Am Limit: das Graue Element (Schneck, Allgäu)

September 26, 2013

Das Graue Element lässt leider auf sich warten. Kommt aber noch. Spätestens im nächsten Jahr.“ steht unter dem Foto, das ich am Sonntagabend bei Facebook online stellte. Dass wir keine 60 Stunden später wieder am Einstieg dieser alpinen Klettertour stehen würden, hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Aber spontane Aktionen sind einfach die besten – in diesem Fall sogar die Absolut-Oberhammer-Besten!

Der Schneck ist halt einfach der Schneck. Egal von wo man ihn sieht, er ist immer einzigartig. Vom Nebelhorn sieht man seine schneckenartigen Höcker, von der Höfats schaut man direkt auf den berüchtigten Rädlergrat, der auf das vorgelagerte Himmelhorn führt, von Norden aus ist er eine aufragende imposante Felsnadel und von Osten zeigt er seine beeindruckende Felswand. Das Problem an diesem Gipfel ist, dass man entweder über einen ausgesetzten, wirklich schmalen Grat muss oder eben in direkter Linie zum Gipfelkreuz klettert – dann aber in einzigartigem, anspruchsvollen Fels. Wenn wir schon so etwas planen, lassen mein Partner und ich uns natürlich nicht lumpen und wählen die schwerste Route am Berg: Das Graue Element, VIII, E3. Chacka!

 

Die Route

Schneck-Ostwand-mit-Route (c) Walter HölzlerDie Linie ist kühn und großartig. Zum Warmklettern gibts zwei Seillängen im sechsten Grad, bevor eine wirklich luftige Querung (VII-) um eine Ecke wartet. In der folgenden Seillänge gehts dann leicht überhängend, wirklich pumpig und ziemlich unübersichtlich weiter. Der Rest ist nur noch „ausklettern“ im sechsten bzw. vierten Grad – spätestens hier werden dann allerdings die Nerven gefordert. Mit wirklich spärlicher Absicherung geht es durch teilweise etwas losen Fels und anspruchsvolles Steilgras nach oben. Oben angekommen gibt es nur noch eine absolut – absolut – atemberaubende Rundumsicht. Auf der einen Seite pfeift es bis hinunter ins Oytal, auf der anderen Seite in das einige hundert Höhenmeter entfernte Geröllfeld. Unbeschreiblich schön. Aber dahin muss man erstmal kommen…

Mittwoch, 5.00 Uhr.

Grausamer Wecker. Die vielen Höhenmeter mit schwerem Gepäck vom Wochenende steckten uns noch in den Gliedern, der wenige Schlaf vom Arbeiten am Montag und Dienstag auch. Aber hilft nichts, wir haben uns diesen Tag extra freigenommen um den vorerst letzten Sonnentag noch maximal zu nutzen. „Maximal nutzen“ – das wird uns am Ende dieses Tages gelungen sein.

In wenigen Minuten waren wir startbereit. Noch ein kurzes Frühstück und ab ging es mit den Bikes von Hinterstein übers Giebelhaus bis zur Point-Hütte. Gut eine Stunde später tauschten wir Bikes gegen Füße und wetzten dem Sonnenaufgang entgegen. Wir hatten uns natürlich nicht genau angeschaut, wie wir am besten zum Einstieg kommen würden und verloren dort einiges an Zeit – die imposante Felsmauer stets im Blick.

Sieht ja gar nicht so schlimm aus

Quergang im Grauen Element, Schneck, AllgäuWährend Sammy die ersten Klettermeter zurücklegte, freute ich mich noch über die passable Absicherung. „So schlimm, wie es im Führer beschrieben war, ist es ja gar nicht„, dachte ich mir noch. Haha. Wie naiv. Trotzdem gelangten wir relativ zügig zum einzig bequemen Stand, direkt vor dem Quergang. Die Sonne stieg gemächlich höher und wir freuten uns noch über die angenehme Wärme. Kann ich ja am nächsten Stand mein Top ausziehen! Again: Wie naiv 😉 Die Siebener-Seillänge war schön, der Quergang ging überraschend easy. In der Schlüsselseillänge übernahm ich den Rucksack, um meinem Partner einen Onsight zu ermöglichen (also einen Durchstieg ohne Pause oder technische Hilfsmittel).

Mit kräftig ausgepumpten Armen schaffte er es tatsächlich ohne Pause bis zum Stand und gefühlte zwei Stunden später kam ich dort auch an. Wenn auch etwas ausgelaugt – überhängende Achter mit Rucksack und 100 Metern Luft unter den Sohlen sind jetzt nicht meine Top-Spezialität. Geschafft hab’mers trotzdem, auch wenn sich dabei leider das Topo verabschiedete. Es flog noch eine ganze Zeit ein paar Meter entfernt von der Wand auf gleicher Höhe und war dann einfach weg. Shit. Naja, noch kurz im Wandbuch die 35. Begehung dieser Tour (etwa drei pro Jahr) eingetragen und weiter… Inzwischen lag die Wand im Schatten, der Wind pfiff. Es war einfach arschkalt.

Endspurt ohne Haken

Großartiges Panorama vom SchneckIn den letzten drei Seillängen wurde dann auch die Ernsthaftigkeit E3 deutlich – maximal zwei Haken in den Seillängen, in der Vierer-Länge schlicht gar keiner. Mit Bedacht klettern, Festigkeit prüfen, einfach keinen Scheiß bauen. Wirklich keinen Scheiß bauen. Durch feuchtes, teils schneebedecktes Steilgras machten wir Meter um Meter gut und plötzlich schien mir die Sonne ins Gesicht. SONNE. Wärme! Und im nächsten Moment der Freudenschrei: OIDA! Geschafft! Gipfel! GIPFEL!! Was für ein Gefühl! Nach 4,5 Stunden standen wir am Kreuz und ich wusste nicht recht, ob ich mich mehr über die geschaffte Route oder die Gipfelbesteigung vom SCHNECK freuen sollte. Das eine stand schon ewig auf meiner Wunschliste, das andere war einfach eine – für mich – wirklich krasse Leistung.

Und wie kommen wir jetzt wieder runter?!

Nach so einer Tour kann ich mir die Selbstvermarktung nicht verkneifen...Noch ein paar Freudensschreie später wurde uns dann schnell bewusst, dass das Abseilen ohne Topo auch noch ein Abenteuer werden könnte. Wir erinnert uns noch an irgendwas von wegen „drei Mal abseilen, großes Grasband, unscheinbares Grasband, rüberqueren…“ Whatever, sicher besser als jetzt noch über diesen ausgesetzten Grat rauszuqueren (den wollte ich doch vermeiden!), um dann einen riesigen Bogen wieder zurück zu den Rucksäcken zu machen. Die Stände finden wir schon irgendwie. Gefunden haben wir sie tatsächlich ohne Probleme – größere Probleme hatten wir da eher mit dem Auswerfen des Seils – das flog nämlich teils an uns vorbei wieder nach oben.Ja, nach oben. Der Wind pfiff direkt vom Oytal hoch und garantierte so natürlich einen bösartigen Seilsalat. Und das in einer schattigen, saukalten Nordkante eine Wand. Yeah.

Zeitdruck am Berg

Ursprünglich hatten wir mit rund zehn Stunden gerechnet. zwei Stunden zum Einstieg, fünf Stunden klettern, eine Stunde zurück zu den Rucksäcken und eine zurück zum Auto. Mit Pausen vielleicht zehn Stunden. So hätte es perfekt gereicht, um direkt danach zu einer entspannten Grillage von Freunden zu gehen. Aber nein, bereits beim Abseilen war klar: das wird eng. Wir eilten zurück zu den Rucksäcken, rutschten möglichst schnell das Geröllfeld runter, sprangen wie die Gämsen durch das Gras zurück auf den Weg. Ab hier rannten wir in Richtung Tal. Noch eine Stunde bis zum Treffpunkt. Das wird wirklich knapp. Und nirgends Empfang. Verdammte Axt! Der Weg zog sich, der Rucksack mit dem Seil und dem ganzen Klettergeraffel wurde immer schwerer. Weiter, weiter. So schnell bin ich noch bei keinem Trailrun den Berg hinuntergehetzt – und das nach solch einem Tag.

Weiter, weiter!

Noch eine halbe Stunde. Und immer noch kein Empfang. Die Schenkel und Sohlen brannten als wir uns endlich auf die Bikes schwangen. Und ja, es kommt immer anders als man denkt. Nach wenigen Metern war klar: Mein Hinterreifen war platt. Jaaa, klar. Wann auch sonst?! Deshalb hatte ich also bei der Auffahrt immer das Gefühl, dass irgendwas bremst. Zum Glück hatte mein Freund ausnahmsweise seine Luftpumpe dabei und mein Bike war wenige Minuten später wieder einsatzbereit. Noch zehn Minuten. Und Überraschung: immer noch kein Empfang. Wir rasten in Richtung Giebelhaus und weiter aus dem Tal hinaus. Die Wanderer guckten groß, als wir auch bergab noch kräftig strampelnd an ihnen vorbeisausten. Erstaunlich, wie anstrengend Bergabfahren sein kann, wenn man es nur eilig genug hat.

Mission failed.

Perfekter Abschluss nach solch einer TourAuf halbem Weg vermeldete mein Handy natürlich Akku-Notstand – erst wenige Meter vor Hinterstein erschienen dann endlich die erlösenden Balken. Eine halbe Stunde zu spät. Das Grillen war abgesagt, weil niemand wusste, ob wir kommen würden. Big fail! Nachdem wir unsere brennenden Schenkel ein bisschen in Selbstmitleid gebadet hatten, entschieden wir uns trotzdem für eine Grillage – dann halt zu zweit. …mit Steak! Und Kräuterbutter! Und Baguette! Und Radler! Und Cola! Und Haribo!! Und Schokolade!!! Und gegrillten Schokobananen!!!! Und… und… und. Hätte ich das Geld gehabt, ich hätte den halben Supermarkt leergekauft.

Fazit

Perfektes Team!Insgesamt waren wir zwölf Stunden unterwegs, ohne groß getrödelt zu haben – viel mehr haben wir einen kleinen Triathlon hingelegt – 700 Höhenmeter mit dem Rad, 700 im Laufschritt nach oben, 250 hm am Limit klettern und alles wieder runter. Klar, dass wir dann abends beim Grillen nur noch ziemlich zerstört auf unserem Balkon hingen und der Sonne andächtig beim Untergehen zuschauten.

Immer wieder erwachten wir kurz aus unserer Lethargie. Dann schauten wir uns an – die Augen immer größer, das Grinsen immer breiter werdend: He du…  Wir haben’s echt gemacht! Wir! Diese Tour! Auf diesen Gipfel! WIR!
Was für ein Team.

PS: Tourenbericht und Routeninfos gibt es beim Lokalmatador Walter Hölzler.

 

 

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8 Comments

  • Reply Michael Off September 26, 2013 at 9:26 pm

    Hallo Erika,

    tolle Tour, großartige Fotos, ganz wunderbar, wie immer. Als Exilallgäuer in Frankfurt schätze ich Deine gut erzählten Berichte und Fotografie aus den Bergen im Allgemeinen und dem Allgäu im Besonderen sehr, vielen Dank dafür. Deine Unternehmungen inspirieren und treiben mich immer wieder nach Hause, weg von der Stadt und in’d Berg, wo die Freiheit ist.. 🙂

    Weiter so und danke,
    Michael

  • Reply Steve September 27, 2013 at 5:32 am

    Wahnsinns Tour…abgefahrener Bericht!
    Ich würde mich dann doch auf den finalen Downhill beschränken 😉

  • Reply Gerdi September 27, 2013 at 9:20 am

    Kennst du den Begriff Göttersöhne? Dann biste ne Art Göttertochter. Glück, Sportsgeist, gute Planung, Durchhaltevermögen, optimale Ausstattung und Sicherung, Mordsmut, Verantwortung, Kraft ohne Ende, wunderbar verläßliche Partnerschaft – na, wenn das nicht göttlich abgesegnet ist….
    Vor 25 Jahren wartete ich auf die 3.Geburt, mit 1 Woche Wehen. Nach 8 Tagen warst du da, du kleiner 4 kg-Protz. Welch ein Geschenk. Hat sich echt gelohnt. Mit 15-fachem Gewicht bist du ein Wonneproppen mit enormer Lebenskraft. Prachtkerl.

  • Reply Es kommt immer anders als man denkt. « ulligunde.com September 27, 2013 at 4:50 pm

    […] ⟨ […]

  • Reply Walter Hölzler Oktober 4, 2013 at 8:25 am

    Hallo Erika,
    toller Bericht und tolle Bilder.
    Ich hoffe, wir sehen uns mal in den Bergen.

    Viele Grüße
    Walter Hölzler

  • Reply Hinter’m Limit: Wildenverschneidung, Kleiner Wilder « ulligunde.com Oktober 4, 2013 at 3:21 pm

    […] rau (weniger Schürfwunden 😉 ), reichte es dennoch für eine größere Komplettzerstörung als am Grauen Element am Schneck. Nicht nur die vielen Schürfwunden, sondern auch der Fehler, keine extra Schuhe für’s […]

  • Reply Der neue Lieblingsrucksack: Speed 22 von Black Diamond « ulligunde.com Oktober 16, 2013 at 7:02 pm

    […] ein Jahr später liegt – er tatsächlich in unserem Ausrüstungszimmer und hat schon so manch coole Touren mitgemacht. Er ist ein starker Begleiter – reduziert auf das Wesentliche, aber perfekt durchgedacht. Ein […]

  • Reply klettersteigen November 13, 2013 at 8:54 am

    Hat dies auf ABENTEUER ALPIN – DEIN OUTDOOR PORTAL rebloggt.

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