Wenn aus „sowas brauch ich echt nicht so schnell wieder“ ein „wann gehn wir wieder?!?!!!“ wird. Eine Geschichte von fliegenden Eisschrauben, rutschenden Füßen und einem extremst breiten Grinsen im Gesicht. (Eisklettern Renkfälle, Januar 2016)
Vor vielen Jahren kam mir einmal ein Bild in die Finger: Eine Lady, die irgendwo zwischen Eis und Fels im alpinen Gelände im Vorstieg unterwegs war. Der Gurt voll behangen mit Ausrüstung, an den Füßen Steigeisen, in den Händen Eisgeräte. Unter ihr etwas Fels, etwas Eis und sehr, sehr viel Luft. Das Bild übte eine enorme Faszination auf mich aus. Diese Art der Kletterei war für mich seit jeher die Königsdisziplin. Ungemütlich, fordernd, durchaus auch gefährlich. Das machen nur wirklich wilde Hunde. Ich war ziemlich überzeugt davon, diesen Sport niemals auszuüben. Vielleicht mal irgendetwas Leichtes im Nachstieg, aber garantiert niemals im Vorstieg. Dafür braucht man einfach viel zu viel Mut, den habe ich nicht. Dachte ich. Wirklich. Ich war absolut überzeugt.
Das erste Mal Eisklettern
Und jetzt das. Wir waren Eisklettern, das erste Mal in meinem Leben. 170 Meter vorwiegend senkrechtes Eis, alles irgendwie ziemlich imposant. Eine kleine Einführung, worauf man am besten achte sollte (Fersen nach unten, aus dem Handgelenk hauen, drei Punkte am Eis, langer Arm beim Platzieren von Eisschrauben, nicht stürzen. N i c h t s t ü r z e n.) und schon ging es los. Er hatte mir die erste Seillänge eingehängt und gab mir von unten die letzten Tipps, während ich mich an diese 50 Meter Eis machte. 50 Meter im Fels sind für mich ja schon ne ziemlich unangenehme Länge, aber gut, je weniger Seillängen desto schneller ist man durch. Also los.
Hält schon.
Ich versuchte ein bisschen vom Felsklettern zu übertragen. In erster Linie also: Wird schon halten. So klappte das alles ziemlich gut, was aber vielleicht auch den nagelneuen Eisgeräten geschuldet war. Die Steigeisen mit Körbchen und zwei stumpfen Frontalzacken machten das Stehen dafür umso schwerer. Aber egal, hält schon. Und tatsächlich, es machte alles ziemlich Laune!
Am Stand die gewohnten Probleme, die ich immer habe, wenn ich ein paar Tage nicht beim Alpinklettern war (in welchen Karabiner die Selbstsicherung einhängen? Wie rum die Seile in den Tube einhängen? Ah damn it, zuerst Seil einholen... Und wo die Seile überhaupt hin!?) und irgendwann ihn nachsichern. Er, wie immer, nach ungefähr 19 Sekunden bei mir. Wie macht der das eigentlich immer!?
Muss ja nicht gleich Vorstieg sein
Die nächste Seillänge war nochmal steil und ziemlich ähnlich. Ich bemühte mich schnell zu sein, damit er nicht so lange frieren musste und versuchte mir nebenher vorzustellen, wie es wohl wäre, hier im Vorstieg unterwegs zu sein. Schwer zu sagen, am „heißen Ende“ vom Seil kommt einem (mir?) meistens alles irgendwie doch leichter vor. Egal, man muss ja nicht immer alles gleich können. Das nächste Mal kommt ja bestimmt.
No risk, no progress?
Schon einigermaßen erschöpft erreichte ich den Stand. Keine Ahnung wann ich die letzte Eisschraube rausgedreht hatte, es war jedenfalls schon viele Meter her. Der Typ. Echt…!
Am Stand dann seine ganz unschuldig gestellte Frage, ob ich auch mal wollte. Äh. Ääh… Eeeh… Nein! Ja? Nein!! Ja?!? Und schon wieder ein Mantra vom Felsklettern: Erstmal ausprobieren, man kann meistens umdrehen! „Ich dreh aber jeden Meter eine Schraube rein!“ „Das kannst Du schon machen, notfalls lass ich Dich einfach wieder ab“. Okey. No risk, no progress.
Gesagt: Ich geh vor.
Gedacht: Oh shit.
Im Vorstieg
Erstmal los. Alles easy. Zwei Meter weiter sicherheitshalber mal die erste Schraube drehen. Hinten drücken und reindrehen, bis sie beißt. Tat sie nicht. Eis raus, nochmal probieren. Beißt nicht. Nochmal drehen. Flupp. Ganz friedlich segelte die erste Schraube den Eisfall runter. Sein Kommentar nur: Und da fliegen 70 Euro. Scheiße.
Nochmal eine. Jetzt die neue, die er mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie biss sofort und wenig später saß die erste Sicherung. Check. Erstmal weiter. Die zweite Schraube folgte bald, die dritte schon ein bisschen weiter entfernt. Plötzliche Erkenntnis, dass ich nur noch eine Schraube hatte – die zwei für den Stand nicht miteinbezogen. Eine Schraube. Noch ungefähr 40 Meter vor mir. Puh, das wird eher nix mit der ganzen Seillänge 😉
Ich suchte mir einen Absatz einige Meter über mir aus, der sich als Stand eignen würde, setzte die letzte Schraube und kletterte bis zu dem Vorsprung einfach durch. Nicht drüber nachdenken, das hält schon. Tat es auch.
Meine Ausrüstung zum Eisklettern:
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)
Brauch ich nicht gleich nochmal
Hu. Stand. Erleichterung. Stolz. Erschöpfung. Alter Schwede. Aber geil! Er wieder in Windeseile bei mir und wenig später oben am letzten Stand des Wasserfalls. Ich war einigermaßen am Ende und lernte, wie es ist, erschöpft versuchen eiszuklettern. Die Schläge wurden immer unpräziser, was auch bedeutet, dass man umso häufiger hauen muss. Womöglich zahlte sich das Wohnzimmertraining aus, jedenfalls kam ich tatsächlich trotz Erschöpfung ohne Hänger oben an. Völlig fertig, aber auch ziemlich begeistert. Alter Schwede, ist das anstrengend. Sowas brauch ich echt nicht gleich nochmal.
Wann gehn wir wieder?!!!
Wir seilten zügig ab (immerhin gibt’s im Eis keine Seilhänger, sehr genial!), suchten noch vergeblich die verlorene Eisschraube, gaben auf und packten zusammen. Beim Auftreffen auf den Wanderweg ein letzter Blick zurück. Alter Schwede, war das geil. Wann gehen wir wieder?!!!
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[…] immer ausprobieren wollte, schon viele Jahre. Direkt am 1. Januar 2016 war es dann so weit. Nach zwei Seillängen zum Lernen stieg ich eine (halbe) gar vor. Die Bedingungen waren perfekt, das Eis butterweich. Inzwischen […]