Soll wohl nicht sein? (Piz Palü in a day)

März 9, 2020

Okey. Das soll heute vielleicht einfach nicht sein. Aber…
ich. will. da. hoch!!!
(Piz Palü Ostgipfel | Anfang März 2020)

Freitag. Die Idee kam spontan und war fahrtechnisch nicht wirklich vertretbar. Aber bei diesem bisherigen Winter fängt man an, auch einzelne »Schönwettertage« zu nutzen. Genaugenommen war es nicht mal ein ganzer »Tag« und noch genauer genommen war die Prognose nicht wirklich »schön«: Wolken ab zwölf, einen Fünfziger-Wind auf 4.000 Meter.

Aber es juckte in den Beinen, wir wollten beide einfach mal wieder was Großes zusammen unternehmen.

 

Bus-Einweihungs’party‘

Also Samstag spontan ans Ende der Welt – aka Pontresina –, den Bus einweihen und schnell ins Bett. Vier Stunden später dann der Wecker. Und dazu: Pistenraupenrauschen. Ne?!

Uns war klar: So gehen wir da nicht hoch. Wir warteten, frühstückten, lugten immer wieder aus dem Bus.

 

Überraschungen gibt’s!

Eine halbe Stunde hinter unserem Zeitplan hielt ich eine Raupe an und fragte mit maximal schlechtem Gewissen, ob wir irgendwie aufsteigen könnten.

Als Gleitschirmpilotin und Allgäu-Bewohnerin rechnete ich mit einem deftigen Abfuhr. Und dann? War der Mann einfach unfassbar freundlich. Freute sich über unseren Plan, ließ uns nicht nur die Piste aufsteigen, sondern bot sogar an, mit ihm mitzufahren.

Ein kurzer, verlockender Moment.

Das, äh, wäre…, flüsterte das Teufelchen.

Nein, Danke! Wir laufen vom Tal. Sagten mein Engelchen auf der Schulter und ich aus einem Mund.

Aufstieg zur Diavolezza

Ich fühlte mich richtig gut. Freute mich einfach hier zu sein. Zwei Stunden später die nächste Freude: Das Berghaus Diavolezza war nicht nur offen und warm, es stand sogar eine eingeschaltete, verlockende Kaffeemaschine da. Wir enthielten uns, die Franken lagen schlauerweise unten im Bus.

Nein!

Mit dem Sonnenaufgang ging’s wieder raus in die Kälte und per Ski hinunter zum Gletscher, der zum Piz Palü hinaufzieht. Und dann die bittere Überraschung:

Meine Adhäsionsfelle hielten kein Stück. Wir wärmten sie, wärmten die Ski, probierten alles, aber sie hielten immer nur für ein paar Meter. Nein nein nein!

Nächste Stufe: Tape. Hielt besser, aber auch nur für ein paar hundert Höhenmeter. Immer wieder der Gedanke: Wie viel Zeit können wir hier jetzt vertrödeln? Sollten wir direkt abbrechen? Alles passte: Wetter, Körper, Motivation…! Nur wegen diesem einen Ausrüstungsgegenstand jetzt umdrehen?

Nein. Mann!!!

Als das Tape aufgebraucht war, dann die letzte Eskalationsstufe: Harscheisen und eine zerschnittene Bandschlinge. Die Kabelbinder lagen im anderen Skitourenrucksack. Hat man auch davon, wenn man kurzfristig einen neuen Rucksack mitnimmt.

Oh man.

Soll es vielleicht einfach nicht sein?

Die Bandschlinge tat vorerst ihren Dienst. Durch den ganzen Murks waren wir zwar gut ein, zwei Stunde hinter dem Zeitplan, aber dafür fast unbemerkt schon gut fünfhundert Höhenmeter weiter oben.

Ganz langsam rückte die Konzentration weg von dem Fellproblem, hin zu dieser gigantischen Landschaft und zur Freude, dass wir heute wirklich hier waren. Langsam spürte ich die Höhe, aber hey, immerhin hielten die Felle!

Diese Ausrüstung war mit dabei:

Zumindest bis kurz unter das Skidepot. Es war Zeit für Harscheisen, die ja eh schon auf meinen Ski waren. Ohne Felle halfen die aber nichts, Gehen war fast nicht möglich. Schon wieder verloren wir Zeit.

Irgendwann dann Eskalationsstufe Nr. 4: Ski weg, zu Fuß mit Steigeisen weiter. Mühsam. Unfassbar mühsam.

Aber es war wirklich nicht mehr weit zum Skidepot.

Rinnende Zeit

Inzwischen holten uns drei Seilschaften und ein Alleingänger ein, was irgendwie frustrierend war. Wir waren so früh aufgestanden, hätten vor zwei Stunden schon am Gipfel stehen sollen. Aber jetzt aufgeben? Eigentlich sprach nichts dafür, außer die brutal kalten Finger, Füße und ein nahezu eingefrorenes Gesicht.

Und vielleicht die Wolken, die sich langsam bildeten.

Teufelchen und Engelchen

Das Teufelchen auf der Schulter meldete sich mal wieder und fragte vorsichtig an, ob denn der Gipfel bei dem Wind und den aufziehenden Wolken wirklich sein müsse.

Das Engelchen zeigte ihm kurzerhand den Vogel und los ging’s die Flanke in Richtung Gipfel. Mühsam. Zumindest für mich. Aber immerhin kaum gruselig, auch wenn hier ein falscher Tritt eine rasante, eher bösartige Rutschfahrt bedeuten würde. Komisch, dieser Kopf.

Warum nochmal?

Dann irgendwann der Grat, wo im Windschatten kurz die Finger schmerzhaft auftauten. Warum tun wir uns das jetzt nochmal an? Der Mann sorgte sich um meine schon etwas weiße Nase und ich sorgte mich um die Ausgesetztheit auf dem Verbindungsgrat zum Gipfel.

Hier jetzt einfach bleiben… Gipfel, Fast-Gipfel, was soll’s schon? Das Engelchen zeigte abermals den Vogel und so ging es tatsächlich zum Gipfel.

Piz Palü!

Poah. Wie oft hatte ich heute schon damit abgeschlossen, hier oben zu stehen? Die Aussicht war sensationell, immer wieder gaben die zerfetzten Wolken Blicke hinunter auf die restliche Welt frei. Wir waren wirklich weit oben.

Wir schauten kurz, plauschten mit einer anderen – schon wieder wirklich freundlichen – Seilschaft und traten den Rückweg an.

Nur die halbe Miete

Ein Gedanke im Abstieg: Es ist immer das Gleiche. Man läuft und läuft und läuft stundenlang in Richtung Gipfel und dann ist man oben und hat kaum Nerven, den Blick wirklich ausgiebig zu genießen. Sei es wegen Kälte oder wegen dem Bewusstsein, dass hier die Tour einfach noch lange nicht rum ist.  Ob es da nur mir so geht?

So viele nette Menschen!

Am Skidepot folgte eine weitere schöne Erfahrung: Eine Lady hatte gesehen, dass meine Felle nicht mehr hielten und empfahl die Abfahrt nach Morteratsch. Sie würde uns das Geld für den Zug auslegen, unsere Franken lagen ja im Bus.

Ein verlockendes Angebot. Zwar juckte es uns beide, die Tour so zu vollenden, wie wir sie geplant hatten – also mit Gegenanstieg hinauf zur Diavolezza, aber andererseits machte das mit diesen Fellen einfach keinen Sinn. Und der Schnee war wirklich gut.

Also wedelten wir am Gegenanstieg vorbei hinab zum Bahnhof. Mit einer Wahnsinnsbergkulisse im Rücken.

20 Minuten später saßen wir am Auto und vier Stunden später wieder daheim im Wohnzimmer. Ein Intermezzo der besonderen Art.

Und jetzt?

Kaufe ich mir Klebefelle.

 

 

Tourenbeschreibung hier oder unterhalb der Bilder-Galerie.

 

Tourenbeschreibung Piz Palü Skitour

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13 Comments

  • Reply Bernd Limbach März 9, 2020 at 9:06 pm

    Haha, sollte mal wieder mehr von Dir lesen. Muss grinsen.
    VG, Bernd

  • Reply Tom März 10, 2020 at 3:39 pm

    Aber Adhäsionsfelle sind doch so toll! Heisst es immer. Ich bin von denen seit meinem ersten Grundkurs seinerzeit mit Leihski geheilt. Meine Coltex taugen zwar auch nichts, aber zumindest halten die auf dem Ski.

    Wir waren 2015 oben, allerdings als Überschreitung, nachdem wir tags zuvor den Biancograt gemacht hatten. War schon eine geile Tour:
    https://www.allesnursport.de/bericht-ueberschreitung-piz-palue-3900-m.html

  • Reply Anja März 10, 2020 at 4:29 pm

    Hallo Erika! Ein traumhafter Bericht!freut mich dass es trotz diverser Hindernisse geklappt hat! Glückwunsch!
    Viele Grüße
    Anja

  • Reply Simon März 10, 2020 at 5:36 pm

    Haha, schön dass es noch geklappt hat! 🙂
    Ich hab den Palü letztes Jahr im Mai auch als Tagestour gemacht, allerdings von Morteratsch startend. Da war anfangs erstmal Skitragen angesagt und dann waren da noch die Bachquerungen … 😉

  • Reply Claudia März 11, 2020 at 10:12 pm

    Gratuliere zur gelungenen Tour!
    Ich hatte vor ein paar Jahren schon ähnliche Probleme mit Adhäsionsfellen – frustran! Ich hätte zwar gedacht, dass sich in der Zwischenzeit was getan hat, aber nach diesem Bericht bleib ich doch lieber bei den guten (?), alten Klebefellen.

  • Reply Fabian März 15, 2020 at 6:11 pm

    Du solltest in deinem Text vielleicht auch erwähnen, dass du am Ostgipfel warst und nicht am Hauptgipfel.
    Das erweckt nämlich den Eindruck als bist du am höchsten Punkt des Piz Palü gewesen.

    • Reply ulligunde März 15, 2020 at 8:30 pm

      Hallo Fabian,
      der Hinweis findet sich in der dritten Zeile. Dein Kommentar bestätigt aber mal wieder die Wahrnehmung, dass bei vielen »Leistung« immer noch das Primäre bei einer Tour zu sein scheint. Völlig in Ordnung, nur eben nicht meine Denkweise. Aber genau aus diesem Grund steht vorsichtshalber »Ostgipfel« direkt im Einleitungs-Absatz.
      Viele Grüße,
      Erika

  • Reply Tanguy März 20, 2020 at 8:18 pm

    Cooler Bericht. War wirklich ein Traumtag.
    Lg aus Basel

    • Reply ulligunde März 23, 2020 at 5:55 pm

      Ha! Cool, dass Du’s hier her geschafft hast! Danke noch einmal für Eure liebe Hilfe.
      Liebe Grüße,
      Erika

  • Reply Christoph März 28, 2020 at 11:32 am

    Hi Erika, ich hab gerade deinen Podcast im Ohr gehabt (genauer die Episode 12) und hab mir deswegen gleich mal deinen Palü Eintrag angeschaut. Deine Bilder machen sofort Lust mit Skitouren gehen anzufangen! (Und ich wüsste auch nicht warum deine Bilder jetzt besonders amateurhaft sein sollten… du hast im Podcast so stark zwischen deinen Bildern und denen von Profis differenziert, für mich unverständlich) saucooler Block und ein Podcast der einfach Spaß macht anzuhören. Ich glaube hier schaue ich auf jeden Fall noch öfter vorbei!!!

    Liebe Grüße aus Franken
    Christoph

    • Reply ulligunde April 3, 2020 at 1:04 pm

      Hi Christoph!
      Freut mich, wenn Dir die Bilder gefallen =) Ich hoffe sehr, dass Dir der Podcast auch künftig Freude bringt!
      Liebe Grüße,
      Erika

  • Reply Soeren Mai 15, 2020 at 7:07 am

    Hach ja, wie oft setzen sich Engelchen und Teufelchen bei meinen langen Radreisen auf meine Schulter, unglaublich. Und ich finde es immer so authentisch, wenn in deinen Beiträgen auch diese Momente einen Platz finden. 🙂 Das nimmt mich als Leser viel mehr mit in deine Gefühlswelt und vor allem merke ich deutlich, wie sich dadurch auch in langen Berichten ein toller Spannungsbogen aufbaut. Danke! Bin gespannt wohin hinauf es dich dieses Jahr noch treibt.

    • Reply ulligunde Mai 19, 2020 at 8:56 am

      Hi!
      Merci, das freut mich immer zu hören, dass auch andere noch leicht halluzinatorische Anwandlungen haben und hin und wieder irgendwo Teufelchen sehen 😉
      LG!
      Erika

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