Ich bin ein Profi. Ganz eindeutig. Höchstes Level! Die Sicherungspunkte gelegentlich immer noch so ungeschickt anzubringen, dass die maximale Seilreibung entsteht, muss man nach zwei Jahren Trad-Klettern erstmal schaffen. Und ich schaffe das so gut, dass ich regelmäßig über mich selbst erst staunen und dann lachen muss. Profigunde mal wieder voll im Element!
Eigentlich ist der Preußturm ein gutes Beispiel für den Ausschluss von Minderheiten. Diskriminierung im Bergsport! Denn während immer alle von den „Drei Zinnen“ sprechen, sind es gar nicht drei, sondern fünf. Interessiert bloß keine Socke. Den geneigten Kletterer mit Hang zu solidem, rauen Fels nicht und die Wandersheerschafen sowieso nicht. Wie müssen sich die dicke Punta Frida und der kleine Preußturm vorkommen, wenn sie immer im Schatten der fetten Kompagnons stehen?
Für die Kleinen und Dicken!
Wir wollten da mal ein Zeichen setzen und nahmen uns die Cassin am Preußturm vor. Nach der herrlichen Tour an der Westlichen Zinne vom gleichen Erstbegeher waren Erwartungen und Motivation groß. So groß, dass auch so Sätze wie »Schlüssellänge nicht absicherbar, es steckt kaum und wenn dann sehr schlechtes Material. Ein Sturz führt wohl zum Ausnageln der gesamten Seillänge« mich irgendwie nicht beunruhigten. Denn irgendwo anders stand, dass der große Rest gut absicherbar wäre. Klarer Fall für Team Meister+Gunde.
Die wilden Hunde von damals
Große Motivation also. Große Augen auch beim Blick von unten nach oben. Alter. Schwede. Ist das steil. Dass man in den klassischen Dolomiten-Führen besser mal einen Grad drauflegt, ist schon klar, aber das da sah auch beim besten Willen nicht nach 6+Gelände aus. Die wilden Hunde von damals! Da einfach mal einzusteigen! Wahnsinn!
Lehrgang #1: Seilreibung vermeiden
Wild ging es auch gleich mal auf meinen ersten 40 Metern zu. Einer der wichtigsten Lehrgänge der klassischen, verwinkelten Dolomitenkletterei heißt: Vermeide Seilreibung. Sprich: Sicherungspunkte entweder maximal verlängern oder aber wenn möglich gleich möglichst wenige platzieren. »Wenig« ist aber ja total relativ! Ich habe da einfach ein Händchen dafür und sah mich auf dem letzten Drittel, wie so oft, mal wieder halb robbend in wilder Diskussion mit dem Seil, das – im Gegensatz zu mir – eindeutig wieder zurück wollte. Immerhin war der Blick nach oben recht ermutigend: Von hier sah es schon gar nicht mehr so steil aus.
Vier auf einen Streich
So ungefähr eine Minute später war der Meister da und nach kurzem Topostudium fiel mal wieder der Klassiker: »Achso, die Seillängen sind so kurz? Jo, ich schau einfach mal, wie weit das Seil reicht«. Und weg war er. Den ersten Stand überkletterte er erwartungsgemäß, den zweiten mittels Direktvariante extra knifflig auch und weil es ja dann wohl eh nicht mehr so weit war, ließ er den dritten aus und ging weiter bis zum vierten Stand. Ne, also wundern tut mich ja schon lange nichts mehr.
Mimimi!
Beim Nachsteigen wurde die Sache dann doch wieder überraschend steil, das mit dem »moralisch starker Vorsteiger notwendig!« im Topo war womöglich nicht ganz so falsch. Haken gab’s nämlich im Vergleich zu den Nordwandklassikern nahezu keine. Ganz minimal erschöpft — auch mental! — lief ich nach 65 Metern am gebohrten Stand der benachbarten Route ein, fest überzeugt, hier nichts mehr vorsteigen zu wollen. Und schon gar keine Quergänge! Mimimi! MIMIMI!!
Monumentales Bauwerk in Mülldeponie
Ein »also ich glaub, dass du das gut schaffst!« und ein Blick auf die überraschend zahlreichen Haken im Quergang später, klimperte eine voll behangene Weihnachtsbaumgunde inmitten des klassischen Dolomitenquergegangel. Hier ein Friend, da eine Rostgurke. Immerhin wenig Seilreibung bei so »gerader« Seilführung. Am Ende wartete statt ein geschlagener Stand eher eine kleine Mülldeponie (Wer schleift Cola-Dosen mit in so eine Tour?!) und der Einsatz auf meine ziemlich heiß geliebte Standplatzkrake. Schlaghaken plus Köpflschuppe plus versenkter Friend in Loch plus Abspannung nach unten mittels Klemmblock. Willkommen in den Dolomiten. Bis ich mein Bauwerk sehr stolz ausreichend bewundert hatte, war er schon da. Und auch schon wieder weg.
Dolomitenlehrgang
Nachdem wir die Seminare »Dachverschneidung«, »Überhang« und natürlich »Quergang« absolviert hatten, fehlten eigentlich nur noch zwei Lehrgänge: »Schlundverschneidung« und »Kamin«. Achso, ja, und navigationsunfreundliches, dafür leichtes Gelände. Bekamen wir alles noch geboten, gewürzt mit ein bisschen Quergang und viel Luft unter den Sohlen und schwupps, schon standen wir oben. Auf der »Kleinsten Zinne«. »Preußturm«. Dritte Zinne für Zinnengunde, 830stes Mal (ungefähr) Zinnengipfel für ihn und dritte für uns gemeinsam. Hüpf!
Abschlussprüfung
Nach dem Absolvieren der klassischen Seminare wartet aber bei der Dolomitenkletterei meist noch das Abschlussdiplom: Wieder runter kommen! Im Fall des Preußturms gestaltet sich diese finale Prüfung in Form von Abseilen in eine hoffnungslose Schuttrinne, in der beim besten Willen eigentlich nur Platz für eine Seilschaft ist. Keine Steine loszutreten ist nahezu unmöglich. Wehe dem, der hier bei Gewitter oder Starkregen runter muss.
Diese Ausrüstung war mit dabei:
(Die ganze Übersicht gibt es hier)
Wochentag, Ulligundes Tag!
Wir aber profitierten von der Unbeliebtheit dieses kleinen Turms an einem Wochentag und wurden nach vier mal Abseilen wieder aus den tiefsten, modrigen Innereien der Zinnen ausgespuckt. Danach war’s vorbei mit der Einsamkeit, der gemütliche Spaziergang inmitten der staunenden Touristenscharen führte uns zurück zum Parkplatz, der sich inzwischen mit den Wochenendaspiranten gefüllt hatte. So richtig gefüllt. Zeit für uns, das Feld den klassisch werktätigen zu überlassen und ruhigere Gefilde aufzusuchen. Kopf durch, Muskeln durch. Ulligunde mal wieder äußerst fröhlich.
Facts:
Topo aus der absolut empfehlenswerten TOPOGUIDE-Bibel (Band 1). In der Tour steckt wenig Material, nur der Quergang ist gut bestückt. Bis auf die Schlüssellänge lässt sich aber auch vieles ganz gut absichern. Fels überraschend abgeklettert und fest. Quergang zur ersten Abseilstelle (gut 30 Meter!) ziemlich luftig und an einer Stelle eher in Richtung II-III. Es steckt ein Haken auf halbem Weg.
3 Comments
Toller Bericht, habe oft gelächelt und mich in deinen Worten wieder gefunden… 🙂
Was benutzt Du denn für die Standplatzkrake? Ist das ein Seilstück oder statische Reepschnur?
Hi Jan,
meine Krake besteht aus fünf Metern Kevlar.
LG!
Erika