Wühlmaus ahoi (Eisklettern Südtirol, Torre Vitty)

Januar 19, 2018

Ein zweisamer Ausflug der Wühlmäuse auf der Suche nach alpinem Eis in der Sella (Eisklettern Südtirol, Dezember 2017).

Sonnenaufgang in Südtirol im Zustieg zum Eisklettern

»Souterrain« könnte man die Position nennen. Oben, aber irgendwie auch nicht. Das Unangenehme ist auch nicht das Drinstecken, sondern das Rauskommen. Man will ja irgendwann noch ankommen. Also auf ein Neues: Gewicht verlagern, auf einem Bein aufstehen, das andere rausziehen, den nächsten Schritt machen. Hält? Bricht ein? Hält. Ungefähr fünf, sechs Schritte lang, manchmal auch zehn, was einen derart in Euphorie versetzt, dass der nächste Abstecher nach unten doppelt überraschend kommt.

Kalt!

Langkofel im SonnenaufgangSo ging das den halben Zustieg lang. Schweißtreibend, aber fairerweise pustete ein so dermaßen kalten Wind, dass die angezeigten -15 Grad im Auto vergleichsweise mollig schienen. Also doch nicht schweißtreibend. Und trotzdem: Motivation war da, endlich wieder alpines Eis. Die aufgehende Sonne tauchte zuerst den Himmel, später die umliegenden Gipfel in ein sagenhaftes Orange-rot-violett. Der Langkofel leuchtete vor uns, während der Lieblingsmensch vor mir immer wieder ins Souterrain abtauchte. Ein bisschen wie ein Schiff auf See:
Da. Da. Da. Weg.
Pause.
Da. Da. Da. Weg.

Der Plan

Wir wollten eine, naja, nennen wir es mal vorsichtig „Erstveröffentlichung“ vom Simon Gietl machen. Der hatte uns ja letztes Jahr mit seiner Begehung im Mittagstal einen perfektekekten Neujahrstag beschert. Und auch diesmal klang alles ziemlich gut: Die Tour sah hübsch aus, führte durch ein langes Colouir bis rauf aufs Plateau, hatte Eis und lag in unserer Lieblingsecke. Das Topo gab zur Schwierigkeit nur »nicht schwerer als M4« an, ansonsten noch ein paar Infos zu verschiedenen Standplätzen. Schlaghaken und vorwiegend Eissanduhren, an denen abgeseilt wird. Klang nach genüsslichem Klettergelände.

 

35 = 60 = 95

Alpines Eisklettern am Torre Vitty - in unserem Fall leider vorwiegend im SchneeNachdem wir also eine Stunde lang ausgiebig abwechselnd abgetaucht waren, kam unser Gully in Sicht. Eis war nicht viel zu sehen, aber naja, bei solchen Schlünden weiß man ja nie. Er startete zur ersten Seillänge, wühlte durch Schnee, machte sich auf die Suche nach den zwei Schlaghaken nach 35 Metern. Nach 60 Metern war dann klar, dass sie entweder abgetaucht oder die Jungs interessante Interpreten von 35 Metern sein mussten. Den zweiten Stand unmittelbar unter dem M4-Wändchen gab es dank vollständig abgetauchtem Eis ebenso nicht, genauso wie irgendwelche Sicherungsmöglichkeiten auf den ersten steilen Metern und so wühlte die Wühlmaus am laufenden Seil ein entsprechend kniffliges Fels-Eis-Schnee-Gemisch empor.

Ich hör wohl nicht recht?

Ungewöhnlich langsam war er, an sich schon fast ein Grund zur Sorge. Noch größer wurde der Schrecken, als ein vermeintliches »ganz schön mies zum Absichern!« heruntergemurmelt kam. Absichern? Du? Das soll M4 sein, da hätte ich jetzt eher erwartet, dass er auf halber Strecke noch kurz seine XXL-Daunenhandschuhe anzieht und nebenher nen Latte schlürft. Waren wir in der falschen Tour? Werde ich da drüber kommen? Warum sitzen wir nicht in einem warmen Café? Während ich noch Plan B bis M durchdachte, war er auch schon verschwunden. »Stand! Hier ist Eis!«.

Eisklettern am Grödner Joch, Südtirol

Eis!

Wie immer graziös wie der sterbende Schwan und flink wie Koalagunden eben sich im steilen Gelände bewegen, kratzte ich hinterher und gerade, als ich ganz sicher war, jetzt dann langsam wirklich keine Tritte mehr zu finden, versanken die Eisgeräte im Tiefschnee zu seinen Füßen. Noch überraschender war der folgende Anblick: Eis. Richtiges Eis! Jetzt gehts endlich los! 

»Das ist das Eis von dem Facebook-Bild, oder? Dann haben wir ja eh schon die Hälfte?«. Voller Freude klimperte ich davon, haute, hookte, versenkte gar eine Schraube,  nur um 20 Meter später einsehen zu müssen: Dat wars dann ersma wieder.

Doch nicht!

Gully in Südtirol, auch ohne Eis machts SpaßNach 60 Metern kam nochmal ein Aufschwüngchen, das gerade Platz für ein kurzes Eisschräubchen bot, danach durfte die Wühlmaus nochmal so richtig loslegen. Seil aus, weder Möglichkeit noch Bedarf für einen Stand, stattdessen mal wieder simultanes Wühlen. Während meine Hände samt Eisgeräten irgendwo im Pulver verschwanden, der Gedanke: Stöcke wären hier irgendwie sinnvoller als Eisgeräte.

Immerhin: Ein Sturz bärge in diesem Gelände wohl höchstens die Gefahr von Ersticken in tiefem Pulver. Und während ich seinen Treppenstufen hechelnd folgte, lief langsam die interne Rechenmaschine an: Das Ding sollte knapp 300 Höhenmeter lang sein. Wir hatten geschätzt mindestens zwei Drittel hinter uns. Die sieben Seillängen in erhofftem Eis, in dem all die Abalakov-Stände warteten, würden entweder noch kommen und uns einen überraschend langen Tag bescheren. Oder aber – wahrscheinlicher: nicht.

Weiter geht’s nicht

Kurioser Ausstieg aus der Tour am Torre Vitty, SüdtirolLetzteres war der Fall. Kein Eis, stattdessen ein Mixed-Ausstieg zwischen bröseligem Fels und grundlosem Powder. Heraus kam man halb surreal auf einer völlig planen Fläche, der Blick rundum natürlich wie immer sensationell, auch wenn die Wolken inzwischen tief hingen. Der angekündigte Föhn rückte an. Und wir? Wir hatten 250 Meter Wühlen für Fortgeschrittene absolviert. Korrigiere: 210 Meter Wühlen, 15 Meter verschneite Mixedkletterei, 20 Meter großartiges Eis und ein 4 Meter-Mixed-Ausstieg, der sich sehen lassen konnte.

Hauptsache draußen

Herrliches Skigelände im Abstieg vom Torre VittyDas Abseilen an den imaginären Eissanduhren sparten wir uns, stattdessen versuchten wir unser Glück mit einem Fußabstieg etwas weiter drüben. Ging tadellos und nach einer kurzweiligen Abhopserei standen wir wieder beim Einstieg, wenig später nochmals ausgiebig im Souterrain und noch einige Minuten später wieder beim immer noch komplett eingefrorenen Auto. Es hatte tatsächlich immer noch -15 Grad.

Ein vorsichtiger Blick in sein Gesicht: Enttäuschung? Hatte ich eine blöde Tour aus dem Internet gesaugt? Er grinste erst. Lachte dann. »Hauptsache draußen! War doch lustig!«. Er ist einfach zu cool.

Diese Ausrüstung war mit beim Eisklettern in Südtirol dabei 
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)

 

Facts Torre Vitty/Eisklettern Südtirol:

Die Tour am Torre Vitty/Grödner Joch wurde bereits vor Simon Gietls Veröffentlichung mehrfach begangen. Wir hatten bei unserer Begehung am 18. Dezember 2017 eindeutig mehr Schnee als die Jungs, Schlaghaken konnten wir keine ausmachen. Der Hinweis, dass das Eis schnell unter Schnee versinkt, findet sich inzwischen auch im Artikel auf PlanetMountain. Kleines Set an Friends (bis BD #2) hilfreich. Abstieg in unserem Fall orografisch rechts durch eine offensichtliche Rinne, die in herrlichem Skigelände zum Einstieg führt. Querung dorthin über ca. 60 Meter sehr steil, bei Lawinengefahr heikel.

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