Alpinklettern im Tannheimer Tal

August 15, 2013

„Ich bin der größte Angsthase der Welt“, habe ich immer gesagt. War ich auch – alpin machte mein Kopf spätestens im oberen fünften Grad zu, selbst Nachsteigen war kein wirklicher Spaß. Ich misstraute dem Material, fürchtete mich vor der Höhe  und generell vor dem Vorsteigen. Seit wenigen Wochen scheint aber irgendetwas in meinem Kopf passiert zu sein, dass mir Höhe, Exposition, das Material oder auch mal ein loser Stein nichts mehr ausmacht. Wie das kam? Ehrlich: ich habe keinen blassen Schimmer. Aber es ist natürlich großartig, plötzlich im alpinen Gelände Spaß zu haben. Wenn der Kopf erst einmal weiß, dass er es kann, geht vieles plötzlich ganz easy. 

Wirklich oben bist du nie (6+)

Als kleine Abschiedsunternehmung, bevor mein Partner für zwei Wochen in seinen Männerurlaub startete, machten wir uns noch einige schöne Stunden im Tannheimer Tal. „Stunden“ weil eben unter der Woche nicht so viel Zeit bleibt und selbst wir aus dem Oberallgäu noch gut zwei Stunden bis zum Einstieg der Routen brauchen. Ein bisschen früher das Büro verlassen und am nächsten Tag etwas später kommen – das war unser Zeitfenster. Um drei Uhr Nachmittags starteten wir direkt vom Arbeitsplatz in Richtung Gimpelvorbau. Das Ziel war, am nächsten Morgen die „Wirklich oben bist du nie“ zu machen und danach möglichst schnell wieder ins Büro zurückzukehren. Um kurz nach fünf waren wir im Kessel unterhalb der Felsen und entschieden spontan, einfach mal in die geplante Route einzusteigen. Ob wir die sechs Seillängen noch vor Sonnenuntergang schaffen würden, wussten wir nicht, aber wir würden einfach um 20.30 Uhr umkehren – komme was wolle. In absolut großartiger Genusskletterei ging es gemütlich nach oben und recht unversehens standen wir um kurz nach acht am Ausstieg. „Ups, das war so nicht geplant“, schließlich war es doch das Projekt für den nächsten Morgen.

Ein paar Fakten zur Route: Die Einstiegsrampe bleibt nach Regenfällen länger nass, ist aber auch dann einigermaßen machbar. Die Tour ist absolut erstklassig abgesichert, weiteres Material ist nicht nötig. Der letzte Stand befindet sich tendenziell etwas rechts.

 

 

Siebenschläfer (7)

Wieder zurück am Biwakplatz entschieden wir uns bei „Gipfel“bier und Brotzeit für die Route Siebenschläfer – wieder sechs Seillängen, die Schlüsselseillänge ist mit 7 bewertet und führt durch einen Überhang, dafür ist sie aber nur 15 Meter lang – kurze, gut gesicherte Seillänge? Perfekt für mich. Wir legten die Wechselführung so, dass ich die Schlüsselseillänge im Vorstieg hatte und waren wieder gut drei Stunden später am letzten Stand. Abermals eine wunderschöne Route, wobei die Füße noch vom Vortag etwas schmerzten – hat man davon, wenn man unbedingt die neuen Schuhe gleich im alpinen Gelände ausprobieren will.

Ein paar Fakten zur Route: Die Route ist ebenfalls perfekt abgesichert, weiteres Material ist nicht nötig. Die Schlüsselseillänge ist hallenmäßig mit Bohrhaken versehen und besteht eigentlich nur aus vier, fünf schwereren Zügen. Weitaus kniffliger ist da eine plattige Stelle in der ersten Seillänge.

 

 

Kuschelrock (8)

Einige Tage später stand ein schon länger ausgemachtes Mädels-Bergwochenende mit einer Freundin an. Alpinklettern? Hochtour? Sportklettern? Die Auswahl war groß, letztendlich wurde es Alpinklettern in den heimischen Bergen. Die Kuschelrock sollte es werden. Werd ich jetzt übermütig? Ging es mir während dem Zustieg ständig durch den Kopf. Große Motivation mischte sich zunehmend mit ebenso großem Bammel. Letztendlich kam aber alles anders als erwartet: Die Route war der absolute Hammer! Die erste Seillänge beginnt mit einem herrlichen Piazriss, weiter oben wartet noch eine kurze wacklige Platte und schon ist der erste Stand erreicht. Wir entschieden uns für die Direktvariante (7+), deren erste Hälfte so unglaublich schön war, dass ich kaum eine tollere Tour in diesem Grad nennen könnte. Großartig. Es folgte noch einmal eine etwas leichtere Seillänge, bevor die Schlüsselseillänge wartete. Eine extrem plattige 8. Halleluja. Auch meiner Freundin gelang kein direkter Durchstieg, aber als wir sie beide hinter uns hatten, war die Freude natürlich groß. Als erste Mädelsseilschaft seit mindestens einem Jahr feierten wir am Wandbuch die Route, das Leben und uns selbst, bevor wir letztendlich noch die letzten Meter bis zur Abseilpiste kletterten. Eine wirklich großartige Route. Der Stein, der mich unten noch voll am unteren Rand des Helms traf, konnte die Stimmung dann auch nicht mehr trüben. Besser nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, hätte ich beim Warnruf nach oben geschaut…

Ein paar Fakten zur Route: Wie immer perfekt abgesichert und wunderschön. Die schweren Seillängen sind nahezu hallenmäßig abgesichert, aber 7 obligatorisch sollte man schon drauf haben, wenn man nicht völlig hiflos in den Schlüssellängen hängen will.

 

 

Paradies (6+)

Eigentlich hatten wir den Paartaler Pfeiler (7+) als zweite Tour geplant. Uns steckte aber beiden noch die Route von gestern in den Knochen (und im Kopf), weshalb wir uns spontan für die – gut einen Grad leichtere – Nachbarroute entschieden. Ganz entspannte Genusskletterei sollte es werden. Weit gefehlt! Die erste Seillänge machte mir gleich einmal mächtig Probleme – und das, obwohl die Bewertung sogar leichter war, als jede Seillänge in der Kuschelrock. Was ist denn jetzt los?! Mit Ach und Krach erreichte ich den ersten Stand. Ein kleiner Meteoritenschauer, der meine Freundin fast traf, trübte die Motivation zusätzlich. Wenigstens fiel die Seillänge auch ihr schwer. Entweder dieser Teil war wirklich hart oder wir waren beide einfach komplett durch. Meine Seilpartnerin kämpfte sich tapfer die Schlüsselseillänge nach oben. Auch diese Seillänge fiel mir nicht leichter, dennoch probierte ich die nächste Seillänge noch. Sie zog sich endlos lang, kam mir vor wie mindestens 50 Meter und hatte auch nicht mehr ganz so angenehme Hakenabstände wie in den schweren Routen (trotzdem noch absolut ausreichend). Irgendwann erreichte ich doch noch den nächsten Stand und konnte mir einen lauten Erleichterungsschrei nicht verkneifen. In einer fünfer-Seillänge, hallo!? Immerhin hatten wir das Wandbuch erreicht – das uns beim Blick hinein aber noch die letzte Motivation raubte. „Wieder hier, weil oben kein Abseiler!!!“ stand da als letzter Eintrag. Das ist ein Zeichen, da waren wir uns einig. Mit einer Mischung aus Erleichterung, müder Knochen und etwas Enttäuschung bauten wir ab und kehrten um. Das Seil lief einwandfrei und verhakte sich nirgends (eigentlich immer die größte Sorge von uns zwei. Sind halt doch noch Mädels 😉 ) und kurze Zeit später standen wir wieder am Einstieg. Beim Abstieg fragten uns dann zwei andere Kletterer tatsächlich, ob wir in der Route getoproped hätten – es habe so ausgesehen… Aha…

Ein paar Infos zur Route: Die Hakenabstände sind ein bisschen weiter als in den drei vorherigen, aber immer noch purer Luxus. Ob die Route jetzt schön oder nicht ist, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich hat bei uns einfach der Kopf nicht gepasst. Dass – wie im Wandbuch geschrieben steht – die „Paradies“ viel weniger abgespeckt sei, wie die „Wirklich oben bist du nie“ ist allerdings eine etwas, äh, fragwürdige Feststellung. Der Fels ist in allen vier Routen so dermaßen rau, dass man eher Angst um seine Fingerkuppen haben muss. Die Querung in der vierten Seillänge sah machbar aus, allerdings extrem exponiert.

 

 

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3 Comments

  • Reply patruckel August 15, 2013 at 11:11 am

    Wieder einmal sehr, sehr schön. Da bin ich mal gespannt, was ihr in den nächsten zweieinhalb Wochen alles an Text- und Bildmaterial sammeln werdet. Eine gute Zeit und passt auf Euch auf, denn ich will noch viele spannende Geschichten lesen! 🙂

  • Reply Gerdi August 15, 2013 at 2:50 pm

    Uff… ich glaub ich bin seekrank nur vom Hin-schaun…
    Fliegt eigentlich der Schutzengel voraus oder unten drunter beim Klettern in der steilen Wand?Ihr hattet sicher 3 davon.
    Atemberaubend.
    Ich glaub, ich brauch jetzt etwas Sauerstoff…auch auf Bodensee-Höhe. Trotzdem: Kompliment, ihr starken Mädels. Sehr mutig. Und sehr sportlich.

  • Reply Bernd | KritzelKraxel.net August 18, 2013 at 8:56 pm

    Och, Erika, nicht nur Frauen freuen sich, wenn das Seil beim Abziehen nicht hängen bleibt. Uns passierte das in den Dolomiten. Wäre ja nicht weiter schlimm gewesen, wenn da nicht ein Gewitter im Anmarsch gewesen wäre und sowohl unser Hund Sam (unten wartend) und auch meine Freundin da dezent nervös wurden.
    Gruß aus Westfalen, Bernd

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