Kurz hatte ich gestutzt, als er meinte, er kenne den Weg auf die Krottenspitze. Ich kenne niemanden, der schon mal dort war, das Gipfelbuch ist noch das aus jenem Jahr, in dem das Kreuz errichtet wurde. Aber hey, cool! Muss man sich schon nicht um die Wegfindung kümmern!
Oder…
…vielleicht doch?
Oktober 2019
Sterne oben am Himmelszelt. Unten im Tal: Zwei Stirnlampen, die wild plappernd in Richtung Spielmannsau rollten. Vor wenigen Stunden hatten wir uns spontan zu dieser Tour verabredet und es würde nur noch ein paar Stunden dauern, bis Quirli-Willi realisieren würde, dass zwischen Spitz und Kopf ein feiner, aber realer Unterschied lag.
Krottenkopf und Krottenspitz
Der Unterschied betrug genaugenommen 103 Meter in der Höhe und etwas größere Schwierigkeiten im Aufstieg: Denn wer auf die Krottenspitze möchte, muss entweder über den „längsten Grat des Allgäus“ (Krottenspitzgrat) klettern oder aber über die Öfnerspitze steigen.
Während der endlose Zackengrat im Bereich IV eincheckt, bleibt’s bei Öfnerspitze – Krottenspitze -Öfnerspitze zwar nur bei II (mit Muttlerkopf dann III), aber von Schrofen- und Geröllkekrabbel hat man nach dieser Tour dann trotzdem genug.
Der – fast? – höchste im Allgäu
Der Krottenkopf hingegen ist der Mont Blanc, der Ortler – der MOUNT EVEREST des Allgäus!
Zugegeben, der Vergleich hinkt womöglich ein ganz klein wenig, aber immerhin ist der Krottenkopf der höchste Gipfel im Allgäu. Entsprechend beliebt ist er, was auch an diesem Tag gut zu sehen war.
Wo Steinbock Steinbock
»Gute Nacht« sagt
Ganz im Gegensatz zu unserer geplanten Tour: Nachdem wir den Wanderweg zum Muttlerkopf verlassen hatten, begegnete uns für den restlichen Tag kein Mensch mehr. Das war kein Zufall, im Gipfelbuch standen für dieses Jahr erst fünf Begehungen, die allermeisten waren über den Krottenspitzgrat gekommen. In dieser Ecke haben die Steinböcke wahrlich noch ihre Ruhe.
Dem E5 auf der Spur
Sofern zumindest keine plappernden Stirnlampen anrollen: Die Fahrräder blieben bei der Materialseilbahn, in gutem Tempo ging es auf dem berühmten E5 in Richtung Kemptner Hütte.
Diese Ecke kennen auch viele Nicht-Allgäuer – ganz im Gegensatz zu mir. Ich war noch nie dort. Zu aufwändig, zu oberstdorfig, zu teuer – es gibt so viel anderes Schönes, das einfacher zu erreichen ist.
Andererseits war dieser Abschnitt durchaus imposant – alte Lawinenkegel füllten selbst im Oktober noch das Bachbett, das Wasser hatte mächtige Schneebrücken aus dem Eis geformt.
Diese Aurüstung war mit dabei:
(In diesem Artikel habe ich meine Ausrüstung fürs Bergsteigen genauer vorgestellt)
Alpine Abgeschiedenheit
Auf dem Weg zum gut besuchten Muttlerkopf bogen wir ab und ließen die Menschen hinter uns. Das Gefühl wechselte schlagartig:
Ruhe.
Alpine Abgeschiedenheit.
Vorfreude mit einem Hauch von Nervosität.
Der kniffligste Abschnitt wartete überraschenderweise noch vor dem Grat: In steilem Schrofenschrott ging es die Rinne empor, oben gab’s direkt mal eine Portion Doppeltiefblick in zwei Richtungen.
Die Lehren der Berge
Und dann ging’s los! Wie so oft sah das Gelände abweisend aus. Gruselig. Aber andererseits lehren einem die Berge, dass vieles erst abweisend aussieht und sich am Ende dann überraschend leicht auflöst.
In leichtem, aber teils ausgesetztem Schrofengelände ging es hinauf, immer wieder musste kurz gekraxelt werden, aber nie wirklich schwer. Rote Punkte wiesen den Weg in diesem Irrgarten aus Möglichkeiten.
Der Krottenkopf, dieser mächtige Felsbrocken mit seinem markanten Nordgrat, sank immer weiter auf Augenhöhe, während der Rundumblick immer beeindruckender wurde.
Auf der Öfnerspitze
Die Aussicht von der Öfnerspitze war dann schlichtweg sagenhaft. Eine (für mich) völlig neue Perspektive auf Hochvogel, Trettach und Oberstdorf. Wie klein alles aussah!
Gleichzeitig die wohltuende Gewissheit: Ich will gerade nirgends anders sein. Auch Willi ging es so – er war wahrlich von den Socken. Wie schön so eine Begeisterung erleben zu dürfen!
Zur Krottenspitze
Während Willi noch das Fotografieren und das Sich-Über-Den-Moment-Freuen zelebrierte, erkundete ich schon mal den Weiterweg. Und stockte. Da…runter!? Diesmal sah es wirklich steil, wirklich unschön und so gar nicht markiert aus. Aber gut, erstmal schauen, ne?
Wieder löste sich die Wand, die wir wandernd (er) bzw. krabbelnd (ich) hinter uns ließen, erstaunlich leicht auf, auch wenn der Tiefblick teilweise (für mich) etwas unangenehm war.
Willi, der noch nie in so anspruchsvollem Gelände unterwegs war, hatte seine pure Freude und hüpfte von Stein zu Stein.
Der Aufstieg zur Krottenspitze war dann einfach nur noch schön und der Ausblick auf die Trettachspitze noch einen Ticken spektakulärer. Der Föhnsturm zerrte zwar inzwischen an uns, aber die Sonne hielt dagegen und überhaupt hüpfte das Herz einfach nur noch.
Zurück zur Öfnerspitze!
Beim Rückweg zur Öfnerspitze machten sich langsam die gemachten Höhenmeter bemerkbar, das Runterkrabbeln von der Öfnerspitze dauerte doch noch etwas und dann standen wir vor der Entscheidung:
Die hässliche Rinne, die wir morgens aufgestiegen waren, runter oder eine rund zehn Meter hohe, senkrechte Wand hoch? Willi schüttelte sofort den Kopf »da geh ich nicht hoch!«.
Ohrwaschlhook
Die Motivation für die Rinne war aber ebenso gering und so krabbelte ich einfach mal die ersten paar Meter der Wand empor. Der Fels war gut, die Griffe nicht schlecht.
Mit einem wilden Hook auf Ohrwahschlhöhe waren die Schwierigkeiten des Tages vorbei, wenige Meter später schien uns die Sonne ins Gesicht und der Tag konnte schlichtweg nicht mehr besser werden.
Pure, pure Freude! Ein bisschen Stolz, diese Wand probiert zu haben, Bibbernde Erleichterung, endlich wieder Sonne im Gesicht zu haben und riesige Vorfreude auf das, was jetzt gleich noch kommen würde:
Weißwurst auf 2.300 hm
Der Uhrzeit zufolge konnte zwar keine Rede mehr von „Frühstück“ sein, aber der Willi hatte alles mitsamt Kocher, Teller und Senf mitgeschleift.
Sich das nur wegen irgendwelcher Brauchtumsrichtlinien (»nach elf keine Weißwurst mehr«) entgehen zu lassen, stand überhaupt nicht zur Debatte.
Und: Es schmeckte herrlich! Kein Mensch mehr weit und breit, zufriedene Erschöpfung und warme Sonnenstrahlen, die uns ins Gesicht brannten.
Ein perfekter Tag.
Abstiegsmuskulaturtraining
Dank des Föhns war aber von Anfang an schon klar: Heute ist nichts mit Gleitschirm. Nach einem ausgiebigen Nickerchen ging es zu Fuß runter. Und runter. Und noch weiter runter.
Das Rehabilisierungsgetränk auf der Kemptner Hütte schmeckte ausgezeichnet und wurde mit ungläubigen Blicken begleitet: Heute morgen im Tal gestartet? Öfnerspitze? Krottenspitze? Öfnerspitze? Muttlerkopf auch noch?! Und jetzt wieder runter ins Tal?
Ist man lang genug in bestimmten Kreisen unterwegs, verliert man ein wenig die Relation zu dem, was »üblich« ist. Nachts aufzusteigen, knapp 2.000 Höhenmeter zu machen und abends wieder im eigenen Bett schlafen zu wollen ist zumindest für „normale“ Hüttenaspiranten nicht üblich. Umso wertvoller war dieser Reminder, dass es ein Geschenk ist, Fitness und Wohnort zu haben, die das zulassen.
Begleitet von dem ein oder anderen Steinbock ging es im Laufschritt zurück ins Tal, mit dem Rad nach Oberstdorf und mit einem breiten, sehr müden Grinsen nach 13 Stunden auf den Beinen direkt ins Bett.
Danke an Willi Roth für die äußerst fröhliche Begleitung, all die Fotos und das grenzgeniale Nachmittagsfrühstück.
Infos Bergtour Öfnerspitze – Krottenspitze – Muttlerkopf
Diese Tour ist im Tourenführer »Alpine Bergtouren im Allgäu« von Kristian Rath beschrieben. Dieses Buch kann ich jedem Bruch- und Schrofenpiloten wärmstens empfehlen!
Zur Tour: Abgesehen von der kleinen Wand im III Grad am Muttlerkopf halten sich die Kletter-Anforderungen im Rahmen. Eine kurze Stelle im ca. II-Grad ist im Aufstieg zur Öfnerspitze zu bewältigen, der Rest ist vor allem Schrofen- und Schuttgekrabbel, das teilweise etwas ausgesetzt ist. Die Routenfindung zur Öfnerspitze ist durch rote Punkte entschärft, der Rest findet sich ganz gut. Etwas Erfahrung braucht’s aber wohl schon.
Schöne, einsame Tour in einer sagenhaften Ecke des Allgäus.
2 Comments
Geniale Tour in einem echt viel zu überlaufen Gebiet. Das setze ich gleich mal auf meine To-Do Liste. Die Kemtner Hütte und der E5 ist für mich der Inbegriff von „nicht meine Welt“. Gut, dass es nur einen kleinen Teil betrifft uns es gleich daneben noch wild zugeht.
Trotz des Andrangs waren die Leute auf der Hütte aber unheimlich nett! Naja, war allerdings auch eine Woche vor Saisonende, so richtig repräsentativ ist der Andrang, den wir da erlebt haben, wohl nicht 🙂
Viel Spaß bei der Tour!
LG,
Erika