Wir spazieren weglos zurück in Richtung Tal. Ein ausgesetzter Grat liegt hinter uns, wir sind weder müde noch sonderlich euphorisch. Sollten wir aber sein, denn diese Tour wäre für uns beide vor zwei, drei Jahren noch ein echtes Abenteuer gewesen.
600 Höhenmeter hoch, Zweier-Dreier-Gelände auf einem ausgesetzten, teils nur fußbreiten Grat. Für uns beide absolut adrenalinwürdig! Eigentlich. Wir unterhalten uns darüber, dass sich irgendwie nichts mehr ausgeht und man früher einfach viel mehr gemacht hat. Während alle anderen um einen herum natürlich ständig unterwegs sind und sensationelle Touren erleben.
Ist das wirklich so?
Irgendwann halten wir inne. Stimmt das wirklich? Früher wäre diese Tour ein Abenteuer gewesen. Früher war noch jede Sonnenaufgangstour eine Unternehmung, von der man noch lange gezehrt hat. Wohnt man mitten in den Bergen und nimmt man sich die Zeit, verlieren solche Touren an Außergewöhnlichkeit. Jammern in sphärischen Höhen, reißt Euch mal zusammen Mädels, will man sagen. Sagen wir selbst auch! Aber diese Erkenntnis ist wichtig:
Man nimmt die »kleinen« Touren nicht mehr so wahr. Sucht immer nach mehr, nach länger, wohl sogar nach schwerer. Nach etwas »Besonderem«. Nicht etwa, weil man den Wettbewerb mit anderen braucht, sondern weil man schlichtweg erfahrener wird. Man kennt die Anforderungen, die Gipfel, die Perspektiven der kleinen Heimatberge. Sie sind wunderschön zum Feierabend, aber kein Abenteuer mehr. Was aber nicht heißt, dass man nichts unternimmt.
Diese Erkenntnis ist es Wert, sich immer wieder in den Kopf zu rufen: Es sind nicht nur die großen Touren, die »zählen« dürfen. Es ist viel mehr das Privileg, in einer Region wohnen zu dürfen, in der solch ein Luxus Alltagsware ist und wir noch dazu die Gesundheit haben, sie zu genießen. Und die Kunst, dieses Privileg auch nach Jahren noch zu schätzen.
6 Comments
Finde ich einen richtigen bzw. wichtige Denkansatz. Bergerlebnisse sind ja eine schöne Abwechslung und Ergänzung im Alltagsleben. Bei vielen wird das aber zur Haupt-Lebensaufgabe. Das führt unweigerlich in die Sackgasse. Daneben zählen doch auch die Anforderungen im Beruf, die sozialen Engagements, die Familie und viele andere Interessen. Der Ausgleich, die Balance macht das ganze so schön und erlebenswert. Mit weniger Triaining
und Zeit am Berg wird auch ein einfacher 4er Grat zur kleinen Herausforderung und grösseren Anstrengung. Weniger ist manchmal mehr.
Hi Fredi,
du trifft es auf den Punkt: Die Erlebnisse in den Bergen als Mittelpunkt des Lebens oder nur als Ergänzung und Abwechslung? Zweiteres klingt nach dem größeren Glücksgefühl. Vielleicht brauche ich ein weiteres Hobby. Oder einen anderen Beruf?
Vielen Dank jedenfalls für Deinen wertvollen Gedankenanstoß.
Liebe Grüße
Erika
Hallo, schöner Artikel. Denn genauso ist es. Man sollte sich wirklich immer wieder in das Gedächtnis zurückholen, dass man privilegiert ist dort in den Bergen zu wohnen. Andere unternehmen 2-5 stündige Fahrten mit dem Auto, um zu diesen Orten in den Bergen zu kommen.
Hi Jupp,
da hast Du völlig Recht. Aber allein der Vergleich mit anderen, denen es „schlechter“ geht (naja…), reicht glaube ich nicht. Es muss von innen kommen, den Vergleich mit anderen scheue ich und versuche ihn wenn möglich zu vermeiden. Aber ob das in diesem Fall geht?
Liebe Grüße!
Erika
Sehr schöner Artikel, Erika!
Ich war am Wochenende bei dir im Allgäu und normalerweise bin ich immer traurig gewesen wieder in die „große“ Stadt zurück zu müssen. Seitdem ich aber selbst unweit der Berge wohne, ist es gar nicht mehr so schlimm. 🙂
Hi Christian,
wobei es bestimmt trotzdem ganz furchtbar sein muss, das Allgäu wieder zu verlassen, ja? Jaaa? 😉 Spaß! Die Entscheidung an die Berge zu ziehen, kann ich zu 100% nachvollziehen.
Weiterhin viel Freude mit der Bergnähe! Jetzt muss man sie nur noch dauerhaft nutzen (oder zumindest wahrnehmen) 😉
LG!
Erika