Die erste „große“, eigenverantwortliche Tour, was für ein Abenteuer! Jahre später schaut man zurück und lächelt vielleicht ob der Schwierigkeitsgrade von damals, aber an die Zweifel und Ängste und den unbändigen Stolz danach erinnert man sich noch lange. Ein Hoch auf Erinnerungen. Ein Hoch auf Mut und Erlebtes!
Erst in der letzten Kehre kam es so richtig in den Blick. Das „Matterhorn Graubündens“: Das Zervreilahorn. Schmal und imposant. Sensationell schön.
Karo und ich standen gebannt davor, der türkisblaue Stausee leuchtete unterhalb, die grünen Hänge darüber ließen den Berg nur noch formschöner wirken. »Da wollen wir morgen hoch.« Wir zwei. Als Mädelsseilschaft.
Zweifel.
Schaffen wir das?
Der Nord-Ost-Grat war für uns nicht ganz ohne, die rund 13 Seillängen bis ca. 6a wollen teilweise selbst abgesichert werden, ein Rückzug wäre kompliziert. „Lange und alpine Tour, die nicht unterschätzt werden darf“ stand im Führer. Wir hatten durchaus Bammel: Trad. Komplizierter Rückzug. 6a. Natürlich, gefühlt war das für die meisten Alpinkletterer ärgster Kinderkram, für uns war es ein wahres Abenteuer. Wollten wir es riskieren? Waren wir der Tour „überlegen“? Sollten wir nicht besser einfach baden gehen? Ja, ja und nein! Frauen und ihre endlosen Zweifel! Wir können das!
Wenn schon, denn schon.
Mit dem Sonnenaufgang standen wir am Einstieg. Allein. „Wenn schon denn schon“ hatten wir uns gesagt und wollten den Vorbau ebenfalls klettern, auch wenn man ihn wandernd umgehen könnte. Während wir durch die ersten plattigen Seillängen zogen, zogen auch andere: Nämlich an uns vorbei. Wir hatten irgendwann aufgehört zu zählen, es waren jedenfalls viele. Und flinke, denn so schnell wie sie ins Blickfeld gekommen waren, waren sie auch schon wieder verschwunden. Wir hingegen hatten es nur wenig eilig, das Wetter war bestens. Am eigentlichen Einstieg grinsten wir beide dann schon breit, denn zwei der drei schwersten Seillängen hatten wir hier bereits in der Tasche. Und zwar ziemlich souverän!
Genuss pur
Was dann folgte, war Genuss pur. Wir cruisten, erfreuten uns an den Bewegungen, an der angenehmen Absicherung, an den gemütlichen Ständen. Die Aussicht war von Meter zu Meter beeindruckender, der Abwechslungsreichtum dieser Tour war kaum zu überbieten. Henkelparaden, griffige Platten, herrliche Verschneidungen, spannende Kamine, ausgesetzte Grate… Selten schwerer als 5b. Plaisir par excelence!
Die Sonne stand inzwischen hoch, der Wind bließ, wir waren müde und erschöpft von der permanenten Anspannung. Wir waren uns bewusst, dass die letzte Seillänge die schwerste der Tour sein würde. Wie wird sie sein? Wird sie uns leicht fallen?
Mut
Der allerletzte Aufschwung kam plötzlich ins Blickfeld. Das Ende unserer Tour, vorausgesetzt, man käme da irgendwie hoch. Eine Art Kamin zog zum Ausstieg, die ersten Borhaken blitzen bereits auf. Dazwischen äußerst absicherfreundliches Gelände. Kein zögern, einfach los. Nur noch eine Seillänge und die Anspannung würde abfallen. Wir würden wieder Sonne spüren. Die Schuhe ausziehen. Essen!
Los ging’s. Die Kletterei war famos! Griffig u
nd steil. Die Absicherung war dank verschiedenster Sicherungsmöglichkeiten einwandfrei, komplizierter war da eher die Entscheidung, welche Klettertechnik angewendet werden sollte. Und während ich mich tief versunken in der Konzentration auf ein Podest schob, blitzte sie mir in die Augen: Sonne. Sonne im Gesicht! Wir sind oben!!
Sonne im Gesicht
Die letzte Seillänge war geschafft. Karo zwang sich trotz Rucksack souverän durch die engen Spalten und stand rasch neben mir. High Five. Gipfelschrei! Wir zwei! Nordostgrat! Zervreilahorn! Wir zwei!
Entlang herrlicher Risse huschten wir per drei Abseiler zurück zum Einstieg, schlenderten zu den deponierten Fahrrädern und waren mit den ersten dunklen Wolken zurück am Auto. Ein Blick zurück. Keine Spur mehr von Zweifeln. Nur noch Stolz. Wir zwei! Zervreilahorn! Und wie souverän!
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Superschöner Tourenbericht! Das Grinsen in meinem Gesicht wurde beim Lesen immer breiter.