Ein Grat aus Fels und Schnee. Oder sollte man sagen: Aus Tauen, Ketten und Stahlseilen und ansonsten vor allem viel Luft unter den Sohlen?
Der Galletgrat. Ein »Pendant zum Biancograt«, sagen die einen, »einer der schönsten Grate der Berner Alpen«, sagen die anderen. Ich persönlich fühlte mich eher irgendwo zwischen Klettersteig und Höhenangst-Trainingslager. Nahezu alle Felspassagen sind durch dicke Taue, noch dickere Ketten oder glänzende Stahlseile entschärft, die wenigen Meter, die übrig bleiben, verlaufen in schottrigem, plattigem Fels mit vereinzelten Sicherungsstangen.
Das sogenannte »Leichentuch« war deutlich weniger ausgesetzt, als es auf Bildern vermuten lässt, dafür ist der Grat oben durchaus kompromisslos: Queren in steilem Firn, nur hin und wieder geht es direkt nach oben. Bei aperen Verhältnissen dürfte der Spaßfaktor gegen Null, das Wadentraining dafür immens sein. Die letzten Meter zum Gipfel führen erwartungsgemäß nicht »in« dem von weitem schon sichtbaren Felsaufschwung, sondern über eine meterlange »Strick«Leiter aus Stahl, gekrönt von weiteren Metern an Drahtseilen.
Ausgesetzt bleibt’s trotz der Seile
Keine Frage, der Grat wäre ohne Versicherungen locker im sechsten Grad zu Hause und damit deutlich(st) weniger begangen. Mich würde allerdings interessieren, wer die Entscheidung trifft, einem Berg seiner alpinistischen Herausforderung zu berauben. Natürlich bleibt der Firngrat oben weiterhin ausgesetzt (und damit nicht mein Ding, was sicher auch in meine Wahrnehmung einfließt), aber der Reiz der früher sicher sehr schweren Route ist verflogen. Die Fründenhütte zieht daraus einen essenziellen Vorteil, aber wer nicht gerade seine Lieblingssport in der Seilakrobatik gefunden hat, der wird am Galletgrat kaum interessante Kletterstellen finden können.
Diese Ausrüstung war dabei:
Sensationelle Aussicht
Die Aussicht hingegen hinunter auf den 2.000 Meter tieferen Öschinensee, hinüber auf das Gras- und Seenvorland des Berner Oberlands sowie rundum auf die unzähligen Viertausender von Mont Blanc bis Eiger ist allerdings tatsächlich phänomenal. Ebenso die Bewirtung auf der traumhaft gelegenen Fründenhütte. Der Sonnenuntergang über den Grasbergen, im Rücken die wilden Gletscher, zu Füßen der friedliche See… und im Ohr das Alphornspiel des sympathischen Hüttenwarts. Und auch die ebenso schön gelegene Doldenhornhütte bietet eine willkommene Pause auf dem 2.500-Höhenmeter langen Abstieg zurück nach Kandersteg. Wegen der Aussicht und der Bewirtung lohnt sich die Tour also allemal, nur nicht unbedingt wegen der Kletterei im Fels.
Die Bilder ohne Ulligunde-Logo (also nahezu alle, ich war irgendwie anderweitig beschäftigt…) stammen von Ralf Gantzhorn. Vielen Dank an dieser Stelle an die Pächter der Fründenhütte für die perfekte Bewirtung und vor allem an den geduldigen Philipp, der wahrscheinlich schon sehr, sehr lange nicht mehr so langsam in den Bergen unterwegs war 😉
4 Comments
Wohoooo, das ist ja mal ein Tourenbericht 😉 Danke für deine Ehrlichkeit! Und ich bin froh, dass wir uns im Frühjahr für die Blüemlisalphorn-Überschreitung entschieden haben – die war echt schön und hatte gar nix mit Ketten und Tauen zu tun! Mit steilen Flanken schon, aber das macht’s dann auch wieder eindrücklicher und intensiver… also zumindest für mich. Und, könnt mir vorstellen, auch für dich! Wir hätten dann noch mit dem Doldenhorn spekuliert, aber war also gut, dass wir lieber klettern gingen 😉
Gib den Bergen da drüben aber doch nochmal eine Chance, vielleicht nur anderen – ich hätte da vielleicht ein paar Anregungen – am besten bei einem Glas Wein oder so 😉
Hi Marlies, das Angebot mit dem Wein nehme ich bitte postwendend an 🙂 Wobei – wenn ich mir gerade Euer Tourenpensum so anschaue, wird es wohl doch eher erst was, wenn das Wetter wieder schlechter wird 😀
LG!
Erika
Interessant wie sich das geändert hat. Habe die Tour vor 40 Jahren als Student ‚mitgemacht‘. Versicherungen gab es keine. Wir haben Eisschrauben gesetzt, was viel Zeit gekostet hat. Es gab keine Spur, da es nach einer Schlechtwetterperiode war und schließlich hatte die Freundin des Vorausgehenden einen Anfall. Das hatte alles viel Zeit gekostet, so dass wir übernachten mussten. Heute würde man sich vermutlich rausfliegen lassen. Morgens hat uns dann ein Alleingänger überholt, vermutlich an der Stelle, die hier als Leichentuch bezeichnet wird. Ungesichert in diesem steilen Eishang, das konnte ich nicht verstehen, zumal die Ausgesetztheit mich auch so schon gefordert hatte. War jedenfalls eine Tour, die man nicht vergisst.
P.S.: Habe letztens deinen Podcast mit Lucian angehört. Die Ausführungen über das ‚Handwerk‘ fand ich sehr interessant.
Hi Theo,
das freut mich, wenn dir der Podcast gefällt!
Liebe Grüße,
Erika