Saisoneröffnung am Stuiben

April 29, 2012

Der Wetterbericht war gut, der Lebensgefährte beim Klettern, die Freunde übers lange Wochenende heimgefahren. Was bliebe da anderes übrig, als die Trekkingsaison zu eröffnen.

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Der Kammerlander tuts ja auch!

Der Stuiben sollte es werden. Da es schwer ist, vom Tal aus einzuschätzen, wie die Bedingungen oben am Grat sind, wollte ich dort entscheiden, ob ich die gesamte Nagelfluhkette bis nach Hittisau laufen oder süd- oder nordseitig vom Grat absteigen und zurück nach Immenstadt wandern würde. Bis Sonntag hatte ich Zeit, also war keine Eile geboten. Kurzzeitig war ich fast soweit, die Tour abzusagen- Leute warnten mich vor dem vielen Schnee, der Lawinenlagebericht sagte Gefahrenstufe drei (erheblich) für die Tage voraus. Dennoch, ich wollte raus, nicht zuletzt weil ich dringend ein paar freie Minuten brauchte, in denen ich ungestört über meine Abschlussarbeit nachdenken konnte. Also packte ich meinen Rucksack und bereitete mich auf viel Schnee vor. Die Schneeschuhe ließ ich nach längerer Überlegung zurück um Gewicht zu sparen. Sollte ich tatsächlich so tief einsinken, konnte ich jederzeit umdrehen oder mein Zelt an Ort und Stelle aufbauen. Und außerdem: Kammerlander und Co. gehen ja schließlich auch ohne Schneeschuhe auf die hohen Berge 🙂

Warum allein?

Es war ein befreiendes Gefühl, endlich wieder mit Wanderschuhen unterwegs zu sein und alles was man braucht in einem Rucksack auf dem Rücken zu tragen. Der Druck der Arbeit fiel nach wenigen Schritten ab, wichtiger wurden die Blicke zu den Gipfeln um mir ein erstes Bild der Lage zu bekommen. Bevor ich gestartet war, hatten mich viele gefragt, warum ich das solo mache. Diese Frage beschäftigte mich die ganze Tour über, denn ich weiß keine echte Antwort. Grundsätzlich mag ich es, allein am Gipfel zu stehen, die endlose Weite der Bergwelt stundenlang zu bestaunen, die Stille zu genießen und wie irre von A nach B zu hüpfen um Fotos zu machen. Aber weshalb ich gerne alleine losziehe hat auch andere Gründe, bisher kann ich sie schwer in Worte fassen. Es sind persönliche und hoch egozentrische, befürchte ich. Beispielsweise mag ich es, frei in der Wahl des Weges zu sein und ständig Pausen zu machen, denn ich bin schrecklich langsam beim Laufen. Auch bei Gefahrensituationen, die es gilt einzuschätzen, mache ich das lieber allein, denn wenn meine Einschätzung falsch war, bereue das nur ich allein. Die Last der Verantwortung trage ich bei so etwas ungern (bei der Tourenbegleitergeschichte in Skandinavien war das etwas anderes, da war die Gefahr geringer als im alpinen Gelände). Außerdem bin ich der Angsthase vor dem Herrn, ich mache lieber einen Rückzug, als irgend etwas zu riskieren. Mit dieser Einstellung möchte ich weder jemanden ausbremsen, noch zu etwas überredet werden, das ich nicht gerne mache, obwohl das Gefühl danach, es tatsächlich geschafft zu haben, natürlich ungleich intensiver ist. Irgendwo abzustürzen ist aber auch ein intensives Gefühl, das ich eben nicht riskieren möchte.

Gute Bedingungen, schlechte Bedingungen

Naja, wie auch immer, jedenfalls ging es bis zur Hütte Almagmach auf geräumten Wegen ohne Probleme. Danach war es Zeit für Gamaschen und Stöcke. Auf dem Sulzschnee kam ich nicht so schnell voran wie gehofft, aber ich hatte ja Zeit. Der Almöhi, traditionsgerecht mit Filzhut und langem weißen Bart, untermauerte meine Befürchtungen als er erzählte, dass man da oben teilweise bis zur Hüfte im Schnee einsinken würde. Ein anderer Wanderer erzählte, er wäre über den Mittag zum Steineberg gelaufen, alles ohne Probleme. Man würde nur maximal Knöcheltief einsinken, mit meinen Gamaschen wäre das völlig problemlos. Na toll, dann mach ich mir eben mein eigenes Bild.

Der größte allein-wandernde Angsthase der Allgäuer Alpen

Auf dem rutschigen Sulzschnee war das Laufen anstrengend, aber so hat man schon mehr Zeit, die Landschaft zu begutachten. Beim Gipfelanstieg eröffnete sich ein Schneehang mit über 50° Neigung – wenn der erstmal geschafft wäre, würde es die letzten Höhenmeter auf einem Grashang bis zum Gipfel gehen. 50° Neigung bei Lawinenwarnstufe 3 (von 5). Endstation? Ich wägte lange ab – rein rational war die Neigung zu gefährlich. Ich hätte am unteren Ende entlang gehen können und im flacheren Teil auf der anderen Seite aufsteigen – aber die Worte meines Vaters noch im Ohr „Pass auf die Lawinen auf – schau auch drauf, dass du nicht in Auslaufbereichen entlangläufst“, entschied ich mich für die schnellere Variante. Ich hoffte, dass nahe der Abbruchkante die Schneedecke geringer sein würde und die paar wenigen Bäume und Grasflächen der Decke zusätzlich Halt geben würden.

     

Einen kurzen Moment bereute ich es, den Lawinenlagebericht gelesen zu haben. Es wäre deutlich angenehmer diesen Hang zu begehen, wenn man nicht um die Gefahr wüsste. Und häufig passiert ja auch nichts, aber wenn doch… Ich stieg so schnell wie möglich empor. Ein paar mal sank ich bis zu den Knien ein, erreichte nach ein paar Minuten aber erleichtert den kleinen Grat. Er war schon weitgehend frei von Schnee und so konnte ich die letzten paar Höhenmeter zum Gipfel in Angriff nehmen. Wie gesagt. Ich bin wohl der größte allein-wandernde Angsthase der Allgäuer Alpen.

Trekkingnahrung von Travellunch

Der Gipfel war weitgehend schneefrei. Das kleine Rinnsal, das aus dem letzten Schneefeld kam, war so klein, dass es aufwändig war, daraus Wasser zu schöpfen. Also wurde der Tee eben mit geschmolzenem Schnee gemacht, schmeckt nicht so gut, ist aber auch nicht gefährlicher. Das Highlight, auf das ich mich die ganze Woche schon gefreut hatte, war sicherlich die Trekkingnahrung von Travellunch. Die Bergfreunde hatten mir erfreulicherweise ein kleines Testpaket zusammengestellt, von dem ich mich über das Wochenende ernähren wollte. Den dehydrierten „Tee mit Zitrone“ hatten wir bereits morgens im Büro getestet und ernüchtert festgestellt, dass es nichts anderes war, als das Teepulver, das man in jedem Supermarkt kaufen kann – ebenso süß, nur etwas schwerer. Dafür dann aber 3,95€ zu verlangen, ist gelinde gesagt etwas frech, aber es scheint Menschen zu geben, die so etwas kaufen. Zum Abendessen sollte es jedenfalls der „Kartoffeltopf mit Rindfleisch“ werden (4,95€). Wer meinen Bericht vom Furgler aufmerksam gelesen hat, dürfte bemerkt haben, wie sehr ich Kartoffelpüree mag: Ich kann es schlicht nicht mehr sehen. Mein Gehirn ist aber ein faszinierend verwirrtes Stück, also hat es KartoffelTOPF nicht mit PÜREE gleichgesetzt. Beim Öffnen der Tüte wurde es mir dann aber schlagartig bewusst, auf was ich mich da den ganzen Tag gefreut hatte. Oh no…

Das waren also denkbar schlechte Voraussetzungen für den armen Kartoffeltopf, aber da es ja ohne Risiko bekanntlich keinen Spaß gibt, schüttete ich das kochenende Schmelzwasser drüber und schloss die Tüte für 10 Minuten. Und jetzt Augen zu und durch! Zugegebenermaßen sah es nicht sonderlich eklig aus, es war ziemlich bunt und sah nahezu gesund aus. Und – Überraschung! – es schmeckte richtig gut! Es war eine echte Mahlzeit, war von der Menge her genau richtig und schmeckte tatsächlich wie zu Hause. Für längere Touren ohne Entsorgungsmöglichkeit auf dem Weg könnte dieser ganze Alu-Müll allerdings mit der Zeit nervig werden.

Gut gestärkt verbrachte ich den Abend damit, die umliegenden Berge zu bestaunen, zu identifizieren und deren Namen auswendig zu lernen. Erstaunlich, es gibt immer noch Gipfel hier im Allgäu, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Umso schöner ist es, das Panorama von links nach rechts durchzugehen und fast alle markanten Erhebungen mit dem Vermerk „war ich schon“, abhaken zu können.

          

Natürlich begutachtete ich auch die Nagelfluhkette, kam aber schnell zum Schluss, dass es wohl kaum möglich wäre, sie ohne Gefahr zu überschreiten. Bevor ich am Rindalphorn oder am Hochgrat scheitern würde, ließ ich es lieber bleiben und plante für den nächsten Tag über das Immenstädter Horn gemütlich zurückzuwandern. Wenn auf dem Gipfel über dem Alpsee nicht allzu viel los sein würde, würde ich möglicherweise noch eine Nacht dort anhängen, oder eben nach dem Sonnenuntergang direkt nach Hause fahren. Da ists ja auch schön und außerdem könnte ich so am Sonntag noch etwas für die Bachelorarbeit machen.

Wind und Müsli, zwei üble Gefährten

Die Nacht wurde stürmisch und unruhig. Der Wind heulte und rüttelte kräftig am Zelt. Ich war froh, dass die Heringe so tief im Boden steckten und verkroch mich tief in den Schlafsack. Der Wecker klingelte  – wie unter der Woche auch – um zwanzig vor sechs. Der Sonnenaufgang war nicht besonders spektakulär und weil ich für den Tag eh nichts großes geplant hatte, legte ich mich danach einfach nochmal hin. Urlaub auf 1.800 Höhenmetern.

Stuiben          Stuiben, Allgäu     

Das anschließende Frühstück kam natürlich auch von Travellunch und ich muss zugeben, dass ich mich darauf am meisten gefreut hatte. Die Zutaten klangen lecker und mit dem Geschmack von Milchpulver hatte ich bisher keine Probleme. Als ich es dann probierte, kam die große Ernüchterung. Entweder ich habe über den Winter eine Sensibilität für dieses Pulver entwickelt oder aber Travellunch hat ein ausgesprochen widerliches verarbeitet. Wie auch immer, das Müsli musste gegessen werden, ich hatte ja nichts anderes dabei und an das Frühstück von morgen (Rührei mit Zwiebeln) wollte ich nicht ran. Über die letzten 2 Löffel freuten sich jedenfalls die Bergdohlen. Brrrr, für den Via Alpina muss ich mir da noch etwas anderes überlegen.

Wir sind doch nicht am Everest!

Den Vormittag genoss ich trotz starken Winds am Gipfel und bastelte an der Forschungsfrage für meine Bachelorarbeit. Wie effizient man arbeiten kann, wenn man nicht abgelenkt wird! Nur der Wind, der es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht hatte, meine Ausrüstung oder wenigstens meine Zettel wegzupusten, war nervig. Gegen Mittag wurde es mir zu dumm und stieg ab. Je näher ich in den Dunstkreis des Immenstädter Horns kam, desto mehr Menschen waren unterwegs. Ich mag es nicht, beäugt zu werden – aber ein Mädel mit großem Rucksack und Gamaschen an den Beinen sticht eben aus den Turnschuh- und H&M-Trägern heraus. Nicht dass ich etwas gegen sie hätte, ich finde jeden Menschen cool, der rausgeht und sich bewegt. Aber die Blicke – irgendetwas zwischen „was trägt die denn so einen großen Rucksack, hat die einen an der Klatsche?“ und „mit Gamaschen?! wir sind hier doch nicht am Everest!“ – sind mir unangenehm. Ich beeilte mich, weiter zu kommen. Am Immenstädter Horn war einiges los und der Wind bließ immer noch kräftig, also entschied ich, die Nacht zu Hause zu verbringen. Das Abendessen (Pasta Carbonara) gabs also als Nachmittagssnack. Ein junges Pärchen schaute verdutzt auf meinen Kocher und ging grußlos zur anderen Bank.

Wenige Minuten später blieben ein Vater-Sohn-Gespann interessiert stehen und fragten, ob ich biwakieren würde. Auf meine kurze Erklärung, dass ich die letzte Nacht auf dem Stuiben verbracht hatte, reagierten sie völlig begeistert und wir unterhielten uns bis spät in den Nachmittag. Der eine war sicher über 50 und erzählte spannende Geschichten von seinen Hoch- und Bergtouren. Bergsteiger unter sich, die verstehen sich halt einfach.

Die Begegnung mit diesen zwei interessanten Menschen gab der Tour ein schönes Ende. Und ein weiteres Mal bestätigte sich wieder: Das schöne am Weggehen ist das Heimkommen. Eine kurze Dusche, frische Klamotten und dann mit einem Bierchen auf dem Balkon den Sonnenuntergang anschauen. Das Leben ist toll!

PS: Die Pasta Carbonara schmeckte einwandfrei, wobei man dieses Gericht übrigens auch selbst ganz einfach dörren kann. Einfach Nudeln vorkochen, dörren und ein Tütchen Fertigsuppe dazu. Wenn man es dann essen möchte, muss man nur noch heißes Wasser drüber schütten und ein paar Minuten warten.

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2 Comments

  • Reply Steve April 29, 2012 at 2:18 pm

    Danke für diesen tollen Bericht.
    Ich kenne diese Blicke der „Touristen“ nur zu gut 😉

  • Reply Testbericht: Dehydrierte Nahrung von Travellunch « ulligunde Juni 24, 2012 at 10:02 am

    […] ich auf meiner Trekking-Saisoneröffnung im Stuiben im Allgäu. Ich muss davor noch zugeben, dass ich seit meiner Ozeanienreise, auf der ich mich auf Tour […]

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