Rüber? Runter? (Annakogel & Hochwilde/Ötztal)

August 2, 2019

Wenn der innere Entscheidungs-in-Frage-Steller auf Hochtouren läuft. (Überschreitung Annakogel-Hochwilde im Juli 2019)

Hochtour, Ötztal, ObergurglLauter Donner weckt uns. Regen prasselt auf das Dach unserer kleinen Hütte. Ein heimeliger Moment,  aber wir waren vom Vortag zu erschöpft, um ihn lange zu genießen. Ich schlafe sofort wieder ein.

Um halb fünf klingelt der Wecker, draußen verhängt eine dicke Cirren-Schicht den Mond. Nicht ideal, aber bisher okey. Wir starteten ohne Frühstück, wanderten einfach erstmal gemütlich in Richtung Gletscher.

 

Hinauf-Schnauf

»Schnell« war  anders, aber wir bemühten uns immerhin um Kontinuität. Die Beine waren schwer. Der Umstieg auf Gletschergeraffel ging dafür flink und schon stapften wir mit zwei nachkommenden Seilschaften im entfernten Schlepptau über den Gletscher. Gleichmäßig gehen, nicht zu schnell. Der Schnee war unheimlich weich, das Spuren war jetzt schon mühsam.

Wir querten Bäche und Eissümpfe, spürten förmlich den Klimawandel, der diesem Eis hier heftig zusetzt. Wie lange wird es noch da sein? Eine Frage, die man sich heutzutage bei jeder Hochtour stellt.

Brotzeit, Hochtour, Bergsteigen,

Wetter-Sorge

Anders als Normalweg-Aspiranten bogen wir am Durchschlupf zum Gurgler Ferner ab und stiegen hinauf zum Annakogel. Anstatt Weg zu verschenken einfach direkt hoch, was soll’s.

Ein paar Meter im Geröll und schon standen wir auf unserem vierten Dreitausender an diesem Wochenende. Ein einfacherer Holzstab markiert den »Triumpf«, wir verzogen uns lieber in ein kleines Felsloch, um dem kalten Wind zu entfliehen.

Schnelles Frühstück, wir waren ohnehin schon später als gehofft. Das Wetter machte uns Sorgen. Noch war es okey, die dunkle Wand im Westen, von wo heute Mittag Gewitter kommen sollten, war noch weit entfernt. Aber wie weit entfernt?

 

Überschreitung Annakogel BruchDer eigentliche Plan

Erstmal auf der anderen Seite wieder runter zum Gletscher. Bruch und eine steile Eisflanke brachten uns zurück zum Normalweg, dann wieder ein Wetter-Check: Noch immer okey. Wir beschlossen, zumindest mal den Nordgipfel zu versuchen.

Unser ursprünglicher Plan war von dort in etwa einer Stunde hinüber zum Südgipfel zu klettern, von dort hinunter zum Langtaler Ferner und über diesen durch ein angebliches Spaltengewirr hinaus zur gleichnamigen Hütte.

Den Gipfel mit all seinen Stahlseilen wollten wir um keinen Preis im Gewitter erleben, den Gletscher ebenso wenig im Nebel…

 

Hochtour, Klettersteig, Ötztal

Geschlagener Gipfel

Wir folgten drei Jungs, die uns erfreulicherweise die steile Spurarbeit abnahmen und wechselten in Klettersteigmodus.

Wir fühlten uns ohne Sicherung wohl in diesem Gelände, wenn auch etwas befremdlich. Wir sind einfach beide keine Fans von verbauten Gipfeln. Ohne die vielen geschlagenen Tritte im Fels wäre das hier richtig anspruchsvolle Kletterei.

Wir hielten Abstand zur Seilschaft vor uns, hatten etwas Bedenken bezüglich ihrer Sicherungsmethode. Sagt man bei tendenziell lebensgefährlichen Sicherungspraktiken nun was? Wir sparten es uns, hofften für sie mit.

»Einladend« sieht anders aus

Am Gipfel dann der Blick hinunter zum Verbindungsgrat. »Hrmpf….«. Wir schauten uns einen Moment an, schauten noch einmal runter. Das sah überhaupt nicht einladend aus. »Hm«, verständigten wir uns.

Abbruch

Dann wieder ein Wettercheck: Die Wolkenbasis hatte inzwischen die Wildspitze verschluckt. Die dunkle Wand war deutlich näher. »Dreh’mer um, oder?«. Ein Regenbogen erleuchtete die benachbarte Hintere Schwärze. »Lieber schnell, bevor’s nass wird«.

Wir waren uns einig, die Entscheidung war ganz nüchtern gefallen. Ein kurzes Nachfühlen im eigenen Bauch: Reden wir uns was ein, weil wir von gestern noch müde sind?  Machen wir unnötig einen Rückzieher? Nein. Die Entscheidung fühlte sich gut an, der Regenbogen sagte alles.

Oder?

Wir krabbelten noch kurz zum Gipfelkreuz, gratulierten den Jungs. Sie wollten noch rüber zum Südgipfel und anschließend wieder über den Nordgipfel absteigen, weil sie Gepäck am Hochwildehaus deponiert hatten. »Das Wetter sieht ja noch ganz gut aus!«.

Der innere Entscheidungs-In-Frage-Steller sprang sofort an: Sind wir zu vorsichtig? Reden wir das Wetter schlecht? Drücken wir uns vor dem Weitergehen!? Aber nur für einen Moment.

Das Wetter sieht ja noch ganz gut aus!‘?! Lena und ich, im Kopf gruselig ähnlich gestrickt, schauten uns kurz an, schauten zum Regenbogen, schauten noch einmal uns an. Und verabschiedeten uns freundlich.

Diese Ausrüstung war mit dabei:
Eine ausführliche (Text-)Beschreibung gibt es im aktuellen
Ausrüstungsschnack »Leicht-Ausrüstung für Hochtouren«

 

Passt schon!

Erleichtert, eine Entscheidung getroffen zu haben, die auch dieser Prüfung standhielt, huschten wir den Klettersteig hinunter und legten unten erstmal eine gemütliche Pause ein. Weitere Seilschaften kamen an, zogen zielstrebig zum Gipfel.

Eine halbe Stunde später schien die Sonne, die dunkle Wolkenfront zog nördlich an uns vorbei. Wieder ein Blick zueinander, diesmal etwas ungläubig. Aber was hätten wir da oben anders entscheiden sollen?

Wir standen zur Entscheidung, es fühlte sich gut an. Zufrieden hatschten wir zurück über den Gletscher, ein Stück hinter uns folgten die drei Jungs vom Gipfel.

Sie hatten wohl die Überschreitung doch nicht unternommen. Sollte es uns leid tun, dass wir ihnen mit unserer Entscheidung die Tour scheinbar verkürzt hatten? Ne, eigentlich nicht. Ist ja jeder selber groß hier draußen.

 

Happy moments

Im herrlichen Sonnenschein verputzten wir auf der Gletschermoräne die letzten Essensvorräte, bestaunten den blauen Himmel und unsere müden Beine.

Zwei Stunden Hatsch warteten auf uns bis zur nächsten Verpflegungsstation: Die Langtalereck Hütte.

Im Regen runter

Kurz vor unserem Schlafplatz am Hochwildehaus zog unvermittelt eine Wolkenwand das Tal hinauf, verschluckte uns wenige Minuten später und öffnete die Pforten. Im Regen trotteten wir hinunter.

Ob der Nebel bis hinauf zum Gipfel reicht oder ob die Wetterscheide am Hauptkamm dagegen hält? Hoffentlich gewittert es nicht, während noch jemand dort ist… 

 

Hygge

Langsam saugten sich unsere Klamotten voll mit Wasser, wir folgten erleichtert dem hübsch angelegten Pfad. Eigentlich schön! Es war kaum kalt, wir wussten, dass wir in kurzer Zeit auf einer Hütte und etwas später im Tal sein würden. Es warteten keine besonderen Gefahren mehr auf uns, wir mussten einfach nur gehen. Hatten es nicht mal besonders eilig.

Das prasseln vom Regen auf der Kapuze, die PingPong-spielenden Gedanken, die pure Zufriedenheit, ein geniales Wochenende erlebt zu haben… Dankbarkeit machte sich breit. Für das Wetter, das es insgesamt sehr gut mit uns gemeint hatte, für das Glück, das wir die letzten beide Tage hatten und auch für unsere Routine, dank der wir beide Touren so souverän meistern konnten.

Ein gutes Gefühl.

Ein geniales Wochenende.

 

PS: Hier geht’s zur Tour am Vortag (Überschreitung von Spiegelkogel – Firmisanschneide – Schalfkogel vom Ramolhaus aus). 

PPS: Unterhalb der Galerie finden sich die Infos zur Tour (diesmal auf alpenvereinaktiv.com).

PPPS: Hier geht es zur Übersicht unserer Leicht-Ausrüstung für Hochtouren.

 

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