A Big Deal (Trettachspitze Überschreitung)

Mai 25, 2020

Disclaimer: Jeder, der die Trettach-Überschreitung für »also nun wirklich kein Ding« empfindet, sich nicht für andere freuen kann, keine Lust auf Angst-Gerede hat oder Ulligunde generell einfach blöd findet, der drücke bitte jetzt die Tastenkombi STRG + F4, denn das hier wird ein absolut persönlicher Artikel.

Manchmal gehen mir schon während der Tour Überschriften des Blogartikels durch den Kopf. »Traum(a)tour« war eine Idee. »Therapietour« auch. Und eben »A Big Deal«, denn genau das war die Trettachüberschreitung für mich: Ein ganz persönlicher Mental-Kampf an meinem ganz persönlichen Schicksalsberg.

Es gibt zwei Berge, auf die ich WIRKLICH noch hoch will. Das Finsteraarhorn, weil es einfach ein unfassbar schöner Berg ist, von dem ich früher immer überzeugt war, den Aufstieg auf dieser schmalen Schneide niemals zu können.

Und die Trettachspitze, immerhin das »Matterhorn des Allgäus«, das mich bereits vier mal (!) zur Umkehr gezwungen hat. Einmal wegen Gewitter, aber allermeistens wegen Kopf.

Das kann ich nicht

Selbst die Überschreitung habe ich einmal bereits im untersten Felsteil abgebrochen, weil ich mich so gefürchtet hatte. Obwohl ich damals beim Sport- und Alpinklettern in völlig anderen Ligen unterwegs war. Aber so ohne Seil… Das pack(t)e ich einfach nicht.

Das angstbefreite Umfeld

Und dann ist da noch der Dunstkreis: Ungefähr jeder in meinem Bekanntenkreis macht diese Überschreitung zum Feierabend und natürlich ohne Seil.

Schon klar, es gibt noch eine andere Blase, in der die Trettachspitze wenn überhaupt nur mit vollständiger Seilsicherung unternommen wird und natürlich: »Vergleiche dich nie mit anderen«… Aber sagt das mal dem Herz.

Ich kam mir jedenfalls zwischenzeitlich ein wenig außerirdisch mit meinen Zweifeln und Ängsten vor.

Ausgesetzte II/III-Kletterei

Und so ganz grundlos ist das ja auch noch nicht: »Anhaltende II-Kletterei und III-Stellen, auch im Abstieg, sehr exponiert«. Da darf man sich schon fürchten!

Auf der anderen Seite dann wieder die Gewissheit: Wenn ich muss oder will, dann geht sowas. Warum also die ständige Ungewissheit?

Da liegt womöglich erst der begrabene Hund: Diese Zweifelei, dieses ewige Kopfkino, die ständige Angst… die nervt so sehr! Und auch wenn schon gut gemeinte Ratschläge kamen, dass ich »das mit der Angst jetzt doch endlich mal abschließen sollte«, ich ganz sicher nichts lieber als das tun würde und ich mich aus genau diesem Grund über Jahre immer wieder – auch mit Hilfe von außen – mit ihr konfrontiert habe: Die Angst bleibt ein Teil von mir. Sie beiseite zu legen wird nicht klappen.

Wegen der Angst mit dem Klettern aufzuhören, klappt aber offensichtlich auch nicht, das hat das vergangene Jahr gezeigt. Zu sehr locken mich die Berge. Die einzige Möglichkeit also? Sich mit ihr arrangieren.

One more try: Trettachspitze

Mit einem seltsamen Gefühl aus Scham und Hoffnung, das Zeug hoffentlich gar nicht zu gebrauchen, wanderten am Abend ein paar Friends und das Seil in den Rucksack.

Und dann ging es los. Ein später Start, die Wolken würden sich erst gegen Nachmittag lichten. Aufstieg zunächst im Sonnenschein, später im dichten Nebel.

In den letzten Schneefeldern keine Spuren von den vermuteten Menschen-Massen, die in anderen Artikeln oft beschrieben waren. Und das an einem Sonntag?

Kopfgebrüll

Tobende Gedanken im Kopf während des stummen Aufstiegs. Bammel. Hinterfrage-Versuche des eigenen Kopfkinos. Durchaus eine Spur hoffnungsvolle Vorfreude.

Aus dem Nebel plötzlich zwei bestens ausgestattete Gestalten. Für sie hatte es am Gipfel kurz aufgerissen, ansonsten waren sie im Nebel geklettert. Der Gedanke: »Was, wenn ich heute wirklich am Gipfel ankomme und man gar nichts sieht?!«.

Ja, was wohl dann? Erstmal überhaupt an den Gipfel kommen, das wäre ja schon was.

Der verborgene Berg

Märchenwiese, dichte Wolken, dazwischen immer wieder kurze, wärmende Sonnenstrahlen. Wo wir anfangs noch rein gar nichts vom Gipfel gesehen hatten, lichtete sich der Nebel immer mehr. Ungläubige Hoffnung: »Wird es wirklich jetzt für uns aufziehen?«.

Dann ein freier Blick auf Grat, Wand und Gipfelkreuz: Nass schaute sie aus, die Wand. Das Schneefeld, das in den Topos beschrieben wurde, war riesig! Überhaupt sah diese Wand vollkommen senkrecht aus. Andererseits: Von einem früheren Versuch kannten wir den größten Teil des Westgrats und der war definitiv nicht so steil. Also: Erstmal zum Einstieg.

Los geht’s

In weichem Frühsommerschnee stapften wird in Richtung Einstieg, die Spuren unserer Vorgänger wiesen den Weg. Ab in den Fels. Handschuhe weg. Seil her? Nein, bis zum großen Schneefeld sollte das passen.

Zur Ablenkung plappernd hinauf. Akzeptable Griffe, teilweise gar nicht so große Tritte. Schneckentempo, aber dafür ein klein wenig stolz, dass es eigentlich bisher kopftechnisch gar nicht so schlecht lief.

Wir schauen hooooooch!

Im Schneefeld dann kurze Ernüchterung – am Rand war unter dem weichen Schnee glattes Eis, das unsere steigeisentragenden Vorgänger einfach überklettert hatten.

Das Seil war schon halb aus dem Rucksack, als ich mit etwas gesammelten Mut meine eigene Spur im tieferen Schnee versuchte. Alles gut, man fällt ja nicht einfach um. Und wir schauen jetzt einfach mal eine Zeit lang nicht mehr runter.

Highpoint!

Laut den Topos geht es im Schneefelds mehr oder weniger stark nach links auf den Grat. Wir stiefelten eher direkt nach oben und standen nach wenigen Felsmetern tatsächlich auf der Schneide zwischen Ost- und Nordwand. Highpoint! Weiter als jemals zuvor!

Der Grat sah scharf aus und die Befürchtung, dass man da teilweise wirklich direkt in der steilen Ostwand klettert, bestätigte sich. Allerdings mit riesigen, wirklich festen Griffen.

Das macht Spaß!

Engelchen und Teufelchen samt Ehemann einigten sich darauf, dass ich jetzt da einfach mal nicht runterschaue. Natürlich schaute ich irgendwann doch runter und: …freute mich! Ja, es ging brutal runter. Aber es machte gar nichts aus!

Und dann irgendwann später, während auf beiden Seiten der Abgrund gähnte und ich ganz behutsam Meter nach Meter machte, kam ein neues Gefühl dazu: Das hier macht tatsächlich Spaß!

Tränengipfel

Über völlig abgekletterten, wirklich schönen Fels ging es immer direkt am Grat entlang, bis das letzte Schneefeld wartete: Der Blodigkessel war bestens gespurt und die Schlüsselstelle ging problemlos. Während der Mann noch hinterherkrabbelte, kam das Gipfelkreuz in meinen Blick. Und mit ihm so manch eine Träne.

Einige Meter später hörte das Allgäu den wohl ehrlichsten Bergjauchzer meines Lebens.

Der Schicksalsberg

»Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Schicksalsberg« hatte später ein Freund geschrieben. Genau das war er wohl wirklich. So viele Gedanken, so viele Zweifel, die sich im Laufe der Jahre um diesen Berg aufgebaut hatten.

Es ging aber gar nicht so sehr um diesen einen Berg, es ging generell um diese Art der Kletterei, die mich bei der Tourenauswahl immer limitierte und sofort Zweifel säte, sobald irgendwo etwas von ausgesetzter II-Kletterei stand…

Mit jeder Umkehr an diesem Berg wurde die Gewissheit, so etwas nicht zu können, größer. Das Selbstbewusstsein für solches Gelände kleiner, die Wunschlisten-Touren immer weniger: Selbst das Finsteraarhorn war irgendwann von dieser Liste verschwunden.

Ich hatte geahnt, dass ich es kann, der Mann hatte es schon immer gesagt. Aber es hat vielleicht diese Tour gebraucht, damit ich es selbst auch mal glaube.

[Und während ich diese Zeilen tippe, frage ich mich, wie viele da draußen überhaupt nachvollziehen können, von was ich spreche?]

Oben warst du erst, wenn du unten bist

Aber: Geschafft ist eine Tour ja erst im Tal und der Abstieg über den Westgrat ist an der Trettachspitze nun wahrlich auch nicht trivial.

Die Schlüsselstelle kam mir schwer und wenig genüsslich vor, denn gegen Ende hing der Fels gefühlt mal wirklich einfach über. Aber auch das ging ohne Seil.

Die Rampe, die wir bei einem der anderen Versuche komplett abgeseilt hatten, ging jetzt nun wirklich problemlos zu Fuß.

Schweigende Dämonen

An der Märchenwiese der ungläubige Blick zurück. Ein hüpfendes Herz. Ein breites Grinsen. Pure Freude.

Und unendliche Dankbarkeit, diesen Dämonen zum Schweigen gebracht zu haben.

 

 

//Die Kommentarfunktion für diesen Beitrag ist deaktiviert. Du kannst mir gerne eine Mail an info//ulligunde.com schreiben.

You Might Also Like