Testbericht: Lawinenschaufel Kodiak von Ortovox

März 4, 2012

2008 ging eine Schockwelle durch die Skitouren- und Freeridergemeinde:In einem Feldtest, der unter dem Dach des Österreichischen Alpenvereins und der Zeitschrift Berg und Steigen stattfand,  wurden ein Großteil der aktuellen Lawinenschaufeln maximal als „strandtauglich“ eingestuft,  Black Diamonds Transfer 7 sogar als „höllisch“ – und sämtliche Plastikschaufeln wurden erst gar nicht zum Test zugelassen. Sie brechen bei niedrigen Temperaturen und stärkeren Belastungen schnell und sind ab diesem Moment völlig unbrauchbar. Aluminiumschaufeln, deren Form sich verbiegt, können im Notfall wenigstens noch mit Einschränkungen weiter benützt werden, mit gebrochener Ausrüstung steht man in dieser Situation hilflos am Berg.

Viele Hersteller verweigerten Kommentare und zogen sich stumm zur Erörterung zurück. Nicht so Ortovox. Der Ausrüster ging offensiv an das Thema, lud den Initiator des Tests höchstpersönlich zu sich ein und entwickelte gemeinsam mit ihm eine Schaufel, die sämtliche Vorzüge vereinen sollte. Heraus kam die Kodiak, die nicht durch Zufall den Namen des kraftvollen Bären aus Alaska trägt. Liest man den verheerenden Testbericht von 2008 und schaut sich anschließend dieses Produkt an, merkt man, dass hier gezielt versucht wurde, sämtliche Vorzüge zu einem perfekten Ausrüstungsgegenstand zu kombinieren. Nicht nur versucht: sondern auch geschafft.

Das Schaufelblatt:
Schon bei der Vorgängerschaufel Grizzly begeisterte die Tester die gezackte Schaufelkante. Mit ihr konnte man besonders im harten Schnee gut Blöcke „sägen“. Die U-Form ermöglicht zudem den effizientesten Schneeabtransport – bei rechtwinkligen Kanten ist die Wahrscheinlichkeit grundsätzlich höher, dass die Last wieder abrutscht.

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Im Test war eine Schaufel eines anderen Herstellers oben so scharfkantig, dass sie vorzeitig aus dem Rennen genommen wurde – sie zerstörte die Skischuhe massiv. Andere waren so abgerundet, dass der Retter beim häufigen Abrutschen wertvolle Kraft verschwendete. Das kann mit der Kodiak kaum passieren – sie ist oben nicht nur fast waagrecht geformt, sondern hat auch noch drei kleine Wellen, damit der Schuh auf jeden Fall hält.

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Der Clou an der Kodiak ist sicher, dass man sie auch als Hacke benützen kann. Dazu wird der Stiel im 90°-Winkel in die Schaufel gesteckt. Dies ermöglicht den Abtransport von Schnee auch ohne anstrengendes Heben – besonders im steilen Gelände ist das eine gute Alternative, denn man kann den Schnee tatsächlich einfach wegschieben. Leichter, bzw. nicht komprimierter Schnee vorausgesetzt.

Der Stiel:
„Falls sie beabsichtigen, die Schaufel für ihren eigentlichen Zweck zu gebrauchen – also um Schnee zu schaufeln – werden Sie das Zusatzgewicht eines Teleskopstiels niemals bereuen“,  schreibt Manuel Genswein in seinem Fazit. Hier hat Ortovox ordentlich vorgelegt. Mit 88cm Länge schlägt die Kodiak in Sachen Ergonomie eigentlich alle anderen Schaufeln auf dem Markt. Die ovale Form unterstützt zusätzlich die Festigkeit, am Schaft ist ein breiter Streifen gesandet. Er ist allerdings so rau, dass längeres Schaufeln ohne Handschuhe die Handinnenflächen stark belastet.

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Bei der Grizzly wurde im Feldtest beanstandet, dass die Arretierung schwer einrastet und dass  die Hacke in der „kurzen“ Einstellung nicht möglich sei. Dies wurde geändert. Die kleinen Metallnasen rasten satt und ohne Probleme ein – und die Hacke kann nun auch im zusammengeschobenen Modus genützt werden. In der Auflistung wichtiger Kriterien wurde im Bericht auch genannt, dass die Stiele bestenfalls am Ende geschlossen sein sollen, damit kein Schnee eindringt und so die Arretierung beeinflusst. Selbst dieses  vermeintlich kleine Feature wurde berücksichtigt und prompt befindet sich nun eine Plastikabdeckung an der ehemaligen Öffnung.

Der Griff:
Schon länger ist bekannt, dass D-Griffe mit runder Grifffläche am ergonomischsten sind. Dieser Erkenntnis ist Ortovox auch gefolgt. Der Griff ist groß genug um auch mit dicken Handschuhen reinzukommen – zumindest mit meinen kleinen Händen. Bei wirklich großen Pranken und dicken Handschuhen könnte die Öffnung schon etwas schmal sein.

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Das Material jeder Lawinenschaufel sollte temperaturgehärtetes Aluminium (60061 T6) sein. Black Diamond schrieb auf eine Rechercheanfrage des ÖAV: „Die Mischung, welche wir verwenden, hat uns viel Arbeit und passionierten Einsatz gekostet, um perfekt zu sein. Aus diesem Grund können wir die Materialeigenschaften nicht bekannt geben.“ Das klingt grundsätzlich vertrauenswürdig – die Schaufel wurde allerdings als eine der „höllischen“ eingestuft. Generell sollte also beim Kauf auf den Materialausweis geachtet werden.

Fazit:
Ich habe die Kodiak seit mehreren Wochen auf jeder Skitour dabei und buddelte bisher fleißig Kubikmeter Schnee von einer Seite zur anderen. Mit dem langen Stiel, der breiten Schaufel und dem großen Griff ist sie tatsächlich mehr eine Garten- als eine Lawinenschaufel, wie mein Skitourenbegleiter beim ersten Blick bemerkte. Dieser Komfort geht natürlich zulasten des Gewichts. Mit 770g ist sie scharf an der Schmerzgrenze. Und auch der lange Stiel – auch im zusammengefahrenen Modus – passt nur knapp in meinen Freeride-Rucksack. Trotzdem: Jedes Mal, wenn mir das Gejammer über Packmaß und Gewicht auf der Zunge liegt, muss ich mir nur kurz eine Tatsache vor Augen halten: Im Ernstfall – wenn innerhalb weniger Minuten über das Leben eines Freundes entschieden wird – soll es nicht an einer zerbrochenen Schaufel oder an ineffizienter Kraftübertragung liegen. Die Ausrüstung muss da einfach perfekt funktionieren. Mit der Kodiak hat Ortovox ein beruhigendes Backup geschaffen. Mit ihr hat man stets die Gewissheit, im Rucksack einen zuverlässigen Begleiter zu haben, der einen im Ernstfall nicht im Stich lassen, sondern – wie man selbst – alles geben würde.

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7 Comments

  • Reply TEAPOT März 8, 2012 at 12:52 pm

    BIG RESPEKT TO ORTOVOX!!!

  • Reply Gerdi Spengler März 11, 2012 at 5:44 pm
  • Reply Gerdi Spengler März 11, 2012 at 5:49 pm

    Wenn 3 in der Familie Extrem-Skitourer sind, ist nicht nur der Airbag-Rucksack am Rücken ein beruhigender Faktor für die Daheimgebliebenen, sondern auch diese starke Schaufel(…neben Lawinenpieps, Helm, Mobile, Foto, Rettungsfolie, Biwaksack und einem 2. Paar Handschuhe….Möge dieser Testbericht andere zum Nachdenken und Kaufen bringen.

  • Reply Ortovox Womens Fleece Logo Hoody « ulligunde November 22, 2012 at 7:07 pm

    […] kann ich gar nicht so genau sagen. Vielleicht, weil sie wirklich hervorragende Produkte für die Lawinensicherheit schaffen, vielleicht, weil sie für mich einfach mit dem Wort “Skitour” in Verbindung […]

  • Reply Testbericht: Ortovox – Mitten Freeride – Fausthandschuhe (SwissWool) « ulligunde Dezember 30, 2012 at 7:31 am

    […] Lawinenschaufel Kodiak […]

  • Reply Daniela November 1, 2016 at 9:35 pm

    Toller und sehr authentischer Bericht! Ich habe bisher nur Erfahrung mit Lawinenschaufeln der Marke MFH gesammelt. Diese ist recht günstig und auch ansonsten bin ich sehr zufrieden damit.
    Wo liegen da konkrete Unterschiede zu einer „High-End Schaufel“? Habe leider keine Gelegenheit in meiner Nähe, die verschiedenen Modelle selbst zu begutachten. Vielleicht weißt du ja mehr dazu..
    Liebe Grüße Daniela

    • Reply ulligunde November 21, 2016 at 8:08 am

      Liebe Daniela,

      es ist schwer zu sagen, ob auch günstige Modelle der Belastung standhalten. Wenn sie unten gezackt sind, oben einen D-Griff haben und nicht aus Plastik sind, ist es aber sicher ein gutes Zeichen. Ich persönlich vertraue dabei irgendwie lieber auf die „großen“ Hersteller, die Vorstellung, meinen Partner nicht ausgraben zu können, weil ich bei der Ausrüstung gespart habe, ist gruselig…

      Liebe Grüße und vielen Dank für Deinen Kommentar!
      Erika

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