: Lena. Auch dieses Wochenende könnte man durchaus unter dem Adjektiv summieren, wobei das nicht unbedingt mit „unlohnend“ gleichzusetzen ist. Eher so mit müdeauamüdehunger! Aber von Anfang:

Man muss schon schief gewickelt sein für so eine Aktion: Eine 12-Stunden Geröll-Schotter-Schnee-Bruch-Tour rund um Klupperkarturm und Co, vier Stunden Schlaf und gleich weiter zur nächsten Unternehmung. Anstatt auszuschlafen oder zumindest ein wenig zu regenerieren, wollten wir irgendwie bei unserem ausgemachten Plan bleiben, bei dem Traumwetter heute endlich den Apostelgrat zu machen.

Fotografens Alptraum

Bescheuert? Multidimensional bescheuert! Denn der Plan hatte mehrere Löcher. Das größte war unser Zustand. Von flink und wendig keine Spur mehr, wir fühlten uns eher wie steife Nilpferde, die sich schnaufend jeden Höhenmeter einzeln verdienen mussten. Zum anderen waren wir auf der maximal falschen Seite des Bergmassivs, die Sonne würde direkt dahinter aufgehen. Wussten wir, deshalb ja Sonnenaufgang am Grat. Letztes Problem am Plan B: Der gesamte Aufstieg verlief im dichten Wald. Ergebnis: Wir – ich natürlich mit dicker Kamera – bemerkenswert langsam, pünktlich zum Sonnenaufgang irgendwo im Dickicht auf der falschen Seite des Berges. Der Tag kann nur besser werden.

Nicht. Lustig.

Wurde er aber erstmal gar nicht. Wir hatten uns in der doppelten Zeit wie sonst irgendwie bis zum Säulinghaus gekämpft, wo uns während des ersten Frühstücks die nächste Offenbarung erwartete: Wir waren – was die Höhenmeter anging – fast auf gleicher Höhe wie unser erster Gipfel am Grat. Yeah!! Einziges Manko: Um dorthin zu kommen, brauchte es einen abermaligen Abstieg von knapp 200 Höhenmetern. Mit anschließendem Aufstieg. Lustig? Nicht. NICHT LUSTIG!!

Die volle Pracht

Aber jetzt sind wir schon so weit. Also rüber. Runter. Hinten wieder hoch. Schrofen, Gras, endlich immerhin nur noch lichter Wald und eine finale, im Aufstieg nur mittelschwere Stelle in echtem Fels. Fels! So mit »kompakt« und »Griff« und so. Gefiel uns. Dauerte aber eben nur zwei Meter.

Nach dem Gipfelkreuz und einer wirklich (!) schönen Aussicht offenbarte sich dann der Apostelgrat das erste Mal in seiner Pracht. Zwölf Zacken, alle mit Namensschildchen versehen, damit man nicht nur das Krabbeln lernt, sondern auch ein bisschen Religion. Dafür waren wir ja schließlich da – also zum Krabbeln, nicht so sehr wegen der Typen von damals.

3, 2, 1,… Sackgasse

Und dann ging es los! Ein bisschen vorsichtig, aber irgendwie auch einigermaßen zufrieden, dass wir nicht schon im Aufstieg aufgegeben hatten. Verschlafen stieg ich die ersten Meter zum ersten Zacken auf und: war falsch. Sackgasse, viel zu schwer für Zustiegsschuhe. Die Lena schaute nochmal, fand einen besseren Weg und siehe da, nach ein paar noch etwas ungelenken Zügen standen wir auf dem ersten Apostel. Hochprofessioneller Start 🙂

Allgäuer Bergdiplom

So ging es dann eben dahin. Schrofen, Gras, Latschen, hin und wieder Fels, manchmal fest und ganz selten sogar kompakt. Zumindest an den entscheidenden Stellen. Ansonsten bestanden die Tritte und Griffe aus dem hinlänglich berühmten Allgäu-Griff-Graspolster, wahlweise ergänzt durch Latschen und dem ein oder anderen losen Stein.

Rauf, runter, Apostel zwei, drei, vier… Dazwischen manchmal ein paar Meter abseilen, gar ein Gratbuch gab es. Und als Ergänzung zu eben diesem auch noch eine äußerst luftige, überraschen steile Kletterstelle. Immerhin mit solidem Fels, da zieht Sportklettergunde ja fast schon gerne an den Griffen. Rauf auf den nächsten Turm und schon standen wir auf dem letzten Apostel. Behäbig und gutmütig im Aufstieg: Der Petrus.

Diese Ausrüstung war mit dabei:
(Die ganze Übersicht gibt es hier)

Hunger!

Wir übersetzten das »Abstieg nach Norden« im Topo nach kurzer Geländesondierung frei mit »Abstieg nach Süden« und lagen damit auch goldrichtig. »Süd oder Nord, Hauptsache runter!« wird sich der Autor wohl gedacht haben.

Anstatt anschließend – wie im Führer beschrieben – den Gipfelaufbau südlich, also durch eine glatte, senkrechte Felswand zu »umgehen«, hielten wir uns an die Trittspuren mitten durch den botanischen Gipfelaufbau, die abschließend und dem Allgäuer Stile entsprechend durch steiles Gras und Schrofen bis auf die märchenhafte Wiese führten. Ende der Schwierigkeiten, Zeit für ein Nickerchen! MÜDE. Aber zuerst: Zweites Frühstück! HUNGER! MÜDE!

Leichtfüßig wie Omi

Während die Massen von allen Seiten zum Säuling drängten, hüpften wir, gelenk wie Oma Edeldrauth, den polierten Steig runter. Die Knie steif, die Füße müde, der Kopf aufgeschwummelt von der vielen Sonne. Der Zwetschenkuchen auf dem Säulinghaus half ein bisschen, der 800 Höhenmeter Abstieg wartete aber trotzdem noch. Und der dauerte. Und dauerte. Als er überraschend doch noch zu Ende gedauert hatte, lagen wir kopfüber im Bach, genossen das kalte Nass und beschlossen, dass die nächste Aktion weder Türme und Grate noch Schotter, Bruch und Schrofen braucht. Es ist mal wieder Zeit für kompakten, festen Fels. So mit Bohrhaken. Und für dicke Arme, anstatt dicke Beine. Aber die Aussicht, die darf ruhig wieder so sein!

 

 

 

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7 Comments

  • Reply Sabrina Juni 12, 2017 at 4:16 pm

    Herrlich! Einfach herrlich. Danke – dass hast Du schön geschrieben. Die Bilder sind wie immer top.

    Jetzt habe ich glatt Lust auch loszuziehen. Wir haben am Donnerstag auch mal eine Grataktion angedacht… mal schauen, ob es etwas wird. Viele Höhenmeter würden es in jedem Fall werden….#

    Bussi!

    • Reply ulligunde Juni 12, 2017 at 4:36 pm

      Dankeee 🙂 Viele Höhenmeter klingt im Hinblick auf Eure Expedition sicher mal nicht verkehrt 😉 Ich freu mich schon auf Eure Bilder!
      Bis bald mal!
      LG 🙂
      Erika

  • Reply Joe Juni 12, 2017 at 4:42 pm

    Hey 🙂

    Trotz Müdigkeit, Hunger und so weiter dein typisches ulligunde Grinsen 🙂
    Dann kann’s ja so schlimm nicht gewesen sein, könnt man meinen. Tolle Bilder!

  • Reply Christiane Juli 3, 2017 at 7:37 pm

    Wow, die Kraxelbilder machen Lust auf ein Nachwandern. Braucht man denn unbedingt ein Seil und Klettererfahrung? Ich mag es total gern, auf allen Vieren hochzukraxeln und ein wenig zu klettern, hab aber nicht wirklich Ahnung davon.

    Merci für die Inspiration und die lustige ehrliche Beschreibung :-)!

    • Reply ulligunde Juli 10, 2017 at 9:15 pm

      Hallo Christiane,
      merci für Deinen Kommentar! Der Apostelgrat trägt wohl eher die Bezeichnung „Bergsteigen“ als „Wandern“ – er braucht schon etwas Erfahrung im ausgesetzten Gelände, denn die Dreier-Stelle ist recht luftig. Ich persönlich war über das Seil schon froh, aber es gibt natürlich auch Routiniertere, die das ohne Seil machen. Der Apostelgrat ist sicher nicht das richtige, um mal in diese Art des Bergsteigens reinzuschnuppern, da ist die Südkante am Burgberger Hörnle oder der Hüttengrat am Aggenstein besser. Beides mit Seil als Backup.
      LG!
      Erika

      • Reply Christiane Juli 23, 2017 at 8:20 pm

        Ah super, vielen Dank für die Tipps!

      • Reply Christiane Juli 23, 2017 at 8:20 pm

        Ah super, vielen Dank für die Tipps!

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