Angst beim Klettern – wovor fürchten wir uns?

Mai 9, 2016

Dies ist ein Artikel aus der Reihe „Besser Klettern mit weniger Angst“ – hier geht’s zur Übersicht.

Wie trainiert man die unbegründete Angst beim Sportklettern? Wovor fürchten wir uns und was macht man in dem Moment, in dem zwar das Sturzgelände einwandfrei ist, die Angst sich aber dennoch einschleicht? Ich habe mich mit zahlreichen Trainern über das Thema unterhalten:

Über die Angst

Um welche Angst es geht

Klettern macht ohne Angst so viel mehr Spaß.Angst ist Teil des Kletterns und ganz grundsätzlich auch nichts Schlechtes, denn sie schützt uns davor, uns in wirklich gefährliche Situationen zu begeben bzw. „Nicht-Sturzgelände“ zu identifizieren. Die Angst tritt aber auch häufig in eigentlich ungefährlichen Situationen auf und limitiert unser Kletterkönnen. Es schmälert die Freude und macht den Sport an vielen Tagen mental anstrengend. Um die Bekämpfung dieser („unbegründeten“) Angst geht es in diesem Artikel.

Was bedeutet Angst?

Angst bedeutet Ungewissheit. Wann kommt die Angst? Wird sie noch größer? Kann ich damit noch umgehen? Man kann Angst nicht ausschalten oder einfach ignorieren – im schlimmsten Fall kommt sie dann urplötzlich in geballter Form von Panik auf. Viel wichtiger ist es, einen bestmöglichen Umgang mit der Angst zu entwickeln und dem Körper zu zeigen, dass diese Situation okay ist.

Melanie Michalski von der Kletter-Werkstatt drückt es so aus: „Es geht darum, diesen nebulösen Begriff der Angst greifbar zu machen. Wir müssen uns mit der Angst auseinandersetzen. Wir können sie nicht abschalten, aber wir können lernen, sie zu akzeptieren und mit ihr liebevoll umzugehen“. Das Ziel ist, diese Situationen mit unbegründeter Angst aus der „Risikozone“ in die „Komfortzone“ zu bringen.

Wovor fürchten wir uns so sehr?

Die Angst beim Klettern ist vielseitig. Manche fürchten sich vor dem Loslassen oder vor dem freien Fall, viele vor dem „Aufprall“ an der Wand oder der Verletzungsgefahr und wieder andere vertrauen Material oder Seilpartner nicht.

Was kommt in dieser Route noch? Vorstieg bedeutet auch, sich aufs Ungewisse einzulassen.Der erste Schritt bei der Bewältigung von Angst ist also, seine ganz persönliche Furcht zu identifizieren. Bei mir persönlich ist es die Angst vor dem unvorhergesehenem Abrutschen von Griffen oder Tritten. Man verliert gänzlich die Kontrolle und hat nicht einmal mehr Zeit, seinen Körper richtig auszurichten. Man könnte „schief fallen“ und seitlich einschlagen. Das ist der Film, der in meinem Kopf abgeht. Meistens völlig unbegründet, ich weiß!

Das andere ist, zwar an der Exe anzukommen, aber nicht mehr genügend Kraft zu haben, sie zu clippen – also im „schlimmsten Fall“ mit ausgezogenem Seil zu fallen. Eeeeewig weit, bis zum Boden. Meistens völlig unbegründet, ich weiß!

Noch dazu hasse ich das Gefühl des freien Falles. Kann doch nichts passieren? Ich weiß! Aber!

Und jetzt DU: Was ängstigt DICH? Welche Situation ist in DEINEM Kopf, vor der Du dich fürchtest und weshalb du ggf. nicht weiterkletterst? Identifiziere sie, möglichst genau!

Ist es wirklich Angst?

Ist es wirklich Angst?Ein wichtiger Punkt ist aber auch zu lernen, Angst selbst identifizieren zu können und sie nicht mit anderen Gefühlen zu verwechseln. Gerade beim Zustieg zu einer anspruchsvollen Tour habe ich das selbst schon oft erlebt. Im ersten Moment fühlt es sich wie Angst an, man will am liebsten umdrehen. Beim genaueren „Hinfühlen“ wird aber klar, dass es vor allem intensive Aufregung und Nervosität ist, nur ein bisschen Angst – und die bezieht sich auf das Ungewisse, was jetzt kommt. Noch ist aber nichts gefährlich.

Der Kopf will Stress vermeiden – um jeden Preis

Ist es wirklich Angst?Man muss unterscheiden lernen zwischen Angst – also der Wahrnehmung von Gefahr -, zwischen intensiver Aufregung und der Angst als Ausrede, die der Kopf uns einredet. Denn der Kopf versucht grundsätzlich Stress zu vermeiden, also innerhalb der Komfortzone zu bleiben. Dabei schreckt er auch nicht vor Tricks zurück – er suggeriert Angst und versucht Dich zu überreden, in der Komfortzone zu bleiben. Er bietet dir alle möglichen Ausreden an (die Route sieht nass aus, wir sind zu spät dran, es ist zu viel los…).

Das Ziel des Kopfes ist es also nicht einzusteigen, einfach weil er den Stress vermeiden will. Durch diesen Stress lernen wir aber und nach ein paar Mal wird diese – heute noch gruselige Situation – Teil der Komfortzone. Fühle also genau hin: Ist es Angst (Wahrnehmung von Gefahr), Aufregung oder eine Ausrede?

Ist es Deine Angst?

"I love" ... "Angst"...?Frage Dich auch mal, ob es gerade wirklich DEINE Angst ist oder ob du gerade zum Beispiel durch einen ängstlichen Kletterpartner selber zittrig wirst. Menschen übernehmen schnell Gefühle von anderen – wir werden traurig, wenn wir uns mit Traurigen umgeben, wir lachen, wenn andere lachen. Und wir fürchten uns, wenn sich andere fürchten, auch wenn wir der Situation an sich locker gewachsen wären. Fühle in Dich hinein und lerne, Angst zu identifizieren!

>> Weiter zum Artikel „Angstbewältigung: Grundlagen

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Herzlichen Dank an alle Trainer, die mich bei der Recherche unterstützt haben:

Melanie von der Kletter-Werkstatt, die mich das kommende halbe Jahr coachen wird!

Verena von 6bplus

Mirko von Focus-Fels

Carolin

Martin von mentalklettern.de

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3 Comments

  • Reply Richtiges Sturztraining beim Klettern | ulligunde.com Mai 9, 2016 at 6:41 am

    […] >> Zum nächsten Artikel: Angst beim Klettern – wovor fürchten wir uns eigentlich? […]

  • Reply Konkrete Tipps und Übungen zur Angstbewältigung | ulligunde.com Mai 10, 2016 at 10:16 pm

    […] Dies ist ein Artikel der Rubrik „Besser klettern“ – hier geht’s zur Übersicht. Und hier geht’s zurück zum vorigen Artikel „Angst beim Klettern – wovor fürchten wir uns eigentlich?„ […]

  • Reply Verena Mai 11, 2016 at 12:08 am

    Ist es wirklich Angst? und: Ist sie womöglich wirklich begründet?
    Genau da, finde ich, wird es oft richtig tricky….Als tendenziell „verkopfter“ Mensch, tu ich mir ja generell schon ganz schwer damit auf „meinen Bauch zu hören“. Wie du hier aber so schön aufführst, ist unser Kopf auch noch mit allen Wassern gewaschen und verschafft uns womöglich ein schlechtes Bauchgefühl, weil er sich einfach vor anstrengenden, vielleicht auch tatsächlich angsteinflössenden Touren drücken will…. aber angsteinflössend heißt ja nun noch lange nicht, dass es auch objektiv unsicher/gefährlich ist …kann es aber…(und ich meine jetzt nicht die Faktoren, die sich vorab rausfinden/abklären lassen, sondern eben jene Gefahren, welche sich – auch in Zeiten digitaler Tourenplanung – aus den verbleibenden Unwägbarkeiten ergeben).
    Ich bin schon ab und an von einer Tour daheim geblieben oder hab Ziele geändert, weil sie sich einfach nicht richtig „angefühlt“ haben….im Nachhinein hab ich mich dennoch häufig geärgert, auch wenn ich selten Gewissheit darüber bekommen habe, ob das nun nicht vielleicht tatsächlich die richtige Entscheidung gewesen ist…aber dieser Zweifel, dass es bloß die Angst vor der eigenen Courage war bzw. das „schlechte Bauchgefühl“ nur als Ausrede und „way out“ herhalten musste bleibt dann oft….und führt im schlechtesten Fall dazu, dass bei der nächsten Entscheidung erst recht wieder Kopf & Bauch im Zwiestreit stehen…
    Wie finde ich nun raus, was wirklich dahinter („einem schlechten Gefühl“) steckt?! Gibt’s da irgendwelche Mentalpraktiken? Wie macht ihr das so?

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