Lernspaß in Schweden

Juni 20, 2011

Was erwartet man von einem Tourbegleiter, der einen eine Woche lang durch die Wildnis führt? Die Gegend soll er kennen, Outdoorerfahrung haben, für gutes Klima in der Gruppe sorgen, auch im Ernstfall souverän reagieren, Erfahrung haben… Nachdem ich nach dem Vortreffen in Münster erfuhr, dass wir ohne Eingewöhnungsphase direkt am ersten Tag mit den Gästen allein auf Tour gehen würden, wurde es mir mulmig … Schaff ich das?!

Um mehr Sicherheit zu erlangen, sagte ich einer einwöchigen Fortbildung direkt in Schweden zu: 3 Tage Kanu-Wildwasser-Kurs in Idre und anschließend nochmals 3 Tage den großen Outdoor-Erste-Hilfe-Kurs in Stömne, gut 2,5h östlich von Oslo. Als positiven Nebeneffekt würde ich die beiden Hauptdestinationen sehen und einen ersten Eindruck der Abläufe bekommen. Natürlich hoffte ich, die Aufregung vor der ersten Tour mit Gästen dadurch etwas abzubauen – mit Erfolg, wie sich nun im Nachhinein zeigt!

In meinem Studium geht es die vergangenen vier Monate hauptsächlich um die Subjektivität von Wahrnehmungen und Erwartungen: Werden Erwartungen übertroffen bedeutet es im Folgeschluss Zufriedenheit und damit Qualität. Das große Ziel eines jeden Leistungsträgers besonders im Tourismus muss also sein, die Erwartungen zu kennen und diese zu übertreffen. Den selben Maßstab lege ich an mir an, ganz besonders wenn es um den Umgang mit Gästen geht. Ich bin in dem Moment wo ich mit den Teilnehmern auf Tour gehe die berühmte Stellschraube die für ein positives aber auch negatives Urlaubserlebnis sorgen kann. Neben der Erfahrung so lange in der Wildnis Skandinaviens unterwegs zu sein ist dieser Aspekt der spannendste und herausforderndste, auf den ich mich aber auch am meisten freue.

Nach einem zeitraubenen Präsentationsmarathon ging es also am Freitag morgens um 5 von Kempten Richtung Hamburg um dort 8h später vom Bus aufgesammelt zu werden. Wiederum 18 Stunden, zwei Fährfahrten, 3 Tüten Colorado, sämtliche Wetterlagen und Sitzpositionen später erreichten wir das nördlichste Camp des Veranstalters. Für große Erholungspausen war keine Zeit und nach dem Mittagessen ging es bei Donnergrollen und Regen am Horizont runter an den Österdalelven zur ausführlichen Kanu- und Kayakeinweisung.

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Am nächsten Morgen gings an’s Eingemachte: Nach starken Regenfällen führten die Flüsse viel Wasser, was Thomas, der Campleiter und unser Guide nur trocken mit „dadurch werden manche Stromschnellen einfacher – die meisten halt aber nicht. Mal schauen, welche wir noch befahren können“ quitierte. Wir fuhren einige Kilometer flussaufwärts und übten zuerst einige Basics wie Solo-Flussquerungen in Strömungen und gezielte Fahrten ins Kehrwasser. Einige Trainingsdurchläufe, einen Kaffee und eine weitere Tüte Colorado später ging es in Zweierbesetzung durch einige Stromschnellen zurück Richtung Camp.

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Für Montag war eine zweitägige Tour geplant um auch andere Tourbegleiterbasics wie Lagerleben, Knotenkunde, richtiges Bepacken der Kanus und einige Tricks in Gruppenführung zu vermitteln. Vor besonders großen Stromschnellen hielten wir an, suchten gemeinsam die beste Route (häufig „nur“ die Chicken Line, also die einfachste Route weil alles andere zu gefährlich gewesen wäre) und stürzten uns nacheinander halb todesmutig in die Wellen – Thomas wachte  immer mit Wurfsack am Flussufer um uns im Falle einer Kenterung schnell einsammeln zu können. Diesen Service nahm niemand in Anspruch, die Kanadier mussten trotzdem regelmäßig ausgelehrt werden.

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Ortswechsel: Nachdem wir am Dienstag morgen wieder zurück ins Camp in Idre trudelten, blieb noch genug Zeit, die Ausrüstung zurückzuräumen, zu duschen und Thomas bei einigen Vorbereitungen zu unterstützen. Mittags fuhren wir die 5h zurück nach Stömne um dort abends das erste Modul des großen Outdoor-Erste-Hilfe-Scheins anzutreten. In den kommenden 2 Tagen trichterte uns Dani den Erste-Hilfe-Algorithmus tief ins Gehirn ein und nach zahlreichen Fallbeispielen direkt im Wald, exzellenten Erklärungen und Beispielen fühlte sich jeder der vier Teilnehmer richtig fit in der korrekten Reaktion bei Notfällen: Durchatmen, Situation und Gefahr abschätzen, ggf. Unfallstelle absichern, Opfer ansprechen, Bodycheck…psychische Betreuung und Wärme nie vergessen!… Schade, dass man selbst so wichtiges Wissen nicht einfach fest im Hirn abspeichern kann – es wäre so hilfreich!

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Es war eine abwechslungs- und vor allem sehr lehrreiche Woche. Es ist spannend zu sehen, wie bei so einem Job so grundverschiedene Menschen zusammenkommen die letztendlich doch verbunden durch die Leidenschaft für das Draussensein sind. Jeder trägt Fjäll Räven Hosen, hängt wie selbstverständlich sein Microfaserhandtuch ins Bad, erzählt spannende Geschichten aus fernen Ländern – und sobald jeder für sich dann nach der Reise wieder in das „normale“ Leben zurückkehrt, wirft man den Umhang des zivilen Lebens über: Nützt Make-Up, richtet sich die Haare, trägt hohe Schuhe, sodass man auf den ersten Blick diese eine Leidenschaft gar nicht bemerkt. Ob es ein Gefängnis ist, aus dem man nur entfliehen kann, wenn man den Rucksack auf dem Rücken und den freien Himmel über sich hat? Oder ob es einfach zwei parallele Leben sind -beide schön, aber eben jedes für sich? Wohl eher Letzteres, denn jeder von uns freut sich nach einer Woche ohne Seife und festem Dach über’m Kopf auf die Annehmlichkeiten des zivilen Lebens – auf die „anderen“ Freunde, das Ausgehen, das Klettern speziell in meinem Fall.

Ich freue mich auf die Herausforderung, Gästegruppen durch die Wildnis zu führen, mich auf verschiedene Menschen einzustellen, zu improvisieren – den Gästen schlicht einen schönen Aufenthalt zu ermöglichen. Aber auch auf die Tourenbegleiter die ich bisher kennengelernt habe – und all die anderen, die noch dazukommen. Es wird ein Abenteuer, ähnlich groß wie alleine drei Tage durch den Regenwald Tasmaniens zu laufen, denn wenn man das eine verbockt, hängt man wenigstens nur selbst dran. Es wird eine große Herausforderung – eine spannende und lehrreiche auf jeden Fall. Sicher nicht immer leicht und garantiert ziemlich anstrengend, aber trotzdem: Ich freu mich drauf!

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1 Comment

  • Reply eossegeltoern Juni 23, 2011 at 4:55 pm

    Wunderschönes Schweden, supertolle Fotos, die hellen Nächte, der Kiefernwald, Lupinen, die wilden Stromschnellen(und das lehr-reiche Aus-lee-ren der Kajaks…du hast was Wunderbares erlebt, an das du ewig denken wirst. So hast du eine gute BASIS als Tourenleiterin. Wir erwarten grad die ersten 6 Windstärken. Kurz vor Albanien, nach ca. 800 km im jonischen Meer. Mama…ja, Schweden, schon ein schönes Land. Und die Flüsse zu befahren würde auch mir gefallen.Papa

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