Die Höfats (2259m) ist kein gewöhnlicher Gipfel. Sie (nicht er) ist einer der markantesten Berge, ungewöhnlich in der Form, einschüchternd mit ihrem Ruf und unübertroffen in ihrer Ausgesetztheit. Nicht umsonst gilt sie als das Wahrzeichen des Allgäus und als eine Art „Testpiece“ für Bergsteiger. Sie fordert aber auch viel von ihren Aspiranten. Vier nahezu gleichhohe Gipfel zieren die Krone, die Überschreitung ist nur etwas für wilde Hunde und selbst die leichteste Zacke, der Ostgipfel, erfordert doch noch eine große Portion Erfahrung, hundertprozentige Trittsicherheit und absolute – absolute! – Schwindelfreiheit.
Natürlich reizt mich solch ein Gipfel. Die Höfats ist etwas Besonderes und garantiert ein unvergessliches Erlebnis. Aber ich habe ein Problem mit großer Ausgesetztheit, weshalb ich immer nur von einem „Versuch“ sprach, nie davon, wirklich auf den Gipfel zu wollen. Ich wollte erfahren, wie ausgesetzt es dort oben ist und ob ich diesem Berg womöglich gewachsen bin. Am vergangenen Wochenende erfuhr ihr es.
Spontan auf die Höfats
Schon wieder so ein herrlicher Tag. Wir aber waren unentschlossen, waren geschafft von der Arbeitswoche und auch die Heimkehr von unserer Reise hängt uns auch jetzt nach fast vier Wochen noch deutlich nach. Nach einem entspannten Frühstück verwarfen wir spontan den Plan, zum Sportklettern zu gehen, und entschieden uns für die Höfats. Mit den Rädern ging es über Gerstruben bis zur Dietersbachalpe und zu Fuß auf wunderschönen Pfaden bis zum Älpelesattel. Ich war schon öfter in dieser Gegend, aber der Anblick der Höfats ist immer wieder beeindruckend. Extrem. Imposant. Und einschüchternd.
Auf schmalem Grat
Nach einer gemütlichen Pause näherten wir uns dem Grat. Alter Schwede, ist der schmal. Ein Biancograt nur ohne Schnee. Wir kraxelten den tief ausgetretenen Pfad entlang, es wurde immer steiler, immer ausgesetzter. Bald war es nur noch Kletterei inmitten von Erde, Graspolstern und Steinplatten – vielen, losen Steinplatten. Allein schon durch das ständige Prüfen, Wackeln und Klopfen kamen wir hier langsam voran. Es wurde immer noch steiler und mehrmals prüfte ich für mich, ob ich das hier wirklich noch guten Gewissens abklettern könnte. Aber ich entschied immer wieder, dass es zwar arg am Limit, aber noch in Ordnung war. So gewannen wir langsam an Höhe. Nach rund 200 wirklich ausgesetzten, steilen Höhenmetern war ich zugegebenermaßen schon etwas angespannt. „Das hier ist wirklich mit Abstand das Ausgesetzteste, das ich bisher erlebt habe“, ging es mir immer wieder durch den Kopf.
Pffoooooaaa…
„Schau! Da ist das Gipfelkreuz!“ rief er mir noch zu. Ich kraxelte noch ein paar Züge, um sicherer stehen zu können und sah plötzlich alles und nichts mehr. Für einen Moment sah ich das Gipfelkreuz – keine 20 Meter entfernt! -, aber dummerweise machte ich noch einen weiteren Zug, um feste Steine in den Händen zu halten. Dadurch erreichte ich die oberste Spitze des Grates und sah unvermittelt in einen unglaublichen Abgrund. Es ging nahezu senkrecht runter, ganz unten das Bergwacht-Hüttchen auf einem schmalen Vorsprung und darunter nochmals viele hundert Meter einfach Nichts. Auf jener Seite, auf der wir bisher geklettert waren, ging es ebenso steil hinab. Wir standen wirklich auf Messers Schneide, der Grat war keine 50 Zentimeter breit, so habe ich es zumindest in Erinnerung.
Ein Sog in die Tiefe
Ein Sog setzte ein, einen kurzen Augenblick kam in mir eine Art Panik auf – ein verständlicher Instinkt des Körpers bei unmittelbarer Lebensgefahr. Ich kletterte wieder ein paar Züge zurück, setzte mich auf einen großen Grassockel und kam erst mal wieder zur Ruhe. Was für ein intensiver Moment. Wahnsinn! Ich wägte ab und entschied gleich, dass es das nicht Wert war. Der Gipfel war zum Greifen nahe, aber das hier war für mich persönlich einfach zu riskant. Schließlich muss man hier nicht nur hoch- sondern auch wieder runterklettern. Und die Schlüsselstelle im zweiten Schwierigkeitsgrad erforderte es, seitlich am Grat den Hintern einmal kräftig in die Luft zu strecken. Nein. Das mach ich nicht.
Eine bewusste Entscheidung
Der Göttergatte kletterte nach dieser Entscheidung problemlos die wenigen Meter zum Gipfelkreuz, während ich in mir nachfühlte. Natürlich war ich etwas enttäuscht. Da klettert man achter, aber schafft eine Zweierstelle nicht. Aber es ist etwas völlig anderes, ob man sich am Seil „nur“ überwinden muss und die Angst eher unsinnig mitklettert, oder ob sie absolut begründet ist. Ein kurzer Moment des Neids, dass es für so viele andere kein Problem ist, ein Moment des Stolzes, diese Entscheidung so konkret und bewusst treffen zu können und schon war mein Partner wieder zurück bei mir.
Gemeinsam hinunter
Gefühlt nahmen wir uns eine Ewigkeit für den Abstieg am Grat. Hier einen Fehler zu machen, wäre ebenso tödlich wie oben an der Schlüsselstelle. Über jeden zurückgelegten Meter freute ich mich, die Angst war nahezu verflogen. Ich wusste, dass wenn ich hier keinen leichtsinnigen Zug machen würde, alles in Ordnung war, denn der Abstieg war technisch kein Problem. Trotzdem machte sich Erleichterung breit, als wir endlich wieder auf „festem“ Boden standen. Wir hatten es geschafft – er den Gipfel und ich einen wirklich gelungenen Versuch.
Ich komme nicht wieder
Ich bereue keinesfalls, diese Tour unternommen zu haben. Ich bin so weit gegangen, wie es für mich in Ordnung war und bis dahin war es eine spannende, tolle Unternehmung. Aber ich weiß auch, dass ich nicht zurückkommen brauche. Ich habe den Gipfel versucht und bin guten Gewissens und bewusst umgekehrt. Speziell nach dem Tod von Basti Haag spüre ich, dass ich diese Art der Herausforderung nicht möchte. Die Berge geben viel, sie bieten unvergessliche Erlebnisse, stärken Freundschaften, ermöglichen intensive Momente – aber das Risiko eines Absturzes ist für mich an diesem Berg zu hoch. Es gibt andere Herausforderungen, die ebenso intensiv, aber weniger gefährlich sind. Es ist für mich die richtige Entscheidung – und das sagen zu können, ist ein gutes Gefühl.
PS: Wer die Höfats selbst versuchen möchte und unbedingt den Gipfel erreichen möchte, kann ein kurzes Seil, Gurt und Karabiner mitnehmen. Die Schlüsselstelle ist mit Borhaken (einer oberhalb, einer weit unterhalb) versichert. Mut braucht es dennoch, aber ein Sturz wäre wahrscheinlich nicht ganz so kompromisslos.
15 Comments
Hi Erika,
ich finde es sehr ehrlich und sehr stark von Dir – hier zu dieser Tour solche Worte zu finden und Deinen Standpunkt deutlich zu machen. Das ist nicht immer leicht und auch eine Umkehr nicht. Aber, ich hatte am Wochenende am Ankogel eine ähnliche Situation – der Gipfelgrat war nicht ganz ohne und ich habe wirklich lange gebraucht, bis ich bereit war, diesen zu gehen. Habe aber zwischendurch aber schon gar nicht mehr zum Gipfel gehen wollen. Manchmal spielt der Kopf nicht mit und dann sollte man es auch lassen – das ist keine Schande!
Daher starke Leistung und am Ende vom Tag zählt das Erlebnis und das immer alles gut gegangen ist!
LG und bis bald, Sabrina
Sehr intensiver Bericht von einer mental fordernden Tour. Ich kann dich gut verstehen, vor allem dass du nach deiner Abkehr vom Gipfel von einem guten Gefühl sprichst.
Auch das gehört zum Bergsteigen und wiegt oft mehr als Gipfeltriumphe.
Find ich cool, dass hier auch mal jemand auf einer solch tollen Seite mal sein Scheitern eingesteht. Ich zieh den Hut und find den Eintrag toll! Mir gehts selber auch so, dass ich Höhenangst habe, mittlerweile sehr viele tolle Touren aber schon gemacht habe, weil ich mich überwunden habe und stolz auf mich war. Aber es gibt Berge, die werden immer ein Wunsch bleiben, dazu gehört für mich die beschriebene Höfats oder auch eine Schlenkerspitze, evtl. die Trettach. Aber das macht nichts, es gibt ja soviel andere Gipfel und Erlebnisse, die es auch Wert sind.
Mach weiter so, tolle Fotos und Eindrücke!!!
Bloß nicht wieder mit so einem langen und tollen Urlaub eifersüchtig machen, des war fei net nett…
Hallo Erika,
Sabrina bringt es auf den Punkt. Ich kann Ihren Aussagen und Deiner Entscheidungsfindung voll zustimmen. Selbst wenn lediglich Dein Bauchgefühl Dir von etwas abrät, es ist wahrscheinlich die richtige Entscheidung. Du brauchst anderen nichts zu beweisen.
Alles in Ordnung!
Viele Grüße aus Westfalen und ein spätes Willkommen daheim!
Bernd
Hallo Erika,
toller Bericht, klasse Fotos (wie immer!) und eine gute, bewusste Entscheidung. Gerade so kurz vor dem Ziel ist es nicht leicht, nachdem man schon so viel geschafft hat. Aber Du hast es für Dich in der Situation so entschieden, dann ist das auch richtig so.
Sieht wirklich sehr ausgesetzt aus, aber dass die Aussicht schon „ganz akzeptabel“ ist, da würd ich zustimmen.
Viele Grüße,
Uli
Gratuliere Die vorbehaltslos – zum Versuch und vor allem zum Abbrechen zum richtigen Zeitpunkt. Genau das macht doch den Unterschied aus zwischen dem vernünftigen und dem Harakiribergler.
„Der Berg gehört Dir erst, wenn Du wieder unten bist. So lange gehörst Du ihm.“
Hallo Erika,
ein wunderschöner Bericht. Ich kenne das Gefühl nur zu gut, wie es dir am Grat gegangen ist. Auch für mich bleibt mancher Gipfel unerreichbar. Schon bei deinen Fotos kriege ich vom hinschauen weiche Knie. Weiter noch schöne Touren lg Bernd
Toller ehrlicher Bericht mit grandiosen Bildern. Ich kenne dieses Gefühl: beinahe oben und dann umkehren müssen – so ging es mir damals am Schneck-Vorgipfel, als ich an sich den Hauptgipfel angehen wollte und dann schnell merkte, dass es keinen Sinn macht, für die paar Meter das Leben zu riskieren. Und das wäre es für mich geworden.
Also, Du hast alles richtig gemacht, ohne jeden Zweifel!!!
LG
Thomas
„Wir hatten es geschafft – er den Gipfel und ich einen wirklich gelungenen Versuch.“ Ich liebe diese Formulierung in deinem Text und ich liebe die Mentalität, die sich da offenbart.
Auch noch spät ein absolutes Daumen hoch für den Beitrag… im bewussten Umdrehen & konsequenten Verfolgen des eigenen Wohlfühlen mit Risikofaktoren liegt mindestens genau so viel Stärke, wie im Erreichen eines Gipfels…
Ich bin dieses Jahr auch einmal 20m unter einem Gipfelkreuz umgedreht, da eine plattige Schlüsselstelle im 3. Grad spiegelglatt & nass einfach zu heikel war und ein Ausrutschen an der Stelle free solo tödlich enden würde, und es hat mich keine 3 Sekunden gekostet die Entscheidung zu treffen und mich mehr als gut damit zu fühlen…
Auf weitere schöne Berichte,
Gruß Micha
Hi Micha,
vielen Dank für Deinen Kommentar! Das Schöne am Umdrehen ist ja, dass man es – wenn man will – es später nochmal probieren kann und es dann vielleicht schafft. Für mich ist die Höfats allerdings das Gegenteil, ich will es nicht nochmal probieren, mich reizt dieser Berg gar nicht mehr so sehr. Und der Medienrummel, den es um diesen Gipfel gibt (auch unter Einheimischen), ist mir eigentlich zu groß. „Da muss man als Allgäuer oben gewesen sein!“ hört man hier oft. „Muss“? Ich bin gerne auf dem Entschenkopf, der Buralpkopf ist auch hübsch! Alles viel kleinere Berge, aber sie geben mir irgendwie mehr.
Deine Schlüsselstelle war aber nicht zufällig am Großvenediger?
Liebe Grüße!
Erika
Interessanter Bericht!
Für mich wird ein Versuch an der Höfats wohl auch dazugehören. Bei der Recherche sind mir von jeher Zweifel gekommen, ob ich das berechtigte Selbstvertrauen besitzen werde, überhaupt die Schlüsselstelle zu erreichen. Ob ich diese Stelle im besten Trainingsstand begehen möchte, da gebe ich mir nur eine Chance von 10 – 20 %.
Zweihundet Höhenmeter ungesicherte extreme Ausgesetztheit werden vermutlich auch meinen Ehrgeiz schon mehr oder weniger komplett neutralisieren.
Klar ist die Höfats begehrenswert. Aber man darf nie vergessen, dass man das zur Freude macht, und nicht um aus Ehrgeiz und sportlichem Wetteifer sein ganzes Leben zu verspielen. Die Aurikelkante oder die Bretterspitze Westgrat, Die Marchspitze oder die Trettach am Seil sind auch wunderbare Erlebnisse wo man seine helle Freude haben kann. Und es gibt viele dutzende, die ich auch immer mit Freude wiederholen würde.
Wenn man seine Grenzen mutwillig überschreitet, und seine Vernunft wieder wider besseres Wissen abschaltet, wenn man das betreibt oder sich gar angewöhnt, dann wird man die Konsequenzen zu tragen haben.
Dann findet man sich irgendwann im Flug wieder. Das sollte nicht Sinn und Zweck eines Hobbies/einer Leidenschaft sein.
Hi Friedbert,
merci für deinen ausführlichen Kommentar! Genau so sehe ich es auch – es soll Freude bringen. Zwar ist ein vorsichtiger Schritt raus aus der Komfortzone manchmal gut für die Weiterentwicklung, allzu oft brauche ich das zumindest nicht 🙂 Da scheinen wir auf der gleichen Wellenlänge unterwegs zu sein! Ich wünsch Dir weiterhin eine gute Zeit in den Bergen und ein gesundes Selbstvertrauen beim Versuch der Höfats. Alles Gute!
Liebe Grüße
Erika
Hallo Erika,
ich finde es sehr gut von dir, dass du bei all deinen großartigen Sachen, die du machst, auch die Grenzen aufzeigst und sagst, wie es wirklich ist. Ich hatte gestern das erste mal so einen Moment wie du. Ich war schon einige Male auf dem Ostgipfel der Höfats und gestern stand ich vor dem Zacken und nichts ging mehr. Bin ein Stück runter geklettert und habe mich hingesetzt, hoch geschaut und gedacht, dass kann doch gar nicht sein, immer bin ich drüber gekommen, mit Respekt vor dem Berg und dem Wissen, ein falscher Tritt, ein kleiner Rutscher und vorbei ist es. 10 Minuten sass ich da, habe die Aussicht genossen, nochmal zum Zacken geschaut und der Bauch hat gesagt, lass es. Einen kurzen Moment habe ich noch überlegt, aber das jetzt noch mit Gewalt zu versuchen, wäre an diesem bis dahin so schönen Tag die falsche Entscheidung gewesen. Ich bin zur Biwakschachtel abgestiegen und habe es mir dort eine lange Zeit gemütlich gemacht, der Kopf war total frei und ich habe den Tag genossen, auch wenn noch 20 Meter gefehlt haben. Alleine schon bis hier her zu kommen, war wieder schön, man kann manchmal nicht alles haben und es war auch eine total neue Erfahrung für mich, aber ich habe es akzeptiert.
Ich werde wieder hochgehen, vielleicht schaffe ich den Gipfel beim Nächsten mal, vielleicht werde ich den perfekten Tag haben, wo mir mein Bauch sagt, heute passt es. Wenn nicht, dann werde ich wieder umkehren und mich trotzdem freuen. Ich liebe diesen Berg, aber ich würde niemals aus Gewalt was versuchen, dafür ist mir das eine Leben und viele andere tolle Erlebnisse zu wertvoll.
Es verlangt dir sehr viel Respekt für deine Entscheidung ab, für dich das richtige gemacht zu haben. Und ich finde es auch gut, dass auch diese Seite gezeigt wird, wie heißt es so schön:“Alles kann – nichts muss“
Liebe Grüße und mach weiter so
Michael
Lieber Michael,
Gratulation zur Umkehr! Wenn dann noch Zeit zum Genießen war, ist doch alles wunderbar. Macht doch eigentlich kaum einen Unterschied, ob man jetzt am Gipfel war oder nicht – Hauptsache man ist zufrieden mit sich. Ich werde die Höfats wohl nicht mehr versuchen (sage niemals…), irgendwie reizt sie mich nicht. Dann doch eher die Trettach, aber vielleicht komme ich einfach mit Fels in den Händen auch besser klar als mit einem Büschel Gras 😉
Wenn du irgendwann nochmal oben stehen solltest, genieß eine Runde Ausblick und Stolz bitte für mich mit.
Liebe Grüße!
Erika