Eisklettern im Langental (Piovra, Südtirol)

Februar 2, 2016

Ich sehe das Wasser plätschern – auf meinen Schenkel, auf meinen Arm, auf den Schuh. Es trieft auf die Klamotten, gefriert. Hat das Material etwas zu lang Kontakt zu der Säule aus Eis, friere ich buchstäblich an. Irgendwie eine lustige Beobachtung. Klebt. Klebt nicht. Klebt, klebt nicht. Problem: Meine Unterarme brennen wie blöd.  Schütteln, zwei, drei Schläge… ach, doch lieber nochmal schütteln. Man könnte ja jetzt auch mit einem Kaffee in der Sonne liegen…?!

Zustieg im DunkelnWir waren schon mal hier an der PIOVRA (Langental, WI5+, 130m), vor einer Woche. Da waren wir morgens um acht Uhr die dritte Seilschaft und sparten uns den Aufstieg gleich. Diesmal waren wir auf Nummer sicher gegangen und brachen noch deutlich vor Sonnenaufgang auf. Und Tatsache, wir waren die ersten. Und für den Tag auch die einzigen. Gut so, denn das Eis flog wie wild. Ein bisschen was auf die Lippe, ein Brocken auf die Schulter, ein großer auf den Helm… Die erste Seillänge war zumindest bei ihm tatsächlich noch komplett gefroren und spröde. Während ich im Profi-Koala-Modus hinterherzuckelte, fing alles langsam an zu schmelzen. Zeit hatte es ja genug.

Die ersten Meter Eisklettern in der PIOVRA im Langental, Südtirol. Wie steil ist steil?

Ein Grund, weshalb ich mich so sehr auf diese Tour gefreut hatte, war auch pure Neugier: Ich wollte einmal erleben, wie steil WI5+ ist. Ich meine, wie steil kann schon senkrecht sein? Ziemlich steil! Aber immerhin entsteht so eine echt spannende Perspektive, wenn man nach unten schaut. Andere liegen bei dem herrlichen Sonnenschein irgendwo in der Wärme oder stehen zum Sonnenaufgang oben auf einem Gipfel. Unsereins hängt an drei, vier Metallzacken in einer halb-festen Masse, es ist kalt, nass, schattig und sauber anstrengend. Klingt bescheuert, macht aber halt auch einfach mächtig Spaß!

Slow-Motion vs. High-Speed

Der (bzw. Unser?) erste Stand fand sich in doppelter Ausführung in einem gemütlichen Loch mit herrlicher Aussicht auf Zauberflöte und Co. Eisklettern Piovra Langental SüdtirolIch war leicht durch als ich dort ankam, der Meister nach meiner Slow-Motion-Show etwas durchgefroren. In gewohnter Geschwindigkeit war er in wenigen Augenblicken über den ersten Überhang verschwunden und während ich noch die Hoffnung hegte, dass die zweite Seillänge sicher nicht mehr so lang sein könne, ging das Seil aus. 60 Meter. Shit. Klettert man eigentlich im Eis auch am laufenden Seil? Ich ließ ihm sicherheitshalber etwas Zeit und deutete das zweite eingezogene Seil als GO.

Wasser auf Blumenkohl

Durch kurios geformtes Eis (die Nerds nennen das „Blumenkohleis“, weil es tatsächlich ein bisschen an die Gemüse-Form erinnert) ging’s nach oben, dann quer durch einen kleinen Wasserfall (warum klettere ich eigentlich mit ihm immer durch Wasserfälle?!) und noch etwas weiter oben exakt im Fall. Das Wasser plätscherte auf mich und während ich noch fasziniert beobachtete, wie schnell alles gefror, liefen mir die Arme zu. Ist. Das. Anstrengend!!

Träume erfüllen

Sonnenaufgang in der Piovra, gegenüber wäre die Zauberflöte zu sehen.Und trotzdem: Das ist das, was ich immer wollte! Eisklettern. Diesmal zwar nur im Nachstieg, aber egal! Es war seit so vielen Jahren ein Traum, jetzt war ich schon das zweite mal in diesem Element unterwegs. Natürlich, Eisklettern ist etwas kompromisslos und nach meinem Vorstieg bei meinem „erstes Mal“ im Eis gab es von manchen Seiten durchaus auch kritische Worte. Ich würde zu hohes Risiko eingehen, „Gottes Plan absichtlich durchkreuzen“, überheblich und unvorsichtig werden. WI4 steigt man wohl nicht beim ersten Mal vor. Ausgerechnet die Mama hielt sich zurück und meinte, sie vertraue mir da. Verrückte Mama. Coole Mama! Aber natürlich habe ich lange darüber nachgedacht, Gespräche geführt und für mich entschieden, dass die nächste Tour mal nur im Nachstieg sein solle, um ein besseres Gefühl für die Zacken zu bekommen. Den Vorwurf, leichtsinnig zu sein, möchte ich nicht auf mir sitzen lassen.


Meine Ausrüstung zum Eisklettern:
(Die ganze Übersicht gibt’s hier)



Oben!

Michi in der ersten Seillänge der Illuminati, Langental. Val Gardena, Südtirol.Nach einigen Ewigkeiten hatte ich die zweiten 60 Meter endlich geschafft. Ziemlich fertig, aber sooo glücklich! Das obligatorische Grinsebild durfte nicht fehlen, bevor es abermals durch Wasserfälle zurück auf Los ging. Am Auto wartete auf uns eine Tasse Kaffee, ein entspanntes Nickerchen in der Sonne und eine leckere Pizza zum Abendessen. Urlaubsfeeling! Die Temperaturen sanken nicht einmal in der Nacht unter null Grad und wir konnten förmlich die Eisfälle schmelzen hören. Für uns egal, denn der zweite Tag gehörte ganz ihm: Als Belay-Bunny durfte ich nochmals beobachten, wie entspannt er durch die ersten Seillängen der ILLUMINATI (M11+, WI6+, 165m) durchtänzelte – während außerhalb der Grotte Steine und Eis auf die inzwischen komplett apere Landschaft prasselten. Was für ein seltsamer Winter.

Dankbar

Mir ist bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, jemanden zu haben, der einerseits einen mit dieser Leichtigkeit durch solche Touren schleift und mit dem man andererseits so viel Spaß am Stand haben kann. Nun wo ich den alten Traum vom Eisklettern erfüllt habe und gerade den Schritt in die Fotografen- und Journalisten-Selbstständigkeit wage, weiß ich gar nicht mehr, was jetzt noch an Träumen übrig ist. Eine verrückte Zeit! Verrückt!!!

PS: Die Bilder aus der Illuminati entstanden bereits am vergangenen Wochenende, wo ich nur als Kletter-Fotograf dabei war.

 

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8 Comments

  • Reply René Februar 2, 2016 at 6:56 pm

    Hach ja, zum Eisklettern hätte ich ja auch mal wieder Lust.
    Schön geschrieben, die Handschuhe sind mir auch schon mal in einer Pfütze festgefroren und ich habe überlegt, wie zum Henker hier flüssiges Wasser stehen kann.

    • Reply ulligunde Februar 4, 2016 at 12:59 pm

      Das klingt mir eindeutig nach der Kategorie von Gedanken, die ich im Eis auch so habe 😀

  • Reply Bernd | KritzelKraxel.net Februar 7, 2016 at 10:08 pm

    Hallo Erika,
    oh ja, das liebe Eisklettern. Hier oben in Westfalen gibt es ja nicht so viele Möglichkeiten diesem Sport nachzugehen. Und mittlerweile dürften die meisten potenziellen Möglichkeiten (Harz) wegen Vogelbrut gesperrt sein. Egal, läuft nicht weg. Der nächste Winter kommt bestimmt. Da bin ich mir sicher. (Und ich werde mich unwohl fühlen, weil es bereits einige Jahre her ist, wo ich das letzte Mal Eisklettern war…)
    Ich war auch recht erstaunt wie forsch Du an den Renk-Fällen warst und dort beim allerersten Mal Eisklettern schon in den Vorstieg rein. Das hatte ich beim ersten Eiskletterkurs in den Hängenden Gärten im Sellrain erst gegen Ende – und hat riesigen Spaß gemacht! Mutig, dachte ich mir trotzdem. Ich gebe aber zu, dass ich die Renk-Fälle lediglich aus dem letzten September kenne, an dem Martina und ich den Klettersteig durchstiegen waren. Welch grandiose Umgebung!
    Immer wieder lese ich bei Deinen Tourenberichten von Gedanken, auch durchaus mal Selbstzweifel und sogar eine Portion „Schiß“. Ich glaube, dass Du letzteres nicht brauchst und interpretiere es eher als Reflexion des Erlebten und somit Deinem aufgebauten Erfahrungsschatz. Du hast mittlerweile so viele Touren gemacht, dass Du kaum noch Selbstzweifel haben brauchst! Vorsicht walten lassen finde ich gut. Behalte Dir das, es wird Dich schützen.
    Für Deine Selbstständigkeit wünsche ich Dir ein gutes Händchen und eine Portion Glück!
    Viele Grüße aus dem Norden,
    Bernd

    • Reply ulligunde Februar 10, 2016 at 6:06 pm

      Lieber Bernd!

      Stimmt, das Eis läuft nicht weg – im Gegenteil, es wartet glaube ich auch auf die nächste Saison 🙂 Die Gegend um die Renkfälle ist tatsächlich wunderschön, da kann ich mir vorstellen, dass ihr dort einen tollen Tag hattet. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir auch ein paar Seile vom Steig gesehen…

      Ob mutig oder naiv – das habe ich mich beim Eisklettern ebenso gefragt wie jetzt mit der Selbstständigkeit. Schiss werde ich aber trotz großer Erfahrung weiterhin haben, aber es ist ja auch spannend rauszufühlen, ob es jetzt nur der klassische Bammel oder begründete Angst ist. Aber es stimmt schon – wenn ich mir jetzt die Berichte von vor zwei Jahren anschaue – wo ich ernsthaft Zweifel hatte, ob ich einer schwarzen Wanderung aus einem Rother-Buch gewachsen bin – kann ich inzwischen schon eher einschätzen, wo meine Grenzen liegen. Das ist cool zu sehen. Mal sehen was die Zukunft jetzt bringt! Vielen Dank jedenfalls für treue Folgen! Grüß mit die Wanderhunde!

      Liebe Grüße,

      Erika

  • Reply Sabrina Februar 10, 2016 at 3:42 pm

    Hey Erika-Hase,

    oh sehr, sehr schön. Eis ist ein Elixier, dass ich gar nicht so heiß finde…also nicht so senkrecht wie bei Dir. Aber eine Nordwand muss schon mal her, auf jeden Fall! Cooler Bericht, starke Frau, noch besserer Typ und ein süßes Pärchen! <3

    Alles Liebe und bis bald, Sabrina

    • Reply ulligunde Februar 10, 2016 at 3:52 pm

      Sweety!! Danke, danke, danke! Die Nordwand können wir auch zusammen machen =) Ganz klassisch Wildspitze stünde ja eh noch aus 🙂

  • Reply Latok, ich hab dich lieb! | ulligunde.com März 13, 2016 at 9:06 am

    […] waren perfekt, das Eis butterweich. Inzwischen waren wir doch einige Male im Eis unterwegs – mal schwer, mal leichter (eigentlich ist WI4 gar nicht so leicht, wenn ich drüber nachdenke) und in […]

  • Reply Latok XT von Lowa im Test | ulligunde.com März 15, 2016 at 9:32 am

    […] wilder: Spannender wurde es dann schon in der Piovra im Langental. Steiler Zustieg, teils gefroren, die Steigeisen wie immer säuberlich auf dem Rucksack verstaut. […]

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