Mehr runter als rauf (Fußsteinkante)

August 28, 2017

»Eigentlich solltest Du diesen Artikel nicht über den Aufstieg, sondern mal über den Abstieg schreiben«, denke ich mir, während wir Stunde um Stunde von diesem Felsklotz absteigen. »Werde ich vielleicht alt?«
Jetzt wo ich am PC sitze, denke ich mir nur: Wie soll man über etwas lockerflockig schreiben, wenn jemand nur wenige Stunden nach einem in eben jener Fußsteinkante tödlich verunglückte?

Zeitsprung: Und schon wieder so ein Wochenende mit herrlichem Wetter. Er immer noch fingerlahm und weiterhin offen für alles, Hauptsache halt irgendwie raus. Mir gingen allerdings nach all den vielen Touren in diesem Sommer langsam die Ideen aus, er hatte für so einen Fall nicht mal welche. Was tun?

Fußsteinkante: Bester Granit der Ostalpen

Fußstein mit FußsteinkanteEine Sache stand bei mir noch auf der »Liste«, irgendwie ein Überbleibsel aus früheren Tagen. »Eine der besten Granittouren der Ostalpen«: Die Fußsteinkante. Nachdem wir uns letzten Montag am Obergabelhorn so über die Massen aufgeregt hatten, war es garantiert eine gute Idee, a) an einem Samstag b) bei herrlichem Wetter c) in den Megaklassiker einzusteigen. Das war uns bewusst. »Wir werden einfach die ersten sein«, lautete daher unser Schlachtplan.

Biwak in den Bergen

Wir werden die ersten sein

Statt der eigentlich wunderbaren Geraer Hütte zogen wir ein Biwak ein paar hundert Höhenmeter weiter oben vor. »Wir werden die ersten sein«: Wir meinten den Plan definitiv ernst. In Anbetracht der viel beschriebenen Schuttbänder war diesmal nämlich nicht nur der Stressfaktor »Stau« ausschlaggebend, sondern vor allem die Minimierung des Risikos.

Übertrieben früher Start

SternenhimmelUm halb vier klingelte der Wecker, um halb fünf folgten wir unter einer leuchtenden Milchstraße bereits den Steinmännchen. Mit dem ersten Licht des Tages krabbelten wir am Rand des Gletschers über endloses Geröll: Weit ausholen und über den Gletscher queren oder direkt hoch? In Anbetracht der großen Spalten holten wir weit aus, sahen unten die ersten Stirnlampen die Verfolgung aufnehmen, gaben weiter Gas.

 

Wir sind falsch. Aber wie falsch?

Bergschrund an der FußsteinkanteDie ernsthaft steile Schneebrücke rüber zum Fels machte wach, die ersten paar Meter im Blockgelände direkt mal Laune. Der Spürsinn leitete uns auf der Suche nach der Einstiegsmarkierung etwas zu früh nach oben, womit wir die erste schwere Seillänge direkt mal umgingen. Na wenn das die Onsight-Rotpunkt-Ethikkomission erfährt!

Wichtiger – und zeitintensiver – war nun allerdings die Suche nach dem richtigen Weg. Knifflig, wenn nur die Stände eingerichtet sind. Der Meister kletterte mal links, mal rechts, wieder runter. Hm, sind wir wirklich so falsch?

Die Männchen unten kamen näher, inzwischen nicht nur die zwei, die den direkten Weg gewählt hatten und teilweise durch Spalten kletterten, sondern noch eine weitere, siebenköpfige Truppe. Hallo früher Vogel, heute sind wir sehr gerne Dein Wurm!

Ein seltsames Gefühl

Mit Zustiegsschuhen durch die FußsteinkanteWährend ich noch Männchen zählte, stopfte er das Topo weg und verließ sich einfach auf seinen Spürsinn. Und lag natürlich wieder mal goldrichtig. Was für eine coole Socke er einfach ist! Ich hinterher, plattig, kalt. Vor allem plattig. Und kalt. Wieso eigentlich immer Nordwand?

Immerhin blitzte es am Horizont nicht mehr. Nachdem ich hier vor etwa zwei Jahren mit einem Kumpel schon einmal wegen Regen am Einstieg umdrehen musste, war für mich klar: Wenn wir hier jetzt noch einmal umdrehen, komme ich nicht wieder. Ich hatte ein seltsames Gefühl bei diesem Berg.

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Er drei. Ich eine.

Wie das eben im Team Michi-Gunde so läuft, verballerte ich mein Material standesgemäß auf 60 Meter, während der dazu gut 180 brauchte.

Und trotz der genüsslichen Kletterei war da die absurde Anspannung, in die Schlüssellängen einzusteigen. »Hoffentlich schaff ich das!«. Er lachte liebevoll, als ich das sagte. Egal wie schwer, die schwerste Länge einer Route vorzusteigen flößt (mir) scheinbar einfach immer Respekt ein. Egal ob die drei am Obergabelhorn, die fünf am Fußstein oder die sieben in den Dolomiten. Der Kopf, die alte Sau.

Die schwerste? Die schönste!

Gipfel Fußstein, Scharmmacher im Hintergrund (© Michi D.)Die Schlüssellänge kurz unterhalb des Gipfels war dann wie so oft mal wieder die schönste Länge überhaupt und nach einem professionellen Eiertanz in viel grausligem Schutt, den man einfach um jeden Preis nicht auf die nachfolgenden Seilschaften kippen will, schien uns plötzlich die Sonne ins Gesicht.

Mal wieder kein Gipfelkreuz, dafür ein Gipfelkuss und eine rasche Portion Müsliriegel. Und sofort runter, denn: In den Beschreibungen stand viel von ausgesetztem Schutt und Steinschlag.

 

Der Weg der roten Punkte

Fußsteinkante Wir folgten also dem allervorbildlichst markiertem Abstieg durch die ganze Südwestwand des Fußsteins. Rote Punkte, noch mehr rote Punkte, abseilen, rote Pfeile, Schutt, noch mehr Schutt, rote Punkte, Schutt… So ging das. Stundenlang. Stuuuundenlang.

Und als die Wand endlich vorbei war, kam, was am Fuß von Schuttwänden eben so kommt: Geröll. Also nochmal eine Weltreise durch Geröll und ohne weitere Umwege direkt auf die Terrasse der Geraer Hütte mit ihren sensationellen Wirtsleuten.

Genüsslich gemütlich

Julbo Eyewear im EinsatzEs war Mittag und weil’s einfach so gemütlich war, ging das Mittagessen in den Kaffee über, bis wir uns schlussendlich doch noch aufrafften, endlich abzusteigen. 1.000 Meter später zupften wir unsere Räder aus dem Wald und sausten recht fröhlich grinsend vorbei an allen armen Wandersleuten, die a) diese Strecke raus hatschen mussten und b) da schon wussten, dass sie wohl in den Regen kommen würden. Wir hingegen wichen graziös den Sturmböen aus, die uns auf den letzten Metern zum Auto noch den Homerun zum ersten Regentropfen zu versauen wollten. Schafften sie nicht und so saßen wir mampfend und grinsend im Auto, als der Himmel seine Schleusen öffnete.

Ein unerwartetes Ende

Den Helikopter, der während unseres Abstiegs über dem Fußstein kreiste, hatten wir da schon wieder vergessen. Die zahlreichen Polizeiautos und der überhaupt ungewöhnliche Verkehr für so ein Ende der Welt verwunderten uns, aber naja, hoffentlich nur ein Kreislaufproblem. Ein Tag später war dann klar, dass es ernster war. Viel ernster. Tödlich, um genau zu sein. Ein zwiespältiger Abschluss einer Tour. Während die Kletterei eigentlich tatsächlich schön war, ist es nun doch wieder nur ein Häkchen im Tourenbuch mit gemischten Gefühlserinnerungen.

 Diese Ausrüstung war an der Fußsteinkante mit dabei:
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)

Facts zur Fußsteinkante (26. August 2017):
Der Gletscher ist komplett aper, die Spalten teilweise groß. Wir sind im Aufstiegssinn bis auf 2.900hm links des Gletschers über Geröll und Toteis weglos hochgeasselt und anschließend zum Einstieg gequert. Das ging gut und scheint deutlich empfehlenswerter zu sein, als den direkten Weg zu nehmen („nochmal würde ich das nicht machen“, so der Kommentar der nachfolgenden Seilschaft).  Die Schneebrücke zum Einstieg ist momentan sehr steil und erfordert definitiv Steigeisen und Pickel. Anschließend über leichte Kletterei hoch aufs Band und dort bis zu den Bohrhaken gehen (wenn die denn dort irgendwo sind. Sie müssten in Falllinie etwas rechts vom markanten, großen Überhang sein. Den haben wir direkt überklettert, ob das so richtig war, wissen wir nicht. Hat aber gut geklappt, war nur etwas brüchig). Anschließend dem leichtesten Weg folgen. Als hilfreich hat sich das Wandbild hier (via bergsteigen.com) erwiesen, das Topo von Markus Stadler stimmte bei uns von den Schwierigkeitsgraden und der Linienführung etwas besser als das von bergsteigen.com (zumindest war SL8 sicher keine 5-)). Die Routenfindung ist mit Gespür gut machbar. Die Meter vom letzten Stand zum Gipfel liegen die Brocken nur noch lose auf. Im Sinne der nachkommenden Seilschaften besser ohne Seil und mit größter Vorsicht zu gehen. Der Abstieg ist extrem gut mit roten Punkten und Pfeilen markiert (die blauen Markierungen sind die alten). Es finden sich immer wieder Abseilstellen, die für routinierte Berggeher aber nicht unbedingt nötig sind. Insgesamt extrem viel Schutt im Abstieg, der nur darauf wartet, nach unten befördert zu werden. Der Grat zum Olperer wurde ebenfalls an dem Tag gemacht und für gut befunden.

 

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