Spontane Ideen scheitern häufig an unspontanen Menschen. Keine 3 Wochen vor Ostern hatten Nadine und ich die Idee, an den Lago Maggiore zu fahren. Aus einer vagen Idee wurde schnell ernst, auch wenn einige zuerst voll begeisterte letztendlich absprangen. Aber das ließ uns unberührt: Wir ziehen das durch! Was unternehmen, Neues sehen, endlich ein paar Dinge vergessen – einfach raus kommen!
So machten wir uns am ersten vorlesungsfreien Tag per Auto auf an den Lago Maggiore. Wir hatten für die ersten 2 Nächte eine Couchsurfing-Unterkunft in Curiglia, einem wirklich abgelegenen Bergdorf zwischen Lago Maggiore und Lago die Lugano.Bevor wir jedoch in unserer Herberge eintrudelten bestiegen wir noch einen Aussichtsberg (Monte Gambarogno), um einen ersten Blick auf den berühmten See zu werfen.
Während der ersten Schritte entdeckte Nadine die „Glitzersteine“ – glimmerndes Gestein das den ganzen Weg säumte: „Jetzt weiß ich, woher Glitzer kommt!!“, rief sie immer wieder begeistert … Einige Steine wanderten umgehend in die Tasche und wurden auf jeder Tour durch noch schönere ersetzt.
Nach einem kurzen Abstecher nach Luino, wo Nadine todesmutig ihr etwas eingerostetes Italienisch auspackte und prompt die italienischen Männerherzen im Nu eroberte, schlängelten wir uns die nicht enden wollende Bergstraße bis nach Curiglia hoch. Nach ein paar mal Herumfragen (im kleinen Dorf kennt man sich…) fanden wir schnell das richtige Steinhäuschen, das uns die kommenden 2 Nächte ein Dach über dem Kopf bereitstellen würde.
Petra – die Couchsurferin- kam gerade in diesem Moment mit einer großen Milchkanne auf dem Rücken die enge Gasse entlang und empfing uns herzlich. Sie hält mit ihrem Mann zusammen 24 Ziegen aus deren Milch sie täglich Käse machen. Die zwei luden uns direkt zum Abendessen ein, wo ich die Möglichkeit bekam, den selbstgemachten Frischkäse und den Ricotta (WAHNSINN!!!!) zu probieren. Gut, dass die Portionen so klein waren, ich hätte sämtliche Vorräte weggefuttert, so gut war es! Nadine schaute nur immer wieder etwas skeptisch: Sie mag keine Milch…
Albino, Petras Mann, erläuterte mir nach dem Abendessen in der urigen, kleinen Stube den richtigen Weg einer Rundwanderung, die er immer wieder empfohlen hatte. Und jedes Mal wenn ich schnell runter ins Gästezimmer huschte, musste ich am Fenster stehen bleiben: Was für eine Aussicht!!!
Am nächsten Morgen starteten wir auf unsere lange Rundwanderung. Nadine hatte etwas Respekt vor der Länge, schlug sich aber den ganzen Tag über wacker! Während des recht zähen, dreistündigen Aufstieg hoch zum Grat verließ sie zwischenzeitlich die Motivation, wie sie abends zugab- aber sie ließ sich nie etwas anmerken. „Schaffen tu ich das schon!!“, meinte sie später.
Nach rund vierstündiger Wanderung gönnten wir uns eine lange Rast an einem Zwischengipfel. Nach einem Nickerchen kassierte ich nicht nur einen Sonnenbrand, sondern – für mich VIEL schlimmer: ein kaputtes Objektiv. Die Kamera war keine 30cm über Stein geschlittert, was der Autofokus dennoch nicht ausgehalten hat 🙁 Ein böser Dämpfer auf dem Trip…
Der Abstieg war dennoch schön. Wir kamen an mehreren intakten aber auch an zerfallenen Almen vorbei und durchquerten Monteviasco, ein wunderschön hergerichtetes Bergdörfchen mit den typischen Steinhäusern, den Rusticos. Da die Seilbahn von Monteviasco ins Tal noch nicht in Betrieb war, stiegen wir zu Fuß die unzähligen Stufen ab – nur um dann wieder 200hm nach Curiglia auf einer Teerstraße aufzusteigen. Eine wirklich wunderschöne Tour, vor allem wegen des unerwartet guten Wetters!
Nachdem wir am Samstag morgen ausgeschlafen und Petra noch mehrere Stunden beim Käsemachen zuschauten (ich probierte sämtliche Stufen der Produktion während Nadine hin und wieder eher angewidert daneben stand – vor allem als ich die galertartigen, wabbeligen, warmen Milchwürfel probierte aus denen später der Frischkäse entsteht) machten wir uns wieder auf ins Tal. Wir besichtigten noch eher halbherzig Locarno und Brissago, gönnten uns ganz tourimäßig noch einen Espresso direkt am See und schlängelten uns anschließend ein weiteres Mal die zahllosen Kurven, diesmal bis nach Mordegno hoch. Von dort ging es zu Fuß und mit Proviant für 3 Tage im Rucksack die 2h hoch zur Hütte „Al Legn“.
Durch den Nebel, den Nieselregen und die zahlreichen sulzigen Schneefelder die wir überqueren mussten, bangte ich etwas um Nadines Motivation: Ein weiteres Mal ganz ohne Grund, auch wenn manche Fotos anderes nahelegen 😉
Das Schild am Parkplatz hatte die Tour mit 2.15h angegeben. Als wir nach 1.45h plötzlich den Wegweiser entdeckten, „Al Legn: 5 Minuten“ (!) war die Behäbigkeit der Beine wie weggeblasen. An der Hütte angekommen verschlug es uns die Sprache: Sie war wunderschön hergerichtet und genial eingerichtet! Gemütlich, ausgesprochen sauber und essenstechnisch mit den genialsten Dingen ausgestattet, die alle zum Verzehr offenstanden (bezahlt wird via Couvert in einen „Briefkasten“. Vertrauen unter Bergsteigern!). So gönnten wir uns insgesamt vier große Portionen Spagetti mit leckerem Pesto und ließen den Abend bei Kerzenschein, einer kleinen, gekauften Cola und völliger Stille um uns herum ausklingen.
Papa versorgte uns jeden Morgen mit dem neuesten Wetterbericht, da die Lage recht unbeständig war. Für heute waren Regenschauer ab 14Uhr vorhergesagt, da überraschte mich der fast wolkenlose Himmel morgensum 6 beim ersten vorsichtigen Blick umso mehr. Sofort war ich hellwach: „Wie?! Vielleicht doch ein richtig schöner Tag?“. Noch in dem Moment wo ich den Pulli überzog, schnappte ich mir die Kamera um die wunderschöne Stimmung von der Hütte aus einzufangen.
Es war so schön, dass es mich nicht an der Hütte hielt. Ich wollte mehr Bilder machen – wollte sehen, wie es von weiter oben aussieht, vielleicht sogar einen Blick über den nahen Bergkamm werfen. Ohne Nadine aus den Träumen zu holen schlich ich mich aus der Hütte und eilte in der gerade aufgehenden Sonne die 200hm zum Grat hoch.
Oben angekommen, verschlug es mir ein weiteres Mal schier die Sprache. Die aufgehende Sonne, die völlige Stille, diese Aussicht… Um sieben waren ganz behutsam Kirchenglocken aus dem Tal zu hören. Was für ein wunderbarer Ostersonntag…
Ich bereute es, dass ich Nadine nicht doch aus den Federn gezerrt hatte: Während sie noch schlummerte sah ich einen so wunderschönen Sonnenaufgang! Das schlechte Gewissen trieb mich schnell wieder runter und ich erreichte die Hütte gerade, als sie aufgestanden war. Es war ein seltsames Gefühl: Ich hatte gerade meine ganz persönliche Darbietung der Natur, sie hatte sich von einer ihrer schönsten, spektakulärsten Seite gezeigt – aber gesehen haben es nur ein paar Menschen die aus unterschiedlichsten Gründen früh aus dem Fenster geschaut hatten. Wie viele Menschen neben mir den Sonnenaufgang wohl von einer so schönen Warte aus gesehen haben?
Ein paar Stunden später starteten wir gemeinsam noch einmal zum selben Grat – diesmal jedoch noch einige Höhenmeter weiter auf den gut 2100 hohen Monte Gridone.
Wir hatten in den großen Schneefeldern unseren Spaß – vor allem Nadine fand es urlustig, immer wieder bis zur Hüfte im Schnee zu stecken. Wunderbar wie man Dinge mit einem heiteren Lachen nehmen kann – wo andere entnervt schimpfen würden! Nichts sah nach dem angekündigten Regen aus und so nahmen wir den Abstieg ganz entspannt und gingen es gemütlich an.
Das lange Schneefeld neben dem wir aufgestiegen waren ließ ich mir nicht nehmen und gleitete mehr oder minder elegant gut 100hm ab. Nadine schaute die erste Minute noch etwas skeptisch zu – war aber nach wenigen Metern natürlich wieder völlig begeistert. Nach drei Tagen hatte ich gar nichts anderes mehr von ihr erwartet 😉
Den restlichen Tag verbrachten wir faulenzend auf unserer Hüttenterasse und quatschten mit Tageswanderern. Alle beglückwünschten uns, dass wir hier oben schlafen dürften. Die siebenköpfige Gruppe die für diese Nacht noch angekündigt war, blieb aus und so verbrachten wir eine weitere, stille Nacht auf 1800hm.
Insgeheim hatte ich heute morgen nochmals auf einem schönen Sonnenaufgang gehofft – als ich jedoch morgens aus dem Fenster schaute sah ich ziemlich genau: Gar nichts. Die Hütte steckte in dichtem Nebel, was zwar nicht minder gemütlich aber dafür nicht sonderlich fotogen ist. Ich kuschelte mich also zurück in den Schlafsack und genoss das Ausschlafen. Schließlich sind wir im Urlaub!
Um aber nicht in den Heimreiseverkehr zu gelangen befanden wir uns schon um neun auf dem Abstieg, 40 min später (laut Schild 1.5h… pah!) beim Auto und um drei Uhr wieder zurück am Bodensee. Nadine träumte schon von einer ausgiebigen Dusche, von lackierten Fußnägeln, einem deftigen Abendessen und einem gemütlichen Abend vor dem Fernseher. Ich für meinen Teil freute mich irre darauf endlich die Bilder auszuwerten, den Blog zu schreiben und ein paar Dinge von wegen Kletterausbildungsschein und Sommerjob zu klären. Denkste. Ich war keine 30min zu Hause schon kam die Message vom Seilpartner Christian (kein Schweizer): „Bin am Kletterturm – komm auch!“. Ja… Nein…? JA… Natürlich!! Ohne den Rucksack auszupacken oder nur einen Blick auf die Bilder zu werfen packte ich die Klettersachen und hing wiederum 30 Minuten später schon an der Wand. Der Kopf spielte heute wieder hervorragend mit und so war die 6 im Vorstieg kein Problem. Wahnsinn! Vor vier Wochen hatte ich nach einer fast zehnjährigen Pause wieder angefangen zu klettern – hatte zaghaft eine 4 probiert, dann eine 5+ im Nachstieg – und jetzt ist eine 6 im Vorstieg schon kein Problem mehr! Dank einigen Tips von erfahrenen Schraubern die ebenfalls bis zum Schluss blieben, fühlen sich nun die Finger an, als könnten sie gar nicht mehr tippen, die Unterarme, als wären sie einige Kilo schwerer und das Ego, das fühlt sich auch so an als wäre es einige Kilo schwerer geworden;)
Wiedermal einige richtig grandiose Tage. Wow! Morgen gehts in die Bücherei um die Literaturrecherche für die Seminararbeit abzuschließen und anschließend wieder zum Klettern und Grillen an den Turm.
Das Leben ist saugut! Alter Schwede!!
3 Comments
Scuriglia – sehr schönes Wortspiel, Petra! 🙂 Schön so viele Kommentare zu dem Blog zu bekommen. So sehe ich, dass die Arbeit nicht umsonst ist und es tatsächlich ein paar Menschen interessiert. Schön zu sehen!
Viele Gruesse aus Curiglia!!!
Ich bewundere Deine Initiativen, Deine Kondition und Jugend!!!
Wenn Du im Sommer in den Alpen unterwegs bist, kommst Du vielleicht zufaellig auch nochmal bei uns vorbei, wer weiss?!?!
Den neuen Blog habe ich schon abonniert.
Ciao und Gruss an Nadine
Petra und Albino
Hallo Petra! Ja, der Via Alpina geht tatsächlich am nördlichen Zipfel vom Lago Maggiore entlang – den Ricotta kann ich mir fast nicht entgehen lassen!!! Bin eventuell über Ostern wieder bei Chironico unterwegs, vielleicht reichts für nen Abstecher!
Liebe Grüße,
Ulligunde