Sieben Uhr. Mein Handy klingelt kurz, ich höre das Prasseln des Regens draußen und drehe mich nochmal um. Wird nicht wichtig sein, heute ist eh nichts geplant. Ein ganz gechillter Sonntag. Eine halbe Stunde später schaue ich doch mal drauf und wiederum eine Stunde später sitze ich im Auto in Richtung Widderstein. Wohlgemerkt: Es regnet immer noch.
Der Anderl-Heckmair-Gedenkweg stand auf meiner Wunschliste. Ich wollte die Tour als Testpiece für den Trip in die Dolomiten nehmen. 7/7+ für mich, 8- in der schwersten Länge. Mit dem kleinen Unterschied, dass am Widderstein alles feinsäuberlich mit Borhaken versehen ist, nicht mit einem museumstauglichen Sammelsurium antiquarischer Schlaghaken. Überhaupt war die Tour erst 2011 von Walter Hölzler persönlich eingerichtet worden und man hörte nur Gutes darüber.
Kopfüber ins Trail-Event
Noch während wir auf den Parkplatz in Baad einbogen, kam mir irgendwas komisch vor. Hier war immer viel los, aber so viel?! Und so viele Menschen in Kniestrümpfen und angespanntem Gesichtsausdruck?! Auf meine Frage, was hier denn heute sei, schaute mich die Lady vor der Toilette etwas irritiert an: „Na, die Walser Trail Challenge!!„. Ah, großartig. Haben wir uns ja nicht gerade das ruhigste Wochenende an dem Berg rausgesucht. Wir packten zusammen und schlüpfen mit den Bikes noch ein paar Minuten vor dem offiziellen Startschuss durch die Absperrung. Auf der Bärguntalpe riet uns die herzliche Älplerin noch tiefgründig zur Vorsicht in der Tour. Das Gestein sei so rutschig. Wir nahmen ihren Rat ernst und hatschten in Richtung Berg. Dichter Nebel umgab uns, es nieselte. Ich fragte mich im Stillen, woher er bitte die Gewissheit nahm, dass das Wetter noch besser würde. Das war verrückt!
Im Nebel zur Wand
Noch im ersten Steilstück holten uns die ersten Läufer ein. Es wurden immer mehr, bald war es sinnlos, für jeden einzelnen in die Hecke zu springen. Machte nichts, im Steilen waren wir ohnehin nicht so viel langsamer. Wir wollten trotzdem niemanden ausbremsen und wählten bei der ersten Möglichkeit eine Alternative. In diesem Jahr war ich bereits so oft an diesem Berg, langsam kannte ich mich aus. In dem dichten Nebel achteten wir darauf, dass uns keiner der Läufer folgte und dadurch fehlgeleitet würde. Sonderlich aufpassen mussten wir aber nicht, nach 20 Metern waren wir ohnehin verschluckt.
Planänderung
Dort, wo ich mit Karo das letzte Mal das übrige Material deponiert hatte, machten wir eine Pause. Eher unfreiwillig, denn es regnete einfach immer noch. Die Landschaft um uns herum war komplett nass. Ich mag den Satz nicht, er klingt so nach zickiger Lady, aber er lag mir durchaus auf der Zunge: Ich habs Dir doch gleich gesagt! Ein anderer Wanderer kam vorbei, sagte etwas davon, dass womöglich oben Obheiter wäre. Bei dem Wort wurde ich hellhörig. Ich schlug vor, den Vorbau auszulassen und vom Normalweg in die Tour reinzuqueren. Womöglich würden wir oben schon Sonne erwischen.
Triefnasse Wand
Falsch gedacht. Wir hingen ein paar Stunden am Einstieg rum, frühstückten, aßen zu Mittag, aßen Nachtisch (merci an Flo für die wahrlich legendäre Schoki!), quatschten, dösten… Irgendwann kam vom gegenüberliegenden Geröllfeld noch eine weitere Seilschaft, die die Hiltimianie vorhatten. Womöglich stimmt die Wettervorhersage doch!? Und tatsächlich. Immer öfter schien die Sonne durch die Wolken, manchmal lichtete sich das Grau gar kurz und gaben den Blick auf die triefnasse Wand frei. Selbst wenn das jetzt so bleibt, wird die Wand niemals rechtzeitig trocken!? Ich bin ja eigentlich nicht so pessimistisch, aber ich glaubte wirklich nicht dran. Er hielt aber überzeugt dagegen, dass – wenn nur die Sonne mal etwas draufscheinen würde – das alles ganz schnell gehen würde.
Push für’s Ego!
Und tatsächlich, gegen drei Uhr machten wir uns fertig. Die erste Seillänge sollte direkt eine der 7/7+-Längen sein. Der Hinweis, dass vormittags häufig noch nasse Streifen sein könnten, die aber beim Klettern nicht störten, nahm ich einfach mal als ein positives Zeichen. Dann wird’s bei den jetzigen Bedingungen schon irgendwie gehn. Ich stieg ein, durchaus angespannt. 7 sollte gehn, 7+ ging auch schon häufiger onsight. Und die Kletterei lag mir! Ich hangelte mich von Haken zu Haken, kam ganz gut durch. Klar, es war anstrengend, aber es ging wirklich sehr gut. Wow, Push fürs Ego! Auch die nächste Seillänge empfand ich nicht sonderlich hart. Wieder ich dran: 7- laut Topo. Ganz schön leicht für den Grat. Bin ich wirklich SO fit geworden in letzter Zeit? Mein Seilpartner hangelte sich ganz easy über den beschriebenen Überhang – immerhin saubere 8-. Ich schaute genau, wo er hinlangte, wunderte mich noch, dass die Griffe überraschend groß aussahen – und weg war er. So schnell, dass ich kaum noch nachkam mit Seilausgeben. Ganz schön isolierte Schlüsselstelle…!?
Oh damn it!
Ich kletterte angespannt hinterher, kam völlig problemlos über den Überhang. Als ich sah, dass er die restlichen Haken nicht mal mehr eingehängt hatte, kamen mir erste Zweifel. Während ich aufschloss, sprach er schon aus, was ich bereits befürchtet hatte. „Das war keine 8-. Bist Du sicher, dass das wir in der richtigen Tour sind?“ Damn it. DAMN IT. D A M N I T ! Ich hatte unten nicht mehr aufs Topo geschaut, war einfach sicher, dass der Einstieg der richtige sein müsste. Und erinnerte mich in diesem Moment an die andere Seilschaft, die uns noch fragte, ob wir wüssten, was da die linke Tour direkt neben ihrer sei. Oh damn it. Ach komm schon! Wirklich!? Habe ich mir mein Testpiece jetzt tatsächlich auf DIESE Art versaut!? Jetzt waren wir bei diesem bescheidenen Wetter aufgestiegen, hatten so lang ausgeharrt, hatten tatsächlich noch trockenen Fels bekommen und dann STEIGEN WIR IN DIE FALSCHE TOUR EIN?! Ich ärgerte mich wirklich. Es war klar, dass ich wegen drei Seillängen nicht nochmal herkommen würde.
Auf Umwegen doch noch in die „richtige“
Wir querten auf dem großen Band in die richtige Tour und erwischten dadurch immerhin noch die Schlüsselseillänge. Okey, das fühlt sich schon deutlich mehr nach 8- an. Nämlich verdammt anstrengend, kleingriffig und für Zwerge nicht sonderlich spaßig. Schade. Die restlichen Seillängen waren dann nur noch Kür, immerhin kannte ich sie bereits von der Unternehmung mit Karo vor wenigen Wochen. In herrlichem Sonnenschein klatschten wir am Wandbuch ab, blätterten ausgiebig darin rum, entspannten, dösten fast ein. „Weißt Du, ich glaube, alles hat seinen Sinn. Vielleicht war es gut, dass wir nicht in der geplanten Tour gelandet sind“ sagte er. Und irgendwie klang es richtig. Vielleicht hatte die Älplerin ja Recht. Es wird schon seinen Sinn gehabt haben. Passt schon. Es war ja trotzdem ein schöner Tag.
Es passt schon.
In herrlicher Wolkenstimmung stiegen wir den letzten Aufschwung noch aus und klimperten mit dem Klettergeraffel am Gurt zurück zum Einstieg. Ich hatte noch kurz mit dem Gedanken gespielt, die drei Seillängen doch noch nachzuholen, aber nein. Die Lust war fort. Und so blieb es immerhin bei einem gelungenen, sehr entspannten Klettertag, der anfangs überragend gut fürs Ego, zwischenzeitlich mal sehr ärgerlich und am Ende dann doch wieder gut war. Es passt schon. Es hatte sicher einen Sinn.
Weg der Lechtaler: 6+; 6+; 6 ;6- ; 7 (so in etwa stands im Wandbuch oben drin)
Heckmair Gedenkweg: 7/7+ ; 7/7+ ; 7- ; 8- ; 6 ; 5+ ; 3
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