Was geht? (Furgler/Tirol)

September 17, 2011
2300hm Aufstieg. An einem Tag. Mit 12kg Gepäck. Schaff ich das?

Erstmal: Klar schaff ich das, es ist nur eine Frage der Zeit. Aber als Feuerprobe für die Zugspitzbesteigung nächste Woche wollte ich doch sicher gehen, nicht dass sonst deshalb die Begehung des angeschlossenen Jubliäumsgrat gefährdert wird. Und damit es nicht nur ein großer Kraftakt wird, wählte ich als Ziel gleich noch meinen ersten Dreitausender: Der Furgler, 3004m hoch, inmitten der Samnaungruppe im Süden Tirols. Für die meisten ein eher unspektakuläres Ziel, kann man sich doch mit der Bergbahn bis fast vors Ziel chauffieren lassen. Um dem Massentourismus zu entgehen, wählte ich einen abgelegenen Zustiegspfad, der sich später noch als keiner herausstellen sollte. Aber von Anfang an:

2300hm sind viel, auch ohne Gepäck. Also optimierte ich meine Packliste – alles, was nur ansatzweise zusätzlicher Luxus wäre, blieb zurück. Kein Handtuch, keine Seife, keine kurze Hose, nur drei Streichhölzer statt der ganzen Schachtel, keine Handschuhe. Selbst meine treue Mammut-Mütze blieb zu Hause und wurde durch ein dünnes Buff-Tuch ersetzt. Mit Zelt, 2l Wasser, Kochzeug (eine warme Mahlzeit muss einfach sein. Auf 3000m wirds kalt, so oder so) und Kamera erreichte ich 12kg – schon fast ein Fliegengewicht für meine Verhältnisse.


Nach einigen Verfahraktionen erreichte ich am Freitag Vormittag dann tatsächlich Birkach, den Ausgangspunkt meiner Tour auf 980m. Es war bereits 11Uhr – blieben nur noch maximal acht Stunden, bis ich zumindest den Tieftalsee erreicht haben sollte. Ich rechnete nicht mit den üblichen 400hm pro Stunde, waren auf dem Weg doch immer wieder Passagen auf eher flachem Gelände dabei und die Strecke mit 21km sehr lang. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich dieses Tempo mehrere Stunden durchhalten würde. Spontan rechnete ich einfach mal mit 7h und hoffte um sechs Uhr Abends das Zelt am Tieftalsee aufschlagen zu können. Die letzten 100hm zum Gipfel wollte ich nur mit der Kamera bestückt hochspurten um Nachts im Schutz der Felsen am See schlafen zu können.

Die ersten 300hm zur „roten Wand“ gingen recht zügig, auch wenn ich den Weg nicht direkt fand. Seltsam, kein Wegweiser, keine Markierung, dachte ich mir noch kurz. Egal, auf gehts – Höhenmeter machen! Nach dem kleinen Gipfelkreuz wurde der Weg immer verwachsener, Markierungen waren kaum bis gar nicht mehr vorhanden, nur hin und wieder zeugten abgesägte Baumstämme davon, dass dieser Weg einmal gepflegt wurde.

Nachdem ich den Bach querte, an dessen Rand eigentlich der Weg entlang hätte führen sollen, kam mir die Sache langsam komisch vor. Der vermeintliche Weg löste sich bald auf und ich wurde zu einer unfreiwilligen Gumpenwanderung gezwungen. Teils über Steine kletternd, teils durchs dichtes Gebüsch kriechend, bremste mich dieser Teil kräftig aus.

Als ich die eingezeichnete Forststraße erreichte, folgte ich einige Meter einem Weg, der sehr nach meinem aussah, nur um zu sehen, dass auch dieser sich wieder auflöste. So ging es weiter und ich machte drei Kreuze, als ich endlich die Baumgrenze hinter mir ließ und ich somit auch ohne Probleme querfeldein laufen konnte. Je höher ich kam, desto deutlicher wurde allerdings der (ein?) Weg und auch Markierungen wurden immer häufiger. Mein Höhenmesser diente als hervorragender Motivator. Bei 1800hm und noch keiner längeren Pause forderte ich mich selbst heraus: Schaff ich es, bis 1900hm nicht einmal stehen zu bleiben? Als dies erreicht war, hängte ich direkt noch 100hm an – und nochmal 100hm.

Zügig stieg ich in das Tal hinab das mit Doppelmayr-Skiliften zugebaut war so weit das Auge reichte. Futuristisch anmutend, unvorstellbar hohe Pfeiler und abschreckend große Lifthäuser standen kreuz und quer herum und durchzogen das Tal in seiner vollen Länge. Inmitten dieser Landschaft zog sich noch eine breite Schotterstraße, auf der regelmäßig LKWs entlangpolterten. Wie romantisch. Hiflt nichts, ich muss durch, um auf der anderen Seite hochzusteigen. Als ich nach mehreren Bachquerungen endlich diese Straße erreichte, nahmen mich prompt zwei Bauarbeiter auf ihrem Pickup ein paar Minuten mit und ersparten mir damit einige Meter auf  Schotter.

Diesen Service bezahlte ich allerdings im Nachhinein noch mit viel Frust  – als ich meinen Rucksack auf die Ladefläche geworfen hatte, muss wohl die Wanderkarte rausgerutscht sein. Als ich ausstieg, dachte ich natürlich nicht dran, das zu kontrollieren. Mal sehen, vielleicht krieg ich sie ja wieder.

2437hm. Noch 500 und ein paar Zerquetschte! Um 17Uhr startete ich zu meinem Zielspurt. Nur noch auf den Weg und die Atmung konzentriert, lief ich einfach nur noch ohne nachzudenken. Ich erinnere mich noch, dass ich einen grünen Stein sah und ihn eigentlich einer Freundin mitbringen wollte – erst eine halbe Stunde später merkte ich, dass ich das wohl im selben Moment schon wieder vergessen haben muss, jedenfalls hatte ich ihn nicht aufgehoben.

Aber plötzlich war er da: Der Tieftalsee. die Abendsonne schien warm, nur der immer wieder aufbrausende Wind kühlte mich etwas aus.

Ich verharrte einige Minuten an diesem wunderschönen Platz, wägte in Gedanken schon die Zeltplätze ab und rechnete durch, wann ich zum Gipfel starten müsste, um den Sonnenuntergang noch rechtzeitig fotografieren zu können. Wie ich es auch drehte – es war umständlich. Also schulterte ich ohne groß darüber nachzudenken den Rucksack und setzte zum finalen Endpsurt an – ich werd am Gipfel schon ein Plätzchen für mein Zelt finden! Ansonsten halt ein Biwak, die Nacht wird ja eh trocken….

Die letzten 100hm sind immer schlimm. Egal ob man eine 800hm oder 2300hm-Wanderung macht – auf den letzten Metern werden die Beine wie Blei, unabhängig davon, wie lang man schon unterwegs ist. Durchbeissen. So oft beim Klettern gehört -wenn man denkt, die Finger können den Griff nicht mehr halten, es aber eigentlich doch könnten. Wenn die Option sich einfach in den Gurt zu setzen und eine Pause zu machen, immer verlockender wird… Durchbeissen!!! Also auch hier: Zieh’s durch! Ich forderte mich ein letztes Mal heraus – wie viele Stops brauchst du? Schaffst du’s mit weniger als 2? Ja. Um 18.45Uhr stolperte ich die letzten Meter zum Gipfelkreuz. Aber jetzt nicht trödeln – ich packte sofort das Kochzeug aus, suchte nach einem passenden Lagerplatz. Die Sonne würde bald weg sein – und mit ihr die Wärme. Mit dem letzten Sonnenstrahl aß ich den letzten Löffel Kartoffelpürree (bäh!), wusch nicht mal mehr ab, sondern machte mich sofort an’s Bauen meines Lagers. Der Wetterbericht hatte so eindeutig gutes Wetter vorhergesagt, dass ich alles für ein Biwak vorbereitete: Schlafen unter freiem Himmel, mit Blick in die abertausenden Sterne! Um mich vor dem Wind zu schützen, baute ich noch einen kleinen Schutzwall und alles war perfekt.

Dann kam die SMS von der Mutter. „NEIN!!! du schläfst mit ZELT!! Am Dienstag willst du Großes am Jubiläumsgrat leisten!“. Mütter haben immer letztendlich irgendwie Recht, also baute ich ohne groß zu Zögern das Zelt auf. Warum? Keine Ahnung, vielleicht doch aus Intuition. Ich sollte es jedenfalls nicht bereuen. Aufgrund der guten Wettervorhersage verzurrte ich das Zelt nur mittelmäßig, sicherte es nur mit einigen schweren Steinen gegen den Wind. Um zwei Uhr wachte ich durch ein seltsames Geräusch auf. Klopfen. Leises, beständiges Klopfen. Und dann immer lauter. Regen?! Schnell zog ich den Rucksack und die Schuhe ins Trockene, rechnete damit, dass es nur ein kurzer Schauer sei. Falsch gedacht, der Regen wurde stärker und stärker, bald kamen die ersten Blitze und Donner, der Wind rüttelte am Zelt, es prasselte so laut, dass die Donner Mühe hatten, bis an mein Ohr zu gelangen. …Wie viel Wind hält das Zelt aus? …Was passiert bei zu viel Wind? …Könnte ich umgeblasen werden? …Den Abgrund hinunter? …Was wenn es bis morgen früh nicht aufhört? …Kann ich diesen steilen Steig überhaupt bei Nässe laufen, würde es nicht zu matschig sein? …Wie wäre es, aus dieser Situation gerettet werden zu müssen? Nachts um vier werden die Gedanken eben immer wirrer. Irgendwann fiel ich doch in einen unruhigen Schlaf, schaltete um sechs den Wecker einfach aus – hatte ich ihn mir doch gestellt, um den Sonnenaufgang zu fotografieren. Pustekuchen, dann dreh ich mich lieber nochmal rum. Als ich mich um 6.45Uhr dann doch aus dem Schlafsack schälte, hatte es aufgehört zu regnen, aber die Gipfel waren in dicke Wolken gehüllt. Ich stieg ohne Frühstück ab um so viele Höhenmeter wie möglich gutzumachen, bevor es wieder anfangen würde zu regnen. Da ich keine Wanderkarte mehr hatte, war ich gezwungen, den selben Weg abzusteigen, auf dem ich gekommen war. …Außer ich würde die Bergbahn runter ins Tal nehmen…??? Genau in diesem Moment riss die Wolkendecke auf und der erste Sonnenstrahl des Tages traf mich. „Den längeren Weg wählend“. Zieh’s durch! Bergbahn nehmen. Pah!

Nach 45 Minuten stand ich wieder auf dem Sattel, 30 Minuten später machte ich auf 2000 Höhenmetern meine erste „Frühstücks“pause – eine viertel Tafel Schokolade musste reichen. Als ich wieder die Forststraße erreichte, in der der vermeintliche Weg münden sollte, folgte ich einem Pfad, der danach aussah – aber wie sollte es anders sein: Auch dieser löste sich wieder auf. Was nun? Ich wusste, dass ich hinunter zum Bach musste, wenn ich den Weg erwischen wollte, den ich hochgekommen war. Sollte ich das schaffen, würde ich direkt am Auto herauskommen. Aber querfeldein, in teils extrem steilem Gelände, ohne Karte? Was wenn ich den Weg auf der anderen Seite des Bachs verpassen würde? Die Alternative ist eine langweilige Forststraße die sich in unendlichen Serpentinen den Berg hinunterschlängelt und im Nachbardorf mündet. Egal, Vernunft siegt und irgendwie roch die ganze Sache ein wenig zu sehr nach der Erfahrung am Hohen Ifen im vergangenen Frühling, bei der ich eher leichtsinnig mein Leben für den kürzeren Weg riskierte.

Eine Stunde später erreichte ich das Tal und wiederum eine halbe später das Auto. Das Auto! Geschafft!!! 2300hm und 21km Aufstieg in sieben Stunden. Und das selbe wieder hinunter. Und noch dazu einen Dreitausender, ein Gewitter und ein paar schöne Fotos im Kastem.

Besonders während des Abstiegs fragte ich mich aber immer wieder, warum man sich so etwas antut… Wozu das alles?! Grundsätzlich wegen der Fotos. Aber als ich am Auto ankam, entdeckte ich noch einen weiteren Grund, warum man solche Tortouren immer wieder aufs Neue macht: Wegen dem Ankommen. Dem Gefühl, es geschafft zu haben, nicht mehr weitergehen zu müssen und vor allem: Dem Gefühl, die Schuhe nach so einer Tour auszuziehen. Nichts ist schöner! …Beim Bergsteigen zumindest. Und beim Klettern 😉

Nachtrag: Die Begehung des Juliläumsgrates haben wir übrigens nicht mehr machen können. Während der Nacht auf dem Furgler hatte es an der Zugspitze angefangen zu schneien – wenige Tage später lagen dort bereits 40cm Neuschnee.

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2 Comments

  • Reply ulligunde September 18, 2011 at 8:14 am

    Ich bin immernoch ganz traditionell mit Gaskartusche unterwegs. Ist schön leicht, zuverlässig und klein. Für nen Omnifuel reicht’s Geld nicht.

  • Reply Saisoneröffnung am Stuiben « ulligunde April 29, 2012 at 11:46 am

    […] sollte es jedenfalls der “Kartoffeltopf mit Rindfleisch” werden (4,95€). Wer meinen Bericht vom Furgler aufmerksam gelesen hat, dürfte bemerkt haben, wie sehr ich Kartoffelpüree mag: Ich kann es […]

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